Wandel im Handel

Future Retail - wer sind die Gewinner und wer die Verlierer?

Joachim Stumpf

Die Verdrängung bestehender Konzepte und Standorte ist die einzige Chance, Wachstum zu erzielen. Weiterentwicklungen des Online-Handels haben den stärksten Einfluss. Neben der Ausweitung des Online-Handels lässt sich eine Renaissance von speziellen City-Formaten verzeichnen. Während die Mieten an Top-Standorten weiter steigen, nimmt der Druck in Städten mit Problemprofil zu. Red.

Der Blick auf den Einzelhandel zeigt: Wir befinden uns in einem Markt ohne reales Umsatzwachstum, seit 1995 stagniert oder schrumpft der Markt. Auch in naher Zukunft wird es kein reales Wachstum im Einzelhandel geben: Individuelles Wachstum von Unternehmen, Branchen und Betriebsformen geht zulasten der anderen Marktteilnehmer. Denn um individuelle Umsatzzuwächse in einem Markt zu erzielen, der insgesamt nicht wächst, bedarf es der Verdrängung von bestehenden Konzepten und Standorten.

Die technologische Weiterentwicklung treibt den Online-Handel und wird Formate und Standorte am stärksten und am schnellsten beeinflussen. Kein anderer Bereich des Einzelhandels wächst so schnell wie der interaktive. Handelsunternehmen werden Technologieunternehmen. Electronic Commerce wird nicht nur Konkurrenz zum stationären Handel, sondern auch Teil dessen im Rahmen eines Multi-Channel-Ansatzes. Das Verschmelzen von "Cyberspace" und Realität wird auch in zunehmendem Maße das Verhalten sowie die Kommunikation der Menschen und damit das Marketing verändern.

Der Handel reagiert einerseits auf diese Entwicklung, indem er Flächenanpassungen vornimmt. Mit den starken Zuwachsraten der Smartphones, Tablets und E-Book-Reader brach der Umsatz des stationären Handels mit Büchern und Tonträgern ein und führte zu Filialverkleinerungen und Schließungen. Am anfälligsten für den Verdrängungswettbewerb durch den Online-Handel sind Branchen mit einem Sortiment an begrenzten, bekannten und gut vergleichbaren Marken sowie einer hohen Vorinformation des Kunden und aperiodischen Kaufzyklen.

Online goes offline

Was bei Media-Saturn derzeit erfolgt, praktizieren viele stationäre Handelsunternehmen seit vielen Jahren, nämlich den Einstieg ins eigene Online-Geschäft als Multi-Channel-Anbieter. Im Jahr 2010 betrug der Umsatzanteil der Multi-Channel-Anbieter am Online-Umsatzvolumen 58,1 Prozent. In Zukunft werden die Informations- und Vertriebskanäle weiter verschmelzen.

Mittlerweile verfügen nahezu alle etablierten Filialisten über Online-Shops und viele mittelständische Handels unternehmen nutzen Marktplätze wie beispielsweise Ebay als Alternative zum eigenen Online-Shop. Es gibt sehr viele Varianten und unterschiedlichste Verzahnungen der Online-Aktivitäten von stationären Händlern mit ihrem Offline-Geschäft. So hat beispielsweise der hochwertige Damenmode-Händler Theresa mit seinem stationären Geschäft in München den stark wachsenden Online-Kanal Mytheresa mit einem Absatzmarkt von über 120 Millionen Euro aufgebaut.

Das stärkste Wachstum innerhalb des Online-Umsatzvolumens erreichen die sogenannten "Pure Player" Handelsunternehmen, die keinen stationären Handel besitzen und damit ausschließlich im Internet ihre Leistungen beziehungsweise Produkte und Dienstleistungen anbieten. Ihr Anteil ist von 33,2 Prozent im Jahr 2010 auf 40,5 Prozent im Jahr 2012 angewachsen. Wobei sich feststellen lässt, dass viele Anbieter nicht mehr so puristisch sind wie anfangs: Einige Pure Player beginnen mittlerweile auch stationär sichtbar zu werden.

Trend zur Spezialisierung

So haben Cyberport, myMuesli.de, Notebooksbilliger.de oder Suitsupply mittlerweile eigene Läden zur Verzahnung ihrer Online- mit der Offline-Welt. Jeder zweite der 1 000 größten Online-Shops in Deutschland betreibt auch stationäre Geschäfte.

Ein Trend im Online-Bereich sind auch Spezialisierungen und individuelle Angebote: So kann man zum Beispiel im Nike-Store seine Schuhe individuell gestalten und direkt bestellen oder bei The Whisky Store ein Sortiment nur von Whisky mit allerlei Zusatzinformationen erhalten.

Zurück in die City

Neben der Ausweitung des Online-Handels lässt sich aber auch eine regelrechte Renaissance der Innenstadt-Entwicklung beobachten. Es sind vor allem zwei Bedingungen, die dazu führen: die genehmigungsrechtlichen Restriktionen für Einzelhandelsgroßprojekte an nicht integrierten Standorten und die Reurbanisierung. Shoppingcenter-Ansiedlungen auf der grünen Wiese gibt es schon lange nicht mehr, sie entstehen in City- oder Stadtteillagen.

Dieser Entwicklung folgt 2014 zum ersten Mal auch eine großflächige Möbelansiedlung von Ikea in einer ehemaligen Karstadt-Filiale in Hamburg-Altona. Der Lebensmitteleinzelhandel, der bis in das Jahr 2007 seinen Rückzug aus den Citylagen stark forciert und seine Expansion mit flächenmäßig größeren Formaten auf die Peripherie verlegt hatte, kehrt seit 2010 sukzessive in die City zurück. Von nahezu allen Betreibern wurden Konzepte mit kleineren Formaten für die City entwickelt. So gibt es beispielsweise einen Kaufland in der Fußgängerzone von Göttingen oder einen Kaisers im Bikini-Haus in Berlin.

Konsequenzen und Herausforderungen

Für die Einzelhandelsbranche ist es nicht neu, vor grundlegenden strukturellen Veränderungen zu stehen: Das begann mit der Einführung des Selbstbedienungsprinzips, das an Verpackung, Warenpräsentation und Flächenbedarf ganz neue Anforderungen stellte. Heute zeigt es sich unter anderem in der Konkurrenz zwischen den attraktiven Metropolen und den Kleinstädten, die bei ihrem Einzelhandelsangebot nachlegen müssen, um die Kaufkraft in der Stadt zu halten. Mittlerweile ist es vor allem die Technologie, die die Entwicklung in hohem Tempo treibt.

In diesem Umfeld haben vor allem die großen Spieler des Einzelhandels Wettbewerbsvorteile und werden noch weiter gewinnen. Denn Großbetriebsformen konnten sich den Herausforderungen zu jeder Zeit besser stellen, weil sie "economies of scale" - Mengenvorteile - für sich nutzen können. Im Internetzeitalter werden aus Handelskonzernen Technologieunternehmen, deren Geschäftsmodell den Offline-Handel und den Online-Handel gleichermaßen und zukünftig untrennbar umfasst.

Da der Aufbau der technologischen Infrastruktur hohe Investitionen erfordert, werden die Großvertriebsformen zulasten der kleinen Betriebe weitere Marktanteile gewinnen. Im Zeitraum von 1981 bis 2013 haben aber auch die Warenhäuser hohe Marktanteilsverluste in Höhe von 13,5 Prozent auf 1,8 Prozent zu beklagen.

Sehr stabil behaupteten sich da - gegen die Filialisten des Handels mit einem Marktanteil von 15 Prozent im Jahr 2013. Der Online-Handel wird aber weiterhin Marktanteile zulasten des nicht filialisierten Fachhandels und der Warenhäuser gewinnen.

Ballungsräume gewinnen

Mit der aufgezeigten Entwicklung von Expansionskonzepten und den Verschiebungen der Betriebsformen wird klar, dass die Ballungsräume als Standorte für einen starken Einzelhandel gewinnen werden.

Dagegen wird es Regionen geben, die ihre Bedeutung als Einkaufsstätten zunehmend verlieren. Die Konsequenz dieser Entwicklung ist eine stärkere Polarisierung von guten und schlechten Standorten. In den Städten mit Problemprofil droht der vorhandene Einzelhandel zwischen einem immer stärker werdenden Online-Angebot und einem immer stärker werdenden Offline-Angebot in den Ballungsräumen nicht mehr wahrgenommen zu werden.

Ein Frühindikator ist sehr häufig eine schleichende Erosion, die sich anhand steigender Leerstände und einem langsamen Tradingdown erkennen lässt. So sind nach dem Wegfall ehemals starker mittelständischer Einzelhändler häufig Nachmieter aus dem Bereich der Posten- und Discountanbieter zu finden. In solchen Städten ist es sehr wichtig, dass die verbleibenden starken Handelsunternehmen gemeinsam kommunizieren und im Idealfall auch räumlich nahe zusammen liegen. Die Anforderungen an das Handelsmanagement steigen. Neben dem Zwang, die Geschäftsmodelle an das Umfeld anzupassen, steigt der Druck auf die Rentabilität. Im Zeitraum von 1995 bis 2013 sind die Verkaufsflächen um 28,9 Prozent angewachsen bei einem nominalen Umsatzwachstum von nur 15,2 Prozent, was zu einem Rückgang der Flächenleistung von 10,7 Prozent geführt hat.

Erhöhter Marketingaufwand

Damit steht das Handelsmanagement in einem Markt ohne reales Wachstum vor der Herausforderung, Rentabilitätsrückgänge infolge des Anstiegs der flächenbezogenen Kosten wie Miete oder Energie zu kompensieren. Hinzu kommt der erhöhte Marketingaufwand, um die Verbraucher erreichen zu können, die die Erwartung haben, 24 Stunden am Tag Zugang zu ihrer Handelsstätte zu haben. Für die Unternehmen, die selbst eine zusätzliche Online-Strategie entwickeln, steigen die Kosten für die Bearbeitung des zusätzlichen Kanals.

Die Folge wird sein, dass an den Standorten, die nicht zu den Top-Standorten gehören, der Druck auf die Mieten zunimmt. Dies betrifft vor allem die Nachvermietungen von Fachmarkt- und Shoppingcenter-Flächen sowie Ladenlokale in Städten mit einem Problemprofil. Die Mieten vor allem in den Premiumlagen wie den 1a-Lagen der Großstädte und Top-Shoppingcenter-Standorten werden da gegen weiter steigen.

Der Autor Joachim Stumpf Geschäftsführer, IPH Handelsimmobilien GmbH und BBE Handelsberatung GmbH, München

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