Frage an Tobias Just

Hat der gesunde Menschenverstand im digitalen Zeitalter noch einen Platz in der Immobilienbewertung?

Prof. Dr. Tobias Just, Wissenschaftlicher Leiter und Geschäftsführer der IREBS Immobilienakademie, Eltville

Die Digitalisierung erlaubt ortsunabhängiges Generieren, Bearbeiten und Speichern von Informationen mithilfe von digitalen Geräten. In den letzten Jahrzehnten sind die Preise für digitales Speichern und Rechnen massiv gesunken. Gleichzeitig führte der Siegeszug des Internets zunächst eher als Beifang, später als strategisches Ziel zu umfangreichen neuen Daten. Die Daten helfen, Märkte zu analysieren - insbesondere jene, die zuvor als vergleichsweise undurchsichtig galten. Auch die Immobilienwirtschaft zählte zu diesen Sektoren, denn jede Stadt, jedes Quartier, ja jedes einzelne Objekt weist spezifische Eigenheiten auf. Die Digitalisierung ermöglicht, Objekte und Märkte in kleinste Analyseeinheiten zu zergliedern. Gleichzeitig stehen die Informationen mehr Marktakteuren zur Verfügung, der Wettbewerb nimmt folglich zu. So werden Wissensvorsprünge vernichtet, der Markt läuft reibungsärmer.

Verzicht auf Algorithmen wäre fährlässig und teuer

Die sonnige Seite der Digitalisierung beschleunigt also Prozesse, reduziert die Fehleranfälligkeit und eliminiert Ineffizienzen. Daher ist zu erwarten, dass die Digitalisierung rasche Fortschritte gerade in der Immobilienbewertung erzielen wird. Dabei geht es aber zunächst um das Verbannen des ungesunden Menschenverstands aus der Immobilienbewertung. Menschen verrechnen sich, sie lassen sich durch zahllose kognitive Verzerrungen täuschen und arbeiten tagesformabhängig. Für Standardberechnungen und -bewertungen sind diese Eigenschaften ungesund. Außerdem können Algorithmen Standardprozeduren um ein Vielfaches schneller und kostengünstiger bewältigen als Menschen. Es wäre fahrlässig und teuer, nicht auf diese Unterstützung in der Immobilienbewertung zurückzugreifen.

Doch wie weit kann diese Hilfestellung gehen? Werden künftig nur noch Computerprogramme Immobilien bewerten? Antworten könnten auf drei Argumentationssträngen aufbauen: Erstens, die Güte von automatisierter Bewertung hängt sowohl von der Qualität der Modelle als auch von der Qualität der verwendeten Daten ab. In den USA gibt es bereits voll automatisierte Bewertungen für Immobilienfinanzierungen, und die Abweichungen der Bewertungsergebnisse von den erzielten Marktpreisen sind stetig gesunken. Die Modelle wurden immer besser und es gibt keinen Grund zur Annahme, dass diese Entwicklung abgeschlossen ist. Doch dies war vor allem deswegen möglich, weil es in den USA ungleich mehr und granularere Immobiliendaten gibt als hierzulande.

Und selbst für die US-amerikanischen Märkte werden die automatisierten Modelle bislang eher für eine Nische als für die Mehrheit der Objekte erprobt. Das heißt, die rein algorithmenbasierte Bewertung dürfte mittelfristig für Standardgebäude vergleichsweise verlässlich arbeiten, doch für Spezialbauten wird sie unsauber. Doch ergänzende Schätzungen durch Algorithmen wird es für eine deutlich steigende Zahl von Immobilien geben. Inwiefern dann noch ein Mensch kontrollieren wird, hängt auch von den anderen beiden Argumentationssträngen ab.

Zweitens sind nämlich rechtliche Fragen für die Entwicklung maßgeblich: Dürfen zusätzliche Daten erhoben, verknüpft und gespeichert werden? Bereits heute scheitern transparenzverbessernde Maßnahmen am Datenschutz. Auch die Frage nach der Verantwortung im Streitfall ließe sich stellen und letztlich dürfte gerade die Tatsache, dass Daten wertvoller geworden sind, dazu führen, dass mehr Unternehmen ihre Daten als Vermögensgegenstand proprietär behandeln werden. Dies könnte den Zugang zu weiteren Informationsquellen erschweren - und somit auch die voll automatisierten Bewertungen.

Die Wahrheit liegt in der Mitte

Drittens reichen die menschlichen Analysefähigkeiten weiter als das Ausfüllen von Excel-Tabellen. Selbst auf Aktien- und Anleihemärkte gibt es noch immer Platz für aktive Manager und Analysten, und das obwohl Kapitalmärkte ungleich transparenter als Immobilienmärkte sind. Tatsächlich könnte gerade im Wettbewerb der unterschiedlichen (menschlichen) Bewerter ein unterschätzter Nutzen liegen: wenn nämlich (fast) alle Algorithmen auf ähnliche Signale reagieren, könnten Zyklen verstärkt werden. So ist das Standardargument gegen zu viele passive Anlagen auf den Kapitalmärkten auch ein Argument gegen einen monopolisierten Bewertungsalgorithmus. Manchmal kann es besser sein, viele kleine Fehler zu tolerieren, wenn dadurch ein großer vermieden werden kann.

Wie so oft dürfte die Wahrheit letztlich in der Mitte liegen: Algorithmen helfen Immobilienbewertern zunehmend dabei, einen Startpunkt für die eigenen Überlegungen zu setzen. So können Kunden sogar zusätzliche Informationen erhalten. Für Standardobjekte sind sogar vollkommen automatisierte Bewertungen möglich und sinnvoll. Dadurch könnte sich das Tätigkeitsprofil von Immobilienbewertungsunternehmen in Richtung Beratungsunternehmen verschieben, wobei neben die traditionelle Aufgabe des Schätzens eines Marktpreises neue Dienstleistungen treten dürften: die Risikoanalyse, das Berechnen von Simulationen, die Analyse von Szenarien. Auch hier werden Algorithmen helfen, doch die Analysen werden komplizierter, weil mehr Informationen fehlen. Dann bedarf es Annahmen und so dürfte der Mensch zumindest in der mittleren Frist in der Verantwortung bleiben.

Der Autor Prof. Dr. Tobias Just, FRICS, Wissenschaftlicher Leiter und Geschäftsführer, IREBS Immobilienakademie, Eltville
Prof. Dr. Tobias Just , Geschäftsführer, IREBS Immobilienakademie, Eltville und Inhaber des Lehrstuhls Immobilienökonomie, Universität Regensburg
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