ÖFFENTLICHE INFRASTRUKTUR

DEUTSCHE WIRTSCHAFTSPOLITIK STÄRKER FOKUSSIEREN

Gertrud Traud, Foto: Helaba

Deutschland hat einen großen öffentlichen Investitionsbedarf, zum Beispiel bei Verkehrsprojekten oder in der Bildung. Geldmangel war bisher allerdings nicht die Ursache hierfür. Vielmehr liegen entscheidende Hemmnisse vor allem in der Umsetzung. Die Autorin hält vor diesem Hintergrund die derzeit lautstark zu vernehmende Forderung nach einer Aufkündigung der Schuldenbremse für nicht zielführend. Eine Umgehung oder gar Abschaffung würde ihrer Einschätzung nach zudem die Stabilität der Fiskalpolitik und damit die Vorbildfunktion Deutschlands innerhalb der Europäischen Währungsunion gefährden. Red.

Die deutsche Haushaltspolitik wird zunehmend kritisiert. Sie sei zu restriktiv, um für ausreichende Investitionen vor allem in öffentliche Infrastruktur zu sorgen. Ein breites Spektrum von Wirtschaftswissenschaftlern, Instituten und politischen Parteien hat sich zuletzt negativ zur Schuldenbremse oder der von der Bundesregierung verfolgten Politik der schwarzen Null geäußert. Selbst die neue EZB-Präsidentin Christine Lagarde konstatiert, dass die öffentlichen Investitionen im Euroraum weiterhin unter dem Vorkrisenniveau liegen. Vor allem Länder mit einem Haushaltsüberschuss sollten diesen nutzen und in Infrastruktur sowie Bildung investieren. Neben Deutschland können sich hier die Niederlande und Österreich angesprochen fühlen, während Frankreich und wichtige südeuropäische Mitgliedsstaaten wie Italien und Spanien weiterhin nicht unerhebliche öffentliche Defizite aufweisen.

Kein Konjunkturprogramm erforderlich

Ein Konjunkturprogramm benötigt Deutschland nicht. Zwar hat sich das Wirtschaftswachstum 2019 deutlich abgekühlt. Das Bruttoinlandsprodukt ist nur noch um schätzungsweise 0,6 Prozent gestiegen. Zuletzt haben sich Frühindikatoren wie das ifo-Geschäftsklima allerdings stabilisiert. 2020 dürfte das deutsche Bruttoinlandsprodukt um kalenderbereinigt ein Prozent zulegen. Eine Rezession ist nicht zu befürchten. Die jetzige konjunkturelle Situation erinnert an die Euro-Staatsschuldenkrise, in der 2012 und 2013 ein ähnlich niedriges Wirtschaftswachstum erzielt wurde. Die Arbeitslosigkeit stieg damals vorübergehend leicht an, während die Beschäftigung sogar weiter zulegte. Eine ähnliche Arbeitsmarktentwicklung ist auch jetzt wieder zu erwarten. Die schwächeren Wachstumsraten bei gleichzeitig robustem Arbeitsmarkt erfordern keine kurzfristig wirkende Konjunkturstimulierung.

Staatliche Investitionen ziehen wieder an

Die Investitionszurückhaltung des Staates ist bereits ein Stück weit überwunden. Die Bruttoanlageinvestitionen des Staates waren in den Jahren nach dem Vereinigungsboom deutlich zurückgegangen. Erreichten diese 1992 aufgrund der Investitionsoffensive in den neuen Bundesländern einen Spitzenwert von 3,2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, sank dieser Anteil bis 2004 unter zwei Prozent.

Erst seit 2006 steigen die Ausgaben wieder. 2019 dürfte der Staat 87 Milliarden Euro oder 2,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts investieren. Gerade in den letzten fünf Jahren sind die Steigerungen mit jahresdurchschnittlich rund 4,5 Prozent auch in realer Rechnung lebhaft ausgefallen. Sie haben damit deutlich stärker zugelegt als die reale Wirtschaftsleistung (1,7 Prozent). Die beschlossenen Investitionsprogramme lassen erwarten, dass damit die Spitze noch nicht erreicht ist.

Die Nettoinvestitionen des Staates, also abzüglich der Abschreibungen, zeigen nur in Teilen einen Investitionsstau. Auch sie sind nach dem Wiedervereinigungsboom zurückgegangen. Zwischen 2003 und 2007 und von 2012 bis 2015 waren sie sogar negativ, das heißt der Kapitalstock ist nicht erhalten worden. Allerdings sind sie seit 2016 mit steigender Tendenz wieder positiv. Summiert man die Nettoinvestitionen seit 2003, so ist nur ein minimaler Rückgang aufgelaufen.

Schrumpfender Kapitalstock beschränkt sich auf Kommunen

Bund und Länder weisen hohe Zuwächse auf, während die Gemeinden ihren Kapitalstock bereits seit 2002 nicht mehr erhalten. In der Summe ist hierdurch bei ihnen ein Wertverlust von rund 85 Milliarden Euro entstanden. Legt man nur die Nettobauinvestitionen zugrunde, so ist das Minus für die Gemeinden mit über 92 Milliarden Euro seit 2002 sogar noch größer. Aus den Zahlen der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung lässt sich damit nur für die Gemeinden, nicht aber für den Bund und die Länder ein Abbau des Kapitalstocks ermitteln.

Eine verstärkte Investitionstätigkeit in den letzten Jahren belegen auch die Umfragen des KfW-Kommunalpanels bei Kämmerern, nach denen der wahrgenommene Investitionsrückstand 2018 von 159 auf 138,4 Milliarden Euro gesunken ist. Die größten Defizite werden nach wie vor bei Schulen, Straßen und Verkehrsinfrastruktur sowie öffentlichen Verwaltungsgebäuden gesehen. 42 Prozent der Städte, Gemeinden und Landkreise erwarten, dass der Investitionsrückstand weiter verringert werden kann. Etwa ein Viertel befürchtet das Gegenteil.

Das Institut der deutschen Wirtschaft kommt in einer aktuellen Schätzung sogar zu einem Gesamtinvestitionsbedarf von rund 450 Milliarden Euro in den nächsten zehn Jahren, also 45 Milliarden Euro pro Jahr. Neben dem vom KfW-Kommunalpanel ermittelten Bedarf werden hier Ausgaben für Bildung, Wohnungsbau, überregionale Infrastruktur und Dekarbonisierung hinzugerechnet.1) Zur Finanzierung wird ein Deutschlandfonds auf Basis eines rechtlich selbstständigen Sondervermögens vorgeschlagen. Hierdurch könnte die Schuldenbremse des Bundes umgangen werden.

Scheinargumente gegen die Schuldenbremse

Diese hohen Beträge lassen sich hinterfragen. Selbst diese Größenordnung wäre allerdings kein belastbares Argument gegen die Schuldenbremse. Der Rückgang des Anteils öffentlicher Investitionen am Bruttoinlandsprodukt fand vor der Einführung der Schuldenbremse statt, als die "Goldene Regel" der Finanzpolitik für Bund und Länder noch galt. Sie erlaubte die Kreditfinanzierung von Investitionen über die gesamte Nutzungsdauer, da von den positiven Potenzialeffekten der Kapitalbildung auch die nachfolgenden Steuerzahler profitieren.

Auch in Zukunft dürfte die 2009 mit Übergangsfristen verabschiedete Schuldenbremse einer sinnvollen investiven Verwendung der Mittel nicht im Wege stehen. Über den Konjunkturzyklus hinweg beschränkt sie bei anfangs ausgeglichenem Saldo das Wachstum der Ausgaben in etwa auf das Wachstum der Einnahmen. Diese expandieren trendmäßig mit dem Potenzialwachstum, das zurzeit auf etwa real 1,3 Prozent geschätzt wird. Selbst ohne Kürzungen in konsumtiven Bereichen können die öffentlichen Investitionen damit expandieren.2) Darüber hinaus bestehen in den öffentlichen Haushalten insbesondere bei Subventionen Möglichkeiten für Kürzungen. In den letzten Jahren wurden zudem konsumtive Ausgaben im Sozialbereich deutlich ausgeweitet. Sinnvoll wäre eine Umschichtung hin zu investiven Ausgaben.

Bauwirtschaft und Behörden als Flaschenhals

Die entscheidenden Hemmnisse für mehr öffentliche Investitionen sind derzeit nicht Finanz- sondern Umsetzungsprobleme. Dies zeigt sich schon daran, dass viele "Investitionstöpfe" von Bund und Ländern nicht ausgeschöpft werden. Ein Grund dürfte sein, dass die Kapazitätsauslastung der Bauwirtschaft aktuell bei knapp 80 Prozent liegt. Sie ist damit sogar deutlich höher als in den Jahren nach der deutschen Wiedervereinigung, als sie um 70 Prozent schwankte. Aufträge können damit nur verzögert abgearbeitet werden. Die Branche weitet zwar ihre Kapazitäten aus, auch weil sie mit einer mittelfristig positiven Entwicklung rechnen kann. Der Fachkräftemangel ermöglicht allerdings keine schnelle Verbesserung.

Die Kapazitätsengpässe treiben zudem die Baupreise, die damit zu einem zusätzlichen Hemmnis werden. Die Erzeugerpreise beispielsweise im Straßenbau sind zeitweise um mehr als sieben Prozent im Vorjahresvergleich angehoben worden. Aktuell liegt die Rate über fünf Prozent. Personalmangel gibt es zudem auch in den Behörden. Dies bremst die Auftragsvergabe. So kommt die Sanierung von wichtigen Schleusen und Kanälen nicht voran, weil in den Wasser- und Schifffahrtsämtern Deutschlands über 1 000 Stellen nicht besetzt sind. Teilweise lassen sich die nötigen Ingenieure auf dem Markt nicht finden. Ähnliche Probleme zeigen sich in vielen Baubereichen. Nicht zuletzt werden Investitionsprojekte durch Widerstände aus der Bevölkerung nicht selten über Jahre verzögert oder gar verhindert.

Der Abbau der öffentlichen Investitionsbedarfe ist eine langfristige Aufgabe. Eine neue Prioritätensetzung in den öffentlichen Haushalten zugunsten von mehr Investitionen ist vordringlich. Die Probleme bei der Umsetzung sollten angegangen werden: Die Personalausstattung in den Bauämtern muss verbessert werden. Eine längerfristige Planung erleichtert es der Baubranche, ihre Kapazitäten auszubauen. Die Schuldenbremse sollte nicht abgeschafft und auch nicht durch Fondslösungen umgangen werden.

Kein Rütteln an der Schuldenbremse

Die deutsche Fiskalpolitik würde dadurch an Glaubwürdigkeit verlieren. Für die Europäische Währungsunion wäre dies ein fatales Signal. Wie Berechnungen zeigen, hätte eine höhere Staatsverschuldung für Investitionen auch nur eher geringe positive Spillover-Effekte auf andere Länder der Währungsunion. Eine derartige Politik könnte die an ihre Grenzen geratende Geldpolitik kaum unterstützen.

Anders ist die sogenannte "Schwarze Null" zu betrachten. Sie ist eine selbst auferlegte politische Verpflichtung des Bundes, die in den letzten Jahren sogar übererfüllt wurde. Der Überschuss des Staates im ersten Halbjahr 2019 belief sich auf gut 45 Milliarden Euro oder 2,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Den größten Überschuss erzielte hierbei der Bund mit 17,7 Milliarden Euro oder rund ein Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Auch wenn diese Zahlen im Gesamtjahr 2019 niedriger ausfallen dürften, kann bei dieser Größenordnung längst nicht mehr von einer "Schwarzen Null", sondern von einem deutlichen Überschuss gesprochen werden.

Insofern wären hier zusätzliche Mittel für die Finanzierung des Investitionsbedarfs vorhanden. Die bereits jetzt beschlossenen Ausgaben zum Beispiel für die Klimapolitik, die teilweise Abschaffung des Solidaritätszuschlags und das Familienentlastungsgesetz lassen allerdings erwarten, dass der Überschuss in den nächsten Jahren abgeschmolzen wird.

Zurückhaltung bei Subventionen und Sozialleistungen

In Zeiten weiter zunehmender Steuereinnahmen ist es bei zurückhaltenden Ausgaben für Subventionen und Sozialleistungen möglich, deutlich mehr in öffentliche Infrastruktur zu investieren. Davon würde nicht nur die private Kapitalbildung profitieren, die für rund neunzig Prozent der gesamten Investitionen steht. Auch das deutsche Produktionspotenzial fiele höher aus.

Fußnoten

1) Vgl. Institut der deutschen Wirtschaft, IW-Policy Paper 10/19, Hubertus Bardt et al.: Für eine solide Finanzpolitik: Investitionen ermöglichen!, S. 1-17, hier: S. 15

2) Vgl. Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung: Den Strukturwandel meistern, Jahresgutachten 19/20, S. 250

DIE AUTORIN DR. GERTRUD TRAUD Chefvolkswirtin und Leitung Research, Landesbank Hessen-Thüringen, Frankfurt am Main
Dr. Gertrud Traud , Chefvolkswirtin und Leitung Research, Landesbank Hessen-Thüringen, Frankfurt am Main

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