60 Jahre Immobilien& Finanzierung

Politischer Handlungsbedarf in Zeiten des Wandels

Über 707000 Unternehmen und rund 3,8 Millionen Erwerbstätige - die Immobilienwirtschaft ist einer der größten Wirtschaftszweige in Deutschland. Sie ist eine Branche, die unmittelbar im Alltag eines jeden Bundesbürgers Bedeutung hat, weil die Menschen jederzeit ein Dach über dem Kopf benötigen. Als wichtiger Wirtschaftszweig hat sich die Immobilienwirtschaft so als Stabilisator in der Krise erwiesen. Klimaschutz, Mietrecht, Wohnen im Alter und Finanzierung - was bewegt die Branche aktuell?

Immobilienbranche mit verhaltenen Frühlingsgefühlen

Zwar zeigen sich die Unternehmen der privaten Immobilien- und Wohnungswirtschaft aktuell insgesamt noch mit deutlich angespannter Geschäftsstimmung, aber das Gesamtbild hellt sich laut der BFW-Frühjahrsumfrage 2010 langsam auf. Bereits im Herbst 2009 konnte der BFW bei seiner Umfrage erste Stabilisierungs- und Erholungstendenzen beim Geschäftsklima verzeichnen. Allerdings liegen die Umfragewerte noch immer deutlich unter den Ergebnissen vor dem Herbst 2008, als die allgemeine Wirtschafts- und Finanzkrise begann. Risiko der Branchenerholung ist vor allem die restriktive Kreditvergabe.

Auch bei derzeit niedrigen Bauzinsen werden Teile der mittelständischen privaten Wohnungsbaubranche längst nicht mehr mit ausreichend Geld versorgt. Wie eine aktuelle Umfrage der Bulwien Gesa AG im Auftrag des BFW mit Unterstützung der Investitionsbank Berlin (IBB) bei über 200 Unternehmen zeigt, hat sich die Kreditvergabe seit Januar 2010 weiter verschlechtert und stellt als Investitionshemmnis eines der größten Risiken der konjunkturellen Erholung dar. Rund ein Drittel der Marktteilnehmer im unternehmerischen Wohnimmobilienbereich konnte Projekte im vergangenen Jahr nach Ausbruch der Finanzmarktkrise nicht realisieren und musste sie verschieben oder aufgeben. Insbesondere Projektentwickler und Bauträger sind hiervon betroffen.

Wenn es derzeit auch noch keine flächendeckende Kreditklemme gibt, so sollte man sich trotzdem rechtzeitig die Frage stellen, was passiert, wenn Kredite in den nächsten ein bis zwei Jahren auslaufen und Anschlussfinanzierungen die derzeit von der Finanzwirtschaft mit rund 900 Milliarden Euro beziffert werden - nötig sind. Weder die Politik noch die Banken haben hierauf eine Antwort. Die kapitalintensive Immobilienwirtschaft kann so noch immer in den Sog einer Kreditklemme geraten. Für die konjunkturelle Entwicklung ist das Gift, denn die Verfügbarkeit von Krediten ist dringend notwendig für weitere Investitionen sowie die Schaffung und Sicherung von zahlreichen Arbeitsplätzen in der Wohnungs-, Bau- und Immobilienwirtschaft.

Die Folgen der Krise sind aber nur eine Seite der Medaille. Mehr denn je kommt die Immobilienwirtschaft vor allem an zwei großen gesellschaftlichen Herausforderungen nicht vorbei: dem Klimaschutz und der Herausforderung einer schrumpfenden und älter werdenden Bevölkerung. Hierfür müssen die richtigen Weichen gestellt werden.

Verankerung des Klimaschutzes im Mietrecht

Nach dem Superwahljahr 2009 geht es darum, dass der erstmals im Koalitionsvertrag hervorgehobenen Bedeutung der Immobilienwirtschaft Rechnung getragen wird und die festgeschriebenen Verbesserungen für Immobilienunternehmen auch umgesetzt werden. Zu nennen sind hier beispielsweise keine weitere Verschärfung der Energieeinsparverordnung (EnEV) bis zur Evaluation der EnEV 2009 und die Beseitigung der mietrechtlichen Hürden bei energetischen Maßnahmen sowie die Verankerung des Klimaschutzes im Mietrecht.

Wer Klimaschutz möchte, muss aber auch die Lasten gleichmäßig verteilen. Die Novellierung des Mietrechts, wie sie im Koalitionsvertrag von CDU/CSU und FDP vorgesehen ist, darf daher kein Lippenbekenntnis bleiben. Die Unternehmen brauchen mehr Spielraum, um ökologisch und ökonomisch sinnvolle Maßnahmen verstärkt durchführen zu können. Energetische Sanierung soll im Mietrecht leichter gemacht werden. Es muss für einen Eigentümer möglich sein, dass er ein Haus energetisch saniert, ohne dass dies den Anspruch des Mieters begründet, die Miete zu mindern. Wir brauchen hier ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Mietern und Vermietern, um gemeinsam den Klimaschutz im Gebäudebereich voranzubringen.

Trotz der veränderten politischen Konstellation im Bundesrat nach der Wahl in Nordrhein-Westfalen dürfen wichtige Vorhaben nicht ausgebremst werden. Gerade bei der energetischen Sanierung besteht die Möglichkeit einer Win-Win-Situation für alle Beteiligten: Mieter können künftige Heizkostensteigerungen abmildern, Vermieter die Zukunftsfähigkeit ihrer Bestände erhöhen.

Die Bundesvereinigung Spitzenverbände der Immobilienwirtschaft (BSI), deren Vorsitz der BFW bis Ende Juni 2010 innehatte, empfiehlt daher, im Bereich Klimaschutz folgende mietrechtlichen Änderungen vorzunehmen:

- Das Recht auf Mietminderung muss für klima- und umweltfreundliche Modernisierungen ausgeschlossen werden.

- Der Mieter muss verpflichtet werden, alle Formen energetischer und klimafreundlicher Modernisierungen zu dulden.

- Die Formalien der Modernisierungsmieterhöhung müssen vereinfacht werden.

- Gesetzliche Ausschlusstatbestände für Modernisierungsmieterhöhungen müssen gestrichen werden.

- Betriebskosten, die infolge einer energetischen Modernisierung neu entstehen, müssen auf den Mieter umgelegt werden können.

- Das Energie-Contracting bedarf einer rechtssicheren, praktikablen gesetzlichen Regelung.

Zukunftsaufgabe Wohnen im Alter

Neben dem Klimaschutz ist der demografische Wandel eines der zentralen Zukunftsthemen, mit denen sich die Immobilienwirtschaft auseinandersetzen muss. Altersgerechte Wohnungen sind jedoch noch immer Mangelware. Laut eines aktuellen Berichts der Kommission Wohnen im Alter des Bundesbauministeriums und des Deutschen Verbandes, an dem auch der BFW mitgewirkt hat, gibt es zurzeit etwa elf Millionen Altershaushalte in Deutschland. Aber nur rund fünf Prozent leben bisher in einem barrierearmen oder barrierefreien Wohnumfeld. Die Schere zwischen Bestand und Bedarf könnte sich in den nächsten Jahren sogar noch weiter öffnen.

Aktuell sind rund 16 Millionen Menschen in Deutschland, das heißt 20 Prozent der Bevölkerung, 65 Jahre und älter. Für das Jahr 2020 rechnen Experten mit einer Zunahme des Bundesdurchschnitts um 20 Prozent und der Hochbetagten über 80 Jahre um 50 Prozent. Betroffen sind insbesondere Ostdeutschland und das südliche Niedersachsen, wo überdurchschnittlich viele Menschen älter als 65 Jahre sind. Bis 2020 wird vor allem in Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und im nördlichen Umland von München die Anzahl älterer Menschen stark steigen.

Angesichts weniger Mittel in den Staatskassen und sinkender Renten der älteren Bevölkerung bekommt das betreute Wohnen und Wohnen mit Service wie in europäischen Nachbarländern, zum Beispiel den Niederlanden, längst üblich, mehr Bedeutung. Seit der Einführung der Pflegeversicherung zeigt sich eine quantitative Verschiebung von vollstationären Pflegeeinrichtungen wie Pflegeheimen und Seniorenresidenzen hin zum Wohnen mit Pflegeleistungen unterschiedlicher Intensität (Service-Wohnen, betreutes Wohnen). Dies ist nicht zuletzt auf den Wunsch vieler älterer Menschen zurückzuführen, so lange wie möglich unabhängig in ihrer vertrauten Umgebung zu verbleiben - auch im Falle von Pflege- und Hilfebedürftigkeit. Nur etwa zehn Prozent der Seniorinnen und Senioren sind bereit, freiwillig in ein Heim zu ziehen.

Gleichzeitig können altersgerechte Wohnungen zur Entschärfung des Problems von Altersarmut beitragen. Dabei geht es aus Sicht der Immobilienwirtschaft nicht nur um die bauliche, barrierearme Anpassung des Wohnraums, sondern auch um eine gute vorpflegerische und pflegerische Versorgung, ein Quartier, das den täglichen Bedarf wie Einkaufsmöglichkeiten, Ärzte und Apotheken einbezieht, genauso wie das Zukunftsthema der technischen Unterstützung, das sogenannte "Ambient Assisted Living".

Statt der Versorgung von pflegebedürftigen Personen in teuren Wohn- und Pflegeheimen entlastet eine Stärkung des selbstständigen Wohnens mit niedrigschwelligen ambulanten und häuslichen Pflegeangeboten im Wohnquartier aber auch die öffentliche Hand und die Pflegekasse. Das Einsparpotenzial der Versorgung von Seniorinnen und Senioren im Rahmen des selbstständigen Wohnens mit häuslichen und niedrigschwelligen Betreuungsangeboten bewegt sich im Verhältnis zur stationären Pflege in einem Wohn- und Pflegeheim bei 1 650 bis 1 950 Euro pro Haushalt und Monat. Wenn es gelingt, nur 100 000 Wohnungseinheiten altersgerecht so zu gestalten, dass Senioren darin so lange wie möglich selbstständig wohnen können, werden Aufwendungen der Pflegeversicherung bezüglich einer alternativen Unterbringung in Pflegeheimen in Höhe von rund zwei Milliarden Euro jährlich eingespart.

Die Wohnungswirtschaft ist damit - in Kooperation mit der Pflegewirtschaft der eigentliche Versorger der Bevölkerung mit altersgerechtem Wohnraum. Damit ausreichend altersgerechte Wohnungen zur Verfügung gestellt werden, benötigen wir eine Aufstockung des KfW-Programms "Altersgerecht Umbauen" für den Bestand. Sollte dies nicht möglich sein, sollte die Förderung mindestens jedoch auch nach 2011 auf hohem Niveau langfristig fortgeführt werden.

Hochwertiger Neubau als bessere Alternative?

Zudem darf das Thema Bestandsersatz nicht länger ein Tabu sein. Bestandsersatz durch hochwertigen energieeffizienten und altersgerechten Neubau kann manchmal die bessere Alternative sein. Die Politik sollte dieser Option mehr Bedeutung beimessen: Die Kosten für eine energetische und altersgerechte Vollmodernisierung bei einer barrierearmen Wohnraumanpassung betragen bereits rund 1 000 bis 1 500 Euro pro Quadratmeter. Bei einer barrierefreien Vollmodernisierung liegen sie sogar bei rund 1 300 bis 2 000 Euro pro Quadratmeter. Im Vergleich dazu belaufen sich die Kosten für Abriss und Neubau auf maximal 1 500 Euro pro Quadratmeter. Das zeigt deutlich, dass die Modernisierung nicht günstiger, sondern zum Teil sogar teurer als der Neubau ist. Einen Neubau von Anfang an barrierefrei zu gestalten, ist die einfachste Variante und würde sich nach Schätzungen unseres BFW-Arbeitskreises Seniorenimmobilien auf zirka fünf Prozent Zusatzkosten gegenüber einem traditionellen Neubau belaufen. Der BFW erachtet daher ergänzende steuerliche Anreize für den Neubau als wichtig. Neubau kann unter qualitativen Gesichtspunkten helfen, aber auch rein quantitativ fehlen insbesondere in Ballungsgebieten schon heute tausende von Mietwohnungen. Denkbar wäre daher die Wiedereinführung einer degressiven AfA - in Höhe von vier Prozent für die ersten acht Jahre.

Verbesserte Abschreibungsbedingungen im Wohnungsbau bringen ein Plus an Steuern und Abgaben und konsolidieren die öffentlichen Haushalte, so die Berechnungen des Eduard Pestel Instituts in der aktuellen durch die Kampagne "Impulse für den Wohnungsbau" beauftragten Studie "Wohnungsbauinvestitionen und Staatliche Haushalte".

Steuermindereinnahmen, die sich aus der Wiedereinführung einer degressiven Abschreibung ergäben, würden ab 4 600 pro Jahr zusätzlich gebauten Wohneinheiten kompensiert. Alle darüber hinaus errichteten Einheiten bedeuteten einen positiven Effekt für die öffentlichen Haushalte. Gerechnet wird mit vier Prozent Abschreibung im Jahr der Fertigstellung und den folgenden neun Jahren, 2,5 Prozent in den nächsten acht Jahren und dann mit 1,25 Prozent bis zum Jahr 2050. Als Beispiel wurde ein 1,9 Millionen Euro teures Neubauprojekt eines Mehrfamilienhauses mit 1,5 Millionen Euro abschreibungsfähigen Errichtungskosten gewählt und ein Einkommensteuer-Spitzensatz von 30 Prozent angenommen. Bei einem Spitzensatz von 45 Prozent kommen die öffentlichen Haushalte ab 7300 zusätzlichen Wohnungen in die Gewinnzone.

Die Immobilienbranche ist bereit, sich auf die wartenden Herausforderungen einzustellen und sie als Chance für einen Wandel zu begreifen. Hierfür benötigt sie aber auch die Unterstützung der Politik. Die Immobilienwirtschaft braucht prozyklische Anreize, um bei den großen Zukunftsaufgaben wie Energieeinsparung, demografischer Wandel und Wohnversorgung mit sozial verträglichen Mieten ihren gesellschaftlichen Beitrag zu leisten.

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