Herkulesaufgabe "günstiger Wohnraum"

Mit der erheblich gestiegenen Flüchtlingszuwanderung hat sich auch der Wohnflächenbedarf in Deutschland deutlich erhöht: Allein bis Ende 2017 kommen nach vorsichtigen Schätzungen rund 3,5 Millionen Flüchtlinge beziehungsweise Asylsuchende - direkt oder als Familiennachzug - nach Deutschland. Etwa 2,5 Millionen Menschen werden nach Modellrechnungen hier verbleiben. Bei lediglich 15 Quadratmetern Wohnfläche pro Person bedeutet dies einen Bedarf von über 37 Millionen Quadratmetern preiswerten Wohnraums oder knapp 470 000 Wohnungen - insbesondere in den Wachstumskernen und wirtschaftsstarken Groß- und Mittelstädten mit breitem Arbeitsplatzangebot - denn vor allem hier kann Integration erfolgreich stattfinden. Mittelt man den Bedarf aus Bestand und Ertüchtigung beziehungsweise Um- und Neubau mit moderaten 1 200 Euro pro Quadratmeter Wohnfläche, stellt sich der angesprochene Immobilienwert auf über 44 Milliarden Euro.

Entsprechend bedarf es sofort einer deutlichen Ankurbelung des mietgünstigen Wohnungsneubaus. Dies gilt umso mehr, da der Bedarf nicht nur seitens hier verbleibender Flüchtlinge, sondern breiter, finanziell schwächer gestellter Bevölkerungsschichten besteht. Die Flüchtlingszuwanderung ist zwar kein Auslöser, indessen verschärft sie das Unterangebot! Dafür hat sie - als durchaus positiver Effekt - den öffentlichen Fokus auf diesen bereits seit langem grundsätzlich bestehenden Bedarf gelenkt. Damit handelt es sich um eine weit über die Bewältigung der Flüchtlingszuwanderung hinausgehende Herkulesaufgabe, die Politik, Gesellschaft und Immobilienwirtschaft nur gemeinsam angehen und lösen können.

Begrenzte Potenziale im Bestand bietet unter anderem die Umnutzung hierfür geeigneter leerstehender Gewerbeimmobilien. Allerdings dient die Umnutzung von Gewerbeflächen zu Wohnraum in erster Linie der Bedarfsdeckung im Bereich der Erstaufnahmen und Gemeinschaftsunterkünfte. Für den dauerhaften Verbleib und die weiteren Bedarfszielgruppen werden indessen konventionelle Wohnungen benötigt. Nur ein moderater Teil des Bedarfs von bis zu 470 000 Wohnungen kann aus dem bundesweit differenzierten Wohnungsleerstand bedient werden. Dies gilt insbesondere in den präferierten Wachstumskernen und wirtschaftsstarken Groß- und Mittelstädten: Gerade hier ist der Wohnungsleerstand in der Regel gering, während gleichzeitig der Wohnungsneubau vorrangig in den mittel- bis hochpreisigen Miet- und Kaufpreissegmenten erfolgt.

Entsprechend bedarf es an diesen Standorten sofort einer deutlichen Ankurbelung des mietgünstigen Wohnungsneubaus - und zwar übergreifend für alle Bedarfsgruppen, nicht ausschließlich für Flüchtlinge. Um die notwendigen Investitionen im hohen zweistelligen Milliarden Euro-Bereich sicherzustellen, müssen Kommunen, Länder und Bund gemeinsam mit der Immobilienwirtschaft geeignete einheitliche Rahmenbedingungen schaffen. Diese können von Ausnahmen und Befreiungen zum Beispiel in den Bereichen Brandschutz und Stellplatzsatzungen über Erleichterungen bei der Energieeinsparungsverordnung, vereinfachte Umnutzung geeigneter Gewerbeflächen bis hin zu regional und zeitlich differenzierten Steueranreizen und deutlich schnelleren Genehmigungsverfahren reichen. Allerdings braucht es zeitnah verbindliche Ergebnisse und den sofortigen Start einer nachhaltigen Wohnungsbauoffensive, um Konflikte aufgrund weiter zunehmender Wohnungsknappheit insbesondere im Engpass des preiswerten Mietsegments zu verhindern.

Dr. Wulff Aengevelt, Geschäftsführender Gesellschafter, Aengevelt Immobilien GmbH & Co. KG, Düsseldorf

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