Leitartikel

Verrechnet

"Der Traum enthält etwas, das besser ist als die Wirklichkeit. Die Wirklichkeit enthält etwas, das besser ist als der Traum. Vollkommenes Glück wäre die Verbindung beider." Was der russische Erzähler Leo Tolstoi da vor mehr als hundert Jahren so fein formulierte, hat selbst heute eindeutig noch Bestand. Und zwar auch im harten Wirtschaftsalltag, wo Träume eigentlich wenig zu suchen haben. So wünscht sich auch mancher der Investoren in Wohnimmobilien, die vor einigen Jahren goldene Landschaften blühen sahen, heute aber unsanft mit einer ganz anderen Realität konfrontiert werden, das Beste beider Welten.

Es ist noch gar nicht allzu lange her, da konnten internationale institutionelle Investoren von Wohnimmobilien gar nicht genug bekommen. Seit dem Jahr 2000 wurden allein in der Bundesrepublik über eine Million Wohnungen mit einem Volumen von über 38 Milliarden Euro veräußert. Die größten Deals: 66 000 Wohnungen der Berliner GSW gingen an das Private-Equity-Unternehmen Cerberus, 48 000 Wohnungen aus dem Bestand von Thyssen-Krupp wurden von Morgan Stanley und Corpus übernommen, Blackstone verleibte sich 31 000 Wohnungen aus dem WCM-Portfolio ein, die KGAL erwarb 27 000 von Viterra und schließlich übernahm die Deutsche Annington für sagenhafte sieben Milliarden Euro die Immobiliensparte von EON samt der 150 000 Wohnungen. Die Preise stimmten. Und dann waren da ja noch die niedrigen Mieten. Der deutsche Markt lief mit einer jährlichen Preisentwicklung von plus/minus Null zwischen 2000 und 2008 den anderen Märkten wie Frankreich (10,5 Prozent), UK (16,7 Prozent), Italien (9,7 Prozent) oder Spanien (15,0 Prozent) deutlich hinterher.

Das weckte Renditeträume. Bis zu 20 Prozent versprachen die findigen Geschäftsleute den Geldgebern. Dabei zeigt allein ein Blick in die Statistik, wie anspruchsvoll die Hälfte dieser genannten Zahl schon wäre. Deutsche Wohnimmobilien warfen in den letzten 25 Jahren im Schnitt gerade mal 7,4 Prozent Rendite ab. Zudem stellt sich mehr und mehr heraus, dass Mietsteigerungspotenziale und Leerstandsentwicklungen seinerzeit vollkommen falsch eingeschätzt wurden. Auch hier hätte ein nüchterner Blick zurück Schlimmeres verhindern helfen: Von 1999 bis 2007 haben sich die Kaltmieten in Deutschland lediglich um neun Prozent erhöht, bei einer Inflationsrate von 15 Prozent.

Ein Beispiel dazu aus den deutlich kapitalistischeren Märkten in Übersee: das Viertel Stuyvesant Town in New York. 2006 hatten die Immobilienspezialisten von Tishman Speyer und die Finanzierungsexperten des Fonds Blackrock hier 11 200 Appartements erworben und dafür stolze 5,4 Milliarden US-Dollar hingeblättert. Keinen störte es damals, dass lediglich eine Milliarde davon von den beiden Gesellschaftern selbst stammten, 4,4 Milliarden Euro dagegen fremdfinanziert wurden - ein Hebel von immerhin gut 80 Prozent. Es wurden ein Kino gebaut, die Schlösser an den Eingängen ausgetauscht und die Flure neu gestrichen. Als den Mietern dann saftige Mietpreissteigerungen ins Haus flatterten, zogen die ersten vor Gericht. Und gewannen. Denn die Richter stellten fest, dass in die Appartements erheblich mehr investiert werden müsste, um solche Erhöhungen zu rechtfertigen. Das aber war nicht drin, schließlich hatte man satte Renditen versprochen. Gleichzeitig stiegen die Leerstände an, in ganz New York und auch in Stuyvesant Town. Die Folge: Der Wert des Objekts brach auf unter zwei Milliarden in sich zusammen, die Banken ließen die Kredite platzen, Anfang dieses Jahres folgte die Pleite des Vorhabens.

Auch wenn in Deutschland ähnliche Desaster in der Breite, Level One sei eine Ausnahme, bislang ausgeblieben sind, so zeigt das Beispiel doch die ganze Gefahr des massiven Einstiegs internationaler Investoren in den deutschen Wohnungsmarkt. Denn dadurch wurde dessen Charakter ein Stück weit verschoben. Dominierten hierzulande in erster Linie soziale Ziele, nämlich die Bevölkerung mit ausreichendem und billigem Wohnraum zu versorgen, waren Wohnungen auf einmal ein (scheinbar) lukratives Investment. Statt einer langfristigen Bewirtschaftung rückten Wohnungsprivatisierungen und der Verkauf ganzer Portfolios in den Fokus. Wie schwer es aber ist, Mietpreissteigerungen durchzusetzen, davon können nicht nur Tishman Speyer und Blackrock ein Lied singen. Auch das deutsche Mietrecht ist an dieser Stelle gar nicht investorenfreundlich. Die Mietpreisbindung beispielsweise verhindert drastische Erhöhungen bei bislang öffentlich geförderten Wohnungen. Bei Mieterhöhungen im Zuge von Modernisierung müssen die Maßnahmen samt Folgen für die Mieten vorher schriftlich angekündigt und die Kosten auf zehn Jahre verteilt werden. Auch wenn der Deutsche Mieterbund vor aufgrund des Kapitaldrucks steigenden Mieten vor allem in den Ballungszentren warnt, reicht das natürlich bei weitem nicht aus, hungrige und inzwischen sicherlich ungeduldig werdende Investoren zu befriedigen.

Bleiben Privatisierungen. Auch hier sind die Träume der Realität gewichen. Denn weder gemessen an der Anzahl, noch an zu erzielenden Preisen reicht das bislang Erzielte aus, die Erwartungen zu erfüllen. Dabei ist das Interesse an deutschen Wohnimmobilien nach wie vor groß. Eine Umfrage von Feri/Eurorating bei Versicherungen und Pensionskassen ergab, dass diese den Anteil von Wohnimmobilien in ihren Portfolios in Zukunft weiter erhöhen wollen. Mit 8,2 Milliarden Euro beträgt das potenzielle Investitionsvolumen somit mehr als das Doppelte des für 2009 ursprünglich erwarteten Gesamtumsatzes. Davon sind alleine 2,7 Milliarden Euro für Deutschland vorgesehen. Allerdings wird zu Preisen investiert, die den Verkäufern keine großen Gewinnsprünge gestatten, denn happige Portfolio-Aufschläge zahlt derzeit niemand mehr.

Es bleibt festzuhalten, dass sich all die Investoren ganz offensichtlich verrechnet haben. Die Freude darüber bei all denen, die schon immer vor Heuschrecken gewarnt haben, ist spürbar, doch sie ist natürlich verfehlt. Denn angesichts der schwierigen Lage müssen Investorengruppen, die mit einem großen Hebel gearbeitet haben, retten, was zu retten ist. Von daher ist zu erwarten, dass in den kommenden Monaten vermehrt Portfolios auf den Markt kommen werden, zu billigen Preisen. Das trifft dann auch die, die sich bislang auf der sicheren Seite gefühlt haben. Dann heißt es wiederum verrechnet, aber nicht nur für "Heuschrecken". P. O.

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