IMMOBILIENWIRTSCHAFT 4.0

ES FEHLT DIE NOT, DIE ERFINDERISCH MACHT

Dr. Susanne Hügel, Foto: CBRE

Zum dritten Mal haben die EBS Universität, Real I.S. und erstmals CBRE eine qualitative Expertenbefragung für das jährliche "Innovationsbarometer der deutschen Immobilienwirtschaft" durchgeführt. Die Autoren erörtern im vorliegenden Beitrag die Kernbotschaften der Untersuchung und gehen dabei insbesondere auf die anstehenden Herausforderungen im Bereich der Immobilienfinanzierung ein. Der Transformationsdruck in diesem Subsektor wird demnach maßgeblich von steigenden und sich wandelnden Kundenansprüchen bestimmt, zusätzlich verschärfen die Regulierung und der intensive Wettbewerb die Situation. Red.

In Sachen Innovation und Digitalisierung gilt die Immobilienwirtschaft als vergleichsweise träge. Dafür gibt es eine Reihe unterschiedlicher Gründe. Eine dieser Ursachen ist eigentlich ein Luxusproblem: Die Marktlage ist hervorragend, der Branche geht es gut. Es herrscht hoher Anlagedruck, aber nur moderater Transformationsdruck, um sich zu verändern und neu aufzustellen. Die Platzhirsche sind immer noch dieselben wie in den vergangenen Jahren, Standort und Netzwerke die entscheidenden Erfolgskriterien. Die Nachfrage nach Innovationen und damit der "Market-Pull" sind in dem gegebenen komfortablen Umfeld eher gering. Was fehlt ist die sprichwörtliche Not, die erfinderisch macht. Doch was passiert, wenn diese Komfortphase einmal enden sollte?

Es gibt mehrere Transformationstreiber, die in der Immobilienwirtschaft wie in vielen anderen Branchen den Druck erhöhen können und werden. Sie lassen sich in die vier Themenbereiche Regulierung, Wettbewerb, Kunden und Technologien gruppieren. Während gesetzliche Eingriffe die Rahmenbedingungen verändern und dadurch Innovationen entweder antreiben oder blockieren können, führt ein scharfer Wettbewerb unter etablierten Marktteilnehmern oftmals dazu, dass ein neuer Anbieter mit einem innovativen Produkt als lachender Dritter den Markt erobert. Kunden verändern ihre Bedürfnisse immer schneller und setzen etablierte Anbieter unter Druck.

Vielfältige Transformationstreiber

Technologische Neuerungen schließlich ermöglichen häufig erst neue Problemlösungen, wobei der unmittelbare Nutzen die Einführung deutlich erleichtert. Über kurz oder lang werden die technologischen Möglichkeiten mit einem "Technology-Push" auch in der etablierten Immobilienwirtschaft den Transformationsdruck erhöhen. Deshalb sollte sie vorsorglich ihre Trägheit überwinden und die Komfortzone verlassen. Solange die "Pull-Faktoren" (noch) keinen ausreichenden Druck erzeugen, müssen die Unternehmen der Branche vorausblickend die "Push-Faktoren" aktivieren.

Das bedeutet freilich nicht, dass noch überhaupt kein Anpassungsdruck vorhanden ist. Betrachtet man den Transformationsdruck der einzelnen Subsektoren der Branche, hat sich dieser mit Ausnahme des Investmentbereichs in den vergangenen Jahren spürbar einander angenähert, wie wir im Rahmen des jüngsten "Innovationsbarometers" 1) festgestellt haben. Qualitativ hingegen, also bei der Analyse der jeweiligen Ursachen und Ausprägungen der einzelnen Innovationstreiber, gibt es jedoch durchaus bemerkenswerte Unterschiede und Eigenheiten - je nachdem, ob es sich um ein Unternehmen aus dem Bereich des Investments, der Finanzierung, dem Immobilienmanagement, der Beratung oder aus den Reihen der Proptech-Startups handelt.

Immobilienfinanzierer: Kunde übt stärksten Veränderungsdruck aus

Im Finanzierungsbereich etwa ist der Druck durch die Ansprüche der Kunden relativ stark ausgeprägt und zuletzt gestiegen. Das Bankgeschäft ist ein sehr personenbezogenes und vertrauensvolles Geschäft, weshalb die Kundenzufriedenheit einen sehr hohen Stellenwert besitzt. Der Kunde hat mithin einen enormen Einfluss als Transformationstreiber. In einem harten Wettbewerb setzt er die Anbieter unter Preisdruck und erwartet gleichzeitig Innovation, Flexibilität, Schnelligkeit, Transparenz und Lösungen für komplizierte Aufgaben, die einfach zu kommunizieren und anzuwenden sein sollten. Da die Anforderungen für alle Wettbewerber ähnlich sind, ist es schwierig, einen USP zu entwickeln und sich vom Rest der Branche abzuheben.

Immobilienfinanzierer sehen in den heutigen Möglichkeiten der Digitalisierung ein Mittel, um dem Transformationsdruck nicht nur seitens der Kundenerwartungen, sondern auch den Veränderungen im gesetzlichen Umfeld zu begegnen, die die Unternehmen immer stärker beeinflussen. Die etablierten Anbieter sehen sich oftmals in einer Schraubzwinge zwischen den regulatorischen Vorgaben und den Erwartungen der Kunden. Was die Einstellung zur Innovation betrifft, wird ein enger gesetzlicher und regulatorischer Rahmen jedoch keineswegs nur als Hemmnis angesehen, sondern vielmehr als Motor für die Einführung neuer Produkte und Prozesse. Beispielsweise führt die Forcierung von Transparenz und neuen Standards durch den Gesetzgeber oftmals zu einer höheren Vergleichbarkeit der Dienstleistungen und Unternehmen. Innovationen können dann dazu beitragen, gesetzliche Anforderungen besser zu erfüllen oder mit einem Geschäftsmodell aus der Masse der Wettbewerber herauszustechen.

Zudem sind am Finanzierungsmarkt immer mehr neue Anbieter zu finden, die den Wettbewerb prägen. Dazu zählen bankenfremde Anbieter wie Versicherungen oder Kreditfonds, Anbieter aus dem außereuropäischen Raum sowie Fintechs und Proptechs. Zwar sind die Marktanteile noch gering, aber ihre Marktpräsenz ist bereits wahrnehmbar. Oftmals sind diese neuen Anbieter sehr spezialisiert auf ein eng zugeschnittenes Produkt oder eine spezielle Kundengruppe - es handelt sich also (noch) um Insellösungen, die nicht die Gesamtheit eines klassischen Finanzierungsangebots abdecken. Dennoch können diese Anbieter mit digitalen Innovationen in ihren speziellen Segmenten sehr erfolgreich sein und die etablierten Full-Service-Anbieter punktuell unter starken Wettbewerbsdruck setzen. Hinzu kommt, dass die etablierten Finanzierer unter enormem Profitabilitätsdruck stehen. Gleichzeitig sind die Kostenstrukturen der etablierten Finanzierer oftmals relativ hoch. Für die etablierten Immobilienfinanzierer können digitale Prozessinnovationen vor diesem Hintergrund einen Lösungsansatz darstellen.

In der Innovationszwickmühle

Für die Immobilienwirtschaft insgesamt liegt der Fokus allerdings auf Produktinnovationen. Eine hohe Innovationsfähigkeit 2) der Unternehmen wirkt sich nachweisbar positiv auf die Produktentwicklung und damit den Unternehmenserfolg aus. Prozessinnovationen hingegen spielen aktuell eine untergeordnete Rolle. Und das, obwohl sie einen möglichen Ausweg aus einem Umfeld darstellen können, das von hohem Preisdruck infolge eines intensiven Wettbewerbs und anhaltender Zins- und Renditekompression geprägt ist.

Doch oftmals wird dem Verlust von Marktanteilen noch immer mit fallenden Preisen entgegengewirkt anstatt mit effizienteren, innovativen und digitalen Prozessen. Die fallenden Preise führen jedoch zu sinkenden Margen, die wiederum die Ressourcen für umfangreiche Investitionstätigkeiten schmälern. Deshalb ist aktuell zu beobachten, dass sich die Wettbewerbsintensität des Umfeldes sogar negativ auf die Entwicklung von Produktinnovationen auswirkt. Die Branche steckt in einer Zwickmühle. Innovationen stellen eine große Chance dar, sich aus dieser Zwickmühle zu befreien. Prozessinnovationen deshalb, weil sie eine effizientere Geschäftstätigkeit ermöglichen, und Produktinnovationen, weil sie ein temporäres Monopol am Markt ermöglichen. Wenn jedoch die "Pull-Faktoren" fehlen oder noch nicht stark genug sind, um eine stärkere Innovationstätigkeit zu erzwingen, müssen Innovationen von Unternehmen aktiv gefördert werden. Ein wichtiger Faktor für innovatives Verhalten ist die Bereitstellung von Ressourcen durch den Arbeitgeber - seien es finanzielle, personelle oder materielle Ressourcen. Unternehmen können sich mit einer geschickten und bewussten Ressourcenverteilung zugunsten von Innovationen deutlich zukunftsfähiger aufstellen.

Ressourcen alleine genügen nicht

Es genügt allerdings nicht, nur finanzielle Ressourcen bereitzustellen oder personelle Ressourcen zu mobilisieren und dann Innovation von oben herab anzuordnen. So zeigt eine aktuelle Studie 3), dass eine besonders hohe Anzahl hochqualifizierter Mitarbeiter im direkten Umfeld erstaunlicherweise einen Bremsfaktor für innovatives Verhalten darstellt. Die Kollegen der hochqualifizierten Mitarbeiter wollen oftmals ihre Routine beibehalten und die Komfortzone nicht verlassen. Reibereien mit den Innovatoren, die für Veränderungen werben oder dafür gar mitverantwortlich sind, wollen sie vermeiden. Um solche Bremsfaktoren im Denken der Mitarbeiter zu überwinden, bedarf es einer umfassenden Innovationskultur, die das gesamte Unternehmen und letztlich die gesamte Immobilienwirtschaft umfasst.

Erfolg kann blind machen. Derzeit geht es der Immobilienwirtschaft sehr gut. Sie scheint es sich erlauben zu können, digitale Transformations- und Innovationsprozesse auf die lange Bank zu schieben. Doch irgendwann wird der Transformationsdruck steigen, sei es von Seiten der Kunden oder des Wettbewerbs, durch Regulierungsanforderungen oder technologische Umbrüche.

Transformationsbereitschaft und Innovationskultur werden dann zu existenziellen Faktoren für die Zukunftsfähigkeit der Marktteilnehmer. Schon heute eine Innovationskultur anzustoßen, die eine offene Denkweise und eine gewisse Experimentierfreude fördert sowie den Innovatoren die notwendigen Freiräume eröffnet, wird in einem sich verändernden Umfeld zu einem entscheidenden Kriterium für eine dauerhafte Wettbewerbsfähigkeit.

Fußnoten

1) Vgl. Studie "Innovationsbarometer der Immobilienwirtschaft 2019", unter www.ebsrealestate.de.

2) Vgl. Studie "Innovation in der Immobilienwirtschaft", unter www.innovation-in-der-immobilienwirtschaft.de.

3) Vgl. Studie "The Impact of Organisational Slack of Innovative Work Behaviour: How do Top Managers and Employees differ?", unter www.worldscientific.com.

DIE AUTORIN DR. SUSANNE HÜGEL, Associate Director EMEA Digital Innovation, CBRE Germany, Frankfurt am Main, und Research Fellow, EBS Universität, Wiesbaden
DER AUTOR JOCHEN SCHENK, Vorsitzender des Vorstands, Real I.S. AG, München
Dr. Susanne Hügel , Associate Director EMEA Digital Innovation, CBRE Germany, Frankfurt am Main, und Research Fellow, EBS Universität, Wiesbaden
Jochen Schenk , Vorsitzender des Vorstands, Real I.S. AG, München

Weitere Artikelbilder

Noch keine Bewertungen vorhanden


X