IMMOBILIENWIRTSCHAFT 4.0

DIGITALISIERUNG IN DER IMMOBILIENWIRTSCHAFT - GRUNDLAGEN UND KONKRETE ANSATZPUNKTE

Sascha Donner, Dr. Thomas Wiegelmann

Quelle: Evana, Wiegelmann

Die Verheißungen von Daten sind bekanntlich groß: Nicht wenige sprechen in ihrem Zusammenhang gar vom "Öl des 21. Jahrhunderts", mithilfe dessen sich Geschäftsmodelle und Wertschöpfungsketten nachhaltig optimieren lassen können. Die Autoren des folgenden Beitrags zeigen diesbezüglich potenzielle Quellen und Werkzeuge für die Immobilienwirtschaft auf. Während sie Apps und Sensoren als zunehmend wichtige Datenquelle für die Branche identifizieren, erachten sie die teilautomatisierte Datenverarbeitung mithilfe künstlicher Intelligenz als wichtige Grundlage für die Digitalisierung der Unternehmen. Red.

Kaum ein Thema bewegt die Immobilienbranche derzeit so sehr wie Zukunftstrends und -technologien und deren mögliche Implikationen auf Wertschöpfungsprozesse. Dabei scheint dieser Tage festzustehen: Digitalisierung: ja! Stellt sich die Frage: Wo sollen wir anfangen? Ziel dieses Artikels ist, die Bedeutung von "verfügbaren Daten" als Grundlage für Digitalisierung hervorzuheben und konkrete Ansatzpunkte aufzuzeigen, welche Quellen und Werkzeuge hierbei mit Bezug auf die Immobilienwirtschaft berücksichtigt werden können. Abschließend wird ein Ausblick gegeben, welche Auswirkungen Digitalisierung auf etablierte Prozesse in den kommenden Jahren haben könnte.

Drei Varianten zur Erzeugung von Daten

Ein Blick auf die bunten "Proptech-Maps" zeigt ein Potpourri an Apps und Lösungen. Eines haben alle gemeinsam: Bei allen Tools und Plattformen bilden Daten die Basis der unterstützten Prozesse. Entsprechend ist die landläufige Meinung, Digitalisierung erzeugt im großen Maßstab Daten. Obgleich zutreffend, bietet es sich an beziehungsweise ist es geboten, eine differenziertere Betrachtung vorzunehmen. Das Erzeugen von Daten kann auf verschiedene Weise erfolgen.

Einerseits aus der reinen Übernahme von Daten aus bestehenden digitalen Systemen und Datenbanken und andererseits aus die Neugenerierung von Daten bisher nicht digital dokumentierter Prozesse und Inhalte. Eine dritte stark wachsende Quelle von Daten sind zudem Sensoren, die zum Beispiel Temperatur, Druck, Standorte, Bilder et cetera erfassen. Die Hauptfunktion digitaler Tools und Plattformen besteht darin, Daten zu sammeln, diese aufzubereiten und dem Nutzer zur Verfügung zu stellen. In extremer Ausprägung stellen Software-Unternehmen lediglich die Plattform zur Verfügung und die Nutzer ergänzen die Inhalte, dem Wikipedia-Prinzip folgend. Aber auch Facebook, Google oder Immoscout arbeiten mit diesem Prinzip. Die Plattformanbieter entwickeln und etablieren darauf aufbauend Services und ganze Businessmodelle rund um die Datenbereitstellung.

Wie Geschäftsmodelle und Wertschöpfungsprozesse in der Immobilienbranche zukünftig optimiert werden können, werden wir in den kommenden Jahren erleben oder im besten Fall mitgestalten. Grundlage für die Digitalisierung bilden auch in der Immobilienbranche die verfügbaren Daten. Inzwischen spricht man von "Daten als dem neue Öl" oder wie Bundeskanzlerin Merkel im Rahmen der CEBIT betonte "Daten sind die Rohstoffe des 21. Jahrhunderts". Für die Immobilienwirtschaft gilt es, die vorhandenen Daten deutlich besser und wert orientierter als bisher möglich, durch die Implementierung technischer Innovationen nutzbar zu machen. Der erste konkrete Ansatzpunkt, um Digitalisierung zu ermöglichen besteht darin, möglichst vollständige, aktuelle, konsistente und redundanzfreie Daten zu er halten. Dabei verfügen insbesondere Asset-Management-Unternehmen über ganz erhebliche "Datenschätze". Diese gilt es zu heben. Interessante Datenquellen in der Immobilienbranche stellen beispielsweise dar:

1. Daten aus bestehenden Dokumenten und Dateien,

2. Daten aus bestehenden Prozessen und

3. Daten, die direkt als Daten vorliegen.

Auf dem Weg zur "Digitalisierung 2.0"

In den vergangenen Jahren galt das Einscannen von Akten und die zentrale Ablage von Dateien als "Digitalisierung". Inzwischen kann festgestellt werden, dass auch digitale Ablagen der Digitalisierung 1.0 im übertragenen Sinne "verstauben" können. Die Gründe sind, dass Ablageprozesse nicht konsistent und aktuell durchgehalten werden, Dateinamen nicht korrekt vergeben oder Metadaten nicht gepflegt werden. Der manuelle Prozess der Ablage von digitalen Dateien führt selten langfristig zum gewünschten Ergebnis einer strukturieren, vollständigen, aktuellen und redundanzfreien Dateiablage und ist in keinem Fall skalierbar. Bei den erheblichen Mengen an Dokumenten rund um die Entwicklung, das Investment und die Bewirtschaftung, sprich den gesamten Immobilien-Lebenszyklus, stößt dieses Vorgehen regelmäßig an seine Grenzen. Deshalb lagern immer noch große Volumen an Papierakten in Archiven und Büros. Dazu kommen die digital auf Servern gespeicherten Dokumente und Dateien.

Unabhängig davon, ob die Dokumente in Papierform oder digital vorgehalten werden: in beiden Fällen sind die Inhalte der Dokumente bislang nicht direkt verfügbar. Um an die relevanten Daten aus den Dokumenten zu gelangen, müssen Dokumente identifiziert, geöffnet, gelesen und die gefundenen Inhalte (oftmals händisch) in digitale Systeme übertragen werden. Die automatisierte Verarbeitung mit Hilfe von künstlicher Intelligenz unterstützt dabei, Daten zu extrahieren und strukturiert in Datenbanken abzuspeichern. Dort sind die Daten dann jederzeit aufruf- und bearbeitbar. Dieser konsequente Schritt kann als moderne Digitalisierung im Sinne von Daten verfügbar machen oder als Digitalisierung 2.0 bezeichnet werden. Erst hierdurch ist der Computer in der Lage mit den Daten zu arbeiten.

Nachholbedarf bei Kernprozessen

Heutzutage sind wesentliche Prozesse in den Unternehmen oft nicht durchgehend digital. In der Praxis äußert sich dies unter anderem durch: Digitales bearbeiten von Sachverhalten, telefonisches Abklären, Ausdrucken von Arbeitsergebnissen, Entscheidungsvorlagen et cetera, Versenden derselben, analoge Freigabeprozesse, analoge Unterschriften, Verschicken von Dokumenten per Post, Einscannen der Tagespost, manuelle Eingabe von Daten in CRM- oder ERP-Systeme, digitales Vorhalten von selektiven Daten und Dokumenten.

Künftig können Workflows weitgehend digital abgebildet werden, da intelligente Systeme die Eingaben der Nutzer besser unterstützen und Teilprozesse automatisieren. Die Bearbeitung von Aufgaben kann bequem digital und mobil und von überall aus erfolgen, egal ob im Büro, vor Ort im Objekt oder unterwegs. Hierdurch werden die Daten aus Prozessen im Sinne der Digitalisierung nutzbar. Ein vergleichsweise kleiner Teil der relevanten Informationen steht bereits in Form von Daten zur Verfügung. Hierzu zählen Daten aus Datenbanken im eigenen Unternehmen (vor allem im Asset sowie Property Management, dem Finanzwesen) und Daten von Dritten (zum Beispiel erworbene Marktdaten). Weitere Daten werden direkt durch Apps und Sensoren generiert. Diese Datenquelle wird in Zukunft stark zunehmen. Das Sammeln und Aufbereiten von Daten ist ein mit größerem Aufwand verbundener Prozessschritt. Je besser dieser gelöst ist, desto besser skalierbar ist die Lösung.

Künstliche Intelligenz als Game Changer?

Der Weg zu den Daten führt heute über künstliche Intelligenz (KI), Prozesstools und intelligente Schnittstellen. Künstliche Intelligenz ahmt menschliche Denk- und Arbeitsroutinen nach. Hierbei haben sich verschiedene Lösungsansätze entwickelt. Aktuell vielversprechend sind Methoden des "Deep Learnings". Grundsätzlich unterscheiden sich Methoden, die auf Basis von Text oder Bildern (Layout) lernen, wobei auch hier die Grenzen fließend sind. Wichtig für das Verständnis ist, dass KI nicht eine Technologie beschreibt, sondern einen Sammelbegriff für verschiedene Arten des maschinellen Lernens und der algorithmischen Datenverarbeitung bildet. Die vielfache Verwendung von KI als Buzzword führt derzeit nicht nur in der Immobilienbranche zu einer teilweise überzogenen Erwartungshaltung. Diese gilt es zu relativieren. Mit künstlicher Intelligenz kann heute noch keine Vollautomatisierung in der Datenhaltung erreicht werden. Es ist jedoch möglich die Hürden hierfür deutlich tiefer zu setzen. Bei KI handelt es sich klar um eine Teilautomatisierung, ein Werkzeug dessen man sich bedienen kann, um die Datengrundlage für die Digitalisierung von Unternehmen zu schaffen. Damit verliert KI zwar den Nimbus des Vollautomaten, der von Geisterhand alle Probleme der Branche löst und auf Knopfdruck Ordnung ins Datenchaos bringt, jedoch kommt man damit dem näher was wirklich relevant ist.

Es ist aufgrund der zu konsolidierenden und aufzubereitenden Datenmengen in der Immobilienbranche schlicht unmöglich, diese komplett händisch zu bewältigen. KI bietet für dieses Problem tatsächlich erstmals eine Lösung, wenngleich Mensch und Maschine hier als zwei Ressourcen oder schöner ausgedrückt als "Partner" nebeneinander stehen. Die drei Stufen der Datengewinnung sind:

1. Dokumente klassifizieren,

2. Dokumente benennen und

3. Inhalte extrahieren.

Dokumente zu klassifizieren ist ein wichtiger erster Schritt um den zu erwartenden Informationsgehalt eines Dokuments einschätzen zu können. Dokumente benennen steht sinnbildlich für die Feststellung weiterer Parameter, um Dokumente fein sortieren zu können und um deren Relevanz feststellen zu können. Die Grenze zu Stufe 3 (Datenextraktion) ist hierbei fließend, da für die Benennung in der Regel bereits erste Metadaten extrahiert werden müssen. Aus der (analogen oder digitalen) Ordnerwelt kommend ist die Einsortierung von Dokumenten in eine Struktur jedoch noch ein erforderliches Hilfsmittel (das heißt zum Beispiel Wartungsprotokolle nicht in einen Sammelordner, sondern sortiert nach Gewerk, nach Jahr et cetera). Nach den Stufen 1 und 2 befindet man sich auf dem Niveau der Digitalisierung 1.0, das heißt der zentralen Dateiablage. Erst die Extraktion von Inhalten generiert die für die heutige Digitalisierung erforderlichen Daten.

Bisher liegt der Fokus der Branche auf der Nutzung von Daten zur Steigerung der Prozesseffizienz. Grundannahme ist dabei noch, dass am Ende Menschen Freigaben erteilen und Entscheidungen treffen. Das Arbeiten, Lesen und Interpretieren von Dokumenten und das Ableiten von Handlungen war bislang nur durch den Menschen möglich. Auf der Basis von Daten wird dies in den kommenden Jahren zunehmend für Menschen und Maschinen gleichermaßen möglich sein. Digitalisierung sorgt dafür, dass die Immobilienbranche, ihre Objekte und Prozesse auch für den Computer verständlich werden. Die Analogie zu Computerspielen zeigt, dass Computer problemlos gegen menschliche Spieler gewinnen, sobald sie die Regeln eines Spiels kennen. Für uns Menschen ist das inzwischen im Bereich "Computerspiele" selbstverständlich geworden: Vor über 30 Jahren gab es bereits die ersten Schachprogramme auf einem Commodore C 64. Heute besiegt Googles künstliche Intelligenz schon wieder unbesiegbar Menschen in dem sehr komplexen Spiel "Go".

Inspiration aus der Computerspielbranche

Auch wenn es Computerspiele sind, kann sich der Immobilienmanager von heute daran orientieren. Wer wünscht sich nicht, dass ähnliche Multiplikatoren dem eigenen Unternehmen zugute kommen und es zu einer vergleichbaren Effizienz führt? Es handelt sich auch bei Spielen um Digitalisierung und Automatisierung von Prozessen mit einer enormen Effizienzsteigerung und die Spieleentwickler zeigen uns, wie es geht. Aktuell erleben wir mit vielen neuen Apps, die jeweils Teilprobleme der Immobilienwirtschaft lösen, eine nie gekannte Fokussierung auf Prozesse. Für viele immobilienwirtschaftliche Prozesse werden momentan die Regeln definiert und in Form von Datenmodellen quantifiziert. Dabei werden auch viele Prozesse neu gedacht und für neue Technologien adaptiert. Wenn es gelingt, bestimmte Teilbereiche der Immobilienwirtschaft detailliert als für den Computer verarbeitbare Regeln zu beschreiben, können in diesen Bereichen Prozesse automatisiert werden.

Hier steckt die Immobilienbranche noch in ihren Anfängen. Es ist jedoch lediglich eine Frage der Zeit. Der technische Fortschritt ist derzeit so rasant, dass viele der Technologien, die heute nach Science-Fiction klingen, in den nächsten Jahren Alltag seien werden. Künstliche Intelligenz, Blockchain und Smart Contracts werden in den kommenden Jahren eine zunehmende Rolle in der Immobilienwelt spielen. Dadurch wird es in Zukunft möglich sein, wesentlich effizienter eine Immobilien zu bewirtschaften sowie Transaktionen durchzuführen und damit die Diskrepanz zu anderen Assetklassen wie Aktien deutlich zu reduzieren.

DER AUTOR SASCHA DONNER, LL.M. Co-Founder, EVANA AG, Frankfurt am Main
 
DER AUTOR DR. THOMAS WIEGELMANN, Geschäftsführer, BLUE Asset Management GmbH, München und Honorary Adjunct Professor, Bond University, Australien
Dr. Thomas Wiegelmann , Geschäftsführer , Schroder Real Estate, München
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