MARKT- UND OBJEKTBEWERTUNG

DER GREEN VALUE - SACKGASSE ODER ZUKUNFT FÜR DEUTSCHLAND?

Dr. Carmen Friedrich, Foto: privat

So ziemlich alle Lebensbereiche werden mittlerweile auf ihre Implikationen für die Umwelt hin untersucht. Ganz besonders gilt dies natürlich für Immobilien, die mit den größten Hebel beim Erreichen ehrgeiziger Klimaziele bieten. Entsprechend viele Aktivitäten auf nationaler, europäischer und internationaler Ebene drehen sich aktuell um den Themenkomplex Nachhaltigkeit bei Immobilien. Im Finanzierungsbereich ist es etwa die viel beachtete Initiative "EeMAP", mithilfe derer in den kommenden Jahren unter anderem die These geringerer Ausfallwahrscheinlichkeiten grüner Immobilienkredite erbracht werden soll, die im Anschluss dann wiederum Eigenkapitalentlastungen der Kreditinstitute rechtfertigen würde. Es ist ein langwieriges und komplexes Forschungsprojekt, das nach Einschätzung der Autorin letztlich nur überschaubaren Nutzen stiftet. Sie plädiert deshalb dafür, auf die bereits vorhandenen, ausreichenden Erkenntnisse und Mittel abzustellen und diese sofort zur Anwendung zu bringen. Red.

Nachhaltigkeit ist nicht nur ein Modewort. Mitte der achtziger Jahre ging die Nachhaltigkeit in die umweltpolitische Diskussion ein. Verstärkte politische Aktivitäten, insbesondere auf internationaler und staatlicher Ebene, findet man seit Beginn der neunziger Jahre und sie betreffen vorwiegend den Klimaschutz. Auf den Finanzsektor bezogen stellt die EU beispielsweise einen Aktionsplan zur Nachhaltigkeit auf, um damit das Finanzwesen bei der Transformation in eine emissionsarme Wirtschaft zu unterstützen.1)

Stetig wachsende Aufmerksamkeit

Nachhaltigkeitseigenschaften genießen auch bei Immobilien eine stetig wachsende Aufmerksamkeit und sind Gegenstand der Forschung ebenfalls in der Immobilienbewertung. Von der Erkenntnis bis zur praktischen Umsetzung dauert es jedoch meist Jahre. Es stellt sich deshalb die Frage, was wir in Deutschland jetzt schon tun können, um unseren Beitrag zum Klimaschutz im Bereich der Immobilien und deren Bewertung zu leisten. Oder müssen wir auf weitere Forschungsergebnisse, Regularien und Datensammlungen warten? Hilft uns bei der Bewertung der sogenannte "Green Value" eventuell weiter?

Der Green Value wird beispielsweise als Differenz im Marktwert zwischen einer "nachhaltigen" beziehungsweise "grünen" Immobilie und Vergleichsimmobilien, die die diese Eigenschaften nicht haben, definiert. 2) 3) Was unter nachhaltigen beziehungsweise grünen Eigenschaften zu verstehen ist, wurde bisher nicht einheitlich beschrieben. Für die Bewertung einer Immobilie sind jedoch deren tatsächliche grüne beziehungsweise nachhaltige und vom Gutachter zu identifizierenden Eigenschaften ausschlaggebend. Als Basis der Bewertung dienen Vergleichsobjekte, die in ausreichender Anzahl auf dem Markt vorkommen und dem Gutachter damit genügend Datenmaterial zur Bewertung bieten.

Die Lebensdauer des Green Value ist beschränkt

Damit wird der Green Value grundsätzlich zum "Aufschlag" auf den Marktwert dieser Vergleichsobjekte. Sobald sich ausreichend nachhaltige oder grüne Immobilien auf dem Markt etabliert haben, wird der Green Value nicht mehr benötigt. Dann könnte sich der "Aufschlag" in einen "Abschlag", den sogenannten "Brown Discount", umwandeln. Ob es in der Praxis gelingt, den Green Value tatsächlich nachzuweisen, ist fraglich, zumal der Markt den Preis diktiert.

Es gibt eine große Anzahl an Forschungsteams, die sich bereits seit Jahren mit der Bewertung nachhaltiger beziehungsweise grüner Immobilien beschäftigen. Dazu gehören beispielsweise das bereits abgeschlossene österreichische Projekt "Immovalue" 4) oder das britische "Green Construction Boards" 5) und andere. Sie verfolgen länderübergreifende Lösungsansätze zur Definition und Bewertung der nachhaltigen Eigenschaften.

Der Green Value spielt dabei aber kaum eine Rolle. Für den deutschen Markt haben insbesondere die Fachgruppen des HypZert e. V. 6) bereits vor etwa zehn Jahren wertvolle Beiträge geleistet, die aber ihren Durchbruch in der Politik nicht gefunden haben.

EU beschränkt sich auf energieeffiziente Immobilien

Die Europäische Union und Deutschland reduzieren derzeit das Thema Nachhaltigkeit bei Immobilien auf die Energieeffizienz der Immobilie. Die restlichen ökologischen, ökonomischen und sozialen Aspekte der Nachhaltigkeit werden ausgeblendet. Hierzu wurde im Jahr 2017 die Initiative "EeMAP" 7) gegründet, welche sich mit Energy Efficient Mortgages beschäftigt.

Treibende Kraft sind die Kreditinstitute, die eine Reduzierung des regulatorischen Eigenkapitals für Finanzierungen mit Energy Efficient Mortgages erreichen wollen. Hintergrund sind unter anderem die Thesen einer niedrigeren Ausfallwahrscheinlichkeit der Finanzierungen und einer geringeren Wertminderung der Objekte. Die Berücksichtigung des Green Value im Marktwert kann zur Erhöhung der Kreditbeträge führen und würde die Bewertung des "Massengeschäftes", wie zum Beispiel von Einfamilienhäusern und Eigentumswohnungen, deutlich vereinfachen.

Seit 2018 werden zur Bestätigung der Thesen von der "EeDaPP" (Energy efficient Data Protocol and Portal) Daten gesammelt. Die länderübergreifende Datensammlung ist wertvoll. Aber wie viele Daten über wie viele Jahre müssen erhoben werden, um ein belastbares Ergebnis zur Bestätigung der Thesen zu bekommen? Vor zehn Jahren hätten wir auf Basis der beiden HypZert-Studien in Deutschland schon mit der Datensammlung zu energieeffizienten Gebäuden beginnen können.

Wollen wir nun warten, bis einschlägige Daten EU-weit gesammelt und ausgewertet wurden? Oder wollen wir lieber schon jetzt einen großen Schritt im energieeffizienten Bauen und Sanieren samt Wertermittlung in Deutschland tun? Die Bauwirtschaft, die Gutachter und vor allem die Kreditinstitute sind hier gefragt.

Dem Effizienzhaus Plus gehört die Zukunft

Unsere Gebäude in Deutschland entwickeln kaum weniger Treibhausgase als der Verkehr (siehe Abbildung 1). Im Jahr 2017 betrugen die Treibhausgasemissionen insgesamt etwa 907 Millionen Tonnen Kohlendioxid (CO2)-Äquivalente. Davon waren 14,6 Prozent im Gebäudebereich entstanden.8) Das Ziel der Bundesregierung ist, im Jahr 2050 bei den Gebäuden etwa klimaneutral zu sein. Die einzige und damit alternativlose Lösung für die Zukunft, über die wir jetzt schon verfügen, ist deshalb das Effizienzhaus Plus und in etwas abgeschwächter Form das Plusenergiehaus.9) Sie sind das Optimum, was zurzeit energetisch erreicht werden kann.

Die Bundesregierung startete 2011 die Initiative Effizienzhaus Plus.10) Dieser Haustyp hat über das Jahr sowohl einen negativen Primärenergie- als auch einen negativen Endenergiebedarf (siehe Abbildung 2). Er gewinnt mehr Energie aus erneuerbaren Quellen als seine Bewohner und das Gebäude verbrauchen, die Energie für E-Mobilität eingeschlossen. Darüber hinaus erfüllen diese Häuser alle gesetzlichen Anforderungen.

Durch die Untersuchung von 40 Pilotobjekten wurde deutlich, dass ein neu gebautes Effizienzhaus Plus das globale Klima um etwa zwölf Kilogramm Kohlendioxid (CO2)-Äquivalente pro Quadratmeter beheizter Nettogrundfläche (Fläche, die dem Nutzer zur Verfügung steht) jährlich entlastet. Neubauten hingegen, die den derzeit gültigen Mindeststandard gemäß Energieeinsparverordnung 2014 erfüllen, benötigen zusätzliche Energie und produzieren damit etwa 38 Kilogramm Kohlendioxid (CO2)-Äquivalente pro Quadratmeter.

Deutliche Unterschiede in der Energiebilanz

Stellt man die Entlastung und die Produktion der Neubauten beider Haustypen gegenüber, so wird deutlich, dass in Zukunft mehr als drei Viertel der Fläche aller Neubauten in Effizienzhäusern Plus sein muss, damit die Kohlendioxid (CO2)-Äquivalente der weniger effizienten Neubauten kompensiert werden können. Mit ausreichend vielen Effizienzhäusern Plus oder Plusenergiehäusern wird zumindest die Klimabilanz nicht verschlechtert. Den Schwerpunkt bei der Entlastung können deshalb nur Sanierungen zu Effizienzhäusern Plus bilden.

In den im Rahmen der Initiative analysierten sanierten Gebäuden wurde die über die Eigenproduktion hinaus gehende benötigte Energie deutlich verringert. Weniger CO2-belastete Primärenergieträger bei weniger effizienten Gebäuden würden sich ebenfalls positiv auf die Bilanz auswirken. Dies wurde jedoch bei der obigen Betrachtung außer Acht gelassen, da in dem Bereich in absehbarer Zukunft keine großen Schritte zu erwarten sind.11)

Bewerter sind nicht auf Green Value angewiesen

Die deutsche Immobilienwertermittlungsverordnung ermöglicht die Berücksichtigung von energetischen Eigenschaften sowohl für Neubauten als auch für sanierte Objekte. Wie diese Eigenschaften in die Bewertung einfließen können, beschreiben die beiden Studien des HypZert e.V. 12)

Wenn sich die Neubautätigkeit beziehungsweise Sanierung auf Effizienzhäuser Plus fokussiert, ist es für die Kreditinstitute bereits jetzt möglich, für das "Massengeschäft" der Einfamilienhäuser, Doppelhaushälften, Eigentumswohnungen mit Aufschlägen bei der Bestimmung des Sachwertes (nicht Marktwertes) zu arbeiten. Es liegen in der Baubranche ausreichend Erfahrungswerte zu den Herstellungskosten vor, die in die Bewertung gemäß Sachwertrichtlinie einfließen können. Weitere Möglichkeiten werden in der HypZert-Studie13) dargelegt.

Fehlende Erfahrungssätze sind der Knackpunkt

Die Knackpunkte bei der Bewertung von "energieeffizienten" Ertragsimmobilien mit dem Ertragswertverfahren sind insbesondere die fehlenden Erfahrungssätze für die Instandhaltungskosten und das Mietausfallwagnis. Auch Liegenschaftszinssätze liegen grundsätzlich nicht vor. Um diese separat auszuweisen wäre es erforderlich, dass die Gutachterausschüsse zusammen mit den Kaufverträgen auch die Energieausweise erhalten würden.

Am Ende ist es aber dem Gutachter überlassen, die Parameter fundiert zu schätzen. Eine Auseinandersetzung mit Kappungsgrenzen bei der Miete, mit Anpassungen der Mietspiegel, Verlängerung der Restnutzungsdauer, um nur einige Beispiele zu nennen, erfolgten bereits in den erwähnten Studien14) und können von den Gutachtern genutzt werden.

Neben dem Ertragswertverfahren stehen für die Bewertung von Ertragsimmobilien in Deutschland auch die Bewertungsverfahren der RICS zur Verfügung. In dem Änderungsentwurf der "Red Book Global Standards" 15) für 2020 ist kein Green Value enthalten. Die RICS-Gutachter werden angehalten, verstärkt auf die Energieeffizienz zu achten und ihr Vorgehen in dem Zusammenhang im Gutachten zu begründen.16) Darüber hinaus wird an Checklisten gearbeitet, um Inhalte der gewerblichen sogenannten "grünen Mietverträge" in die Bewertung einbeziehen zu können.17)

Sofortiges Handeln ist möglich und notwendig

Zusätzlich gibt es diverse Energie- und Gebäudezertifikate,18) die die Gutachter nutzen, sofern sie ihnen vorliegen. Folglich ist es nicht erforderlich, auf Daten oder den Green Value zu warten, um zur Erfüllung der Klimaziele in Deutschland beizutragen.

In unmittelbarer Zukunft müssen Effizienzhäuser Plus und Plusenergiehäuser sowohl im Wohn- als auch im gewerblichen Bereich unser Stadtbild prägen. Diese Häuser können und werden bereits heute bewertet und finanziert. Die Vorteile, die die Kreditinstitute bei der Finanzierung für sich erwarten, werden noch nicht erreicht. Es braucht Anreize für Darlehensnehmer und Darlehensgeber, um den Neubau und die Sanierung in diese Richtung zu forcieren.

Die Anreize müssen aber in den Darlehenskonditionen und der Refinanzierung liegen und nicht in der Eigenkapitalentlastung und im Green Value. Wir können und müssen jetzt handeln.

Fußnoten

1) Europäische Kommission (2018)

2) Vgl. Fuerst, F./ McAllister, P. (2011), S. 45-69

3) Vgl. Bienert, S./Schützenhofer, Ch./Hockey, J. (2010), S. 14

4) IMMOVALUE (2008 - 2010)

5) Construction Leadership Council

6) HypZert e.V. (November 2010), (Dezember 2010)

7) EeMAP (2017)

8) Vgl. BMU (2019), S. 41

9) Plusenergiehaus: Jährlich negativer Primärenergieverbrauch, Energieproduktion aus erneuerbaren Quellen.

10) BMI (2018)

11) Klimaschutzprogramm 2030 der Bundesregierung

12) Vgl. HypZert e.V. (Dezember 2010), S. 73 und HypZert e.V. (November 2010), S. 44-46

13) Vgl. HypZert e.V. (November 2010), S. 36-46

14) Vgl. HypZert e.V. (November 2010), S. 47-60

15) RICS (2019)

16) RICS (2013)

17) Vgl. Conrads, Ch. (2012), S. 40-41

18) Energiezertifikate bzw. Green Building Zertifikate (beispielsweise BNB - Bewertungssystem Nachhaltiges Bauen, DGNB - Deutsches Gütesiegel Nachhaltiges Bauen, Green Globes, LEED - Leadership in Energy and Environmental Design)

Literatur

Bienert, S./Schützenhofer, Ch./Hockey, J. (2010), Draft of TEGoVA Guidance Note No. 2 for TEGoVA, http://bit. ly/32eLx7r, Zugriff 26. September 2019.

BMU (2019) - Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (2019), Emissionsquellen Gebäude 2017 (ohne CO2 aus Biomasse), Klimaschutz in Zahlen.

BMI (2018) - Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat, Wege zum Effizienzhaus Plus - Grundlagen und Beispiele für energieerzeugende Gebäude (2018), Berlin, http://bit.ly/33jPgCa, Zugriff 26. September 2019.

Conrads, Ch. (2012), Sicherung von Immobilienwerten durch "grüne" Mietverträge, Immobilien & Finanzierung - Der Langfristige Kredit, (2012), 16, S. 40-41.

Construction Leadership Council (2019), Green Construction Board, http://www.constructionleadershipcouncil.co.uk/workstream/sustainability/, Zugriff 20. Oktober 2019.

EeMAP (2017) - Energy efficient Mortgage Action Plan Initiative, Juni 2017, https://eemap.energyefficientmortgages.eu/04-downloads-2/, Zugriff 26. September 2019.

Europäische Kommission (2018), Nachhaltiges Finanzwesen: Aktionsplan der Kommission für eine umweltfreundlichere und sauberere Wirtschaft, https://europa.eu/rapid/press-release_IP-18-1404_de.htm, Zugriff 30. Oktober 2019.

Fuerst, F./McAllister, P. (2011), Green Noise or Green Value?, Real Estate Economics, 39 (2011), 1.

HypZert e.V. (November 2010) - Fachgruppe Energie und Umwelt des HypZert e. V., Energieeffizienz der Gebäude - ein Hauptaspekt der Nachhaltigkeit, Studie.

HypZert e.V. (Dezember 2010) - Fachgruppe Energie und Umwelt des HypZert e. V., Nachhaltigkeit von Immobilien und die Berücksichtigung in der Wertermittlung, Studie.

IMMOVALUE (2008 - 2010), http://immovalue.e-sieben.at/index.html, Zugriff 19. Oktober 2019.

Klimaschutzprogramm 2030 der Bundesregierung, https://www.bundesregierung.de/breg-de/themen/klimaschutz/klimaschutzprogramm-2030-1673578, Zugriff 23. September 2019.

RICS (2019), Red Book Global Standards: Proposed additions and Updates for 2020, http://bit.ly/2pIrils, Zugriff 27. September 2019.

RICS (2013) - Royal Institution of Chartered Surveyors (2013), RICS Professional Guidance, Global Sustainability and commercial property valuation, 2nd edition, http:// bit.ly/2JUqeSu, Zugriff 26. September 2019.

DIE AUTORIN DR. CARMEN FRIEDRICH Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Professur Finanzwirtschaft und Bankbetriebslehre, Technische Universität Chemnitz
Dr. Carmen Friedrich , Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Professur Finanzwirtschaft und Bankbetriebslehre, Technische Universität Chemnitz

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