PFANDBRIEFE UND COVERED BONDS

ANMERKUNGEN ZUR BELEIHUNGSWERTERMITTLUNG FÜR IMMOBILIEN IN ZEITEN MINIMALER ZINSEN

Prof. Dr. Leonhard Knoll, Foto: privat

In Zeiten von (nahezu) Nullzinsen stoßen viele bisherige Regeln an ihre Grenzen. Ein wesentlicher Aspekt ist dabei die Aufrechterhaltung von Mindestzinsen, die längst von der Realität überrollt wurden, für die Ermittlung von Barwerten. Der folgende Beitrag zeigt dies für die Ertragswertermittlung bei der Immobilienbeleihung, die über die Beleihungswertverordnung reglementiert ist und aktuell zu merkwürdigen Befunden führt - nicht zuletzt dadurch, dass in Zeiten zunehmender Werte beliehener Objekte der Blankoanteil an Krediten steigt. Der Autor plädiert deshalb für eine Abschaffung oder zumindest Modifizierung dieser überholten Verzinsungsannahmen, schließlich gebe es genügend andere Möglichkeiten, eine allzu luftige Kreditgewährung normativ einzuschränken. Red.

In Wirtschaften mit (halbwegs) funktionierenden Kapitalmärkten gelten Barwerte zukünftiger Überschüsse als die theoretisch am besten fundierte Form der Wertermittlung. Unbeschadet einer Reihe von Alternativen haben sie im Alltag auch unmittelbar oder zumindest mittelbar den größten Einfluss in der Praxis. In der Beleihung von Krediten findet diese Sichtweise in der sogenannten Ertragswertermittlung ihren Niederschlag. Für sie, wie auch für andere Bewertungsverfahren, finden sich in der Beleihungswertverordnung (BelWertV) einschlägige Vorgaben, auf die gleich zurückzukommen sein wird.

Als besonderes Problem erweist sich dabei in Zeiten von (nahezu) Nullzinsen, dass die für Barwerte konstitutive Diskontierung eine im verwendeten Kapitalisierungszinssatz konvex fallende Funktion ist. Bei langen Bewertungshorizonten heißt dies für das aktuelle Zinsniveau, dass ein vergleichsweise sehr hoher Beleihungswert resultiert.

Ein verstörender Befund

Beim Blick auf das aktuelle Preisniveau von Immobilien wird man daher vielleicht sagen "So weit - so gut", denn damit würde die Kreditierung von Immobilien auch in geeigneter Weise aufrechtzuerhalten sein. Ein Blick in die Risikoexposure von Banken allgemein sowie insbesondere von kleinen und mittleren Geschäftsbanken mit hohem Immobilienfinanzierungsanteil zeigt nun aber, dass sich eine erhöhte Risikoposition durch Blankokredite abzeichnet und dabei die Steigerung von Blankoanteilen an Immobilienkrediten eine nicht zu vernachlässigende Rolle spielt.

Liegt das daran, dass diese Banken wie vormals in den USA zu Zeiten der Finanzkrise Immobilien hemmungslos finanzieren, oder herrschen hier andere Gründe vor? Angesichts der tendenziell konservativen Reglementierung der Wertermittlung in Deutschland wird man zumindest über die zweite Alternative nachdenken und dabei die entsprechenden Vorgaben selbst genauer betrachten müssen.

Diese sind im Wesentlichen in der Bel-WertV als Umsetzungsnorm des § 16 Absatz 1 und 2 des Pfandbriefgesetzes (PfandBG) zu finden. Sie sind zwar nur für Pfandbriefbanken obligatorisch, werden aber weitgehend auch bei anderen Kreditinstituten verwendet.1)

Der Ertragswert der BelWertV für Immobilien ...

Das Ertragswertverfahren als eines der wesentlichen zugelassenen Verfahren ist dort in Teil 3 Abschnitt 1 samt den Anlagen 1 bis 4 der Verordnung geregelt. Diese weisen eine hohe Überdeckung mit den einschlägigen Angaben in der Wertermittlungsverordnung (WertV) und der Immobilienwertermittlungsverordnung (ImmoWertV) auf, die ihrerseits die Verkehrswertermittlung von Immobilien reglementieren. Im Prinzip werden dabei die Ein- und Ausgaben aus der Immobilie - finanzmathematisch formuliert - auf eine konstante Rente standardisiert und über die zugrunde gelegte Laufzeit dieser Rente diskontiert, um zum Ertragswert zu gelangen.

Rechentechnisch wird dafür in Anhang 4 der BelWertV eine Tabelle zur Verfügung gestellt, aus der in Abhängigkeit von Diskontierungszins und Restnutzungsdauer ein Vervielfältiger auszuwählen und mit der zuvor ermittelten Rente zu multiplizieren ist.2) Man mag dieses Verfahren im Detail für problematisch halten, allerdings ist konzeptionell zunächst keine systematische Verzerrung hinsichtlich einer gravierenden Über- oder Unterschätzung des Verkehrswerts zu erkennen.

... und seine aktuell hochrelevante Bruchstelle

Gleichzeitig muss man sich vergegenwärtigen, dass die hinter der BelWertV beziehungsweise dem Pfandbriefgesetz stehende Idee eindeutig eine konservative Bewertung beabsichtigt, um Ausfallrisiken zu minimieren. Beschreibungen dieses Vorgehens werden nicht müde, mit oder ohne Verweis auf die explizite Vorgabe in § 16 Absatz 2 PfandBG von einer vorsichtigen Wertermittlung zu sprechen.

Diese Vorsicht kann sich nun in einer ganzen Reihe von Aspekten niederschlagen: der Schätzung von Einnahmen und Ausgaben sowie etwaiger Abzugsposten bei der Ermittlung der Rente, der Höhe des Zinses und der Restnutzungsdauer für die Diskontierung sowie gegebenenfalls einer Minderung vom auf dieser Basis berechneten Ertragswert.3) Hinzu kommt die für erstrangige Grundpfandrechte gültige Beleihungsgrenze von 60 Prozent der so erlangten Bemessungsgrundlage, die ihrerseits auf § 14 PfandBG zurückgeht. Angesichts dessen liegt prima facie eher die Mehrfach- als die Nichtberücksichtigung von Risiken nahe, sofern der Ertragswert als wesentliche Komponente des Beleihungswerts herangezogen wird.

Die aktuell hochrelevante Problematik dieses Vorgehens besteht indessen in einer weiteren Regelung, die man in § 14 Absatz 4 der BelWertV findet: "Bei wohnwirtschaftlicher Nutzung darf der Kapitalisierungszinssatz nicht unter fünf Prozent, bei gewerblicher Nutzung ... nicht unter sechs Prozent in Ansatz gebracht werden (Mindestsätze) ... Die untere Bandbreite darf bei gewerblich genutzten Objekten um höchsten 0,5 Prozentpunkte unterschritten werden, wenn es sich um erstklassige Immobilien handelt ..."

Realitätsfremde Schwellenwerte

Mit diesen Schwellenwerten von 5,0 beziehungsweise 5,5 bis 6,0 Prozent werden angesichts der meist zu unterstellenden Nutzungsdauern im Bereich von Jahrzehnten gegenüber den tatsächlich am Kapitalmarkt vorherrschenden und für die Kreditierung von Immobilien verwendeten Zinssätzen erhebliche Unterbewertungen verursacht.

Um den resultierenden Effekt zu bestimmen, muss zunächst eine Abschätzung des eigentlich heranzuziehenden Kapitalisierungszinses vorgenommen werden. Dieser Zins wird sicher nicht mit einer komplett risikofreien Anlage korrespondieren, sollte aber berücksichtigen, dass das Mietausfallwagnis als wesentliche Risikokomponente für Immobilien gemäß § 11 Absatz 5 Bel-WertV bereits in den Bewirtschaftungskosten verarbeitet ist. Außerdem werden dort gemäß verschiedener Passagen des § 11 BelWertV analog zu den Regelungen der WertV und der ImmoWertV auch Instanthaltungskosten angesetzt.

Aus diesen Gründen wird der in diesen beiden Verordnungen verwendete Liegenschaftszins in der Literatur regelmäßig als Realzins eingestuft.4) Selbst wenn dies nicht vollständig zuträfe, würde eine Berücksichtigung dieses Aspekts zu einem ceteris paribus niedrigeren Zins gegenüber ansonsten durchweg vorzufindenden Nominalzinsen führen.

Enorme quantitative Effekte

Nach diesen Vorüberlegungen sei der quantitative Effekt der Mindestzinsregelung anhand eines Beispiels veranschaulicht. Für Büro- und Geschäftshäuser gilt nach Anlage 2 der BelWertV als Erfahrungswert für die Nutzungsdauer eine Bandbreite von 30 bis 60 Jahren. Geht man davon aus, dass zutreffend eine Dauer von 50 Jahren unterstellt wurde, so ergibt sich bei sechs Prozent ein Vervielfältiger von 15,76. Wäre dagegen der anzusetzende Zins drei Prozent, so ergäbe sich ein Vervielfältiger von 25,73. Der Mindestzins würde somit einen Wertabschlag von fast 39 Prozent bewirken: (25,73 - 15,76)/25,73.

Damit hat es aber noch nicht sein Ende, denn für erstrangige Grundpfandrechte wird der Beleihungswert noch durch die Beleihungsgrenze überlagert: Hier wird neben den erwähnten Parametrisierungen eine Reserve von 40 Prozent bezogen auf den Beleihungswert erzielt.5) Kommt eine Konstellation wie im Beispiel vor, wird diese Reserve auf gut 63 Prozent (25,73 - 0,6x15,76)/25,73) bezogen auf den Beleihungswert ohne bindenden Mindestzins ausgedehnt.

An Blankoanteilen führt in der Praxis kein Weg vorbei

Anders formuliert: Bezogen auf einen bereits ohne Mindestzins vorsichtig ermittelten Beleihungswert werden nur knapp 37 Prozent erstrangig grundpfandbesichert kreditiert, weil neben dem "normalen" Abschlag von 40 Prozent durch die Beleihungsgrenze zuvor der oben ermittelte Abschlag von knapp 39 Prozent auf den Beleihungswert ohne Mindestzinsberücksichtigung anfällt. Die beschriebene Gesamtbeleihung ergibt sich folglich näherungsweise als 61 Prozent x 60 Prozent ungefähr 37 Prozent. Man wird in der Praxis ohne weitere Sicherheiten oder eine nachrangige Beleihung folglich kaum um Blankoanteile herumkommen, wenn die üblichen Relationen der Immobilienfinanzierung angelegt werden.

Entsprechende Berechnungen lassen sich analog für andere Parameterkonstellationen durchführen, wobei die Effekte ceteris paribus (insbesondere auch bei gleichem bindendem Mindestzins) mit steigender Laufzeit und sinkendem Kapitalisierungszins größer werden. Gleichzeitig sinkt der Effekt durch den Mindestzins entsprechend, wenn neben dem Ertragswert auch Sach- und/oder Vergleichswerte in die Beleihungswertermittlung einfließen.6)

Abschaffung oder Modifizierung

Es ist selbstverständlich, dass Politik und Bankenaufsicht an stabilen und verlässlichen Werten von Kreditsicherheiten interessiert sind. Die in diesem Beitrag aufgezeigte Beleihungswertreserve für Immobilienkredite durch eine Untergrenze für den Kapitalisierungszins stellt hierfür indessen kein geeignetes Mittel dar. Sie resultiert sowohl historisch als auch in ihrer gedanklichen Grundlage aus einer Zeit, die noch durch völlig andere Verhältnisse an den Kapitalmärkten geprägt war.

Entsprechend sollte sie ähnlich wie andere Bestimmungen, die auf einem heute nicht mehr vorzufindenden Zinsniveau beruhen,7) abgeschafft oder zumindest modifiziert werden. Es gibt genügend andere Möglichkeiten, eine allzu luftige Kreditgewährung normativ einzuschränken. Dass überkommene Verzinsungsannahmen zu scheinbaren Blankoanteilen und damit einer unnötig erzwungenen Eigenkapitalunterlegung führen, sollte jedenfalls möglichst bald der Vergangenheit angehören.

Fußnoten

1) Vgl. Grill/Perczynski, Wirtschaftslehre des Kreditwesens, 11. Aufl., Köln 2011, S. 410.

2) Finanzmathematisch ist dieser "Vervielfältiger" nichts Anderes als der Rentenbarwertfaktor für die konstante Rente.

3) Die Prüfung auf etwaige Minderungen ist nicht spezifisch für den Ertragswert, sondern gilt für den Beleihungswert allgemein, vgl. § 26 Abs. 1 BelWertV.

4) Vgl. bspw. Moll-Amrein, Der Liegenschaftszins in der Immobilienbewertung und seine institutionelle Implementierung, Wiesbaden 2009, S. 162.

5) Man kann die Werte auch relativ zum ausgereichten Kredit darstellen, hinsichtlich der Beleihungsgrenze beispielsweise 40 Prozent/60 Prozent = 66,7 Prozent, doch wird dies zur Aufrechterhaltung einer einheitlichen Darstellung nachfolgend unterlassen.

6) Vgl. Teil 3, Abschnitte 2 und 3 BelWertV.

7) Man denke etwa an § 6a EStG zur Bestimmung steuerlich anerkannter Pensionsrückstellungen.

DER AUTOR PROF. DR. LEONHARD KNOLL Lehrstuhl für BWL und Unternehmensfinanzierung, Universität Würzburg
Leonhard Knoll , Lehrstuhl für BWL und Unternehmensfinanzierung , Universität Würzburg
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