EXPO REAL-SPECIAL

LEHREN AUS DER PANDEMIE FÜR DAS CORPORATE REAL ESTATE MANAGEMENT

Dr. Zsolt Sluitner, Foto: Siemens Real Estate

Digitalisierung, Klimaschutz, demografischer Wandel, Urbanisierung, Globalisierung - die Liste mit Megatrends, die die Arbeitswelt derzeit in historischem Ausmaß verändern, ist beispiellos umfangreich und hält nicht zuletzt das Corporate Real Estate Management (CREM) seit Jahren gehörig auf Trab. Nochmals beschleunigt wird dieser Wandel durch die Covid-19-Pandemie, schließlich wirkt diese bei vielen Themen wie ein Katalysator. Das verdeutlichen auch die Ausführungen des vorliegenden Beitrags. Red.

Welche Folgen hat Covid-19 für den Markt der Unternehmensimmobilien? Was können wir aus der Pandemie lernen? Wie sieht unsere Zukunft aus? Fragen wie diese bewegen aktuell die gesamte Branche. Auch ich bekomme sie nahezu täglich gestellt. Oft wird dann ein nahezu visionärer Blick in die Glaskugel erwartet, denn schließlich verantworten wir bei Siemens Real Estate (SRE) die Unternehmensimmobilien von Siemens an rund 1 500 Standorten weltweit. Die Antwort lautet dann: So visionär muss man gar nicht sein, um realistische Lehren aus der Pandemie ziehen zu können! Was genau damit gemeint ist, soll im Folgenden anhand einiger Beispiele und eines kleinen Blickes hinter die Kulissen unserer Arbeit der vergangenen Monate bei SRE etwas näher erläutert werden.

Mächtiger Schub für die Digitalisierung

Ein Kunde aus dem Bereich Digital Industries bei Siemens sagte vor kurzem: "Man stelle sich nur vor, Covid-19 wäre passiert, bevor es das Internet, elektronische Kommunikation und Videokonferenzen gab." Ja, das mag man sich wirklich nicht vorstellen. Aber so wie es das alles - glücklicherweise - bereits gab, so spielten auch im Immobilienbereich viele der Trends bereits vor der Pandemie eine wichtige Rolle, die nun allerdings rasant beschleunigt wurden. Man nehme beispielsweise das Building Information Modelling, BIM. Vor vier Jahren habe ich an gleicher Stelle noch für BIM geworben und die Vorteile dargelegt, die uns digitale Zwillinge beim Planen, Bauen, Betreiben und Instandhalten von Immobilien bieten. Nicht selten mussten wir uns damals anhören: "Wer zahlt den Extraaufwand und wo ist der Return on Investment?"

Glücklicherweise haben wir die Zeichen der Zeit erkannt und für die Nutzung digitaler Gebäudezwillinge in Planung und Bau bereits frühzeitig eigene Standards entwickelt. Und das hat sich in den vergangenen Jahren bei vielen Bau- und Entwicklungsprojekte bezahlt gemacht. Zum Beispiel bei dem Großprojekt "Siemensstadt2" in Berlin: Dort entwickelt SRE aktuell auf einem ehemals geschlossenen Industrieareal in der Siemensstadt - einem Stadtteil von Berlin Spandau - auf einer Fläche von 76 Hektar einen neuen "Stadtteil der Zukunft".

Im Januar 2020 - kurz vor Beginn der Pandemie - war dort gerade der städtebauliche Architekturwettbewerb abgeschlossen worden. Die am Wettbewerb teilnehmenden Architekturbüros waren aufgefordert, ihre Entwürfe auch digital einzureichen. So konnten wir sie anschließend nicht nur in virtuellen Räumen und Rundgängen der interessierten Öffentlichkeit präsentieren. SRE konnte auch darauf aufbauend die Planung nahezu ohne große zeitliche Einbußen fortsetzen. Mittlerweile haben wir den Hochbauwettbewerb erfolgreich abgeschlossen - mit einer hybriden Jurysitzung - und gerade gemeinsam mit der Stadt Berlin den Rahmenvertrag unterzeichnet. Ähnliches gilt für unser zweites städtebauliches Großprojekt, den Siemens Campus Erlangen. Auch dort wird auf einem ehe maligen Forschungsareal ein offener, lebendiger Stadtteil entwickelt. Und auch dort plant SRE mit BIM und konnte so im aktuell im Bau befindlichen zweiten Modul die innovative Holz-Hybrid-Bauweise nutzen. Dabei werden große Teile der Neubauten industriell aus Holz vorgefertigt und dann auf der Baustelle endmontiert. Trotz Pandemie lief der Bau nicht nur unbeeinträchtigt weiter. Mit bis zu zwei Stockwerken pro Monat an teilweise drei Gebäuden gleichzeitig wurden die Rohbauten der dortigen Bürogebäude sowie des neuen Empfangsgebäudes sogar in Rekordzeit errichtet.

Daten - ein reichhaltiger Schatz

Doch nicht nur bei Planung und Bau, auch bei der Nutzung von Immobilien eröffnet die Digitalisierung unendliche Chancen. Denn digitale Zwillinge und die darin enthaltenen Daten der Gebäude bieten einen reichhaltigen Schatz, den es zu heben gilt. Auch das hat uns die Pandemie einmal mehr vor Augen geführt. Dazu noch ein kleiner, aber wichtiger Exkurs: Die Daten unserer Gebäude nutzen wir inzwischen auch, um den Mitarbeitern zusätzliche Services an den Standorten bieten zu können. Die Basis dafür bildet die sogenannte "Comfy App". Als bei Siemens die ersten Überlegungen angestellt wurden, wie eine sichere Rückkehr an den Arbeitsplatz aussehen sollte, konnten wir diese App in kürzester Zeit anpassen.

Wie lautet nun die Lehre aus der Pandemie? Als erstes Zwischenresümee kann man festhalten: Erkennen Sie die Zeichen der Zeit, und erkennen Sie sie rechtzeitig. Denn, wie gesagt, BIM und die Digitalisierung gab es im Immobilienbereich bereits vor der Pandemie - sie haben nun aber mächtig Schub bekommen. Eine der am lautesten gestellten Fragen auf dem Immobilienmarkt ist derzeit die nach den Büroimmobilien der Zukunft. Brauchen wir sie überhaupt noch, oder spielt sich die Zukunft der Schreibtischarbeit überwiegend im Homeoffice ab? Ohne arrogant klingen zu wollen: Auch diese Frage haben wir uns bereits lange vor der Pandemie gestellt. Schon 2010 haben wir damit begonnen, das "Siemens-Office-Konzept" zu etablieren, das in enger Zusammenarbeit mit Human Resources und IT für Siemens entwickelt wurde. Es steht für mobiles, flexibles und selbstbestimmtes Arbeiten und beinhaltet neben der Möglichkeit zur Arbeit im Homeoffice auch flexible und moderne Bürowelten, die neue Formen der Zusammenarbeit und der Arbeit im Team ermöglichen. Im ersten Modul des Siemens Campus Erlangen, das 2020 bezogen wurde, sind alle Büroflächen nach diesem Konzept gestaltet worden. Das bietet nun die Möglichkeit einer schnellen Anpassung, wenn in Zukunft - wie es absehbar ist - die Mitarbeitenden verstärkt mobil arbeiten werden. Im vergangenen Jahr - gleich zu Beginn der Pandemie - haben wir damit begonnen, das Siemens-Office-Konzept in Richtung "New Normal" weiterzuentwickeln. Es steht damit nun für eine große Vielfalt an Arbeitsmöglichkeiten - das Büro als Ort unterschiedlicher Aktivitäten und - als neue, wichtige Komponente - als Ort für Begegnung und für die Pflege der Corporate Identity.

Die Basis hierfür bildet eine Bürostruktur, die sich aus Kollaborationsflächen, Einzelarbeitsplätzen, Besprechungsräumen und einer Vielzahl unterschiedlich gestalteter Arbeitsbereiche zusammensetzt. Das Prinzip dahinter: Anstelle eines fest zugeordneten Arbeitsplatzes können die Beschäftigten genau die Arbeitsumgebung aussuchen, die zu ihrer jeweiligen Aufgabe am besten passt. Die offene Gestaltung der Flächen unterstützt zudem den informellen, schnellen Austausch und die cross-funktionale Zusammenarbeit und Vernetzung. Für den Flächenverbrauch bedeutet das: weniger Schreibtische auf der Fläche, aber mehr Mitarbeitende, die der Fläche zugeordnet sind. Dies wird am Ende nicht ohne Auswirkungen auf den Flächenverbrauch sein.

Anwendung findet das neue Konzept bereits in unserem Büroneubau "The Move" in Gateway Gardens in Frankfurt. "The Move" wird flexible Büros bieten, die mit Blick auf Wohlbefinden, Teamarbeit und viel Raum für persönliche Begegnung gestaltet wurden. Sie stehen damit exemplarisch für das Arbeiten im "New Normal". Für die Anpassung der Planung wurde übrigens unter anderem erstmals eine neue Software eingesetzt, die die Daten des digitalen Zwillings zusätzlich - vereinfacht ausgedrückt - mit öffentlichen Datenbanken verbindet.

Die Antwort auf die Frage nach dem "New Normal" auf dem Immobilienmarkt und gleichzeitig das zweite Zwischenresümee zu den Lehren aus der Pandemie lautet darum in einem Wort zusammengefasst: Flexibilität. Die Flexibilität, die von den Mitarbeitern im Zuge der Pandemie überall so beispielhaft vorgelebt wurde, die Flexibilität, mit der viele Unternehmen auf die neuen Herausforderungen reagiert haben, genau diese Flexibilität müssen auch die Büroflächen bieten. Sie dürfen keinen starren Konzepten folgen, sondern müssen anpassungsfähig sein. An die Herausforderungen von heute und die von morgen. Und sie müssen noch weitaus effizienter genutzt werden können, als wir das bisher vielleicht mancherorts gewohnt waren.

Das betrifft im Übrigen nicht nur die Büroflächen, für die wir als CREM verantwortlich sind. Es betrifft in gleichem Maße auch die Produktion. Gemeinsam mit dem Bereich Digital Industries überlegen wir so derzeit bei dem Projekt Siemensstadt2, wie man die Produktion der Zukunft in die Städte der Zukunft integrieren kann. Denn inmitten von Berlin, auf dem derzeit neu gestalteten Areal, befindet sich der nach wie vor größte Produktionsstandort von Siemens weltweit. Aus diesem Produktionsstandort soll nun ein offener Stadtteil, der Leben, Arbeiten, Forschen und Entwickeln miteinander verbindet, werden. Weitestgehend autofrei wird hier aber auch in Zukunft innerstädtische Produktion stattfinden - unter Nutzung der Chancen, die die Industrie 4.0 bietet, mit neuen Formen der Logistik und der Mobilität. Auch das ist ein wichtiger Teil des "New Normal" im Immobilienbereich.

Nachhaltigkeit - die bleibende Herausforderung

Bei allen Herausforderungen, vor die uns die Pandemie gestellt hat und in Zukunft stellen wird, sollten und dürfen wir eines nicht vergessen: Auch zuvor gab es sehr wichtige Themen, die zwischenzeitlich vielleicht etwas in den Hintergrund gerückt, deshalb aber nicht weniger relevant sind. Über allem steht dabei nach unserer Auffassung der große Bereich der Nachhaltigkeit. Schließlich dienen wir als CREM einem Unternehmen, das sich das Ziel gesetzt hat, bis 2030 CO2-neutral zu werden.

Welch elementarer Bestandteil Immobilien dabei sind, muss an dieser Stelle nicht weiter erläutert werden. Daraus ergibt sich aber auch, dass wir als CREM eine entscheidende Rolle bei der angestrebten Dekarbonisierung spielen und unser Corporate sehr genau auf uns schaut. Dementsprechend lautet das erklärte Ziel: Bis 2030 wird SRE nur noch CO2-neutrale Gebäude besitzen oder anmieten. Dazu werden verschiedene Hebel genutzt. Bereits bei der Planung der Neubauten ist Nachhaltigkeit elementarer Bestandteil. Die innovative Holzhybrid-Bauweise vermeidet so beispielsweise gegenüber herkömmlicher Betonbauweise 80 Prozent CO2. Auch die modulare Systembauweise hilft, CO2 zu sparen - zum Einsatz kommt sie bei uns derzeit bei dem Neubauvorhaben "The Move". Zusätzlich werden Zug um Zug die bestehenden Standorte energetisch saniert. Ein standardisiertes Energiemonitoring hilft dabei, Einsparpotenziale zu identifizieren - inzwischen sogar global. In Echtzeit erhält man dabei Daten aus den Gebäuden, verknüpft diese auf einer Plattform, kann Verbräuche ablesen und daraus Handlungsempfehlungen ableiten.

Siemens hat - übrigens während der Pandemie - für seine Nachhaltigkeitsziele das sogenannte DEGREE-Rahmenwerk definiert, das das unternehmenseigene ESG-Engagement auf eine neue Stufe hebt und für alle Kernthemen ambitionierte Ziele setzt. Für das CREM gelten diese Ziele genauso. Es wird von uns also erwartet, dass wir unseren Beitrag leisten, um diese Ziele zu erreichen. Was sagt uns all das? Das CREM muss extrem anpassungsfähig sein und bleiben. Wir müssen uns immer wieder neu erfinden, weil wir uns auf die sich ändernden Anforderungen des Marktes und aus dem Business unserer Corporates einstellen müssen. Und all dies muss zudem proaktiv und vorausschauend angegangen werden.

Meine wichtigste Lehre lautet darum: wachsam bleiben, offen für Neues und vor allem: flexibel und wandlungsfähig sein, dann bleibt beziehungsweise wird man auch erfolgreich. Das hat die Pandemie nur allzu deutlich vor Augen geführt.

Dr. Zsolt Sluitner , CEO , Siemens Real Estate, München
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