Altersvorsorge

Reverse Mortgage und Wohn-Riester: ein Zukunftsmarkt?

Während der Altersquotient (das Verhältnis von über 65-Jährigen zu den 15- bis 64-Jährigen) im Jahr 2000 noch bei etwa 24 Prozent lag, prognostiziert das Statistische Bundesamt bis 2050 einen Anstieg auf 60 Prozent. Dieser demografische Wandel sorgt zum einen für ein sinkendes Erbmotiv aufgrund zurückgehender Geburtenraten, zum anderen ist er mit erheblichen Einschnitten der umlagefinanzierten Rente verbunden.

Im politischen Diskurs sind sich die meisten einig, dass die Folge eine immer bedeutender werdende private Altersvorsorge ist. Erste Schritte, um der zukünftig größer werdenden Rentenlücke zu begegnen, sind mit der Einführung der Riesterrente und ihrer Erweiterung um "Wohn-Riester" bereits erfolgt.

Mehr Wohneigentum bei Geringverdienern durch Wohn-Riester

Mit dem Eigenheimrentengesetz vom 29. Juli 2008 (BGBl. II S. 1508) kann gefördertes Altersvorsorgekapital besser für die selbst genutzte Wohnimmobilie genutzt werden. Außerdem können Tilgungsleistungen steuerlich gefördert werden, wenn das zugrunde liegende Darlehen für eine selbst genutzte Wohnimmobilie eingesetzt wurde. Die steuerfinanzierte Förderung macht die Riester-Rente und somit auch Wohn-Riester vor allem für kinderreiche Familien und Geringverdiener interessant. Somit ist zu rechnen, dass zukünftig weitere Bevölkerungsschichten, vor allem kinderreiche Familien und Geringverdiener, sich für Wohneigentum als eine Form der Altersvorsorge entscheiden werden.

Gleichzeitig ist zu erwarten, dass der Anstieg der Wohneigentumsquote bei den ärmeren Bevölkerungsschichten den Markt für Reverse-Mortgage-Produkte überproportional wachsen lässt. Im Gegensatz zu einer normalen Immobilienfinanzierung, bei der der Kreditbestand üblicherweise durch Annuitätenzahlungen aus Zins und Tilgung bezahlt wird, ist der Zahlungsstrom bei einem Reverse Mortgage umgekehrt (siehe Abbildung 1).

Bei Eintritt in das Rentenalter erhält der Kreditnehmer (Hausbesitzer) monatliche Rentenzahlungen, welche aus dem Verkauf der Immobilie nach dem Tod gespeist werden. Wie aus der Grafik zu entnehmen ist, erhöht sich die Zinslast während der Laufzeit exponentiell und kann bei einem sehr hohen Sterbealter die Kosten für den Kredit stark ansteigen lassen. Ein Reverse Mortgage erlaubt es, Immobilienvermögen zu liquidieren, während der Rentner in seinem Haus wohnen bleiben kann. Der entscheidende Vorteil besteht also darin, die freigesetzten Mittel zu verzehren, ohne die Immobilie zu Lebzeiten verkaufen zu müssen.

Vertraglich gibt es mehrere Möglichkeiten, die Bedürfnisse von Kreditgeber und Kreditnehmer zu befriedigen. Die Ausgestaltung kann zwischen einer vorher fest vereinbarten Zeit bis zu einer lebenslangen Rentenzahlung variieren und es können Einmalzahlungen zu Beginn oder während der Laufzeit vereinbart werden. Entscheidend für den Anbieter ist, wie bei einem Kredit üblich, die Ausfallwahrscheinlichkeit des zur Verfügung gestellten Kredits in Form der Rentenzahlungen einzugrenzen und die Forderungsansprüche in voller Höhe samt Zinsen zu erhalten. Anders betrachtet darf der gewährte Kreditrahmen den Wert der Immobilie nicht übersteigen. Die Höhe des Kreditrahmens (KR) lässt sich wie folgt berechnen:

Formel

Dabei istho der heutige Verkehrswert der Immobilie, g die Wertentwicklung der Immobilie, i der Kalkulationszinssatz und n die Laufzeit.1) Die Formel verdeutlicht, dass die drei wertbestimmenden Faktoren die Immobilienwertentwicklung, die Laufzeit und die Verzinsung sind. Der Kreditrahmen fällt umso höher aus, je höher die Immobilienwertentwicklung, je kürzer die Laufzeit und je geringer die Abdiskontierung ist. Würde Gewissheit über diese Faktoren herrschen, wäre die Kalkulation eines Reverse Mortgage relativ einfach.

Schwierige Prognosen für Zins- und Wertentwicklung

Aber genau hier liegt das Problem. Da die Laufzeit bei diesem Produkt mit der Restlebensdauer übereinstimmt, welche nur geschätzt werden kann, und ebenso Unsicherheit über die zukünftige Wert- und Zinsentwicklung herrscht, bedarf es einer gründlicheren Analyse dieser Determinanten. Um die Interessen der Anbieter mit denen der Nachfrager, wie zum Beispiel Flexibilität und hohe Rentenansprüche, in Einklang zu bringen, bedarf es möglichst genauer Annahmen zukünftiger Ereignisse.

Die Wohnimmobilie dient als Sicherheit und der Verkehrswert ist analog zur klassischen Hypothek ausschlaggebend für die Höhe der Kreditsumme. Anders jedoch als bei einem klassischen Hypothekenkredit steigt der Anteil des Fremdkapitals bei einem Reverse Mortgage mit der Vertragslaufzeit an, womit die Bedeutung der Sicherheit im Zeitablauf größer wird.2)

Die Bestimmung des Immobilienverkehrswertes ist auf Basis der Gegenwartsbetrachtung aufgrund der individuellen Eigenschaften einer Wohnimmobilie, wie Alter, baulicher Zustand und Lage des Objekts, schwierig. Problematisch wird die Verkehrswertbestimmung für einen in der Zukunft unbestimmt liegenden Zeitpunkt, der für einen Reverse-Mortgage-Vertrag notwendig ist. Je nach Ausgestaltung der Verträge liegt das Mindestalter für die Nachfrager eines solchen Produkts bei 62 bis 65 Jahren, was eine Restlebensdauer von etwa 20 Jahren3) impliziert.

Wertentwicklung der Immobilie

Abbildung 2 veranschaulicht grafisch eine Prognose über die Wertentwicklung der Immobilie, bei zum Beispiel 2,0 Prozent Wertzuwachs pro Jahr (Linie P), die durchschnittliche Lebensdauer (Line T) und die Kreditschuld (Linie K). Die Grundlage für die Berechnung des Reverse Mortgage ist der Immobilienpreis zum Zeitpunkt T und dem durchschnittlichen Todeszeitpunkt laut Sterbetafeln im Punkt A. Hier wird die vollständige Kreditschuld (Punkt B) zum Todeszeitpunkt samt aller Kosten abgedeckt.

Verringert sich der Verkehrswert der Immobilie (Linie P'), liegt die Kreditschuld (Punkt B) über dem neuen Verkehrswert (Punkt B'), mit der Folge, dass es zu Kreditausfällen kommen kann, da die Verwertung der Immobilie nicht ausreicht, um den Kredit zu bedienen. Aus der Grafik ist ersichtlich, dass die Unsicherheit der Wertentwicklung entscheidenden Einfluss auf die Höhe des Kredites hat.

Nach Smith/Rosen/Fallis (1988) sind vor allem vier signifikante Immobilienmerkmale für die Wertentwicklung von Wohnimmobilien wichtig: die lange Produktions- und Lebenszeit von Immobilien, die Heterogenität und örtliche Gegebenheit sowie die staatlichen Interventionen auf dem Markt für Wohnraum.4) Die Wertentwicklung einer umgekehrten Hypothek unterliegt aber noch einem weiteren Kriterium in Form des Moral-Hazard-Verhaltens der Hausbewohner. Gemeint ist das moralische Risiko der nachvertraglichen Pflichtverletzung, der ordnungsgemäßen Instandhaltung der Immobilie nachzukommen.

Die praktische Erfahrung in anderen Ländern zeigt, dass relativ niedrige Auszahlungsquoten der Schlüssel zu einer erfolgreichen Risikoabdeckung sind. So werden bei einem Reverse Mortgage in Großbritannien bei einem 60-Jährigen nur zehn Prozent des Immobilienverkehrswertes ausbezahlt. Je älter der Vertragsnehmer bei Abschluss des Vertrages ist, desto höhere Auszahlungsquoten können gewährt werden. Geringe monatliche Rentenzahlungen sind zwar einerseits ein Nachteil für den Nachfrager, andererseits können mögliche Erben zum Todeszeitpunkt noch über Restkapital verfügen.5)

Langlebigkeit - Risiko oder Chance?

Die meisten Immobilienverzehrpläne sind mit ihrer Rentenauszahlungsstruktur eng an die Restlebensdauer der Vertragsnehmer gekoppelt. Für den Kreditgeber, der die Kredithöhe aufgrund von Sterbetafeln erstellt, bedeutet eine überdurchschnittliche Lebensdauer des Kreditnehmers ein Risiko. Für den Kreditnehmer dagegen bedeutet sie die Chance, höhere Rentenzahlungen zu erhalten als die Immobilie eigentlich wert ist.

Grafisch kann gezeigt werden (vergleiche Abbildung 3), dass bei einer durchschnittlichen Lebensdauer (Linie T) der Immobilienpreis in Punkt A die Kreditschuld übersteigt, während bei einem Überschreiten dieses Alters (Linie T') der Immobilienwert Punkt A' nicht ausreicht, um die angestiegene Kreditschuld zu tilgen. Mit jeder zusätzlichen Rentenzahlung steigt die Kreditschuld überproportional an, da neben der monatlichen Ratenzahlung die gestundeten Kreditzinsen auf die Forderung aufgeschlagen werden.

Reverse-Mortgage-Verträge sind üblicherweise mit einer "Non negative Equity Guarantee" respektive Non-Recourse-Klausel ausgestattet. Überschreiten die Rentenzahlungen den Wert der Immobilie, verzichtet der Kreditgeber auf über den Kreditbetrag hinausgehende Forderungen. Wie oben bereits erwähnt, sichert sich der Kreditgeber dadurch ab, dass nur ein Teil des Immobilienvermögens liquidiert wird, um das Überschreitungsrisiko so gering wie möglich zu halten. In den USA wird dieses Risiko durch staatliche Ausfallbürgschaften getragen, sodass es für den Anbieter eliminiert wird.

Neben dem Immobilienwert und der ungewissen Dauer eines Reverse-Mortgage-Vertrages hängen die monatlichen Ratenzahlungen auch von der Zinsbelastung ab. Über die Vertragslaufzeit akkumulieren sich die Zinsen und nehmen einen größer werdenden Anteil an der Kreditschuld ein. Je nach Vereinbarung können die Zinsen variabel oder fix ausgestaltet sein. Wird der Zinssatz je nach Marktbedingungen angepasst, hat das Auswirkungen auf die Kreditschuld und kann, vor allem verbunden mit einer höheren Lebensdauer, dazu führen, dass die Zinslast stark ansteigt. Grafisch ist dieses Szenario in Abbildung 3 dargestellt, in der die Kreditschuld bei steigenden Zinsen mit zunehmender Vertragslaufzeit auseinander klafft (K zu K').

Vorbehalte auf Seiten der Anbieter

Neben den drei erläuterten großen Risikofaktoren bestehen weitere produktspezifische Akzeptanzhemmnisse auf der Anbieterseite. Zunächst sollte der Bedarf der Nachfrageseite für ein entsprechendes Produkt ausgewertet und das Potenzial für die Zukunft berücksichtigt werden. Allerdings existiert Unsicherheit über die zukünftige Nachfrageentwicklung und damit das Risiko, dass die Ausgaben für Produktentwicklung, Marketing und Kundenbefragung zukünftige Erlöse übersteigen.

Aufgrund der langen Vertragslaufzeit eines Reverse Mortgage kann der Rückzug eines Anbieters durch gesunkene Nachfrage kostspielige Folgen haben, wenn das Vertragsende in ferner Zukunft liegt. Ein weiteres Risiko besteht für den Anbieter in veränderten Vorschriften von Hypothekenkrediten, mit denen ein zusätzlicher Regulierungsaufwand verbunden sein kann.

Nachfrageseitige Akzeptanzhemmnisse

Als Ausgangspunkt einer nachfrageseitigen Analyse eines Reverse Mortgage bietet das SALIS-Konzept eine Basis für die Untersuchung eines Altersvorsorgeprodukts. Dieses Modell fußt auf dem "magischen Dreieck" der Geldanlage, das Rendite, Liquidität und Sicherheit beinhaltet; zusätzlich werden die Zugangsmöglichkeiten sowie die soziale Verantwortung berücksichtigt.

- Security: Das erste Kriterium bildet die Sicherheit und bezieht sich bei einem Reverse Mortgage vor allem auf das Konkursrisiko des Anbieters. Gerade in Zeiten der weltweiten Finanzmarktkrise schmälert die Angst einer Insolvenz das Vertrauen in privatwirtschaftliche Produkte. Anders als bei einem normalen Kredit werden die monatlichen Rentenzahlungen aus dem Immobilienverzehrplan geleistet, ohne dass es während der Vertragslaufzeit zu Zins- und Tilgungszahlungen seitens des Vertragnehmers kommt. Ein weiterer Sicherheitsaspekt liegt im Verwertungsrisiko der Wohnimmobilie, sofern der Kredit nicht durch Erben getilgt wird und es zu erheblichen Wertminderungen kommt.

- Access: Für den Zugang zu einem Reverse Mortgage gibt es einige Voraussetzungen, die es zu erfüllen gilt. Dabei kann die Zahl der in Betracht kommenden Senioren mittels eines Filters eingeschränkt werden. Erstens müssen Senioren eine bestimmte Altersgrenze erreichen, zweitens sollte die Wohnimmobilie lastenfrei sein und drittens muss die Immobilie als marktfähig eingestuft werden. Im Rahmen der Zugangsmöglichkeiten stellt sich die Frage, ob das angebotene Produkt auf die Bedürfnisse der gefilterten Personengruppe zugeschnitten ist. Des Weiteren führen ausreichend zur Verfügung gestellte Produktinformationen und unabhängige umfassende Beratung dazu, dass die Markttransparenz steigt und die Zugangsmöglichkeiten verbessert werden.6)

- Liquidity: Der dritte Aspekt, die Liquidität, bezieht sich vor allem auf die Zahlungsfähigkeit des Anbieters. Je höher die monatlichen Rentenzahlungen ausfallen, also je höher die finanzielle Belastung für den Anbieter ist, desto eher kann es zu einem Abbruch des Zahlungsstroms kommen. Immobilien gelten aufgrund ihrer Eigenschaften als illiquide, da sie meistens kurzfristig schwer veräußerbar sind. In einem Reverse-Mort-gage-Vertrag können und sollten flexible Elemente fixiert werden, um bei unvorhergesehenen finanziellen Notlagen geregelt zu sein.

- Interest: Die Rendite oder Rentabilität, die bei einer klassischen Geldanlage ein wesentliches Kriterium darstellt, erweist sich bei einem Reverse Mortgage als schwierig zu bestimmen. Zum einen resultieren die Rentenzahlungen aus bereits gebildetem Kapital, zum anderen erschwert zum Beispiel die Restlebensdauer eine genaue Rentabilitätsberechnung. Im Gegensatz zum Einkommen besteht die Entnahme eines Reverse Mortgage aus Kreditauszahlungen, welche steuerfrei sind.

- Social Responsibility: Das letzte Kriterium zielt vor allem auf die Risikoübernahme der biometrischen Risiken ab.7) Während die Reverse-Mortgage-Produkte in den USA das Kriterium des Langlebigkeitsrisikos durch staatlich geförderte Institutionen abdecken, fehlt in Deutschland eine solche Einrichtung.

Das zentrale Motiv eines Rentners, einen Reverse-Mortgage-Vertrag abzuschließen, ist üblicherweise die Liquiditätssicherung bis zum Lebensende. Um die individuelle Langlebigkeit abzusichern, kommt vor allem die Variante einer lebenslangen monatlichen Rentenzahlung in Betracht. Ein Verkauf der Immobilie mit einmaliger Auszahlung und einer auf bestimmte Laufzeit fixierten Auszahlung kann dagegen keine lebenslange Rente garantieren. Individuelle Anfertigungen an der Immobilie und persönliche Präferenzen der Hauseigentümer können dazu führen, dass der subjektive Immobilienwert des Besitzers höher ausfällt als der ermittelte Verkehrswert. Dementsprechend sind Rentenzahlungen, die der Kreditgeber anbietet, für einige Kunden zu niedrig, weshalb das Produkt unattraktiv wird.8)

Niedrige ökonomische Allgemeinbildung

Einen weiteren wesentlichen Aspekt der nachfrageseitigen Akzeptanzschwäche sieht die OECD in einer niedrigen ökonomischen Allgemeinbildung der Gesellschaft. Gerade ältere Menschen haben häufig Probleme, ein komplexes Finanzinstrument mit allen Konsequenzen vollständig zu erfassen. Dabei erhöht ein geringes Produktverständnis das Misstrauen gegenüber dem Anbieter und schreckt viele Rentner von einem Vertragsabschluss ab. Dem entgegenzuwirken bedarf es einer umfassenden Beratung durch geschulte Mitarbeiter.

Eine weitere Rolle der Nachfrageseite spielt das Erbschaftsmotiv. Besonders wenn die Familie von einer Vererbung ausgeht, wollen viele ältere Menschen die Belastung ihrer Immobilie vermeiden, um einem Konflikt mit den Erben zu entgehen. Ein nicht zu unterschätzendes Kriterium gegen Reverse Mortgage ist, die eigene Immobilie erneut belasten zu müssen. Für das Wohneigentum wurde jahrzehntelang gearbeitet, oftmals ist die Immobilie gerade lastenfrei und soll dann wieder mit einer Hypothek belastet werden.9)

In den USA gibt es verschiedene Anbieter von Reverse-Mortgage-Programmen, wobei private Institutionen mit staatlicher Absicherung den weitaus größten Marktanteil haben. Das U. S. Department of Housing and Urban Development (HUD), das das staatlich geförderte Home Equity Conversion Mortgage Program (HECM) entwickelt hat, übernimmt dabei die Rolle des Versicherers. Kommt es zu einer Zahlungsunfähigkeit des Kreditgebers, sorgt die Versicherung für die Aufrechterhaltung der Auszahlungen und eliminiert so das Risiko für den Kreditnehmer. Dadurch entfällt das Kreditausfallrisiko für die Anbieter von den staatlich versicherten HECM-Verträgen. Die Anzahl der Vertragsabschlüsse belief sich Mitte 2009 auf knapp 500 000 und entsprach einem Marktanteil von etwa 90 Prozent. Damit spielen private Anbieter insgesamt eine untergeordnete Rolle auf dem amerikanischen Reverse-Mort-gage-Markt. Hauptgrund dafür ist der Wettbewerbsnachteil, da diese bei Zahlungsunfähigkeit nicht staatlich gefördert werden.

In Deutschland ist die Wohneigentumsquote mit 44 Prozent deutlich geringer als in den USA (67 Prozent)10) und der Immobilienbesitz konzentriert sich in Deutschland stärker bei älteren Haushalten. 2009 wurde die umgekehrte Hypothek mit einer einmaligen Auszahlung erstmals in Deutschland umgesetzt. Für das Jahr 2010 haben mehrere Institute, darunter auch Förderbanken, die Einführung einer umgekehrten Hypothek mit lebenslanger monatlicher Rentenzahlung angekündigt. Auch andere Kreditinstitute erwogen die Einführung eines Reverse Mortgage, konnten aus verschiedenen Gründen allerdings kein solches Produkt am deutschen Markt platzieren.

Rückversicherung oder staatliche Garantie

Unter anderem stellte das Langlebigkeitsrisiko ein unüberwindbares Hindernis dar. Für eine erfolgreiche Einführung muss entweder eine Rückversicherung extern eingekauft werden oder das Risiko wird vom Kredit gebenden Institut selbst getragen. In den USA haben die Anbieter gegenüber Deutschland einen Wettbewerbsvorteil, da mit staatlich garantierten Bürgschaften das Überschuldungsrisiko durch Langlebigkeit abgesichert wird. Um die Ausfallwahrscheinlichkeit gering zu halten, stellt zum Beispiel die Immokasse maximal 35 Prozent des Beleihungswertes als einmaligen Kredit zur Verfügung, welcher bei Tod durch die Erben oder Verwertung der Immobilie getilgt werden kann. Sollte es trotz dieser vorsichtigen Berechnung zu einem Übersteigen der Kreditschuld und damit zu Kreditausfällen kommen, bliebe der Ausfall am Kredit gebenden Institut hängen.

Relativ niedrige Auszahlungsquoten haben in anderen europäischen Ländern gezeigt, dass es auch ohne staatliche Garantien zu einer erfolgreichen Einführung von Immobilienverzehrplänen kommen kann. Die Anbieter können sich dadurch gegen Überschuldung absichern, während die Nachfrager in den Genuss der lebenslangen Verrentung ihrer Immobilie kommen. Attraktiv ist das Produkt allerdings erst dann, wenn die Wohnimmobilie einen bestimmten Mindestverkehrswert erreicht, damit trotz relativ niedriger Anrechnung und immer größerer Lebenserwartung eine ordentliche Rente bezahlt werden kann.

Wohn-Riester und Reverse Mortgage

Die im Jahr 2000 eingeführte Riesterrente wurde im Jahr 2008 um Wohn-Riester erweitert und fördert seitdem neben den üblichen Riestersparplänen auch die private Altersvorsorge in Form von Wohneigentum. Dabei werden die Einzahlungen und Zulagen sowohl klassischer Riesterprodukte als auch die Eigenheimrente nachgelagert besteuert, sodass die Einzahlungen im Erwerbsalter das zu versteuernde Einkommen senken. Im Vergleich zu klassischen Riesterprodukten ist Wohn-Riester in Bezug auf steuerliche Vergünstigungen deutlich attraktiver.

Eine klassische Riester-Rente besteht aus Einzahlungen bis zum Renteneintritt und monatlichen Rentenzahlungen im Alter. Dabei ist zu berücksichtigen, dass es nach dem Eintritt in das Rentenalter zu einer weiteren Kapitalakkumulation des angesparten Vermögens kommt; dieser Zinseszinseffekt im Rentenalter macht einen bedeutenden Anteil des Vermögens aus und erhöht das zu versteuernde Einkommen im Alter.

Im Gegensatz dazu wird im Rahmen eines Wohn-Riester-Vertrages ein "Wohnförderkonto" erstellt, das im Erwerbsalter fiktiv mit zwei Prozent verzinst und ab dem Renteneintritt gar nicht mehr verzinst wird. Der Betrag auf dem Wohnförderkonto dient als Grundlage für die nachgelagerte Besteuerung. Es wird somit nicht auf den konkreten Nutzungswert der Immobilie im Alter abgestellt, sondern nur auf die vom Förderberechtigten tatsächlich bezogene Förderung.

Beträgt der Stand des Wohnförderkontos zum Beispiel 10 000 Euro, dann wird nur dieser Betrag steuerlich erfasst, auch wenn sich der Wert der Immobilie zwischenzeitlich verdoppelt hat und somit die Nutzungen aus dem mietfreien Wohnen mehr "wert" sind, als bei Inanspruchnahme der Förderung vorhergesehen wurde. Die Wertsteigerungen aus dem Kapital, das in die Wohnimmobilie investiert wird, bleiben steuerfrei.

Den Liquiditätsnachteil, im Alter kein laufendes monatliches Einkommen zu erhalten, kann ein Reverse-Mortgage-Produkt kompensieren. Die Rentenzahlungen, die aus dem Reverse Mortgage resultieren, sind Auszahlungen aus einem Kreditverhältnis und unterliegen damit keiner Steuer. Die Kombination von Wohn-Riester und einem Reverse Mortgage ist eine attraktive Lösung, um sowohl im Erwerbsalter als auch im Rentenalter das zu versteuernde Einkommen zu mindern und einen Nettovorteil zu generieren.

Als Nebenziel wird eine höhere Wohneigentumsquote erreicht, die eine wichtige Säule der privaten Altersvorsorge darstellt. Für eine positive Zukunft von Reverse Mortgage in Deutschland sprechen die Erfahrungen im Ausland und vor allem die jüngste Entwicklung von Reverse-Mortgage-Verträgen in den USA. Eine stärkere öffentliche und politische Diskussion ist dafür wünschenswert. Eine politische Entscheidung zugunsten der Attraktivität von Reverse-Mortgage-Produkten in Form von staatlichen Ausfallgarantien nach amerikanischem Vorbild könnte die Auszahlungsquote erhöhen und die Kosten für die Nachfrager senken.

Fußnoten:

1) Vergleiche Schneider, M. (2009), Kalkulation von Lifetime beziehungsweise Reverse Mortgages, Gabler GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden, S. 117.

2) Vergleiche Conrad, A. (2007), Das Konzept des Reverse Mortgage - Eine Alternative für Deutschland? In: Bank-Archiv, Bd. 55 (2007), 8, S. 635f.

3) Vergleiche Storck, P. (2007), Immobilienverzehrpläne - Eine neue Form der kapitalgedeckten Altersvorsorge, Tectum Verlag Marburg, S. 158.

4) Vergleiche Smith, L. B. / Rosen, K. T. / Fallis, G. (1988), Recent Developments in Economic Models of Housing and Markets. In: Journal of Economic Literature 29/1988, S. 33ff. und vergleiche Storck, P. (2007), a.a. O., S. 158.

5) Vergleiche Lang, G. / Schneider, M. (2008), Zusätzliche Liquidität im Ruhestand? In: Die Bank, Heft 01/2008, S. 6.

6) In den USA ist eine vorvertragliche Beratung durch anbieterunabhängige Institutionen verpflichtend.

7) Vergleiche Storck, P. (2007), Immobilienverzehrpläne - Eine neue Form der kapitalgedeckten Altersvorsorge, Tectum Verlag Marburg, S. 180 ff.

8) Vergleiche Huck, S. / Kirchsteiger, G. / Oechssler, J. (2005), Learning to Like What You Have - Explaining the Endowment Effect. In: The Economic Journal 115 (505), 2005, S. 689 ff.

9) Vergleiche OECD (2005), Ageing and Pension System Reform: Implications for Financial Markets, Paris, S. 51 und Lang, G. (2008), Reverse Mortgage als Alterssicherungsinstrument in Deutschland, ZEW Wirtschaftsanalysen, Mannheim, S. 62f.

10) Vergleiche Ben Shlomo, J. / Nguyen, T. (2009), Determinanten der Wohneigentumsquote - Eine internationale empirische Studie. In: Zeitschrift für immobilienwirtschaftliche Forschung und Praxis, Heft 13, S. 9.

Prof. Dr. Tristan Nguyen , Professor für Economics, Finance & ­Accounting , Hochschule Fresenius, München
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