Leitartikel

Der unwillige Staat

Wohl nicht wenige waren geneigt, an ein zweites deutsches Wirtschaftswunder zu glauben. Während infolge der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise die Konjunktur hierzulande stärker einbrach als andernorts, erwies sich die Volkswirtschaft trotzdem als ausgesprochen robust. Die Arbeitslosigkeit stieg nur moderat, um jetzt - von statistischen Tricksereien abgesehen - auf knapp drei Millionen zu sinken. Schnell füllten sich die Auftragsbücher, nahm der Export wieder zu, hob sich die Stimmung in der Wirtschaft und besserte sich die Kauflaune der Konsumenten. Doch die Haushaltsdebatte des Deutschen Bundestages entzauberte das vermeintliche Mirakel gründlich. Denn die Zutaten des konjunkturellen Stärkungstranks schmecken bitter und haben so gar nichts Wunderbares an sich. Die Kurzarbeiterregelung und das milliardenschwere Konjunkturprogramm erwiesen sich sozial und ökonomisch als höchst sinnvoll, auch weil sie den raschen Wiederaufschwung ermöglichten. Doch sie kosten Geld, sehr viel Geld - ebenso wie die Stützung des Euros, die Rettung Griechenlands, Irlands und wo auch immer in Europa vergangene Sünden noch gesühnt werden müssen. Das alles ist im Interesse Deutschlands, weil es einen Gutteil seiner ökonomischen Stärke aus der sozialen Stabilität im Inneren und seinem Handel im europäischen Wirtschaftsraum bezieht. Doch der Preis ist hoch. Der Staat muss massiv sparen, weil eben auch öffentliche Haushalte milliardenschwere Stützungspakete nur unter erheblichen Schmerzen verdauen.

Nun kann leidenschaftlich darüber gestritten werden, an welchen Stellen zu viel ausgegeben wird und wo das Sparen mehr schadet als nützt. Dass dazu von allen und aus allen Bereichen ein Beitrag zu leisten ist, darf aber durchaus verlangt werden. Schließlich sollte der Konsolidierungsdruck groß genug sein, um alle öffentlichen Aufgaben und Subventionen ohne klientelpolitische Rücksichtnahmen auf ihre Wirkung und Wirksamkeit zu überprüfen. (Soviel Träumerei sei gestattet.) Mit welchen öffentlichen Zuwendungen tatsächlich staatliche Aufgaben erfüllt werden oder welche lediglich eine Industrie füttern, muss sich selbstverständlich auch das deutsche Wohnungswesen fragen lassen. Nur zu gerne möchte die institutionelle Wohnungswirtschaft ihr Kernprodukt als Sozialleistung verstanden wissen, die bitteschön der staatlichen Unterstützung bedürfe und für die Wirtschaftlichkeitskriterien nur in eingeschränktem Maße gelten. Dieses Gebaren ärgert schon lange private Nebensberufsvermieter, die sich nicht als Samariter sehen, sondern von ihren vermieteten Wohnungen als Kapitalanlage und Altersvorsorge eine dem Risiko angemessene Rendite erwarten. Die Definition des Wohnens als Sozialgut hat das wirtschaftliche Verhältnis von Mietern und Vermietern auf fatale Weise geschädigt. Eigentümer sehen sich nicht als Dienstleister an ihren Kunden - umgekehrt unterstellen Mieter allzu oft Unredlichkeit und Profitgier, wenn der Vermieter für zusätzlichen Komfort einen höheren Preis verlangt.

Das unausgewogene Mietrecht verfestigt diese Diskrepanz noch. Während auf dem Verordnungswege verschärfte Energieeinsparziele durchgesetzt werden sollen, macht die energetische Sanierung aus Vermietersicht keinen Sinn. Denn die Mieter als Hauptnutznießer können an den Investitionskosten kaum beteiligt werden. Im Gegenteil, der Eigentümer muss fürchten, dass die Beeinträchtigungen während der Baumaßnahmen Mietkürzungen auslösen. Das wollte die Bundesregierung ändern. Im Koalitionsvertrag hieß es: "Die Hürden im Mietrecht für eine energetische Sanierung zum gemeinsamen Vorteil von Eigentümern und Mietern werden gesenkt ... Baumaßnahmen, die diesem Zweck dienen, sind zu dulden und sollen nicht zur Mietminderung berechtigen." Doch der jüngste Entwurf des Mietrechtsänderungsgesetzes sieht eine Duldungspflicht für die Mieter nur dann vor, wenn die energetische Sanierung rechtlich verpflichtend ist. Diese gesetzliche Pflicht zur energetischen Modernisierung gibt es jedoch nicht. Auch im Ende September verabschiedeten Energiekonzept der Bundesregierung wurde eine künftige Sanierungspflicht für Bestandswohnungen verworfen. Ordnungspolitisch richtig wäre es, Mieter und Vermieter gleichermaßen an den Kosten für die Bereitstellung des öffentlichen Gutes "Klimaschutz" zu beteiligen. Ist das nicht gewollt, bleibt nur die Alternative, wer fordert, muss auch fördern. Da passt es dann aber nicht, dass die Fördermittel für die CO2-Gebäudesanierung im Jahr 2011 auf nur noch 436 Millionen Euro zusammengestrichen wurden, also mehr als eine Milliarde Euro weniger als noch 2010 zur Verfügung stand.

Dass sich der Bund aus einigen Bereichen der Wohnungs- und Städtebauförderung am liebsten ganz zurückziehen will, ist hingegen nachvollziehbar und unter föderalistischen Gesichtspunkten gerechtfertigt. Zu unterschiedlich sind die Problemlagen in den einzelnen Ländern und Kommunen, als dass eine bundeseinheitliche Gießkannenförderung zufriedenstellende Lösungen hervorbrächte. So steht einigen wenigen Ballungsräumen mit starkem Zuzug eine Vielzahl von Regionen gegenüber, deren Bevölkerungsschwund den Abriss von Wohnungen nötig macht. Aber Überkapazitäten sind längst kein allein ostdeutsches Problem mehr, auch in zahlreichen westdeutschen Gemeinden müssen Wohnungen vom Markt genommen werden.

Allerdings: Wohnungs- und Stadtentwicklung dient immer auch dem Erhalt des sozialen Friedens und ist damit eine öffentliche Aufgabe, die in erster Linie von den Kommunen zu leisten ist, denen der Bund jedoch nicht die Unterstützung verweigern darf. Wie rasch die Probleme der sozialen Brennpunkte in einigen Städten zu einem Hauptthema der Bundespolitik werden, weil Wählerstimmungen sehr rasch und radikal kippen können, hat jüngst erst die Integrationsdebatte vor

Augen geführt. Aber auch die Kommunen sollten in dem Zwang zum Sparen eine Chance sehen, eingefahrene Verfahren zu hinterfragen und mehr Bürgerbeteiligung einzufordern. Denn die Städte und Wohnquartiere sind nur so lebenswert, wie ihre Bewohner sie wertschätzen und gestalten. Dazu braucht es einen administrativen Rahmen, sicherlich auch finanzielle Mittel, aber vor allem Leidenschaft und Fantasie - auch in den kommunalen Verwaltungen. Sich mit der Beantragung und Verteilung von Fördermitteln zu begnügen, reicht künftig jedenfalls nicht mehr aus. L. H.

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