Polen: "Mietergeneration" eröffnet neue Chancen

Philipp Hafner, Quelle: Verlag Helmut Richardi

30 Jahre nach dem Fall des sogenannten "Eisernen Vorhangs" steht Polen mit seinen 38,4 Millionen Einwohnern bestens da: Jahr für Jahr sind positive Wachstumsraten zu verzeichnen, allein im vergangenen Jahr 2018 legte das BIP um 5,1 Prozent (real) zu, für das laufende und kommende Jahr wird eine Steigerung von jeweils rund vier Prozent prognostiziert. Flankiert wird das Ganze von einer stabilen Inflationsrate (rund 1,7 Prozent), einer geringen Arbeitslosenquote (3,3 Prozent) und stark steigenden Löhnen (plus 42 Prozent zwischen 2010 und 2018).

Angesichts dieser rundum starken Fundamentaldaten ist es nicht verwunderlich, dass sich auch der polnische Immobilienmarkt zu einer immer begehrteren Destination für ausländische Investoren entwickelt. Für das Büro-, Einzelhandels- und Logistiksegment ist dies schon seit längerer Zeit zu beobachten, der Wohnungsmarkt hingegen steht noch am Anfang dieser Entwicklung. Der Hauptgrund dafür liegt in der Eigentümerstruktur: Mit 79 Prozent befindet sich ein Großteil der 14,6 Millionen polnischen Wohnimmobilien in den Händen privater Eigennutzer - ein Umstand, der im Wesentlichen auf die Privatisierungswelle nach 1989 zurückzuführen ist. Der Vermietungsmarkt ist im Umkehrschluss nicht nur sehr klein und stark fragmentiert, sondern er gilt zugleich auch als wenig professionell. Insbesondere fehlt bislang in aller Regel ein in anderen Märkten längst übliches Property Management.

Folgt man einer aktuellen Gemeinschaftsanalyse von Wüest Partner Deutschland, Catella Residential Investment Management und Trei Real Estate, so ist an dieser Stelle jedoch einiges in Bewegung. Dies liege vor allem an der jüngeren Generation Polens, für die aufgrund veränderter Lebensentwürfe (Wunsch nach mehr Flexibilität und geringerer Investitionsbereitschaft) das Wohneigentum - ähnlich wie etwa in Spanien - an Beliebtheit einbüße. Als Folge dessen ließen sich derzeit verstärkt Investitionstätigkeiten institutioneller Anleger in den Wohnungsneubau - insbesondere in der Metropole Warschau sowie den Großstädten Breslau, Danzig, Kattowitz, Krakau, Lodz und Posen - beobachten, die für eine "zunehmende Professionalisierung des Vermietungsmarktes" sprächen, heißt es.

Und wie der Zufall so will, konnten die Marktexperten der drei Häuser einen hochaktuellen Beleg zur Unterstützung dieser These gleich mitliefern. Denn quasi zeitgleich zur Studienpräsentation verkündete die Hamburger Wohn-AG TAG Immobilien ihren Eintritt als Großvermieter in Polen. Durch die Übernahme von Vantage Development sichert sich die TAG eine Projektpipeline in Breslau mit insgesamt zirka 5 300 Wohneinheiten, von denen etwa 3 400 Einheiten nach Fertigstellung langfristig als Renditeliegenschaften in den Bestand der TAG überführt werden sollen. Innerhalb der nächsten drei bis fünf Jahre soll dieses Startportfolio durch weitere Developments (auch in anderen Großstädten) auf 8 000 bis 10 000 Einheiten ausgebaut werden.

Das Management kalkuliert für die 3 400 Einheiten mit Nettomieteinnahmen in Höhe von 25 Millionen Euro pro Jahr, was einer Rendite von sieben bis acht Prozent entspricht. Dass diese Annahmen nicht aus der Luft gegriffen sind, bestätigt wiederum die Analyse von Wüest Partner, Catella und Trei. So sind Grundstücke für Neubauten deutlich billiger als beispielsweise in Deutschland: In Warschau, der teuersten polnischen Stadt, liegt der Preis bei 450 Euro pro Quadratmeter, in München sind es inzwischen 8 000 bis 10 000 Euro. Die Erfahrungen der Tengelmann-Tochter Trei zeigen zudem, dass Bebauungsplanverfahren und die Erteilung von Baugenehmigungen in Polen dank "pragmatischer Behörden" wesentlich zügiger und unkomplizierter vonstattengehen als hierzulande. Und schließlich: Der polnische Mietwohnungsmarkt ist vergleichsweise liberal, ein Mietrecht wie das deutsche mit seinen immer üppiger werdenden Vorschriften zu Regulierungen und Sozialauflagen existiert dort nicht.

Gänzlich frei von Risiken ist ein Engagement in "Polska" aber gleichwohl nicht. Die demokratiefeindlichen Strömungen in der regierenden PiS-Partei sind mittlerweile unübersehbar und könnten die gute wirtschaftliche Entwicklung des Landes perspektivisch gefährden, das müssen Investoren bei ihren Investitionsentscheidungen berücksichtigen. ph

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