Ängstlicher Einzelhandel

Haben Sie schon einmal einen Westernfilm gesehen? Dann kennen Sie bestimmt die Szenen, in denen ein ausgetrockneter Busch, der stark an einen großen Strohball erinnert, vom Wind durch eine menschenleere Siedlung geweht wird. Ein ähnliches Bild haben viele Einzelhändler vor Augen, wenn sie an die Perspektiven des stationären Handels in deutschen Städten denken. Als Grund für diese angeblich unausweichliche Entwicklung

wird der Online-Handel genannt. Doch wäre der stationäre Handel nicht selbst schuld, wenn diese düsteren Aussichten tatsächlich einträfen? Statt nur auf neue Konzepte wie Showrooms und Pop-up-Stores zu setzen, sollte sich der Ladenbesitzer vor Ort auf seine Stärke gegenüber dem E-Commerce konzentrieren: die Beratungskompetenz.

Einzelne Unternehmen wie die Buchhandlung Hugendubel haben das bereits erkannt und stellen verstärkt mehr qualifizierte Verkaufsberater ein. Sogar Lebensmittelhändler starten immer öfter eine Beratungsoffensive, obwohl der E-Commerce in diesem Segment kaum Marktanteile erobert hat. Viele Händler aus den Bereichen Textil, Schuhe, Parfümerie haben allerdings noch einen großen Nachholbedarf. Hier ist offenbar nicht im Markt angekommen, dass die Kunden hohe Ansprüche an die Beratungsqualität haben. Darauf gibt es nur eine Antwort: Der Handel vor Ort muss ausreichend Personal bereitstellen, das zudem regelmäßig geschult wird.

Die Mitarbeiter sollten dabei keine reinen Verkäufer sein, sondern Verkaufsberater. Ein erfolgreiches Beispiel ist der Textilhändler Herrmann Jesske in Stralsund und Greifswald. Er setzt auf Beratung im Geschäft und nutzt Internet, Facebook, Twitter & Co. nur für zielgerichtete Werbung sowie zur Kundeninformation. Das Ziel: Kunden in das Geschäft locken. Ein Online-Handel hingegen wird bewusst nicht aufgebaut. Denn der Händler wäre nur ein Anbieter unter vielen und damit austauschbar oder im schlimmsten Fall nicht auffindbar. Wer beispielsweise bei Google "Hugo Boss" eingibt, wird den Laden vor Ort aufgrund der zahlreichen konkurrierenden Internetangebote nicht finden, auch wenn er fußläufig erreichbar ist.

Fest steht: Eine persönliche Beratung schafft eine langfristige Kundenbindung, die der Online-Handel nie bieten wird. Der stationäre Einzelhandel muss nur endlich selbstbewusster gegenüber dem Schreckgespenst E-Commerce werden und sich auf seine Stärke verlassen. Auch die Immobilienwirtschaft ist gut beraten, bei der Vermietung einer Einzelhandelsimmobilie auf die Beratungsqualität der Mieter zu achten. Das verringert die Gefahr von Leerstand.

Nils Blömke, Niederlassungsleiter, PH Handelsimmobilien GmbH, Hamburg

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