MARKT- UND OBJEKTBEWERTUNG

IMMOBILIEN-INVENTUR FÜR UNTERNEHMEN

Simon Ritsch Quelle: CBRE

Deutsche Unternehmen halten laut einer Studie der TU Darmstadt durchschnittlich 70 Prozent der von ihnen genutzten Immobilien im eigenen Vermögen. Im Vergleich zu Ländern wie den USA, wo die Eigentumsquote bei gerade einmal 30 Prozent liegt, ist das ein enorm hoher Wert. Dabei haben viele der hiesigen Unternehmen ihre Bestandsimmobilien lange Zeit lediglich als Grundlage für die eigenen Produktions- oder Verwaltungsprozesse gesehen - und nicht als Investment. Das wandelt sich nach Einschätzung der Autoren nun jedoch: Das Bewusstsein für Portfoliobewertungen steige, einerseits bedingt durch neue rechtliche Vorschriften wie IFRS 16, andererseits auch aufgrund ihrer großen Bedeutung im Rahmen strategischer Transformationsprozesse. Red.

Die Immobilienquote der deutschen Unternehmen ist im internationalen Vergleich äußerst hoch. Entsprechend groß ist das in Immobilien gebundene Betriebskapital: Im Jahr 2014 wurde es bundesweit auf etwa drei Billionen Euro geschätzt. Allein bei den DAX-Konzernen wurden jährliche Kosten von rund 30 Milliarden Euro für die operative Bewirtschaftung - also ungeachtet der Mietzahlungen - ermittelt. Zum Vergleich: Diese Summe ist höher als das gesamte Transaktionsvolumen auf den Gewerbeimmobilienmärkten der Top-7-Städte im Jahr 2017. Seit diesen Erhebungen aus dem Jahr 2014 ging es mit den Preisniveaus wie auch mit den laufenden Kosten stetig nach oben.

Wenn es innerhalb einer Firma ohne eigenen unternehmerischen Immobilienschwerpunkt in den vergangenen Jahren allerdings um die Analyse des Bestands, der Gebäudebewertung oder der eigenen Flächenanforderungen ging, dann meist im Rahmen einer Transaktion oder Bilanzierung. Nicht selten waren und sind Mergers and Acquisitions (M & A) oder interne Umstrukturierungen die Anlässe. Entscheidender Treiber ist aber aktuell die Einführung neuer rechtlicher Rahmenbedingungen wie der International Financial Reporting Standards 16 (IFRS 16), die zum ersten Januar 2019 in Kraft treten.

Rechtliche Veränderungen als entscheidender Treiber

Inzwischen werden jedoch immer häufiger Portfoliobewertungen und Potenzialanalysen aus dem laufenden Betrieb heraus angestoßen und auch immer mehr Unternehmen, die nicht nach IFRS bilanzieren, lassen den Wert ihrer Bestandsobjekte ermitteln oder die bisherigen Flächennutzungen kritisch hinterfragen. Für Unternehmen, die nach IFRS bilanzieren, bietet es sich wiederum an, nicht nur das rechtlich Nötige zu erledigen, sondern einen umfassenderen Ansatz zu verfolgen.

Eine gründliche Bestandsaufnahme verbunden mit einer Potenzanalyse ist zudem der Ausgangspunkt, sowohl für die kaufmännische Optimierung der Immobilien als auch für die Entwicklung zeitgemäßer Nutzungskonzepte. Es zeigt sich, dass bei einer Untersuchung des Status quo häufig mehr zutage tritt, als zunächst angenommen werden könnte.

Der Bestand wird durchleuchtet

Der vielleicht wichtigste Aspekt ist allerdings, dass das Risiko feindlicher Übernahmen und unvorteilhafter Kreditkonditionen infolge eines unterbewerteten Immobilienbestands verringert werden kann. Sei es aufgrund von IFRS oder nicht: Im Rahmen einer solch umfassenden Analyse geht es insbesondere bei größeren Konzernen und Unternehmen, die mehrmals Fusionen, Umstrukturierungen oder Standortverlagerungen durchlaufen haben, oft zunächst um eine Bestandsaufnahme - und darum, sich einen Überblick zu verschaffen. Manchmal liegen selbst die grundlegendsten Informationen bei einigen Immobilien zunächst im Dunkeln, beispielsweise die Frage, ob die Objekte angemietet sind oder ob sie sich im Firmeneigentum befinden.

Gerade bei M & A-Prozessen ist es häufig möglich, dass einzelne, meist kleinere Flächen einfach mitgekauft beziehungsweise übernommen werden. Zudem wird bei zahlreichen Unternehmen der Immobilienbestand nicht zentral verwaltet, sondern von verschiedenen regional strukturierten Abteilungen, die nicht zusammengeführt wurden oder werden. Einige dieser "Karteileichen" haben zweifellos Kuriositätswert - beispielsweise die projektbezogen erworbene Sanitärfläche in Thailand, die nach dem Abzug der Mitarbeiter schlichtweg vergessen wurde. Ein realer Fall.

Bessere Verkaufskonditionen erzielen

Auch bei den Mietverträgen herrscht zunächst oft wenig Klarheit: Welche Flächen wurden zu welchen Konditionen angemietet - wo müssen auslaufende Verträge neu verhandelt werden - und zu welchen Konditionen hinsichtlich der Mietniveaus, Laufzeiten, Kostentragung und anderen Aspekten? Welche Sofortmaßnahmen lassen sich einleiten, um die bestehenden Verträge zu optimieren? Ein umfangreicher Bewertungsprozess, verbunden mit einer Potenzialanalyse und einer kaufmännischen Due-Diligence-Prüfung, kann Klarheit über die relevanten Marktwerte, Mietniveaus und Bewirtschaftungskosten bringen. Zudem treten häufig öffentlich-rechtliche oder andere "unsichtbare" bauliche Belastungen zutage.

Darüber hinaus ist es sinnvoll, die tatsächlichen Maße und das Qualitätsniveau der Flächen zu ermitteln sowie die Nutzungsarten zusammenzutragen und eventuell neu aufzugliedern. So kann aufgedeckt werden, welche Flächen tatsächlich betriebswichtig sind, welche umgerüstet werden sollten und welche abgestoßen werden können, um Unternehmenskapital und an die Gebäudeverwaltung gebundene personelle Ressourcen freizusetzen. Bei leerstehenden Flächen kann es sich je nach aktuellem Stand im Marktzyklus allerdings durchaus lohnen, diese vorher zu vermieten, um bessere Verkaufskonditionen zu erzielen. Generell schützt eine solch umfassende Analyse auch davor, die eigenen Immobilien zu unterdurchschnittlichen Konditionen an Immobilienprofis zu veräußern - die im Gegensatz zum Verkäufer das verstaubte Gold glänzen sehen.

Komplexe Fragestellungen

Die im Rahmen einer Bestands- und Potenzialanalyse aufkommenden Fragestellungen sind teilweise sehr komplex. Auch hier ein Beispiel aus der Praxis: Für eine eigengenutzte Einzelhandelsimmobilie, die verkauft werden sollte, zeigte die Potenzialanalyse die Möglichkeit einer Umwidmung des Grundstücks in Wohneinheiten an. Der Eigentümer hätte vor diesem Hintergrund für seine Immobilie einen deutlich höheren Verkaufspreis erzielen können. Die Kosten für den Umzug sowie das Risiko der Planumwidmung waren jedoch zu hoch, weshalb das Vorhaben letztlich nicht durchgeführt wurde. Stattdessen wurde die Immobilie im Ist-Zustand via Sale-and-lease-back-Transaktion zu den vom Bewerter ermittelten Mietkonditionen veräußert.

Die Bilanzierung selbst wird einfacher, wenn diese Informationen vorzeitig aufbereitet wurden. Besonders wichtig ist dies vor dem Hintergrund der zunehmend kürzer werdenden Transaktionszyklen in Deutschland: Für An- und Verkaufsprozesse von einzelnen Immobilien, Portfolios oder Firmenanteilen stehen immer knappere Zeiträume zur Verfügung. Wird die Objektanalyse erst bei einer konkreten Verkaufsabsicht durchgeführt, besteht häufig nicht die Möglichkeit, die entsprechende Bilanzierung strategisch sorgfältig zu durchdenken.

Besondere Bedürfnisse des Mittelstands

Lange bevor ein Wirtschaftsprüfer oder Jurist auf den Plan tritt, sollte also Transparenz geschaffen werden. Das Unternehmen erhält durch eine Bestandsanalyse einerseits objektiv Klarheit darüber, welche Immobilien zu welchen Konditionen veräußert werden können. Andererseits wird so ein kritisches Hinterfragen ermöglicht, ob die eigene Unternehmensstrategie überhaupt flächenmäßig abgebildet werden kann, Fehlinterpretationen werden vermieden.

Während sich vor allem größere oder dezentral strukturierte Unternehmen beziehungsweise Unternehmensverbände Optimierungen auf Portfolioebene erhoffen, gehen Mittelständler den Schritt der Portfolioanalyse manchmal aus anderen Gründen: Der deutsche Mittelstand zeichnet sich traditionell durch eine hohe Standorttreue aus, vor allem inhabergeführte Unternehmen sind häufig über Jahrzehnte in ein- und derselben Immobilie ansässig. Über diese Zeiträume hinweg sammeln sich nicht nur Bausünden an, sondern auch alte Verträge und Dienstbarkeiten. Verbunden mit einer Ermittlung des Gebäudewerts kann sich bei einer Analyse der Nutzungsweise zeigen, ob beispielsweise ein Sale-and-lease-back-Verfahren für sie infrage kommt.

Das wachsende Bewusstsein für Immobilienthemen sorgt dafür, dass sich inzwischen auch einige Unternehmen, die nicht nach IFRS bilanzieren, eine Selbstverpflichtung zu regelmäßigen Bestandsanalysen auferlegt haben. Immer mehr Konzerne strukturieren sich auch intern neu: Entweder bilden sie eine eigene Abteilung für die betriebseigenen Immobilienaufgaben oder sie sourcen diese Tätigkeiten an spezialisierte Immobiliendienstleister aus. Dabei steht der firmeneigene Strukturwandel häufig in enger Wechselwirkung zu den Erkenntnissen über den aktuellen Wert des eigenen Immobilienbestands.

Anstoß für langfristige Prozesse

Die anfängliche Bestandsaufnahme ist also kein Selbstzweck, sondern häufig die Grundlage für einen langfristigen und interdisziplinären Transformationsprozess, der sich neben der Unternehmensstruktur auf die Flächennutzung selbst bezieht. Schließlich stehen die deutschen Unternehmen vor der Herausforderung, auch ihre Immobilienkonzepte und Strategien an die neuen Spielregeln der Digitalisierung anzupassen. In einer agilen und immer flexibler werdenden Arbeitswelt, die es ermöglicht, von überall aus auf wichtige Datensätze zuzugreifen, wird das stationäre Büro durch Homeoffice und Coworking ergänzt, um mehr unternehmerische Flexibilität zu erhalten.

Das stationäre Büro soll dadurch aber nicht ersetzt werden - allein schon aus unternehmenskulturellen Gründen. Dennoch muss es neue Kriterien erfüllen, um eine zeitgemäße Arbeitsweise zu ermöglichen. Es muss offene Kommunikationsstrukturen ermöglichen und zum Ort des kreativen Ideenaustauschs werden. Anstelle des antiquierten Zellenbüros rücken Open-Space-Konzepte, die in spezielle Zonen für verschiedene Arbeitsprozesse unterteilt sind. So entsteht ein Bereich für Stillarbeit, ein zweiter für Teammeetings, diskrete Telefonate werden in einem eigenen Raum geführt und in der Lounge können sich Mitarbeiter bei einem gemeinsamen Kaffee unterhalten.

Wohlfühlfaktoren gewinnen an Bedeutung

Genauso wichtig ist die Frage, wie sehr sich die eigenen Mitarbeiter im Büro wohlfühlen oder nicht. Dieses Wohlgefühl - beziehungsweise Well-being - hängt von einer Vielzahl von Faktoren ab, angefangen bei der Qualität der Raumluft, der Beleuchtung und Heizung über das architektonische Design bis hin zur Länge der Arbeitswege und - ganz praktisch - zur Qualität des Kantinenessens. Umweltthemen wie der ökologische Fußabdruck des Objekts sind besonders für die Generationen Y und Z ebenfalls ein wichtiges Kriterium bei der Auswahl des Arbeitgebers.

Die Modernisierung des Portfolios und damit auch der Arbeitsplätze ist ein wesentlicher Eingriff in die Kultur und Identität des Unternehmens. Hier gilt es, behutsam vorzugehen und professionelles Change Management zu betreiben. Peter F. Druckers Aussage "Culture eats strategy for breakfast" ist bei einem solchen Vorhaben wie ein Naturgesetz zu berücksichtigen, damit die bestehende Belegschaft diesen Wandel nicht nur positiv aufnimmt, sondern auch aktiv mitgestaltet.

Ein Unternehmen, das junge Fachkräfte gewinnen und langfristig binden möchte, muss auf diese Anforderungen reagieren. Auf Basis einer detaillierten Bestandsübersicht kann das Unternehmen gemeinsam mit einem Immobilienberater ermitteln, welche Flächen sich für eine Umrüstung eignen, ob die Größe der Einheiten noch notwendig ist und welche Objekte einfach nicht mehr zeitgemäß sind.

Monitoring im laufenden Betrieb

Sobald Klarheit darüber herrscht, welche neuen Nutzungskonzepte und welche kaufmännischen Optimierungen in welchen Immobilien umgesetzt werden könnten, wird wiederum diese Soll-Situation von den Bewertern analysiert und mit dem Ist-Stand verglichen. Somit lassen sich Einsparungspotenziale und Performancesteigerungen schwarz auf weiß darstellen, es entstehen belastbare Benchmarks, anhand derer sich der tatsächliche Erfolg der Maßnahmen messen lässt. Auch die Relation zwischen den Kosten für die Umrüstungsmaßnahmen und die schwer messbare Auswirkung des angestrebten Change Managements sowie des kulturellen Wandels innerhalb des Unternehmens werden hierbei mit einbezogen. Jedes anfängliche Konzept lässt sich im laufenden Betrieb allerdings noch verfeinern. Die Rede ist hier nicht nur von kaufmännischen Details, sondern gerade auch von der tatsächlichen Flächennutzung.

Inzwischen kommen im Rahmen des laufenden Monitorings verschiedene Digitaltools zum Einsatz, die die reale Nutzungsweise analysieren: So messen Sensoren neben dem Energie- und Heizungsverbrauch, wie viele Mitarbeiter sich wie lange in welchen Räumen aufhalten, wann die einzelnen Arbeitsplätze tatsächlich belegt sind und welche Bereiche längere Zeit ungenutzt bleiben. Auf Basis anonymisierter Standortzugangsdaten von digitalen Tracking-Tools lassen sich die Laufwege innerhalb des Gebäudes auf fünf mal fünf Meter genau analysieren. Hinzu kommen zentrale Datenbanklösungen, in die die gesammelte Datenbasis einheitlich eingepflegt und aktualisiert wird - ohne dass zukünftig neue Karteileichen entstehen.

Werden diese Monitoring-Prozesse bereits bei der anfänglichen Bestandsaufnahme oder spätestens beim Umbau umgesetzt, lässt sich daraus wichtiges Wissen für weitere Optimierungspotenziale ableiten - und in der Folge auch der kaufmännische Soll-Wert nach oben korrigieren. Schließlich ließe sich eine Immobilie, die nachweisbar effizientes Arbeiten ermöglicht, zu besseren Konditionen veräußern als eine nicht optimierte.

Internationale Bewertungssysteme für einheitliche Analysen

Bis vor ein paar Jahren waren die meisten Immobiliendienstleister dezentral organisiert. Sie operierten also mit jeweils unterschiedlichen Methoden, weshalb die Aufbereitung uneinheitlich ausfiel. Seit einigen Jahren findet jedoch eine Internationalisierung dieser Beratungsleistungen statt - und die global agierenden Dienstleister entwickeln einheitliche Bewertungssystematiken. Somit erhalten auch deutsche Unternehmen mit Immobilienbestand im Ausland eine Gesamtübersicht und international einheitliche Handlungsempfehlungen.

Gerade bei großen Portfolios, für die die Analyse des Ist-Stands erst nach und nach erfolgen kann, muss diese Bestandsaufnahme nicht mehr zwingend nach Standort aufgeteilt werden - es ist ebenso möglich, zunächst die weltweit größten Objekte oder sämtliche Flächen eines bestimmten Immobilientyps einheitlich zu analysieren. Bei den Nutzungskonzepten gibt es zwar landestypische Unterschiede, aber viele Prinzipien lassen sich landesübergreifend umsetzen.

Auf diese Weise lässt sich vermeiden, dass es zu Insellösungen für einzelne Regionen kommt, die mit der übergeordneten Unternehmensstrategie nur eingeschränkt kompatibel sind. Stattdessen ist es möglich, interaktive digitale Plattformen bereitzustellen, mit dem sich jeder Unternehmer auch selbstständig mit seinem Bestand auseinandersetzen kann.

DER AUTOR SIMON RITSCH, Head of Valuation Advisory Services, CBRE GmbH, Frankfurt am Main
DER AUTOR OLIVER KÜPPERS, Head of Advisory & Transaction Services/Occupier, CBRE GmbH, Frankfurt am Main

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