Positionen zur Stadtentwicklung von Politik und Immobilienwirtschaft

Leitplanken für die digitale Transformation unserer Städte

Spektrum der Smart-City-Forschung im BBSR Quelle: BBSR

Digitale Transformation im urbanen Raum gewinnt immer mehr an Bedeutung. Der Autor macht allerdings auf Schwierigkeiten in der Früherkennung dieser Abläufe aufmerksam. Es sei extrem schwierig, in diesen oft durch Technologien getriebenen Prozessen Chancen und Risiken im Vorfeld zu identifizieren, gegeneinander abzuwägen und handlungsorientierte Schlüsse zu ziehen. Dann führt er eine Reihe von Diskussionsansätzen auf, die derzeit im Mittelpunkt stehen. Da die Smart-City-Idee eine Herausforderung für die kommunale Demokratie darstelle, seien alle relevanten Akteure in der Verantwortung, sich am Aufbau digitaler Kompetenzen in der Bevölkerung zu beteiligen. Red.

Die digitale Transformation gewinnt auch in unseren Städten an Tempo. Immer mehr Städte und Gemeinden beziehen die Digitalisierung in ihre strategischen Überlegungen zur zukünftigen Stadtentwicklung ein. Treiber sind vielfältige Motive wie Effizienzsteigerungen in der Verwaltung, Umsetzung klimaschonender Mobilitäts- und Energiekonzepte, Ausbau von Prozessen zur Bürgerbeteiligung oder das Heben der wirtschaftlichen Potenziale von Smart City-Lösungen.

Doch ist nicht alles Gold, was in dieser digitalen Goldgräberstimmung glänzt. Auch ist es extrem schwierig, in diesen oft durch Technologien getriebenen Prozessen Chancen und Risiken im Vorfeld zu identifizieren, gegeneinander abzuwägen und handlungsorientierte Schlüsse zu ziehen. Wo eine Einzelmaßnahme sinnvoll sein kann, ist ihre systematische stadtweite Anwendung oftmals differenziert zu betrachten. Überall dort, wo digitale Lösungen in der Zusammenführung und integrierten Auswertung gigantisch vieler Datensätze münden - und das war lange die Kernidee der Smart City und nach allem was man heute sieht, wird dies auch die langfristige Entwicklung sein - kommen schnell grundsätzliche Fragen zur informationellen Selbstbestimmung oder zu neuen Formen der Beeinflussbarkeit der politischen Willensbildung, der Beteiligungskultur und letztlich dann auch der Qualität von digital geprägter partizipativer Stadtentwicklung auf.

Test für die kommunale Demokratie

Wenn vielfältige Online-Angebote der Verwaltungen Beteiligungshürden senken, bedeutet das noch lange nicht, dass sich weite Teile der Stadtgesellschaft qualitativ angemessen in Debatten über Stadtentwicklung oder andere kommunalpolitische Themen einbringen. Hier liegen Chancen und Risiken eng beieinander. Die Smart-City-Idee fordert auch die kommunale Demokratie heraus.

Gerade nach der US-amerikanischen Präsidentschaftswahl wird sehr intensiv über die Bedeutung von Algorithmen in der Kommunikation sowie Themen- und Meinungsverbreitung in sozialen Netzwerken diskutiert. Wie weit bedingen reine Rechenoperationen in der digitalen Sphäre die zunehmende Ausblendung von Fakten im Diskurs? Wie gehen wir mit kaum identifizierbaren Fakes in der Datenwirklichkeit um, die schnell die traditionell als "real" bezeichnete Welt beeinflusst? Das Schlagwort einer durch das Internet forcierten postfaktischen Debattenkultur macht die Runde. Wie viel Sorgen müssen wir uns machen, wenn es vermehrt darum geht, viral verbreitete und durch Algorithmen nochmals verstärkte Behauptungen und Vereinfachungen zum Gegenstand gesellschaftlicher Debatten zu machen?

Jewgenij Samjatin hat 1958 in seinem Roman "Wir" eine Welt entworfen, in der die Bürger als uniformierte Nummern leben und von der Arbeit bis zur Liebe alles streng nach mathematischen Gesetzen organisiert wird. Sogar die Philosophie ist gleichsam durchgerechnet und blickt verächtlich auf überkommene Philosophien: "Sie aber vermochten es nicht, nicht einmal alle ihre Kants zusammen. Weil keiner dieser Kants darauf kam, ein System wissenschaftlicher Ethik zu schaffen, einer Ethik nämlich, die auf Subtraktion, Addition, Division und Multiplikation beruht."

Smart Cities mit möglichst wenig Risiko

Das BBSR hat gemeinsam mit dem BMUB ein Projekt im Rahmen des Experimentellen Wohnungs- und Städtebaus (ExWoSt) initiiert, in dem untersucht wird, welche Auswirkungen die Digitalisierung auf die künftige Stadtentwicklung haben kann, welche Chancen sich bieten und welche Risiken für die Entwicklung unserer Städte bestehen oder entstehen können. Auf Basis wissenschaftlicher Expertisen und unter Einbindung eines interdisziplinären Arbeitskreises aus Wissenschaft, Wirtschaft und kommunaler Praxis sollen Leitplanken für die Entwicklung von Smart Cities abgeleitet werden.1) Es sind langfristig technologisch mögliche und aus Sicht der Stadtentwicklung als wünschenswert angesehene Bausteine für Smart Cities in Deutschland zu identifizieren.

Zugleich sind mögliche Negativentwicklungen zu antizipieren und Handlungsempfehlungen zur Eindämmung von Risiken zu erarbeiten. Der Zielhorizont der Analysen liegt zwischen 2030 und 2040. Somit geht es um einen Zukunfts-Diskurs jenseits des Tagesgeschäftes, in dem zuerst das technisch Mögliche betrachtet und abgewogen wird, um darauf aufbauend eine strategische Roadmap zu entwickeln.2) Dieser Zukunftsdiskurs wird auf den Wertprämissen und den Grundlagen der europäischen Stadtentwicklung geführt, wie sie unter anderem in der Leipzig Charta zur nachhaltigen europäischen Stadt festgehalten sind.3)

Dieses Vorhaben konzentriert sich auf Themenkomplexe mit großer Bedeutung für die künftige Stadtentwicklung in Deutschland, die in der Auseinandersetzung mit Fragen der digitalen Transformation in Städten bislang nur in Ansätzen diskutiert wurden: 4)

- Welche Perspektiven neuer Formen der Berücksichtigung von Bürgerpräferenzen und Bürger-Know-how durch neue digitale Technologien und Analysemethoden ergeben sich für die Urban Governance von Übermorgen? In diesem Themenfeld sind sowohl heute schon beobachtbare und für die Zukunft weiterentwickelbare Ansätze einer Stadtentwicklung von unten zu untersuchen (beispielsweise Crowdsourcing, Sharing-Ansätze zur Stärkung von Nachbarschaften) aber auch umfassende Bewertungssysteme für städtische Dienstleistungen oder ein aktivierendes Empowerment oder eine durch Datenanalysen und IuK-Technologien gestützte "Top-Down-Aktivierung" bürgerschaftlichen Engagements (Nudging). Ziel ist es, technisch "getriebene" Ansätze zu entdecken und deren breite Anwendbarkeit zu beurteilen

- Inwieweit können durch den digitalen Strukturwandel und eine breite Datafizierung der Stadt neue und tragfähige Säulen der Stadtökonomie entstehen? Zur Einordnung sei ein Beispiel aus Chicago skizziert: Chicago startete 2011 eine Initiative zum Aufbau einer Open-Data-Ökonomie. Neben dem massiven Ausbau des High-Speed-Internet in allen Bereichen des städtischen Lebens verfolgt Chicago die Strategie, die eigenen kommunalen Dienstleistungen unter anderem dadurch zu verbessern, dass aus dem gesamten kommunalen Datenaufkommen so viel wie möglich als "Rohmaterial" für Entwickler und Entwicklungen zur Verfügung stellt, um somit die Datenökonomie zum neuen Pfeiler der Stadtwirtschaft zu machen. Hierzu werden unter anderem umfassend datensammelnde Sensoren im Stadtgebiet verteilt, die in kurzen wiederkehrenden Intervallen gigantische Datenmengen generieren und in Echtzeit für Forschung und Entwicklung zur Verfügung stellen. Diese Smart-City-Strategie kann man auch als aktive digitale Angebotspolitik verstehen. Chicago investiert in die Datafizierung seiner Stadt und schafft so eine kostenlos nutzbare innovative Rohstoffbasis für völlig neue Wertschöpfungsbereiche.5)

Neue Akteure in der Stadtentwicklung

- Welche Einflüsse können eine breite Digitalisierung und die Nutzung von Big-Data-Analysen6) auf Akteure, Interessen und Machtasymmetrien in unseren Städten haben? Datengestützte Dienstleistungen und Steuerungsansätze für die Stadt können die Bedeutung neuer Akteure in der Stadtentwicklung nach sich ziehen. Das können sowohl die heute diskutierten Unternehmen wie Google, Yahoo, Apple oder Uber sein, aber auch andere Konstellationen der Datenökonomie, an die wir heute noch nicht denken. Im Big-Data-Bereich wird unter anderem das Feld der Predictive Analytics näher untersucht, der beispielsweise in der vorsorgenden Polizeiarbeit schon zunehmend an Bedeutung gewinnt. Datenanalysen im großen Stil machen über massenhafte Korrelationsanalysen Vorhersagen in beinahe allen Bereichen unseres Lebens möglich. Außerdem haben Empfehlungssysteme schon heute eine große Bedeutung in der Wirtschaft und könnten auch für die Stadtentwicklung an Bedeutung gewinnen. Hier ist noch völlig unklar, welche Auswirkungen sich für das städtische Akteursgefüge ergeben können.

- Welche Ausprägungen und Auswirkungen kann eine digitale Spaltung der Stadtgesellschaft von Übermorgen haben? Wie kann man diesen Tendenzen entgegenwirken und welche Akteure sollten dies tun? Die alleinige Konzentration auf digitale Systeme in zentralen Bereichen des städtischen Zusammenlebens kann zu neuen Formen von Segregation, Stadt- und Politikverdrossenheit und weiteren Problemen der Stadtgesellschaft führen. Wie wahrscheinlich sind solche Entwicklungen, welche Akteure können solchen Entwicklungen mit welchen Maßnahmen entgegenwirken? Sind technologisch bedingte "Spaltungen" in Stadtgesellschaften ein neues Phänomen? Wenn nicht, was kann man aus bisherigen Erfahrungen für die digitale Transformation unserer Städte lernen?

Parallel zu den wissenschaftlichen Expertisen verläuft ein Diskursprozess, der Technik- und Datenexperten mit Praktikern der Stadtentwicklung(spolitik) zusammenführt, um das gegenseitige Verständnis zu Potenzialen und sinnvollen Anwendungsfeldern neuer Technologien und Instrumente (digital, datengestützt) zu vertiefen und so Handlungsempfehlungen auf dem Weg in digitale Stadtzukünfte zu formulieren. Die Arbeiten zum Vorhaben sind in den ExWoSt-Schwerpunkt des BBSR zu Smart Cities eingebunden (siehe Abbildung auf Seite 21).

Politik und Verwaltung stehen in der Diskussion um Smart Cities - wie Saskia Sassen es formuliert hat - vor der Aufgabe, "die Technologien zu urbanisieren". Damit das gelingen kann, hat die praxisorientierte Stadtforschung wichtige Aufgaben zu erfüllen: Sie muss verstehen, was im Zuge der Digitalisierung auf die Städte zukommen kann und sie muss für die Stadtentwicklungspolitik auf den verschieden Ebenen übersetzen, wo diese noch gestaltend wirken kann.

Digitale Instrumente und Prozesse werden in allen städtischen Handlungsfeldern immer bedeutender. Die im Kontext von Big Data und Datenökonomie oft geforderte Zusammenführung städtischer Datenkomplexe unterschiedlichster Anbieter sollte durchaus kritisch betrachtet werden, da diese Form der Datenintegration hohe gesellschaftliche Risiken birgt.

Umfassende Bildungsangebote sind nötig

Den eindeutigen Tendenzen einer digitalen Spaltung ist aktiv mit geeigneten Maßnahmen zu begegnen. Hierzu sind von der öffentlichen Hand und der Wirtschaft umfassende Bildungsangebote zu entwickeln und bereitzustellen. Da die Smart-City-Idee auch eine Herausforderung für die kommunale Demokratie darstellt, sind alle relevanten Akteure in der Verantwortung, sich am Aufbau digitaler Kompetenzen in der Bevölkerung zu beteiligen.

Die digitale Transformation bringt eine teilweise Neujustierung des Akteursgefüges in der Stadtentwicklung mit sich. Gerade Städte und Gemeinden, die diesen Prozess proaktiv gestalten, sollten ausgewogene Partnerschaften mit Technik- und Datenunternehmen anstreben und die eigene Handlungsfähigkeit als wichtigen Grundsatz priorisieren.

Digitale Beteiligungsformate sind in der Lage, zusätzliche Bürger in Stadtentwicklungsprozesse einzubinden. Diese Formate sind angemessen auszubauen. Allerdings werden cross-mediale Lösungen auch künftig ebenso notwendig sein, wie die anlassbezogene Ausgestaltung neuer Beteiligungsformate.7) Die Digitalisierung wird zu einem wirtschaftlichen Strukturwandel führen, der den Fragen einer sozial ausgewogenen Stadtentwicklung auch künftig eine sehr hohe Priorität einräumen wird. Zudem sind Tendenzen genau zu beobachten, die durch breite, personen- beziehungsweise nutzerscharfe Datenanalysen zu einer Auflösung heute noch auf dem Solidarprinzip beruhender gesellschaftlich wichtiger Instrumente wie beispielsweise Versicherungslösungen beitragen können.

Überschüsse an Verkehrsflächen durch Pkw-Sharing

Sollten sich im Bereich der Mobilitätskonzepte Sharing-Lösungen und das vernetzte autonome Fahren durchsetzen können, ist davon auszugehen, dass sich ein breiter Überschuss an heutigen Verkehrsflächen in den Städten ergibt, der relevante Stadtumbaupotenziale in heute wachsenden Städten eröffnet.

Für die Ausgestaltung der digitalen Transformation in den Städten ist es durchaus hilfreich, einen Kompass zu nutzen, der zwar nicht die Richtung vorgibt, der aber zumindest verschiedene Transformationspfade mit ihren Chancen einordnet und ebenso auf Risiken und Nebenwirkungen hinweist. Mit Projektabschluss im Sommer 2017 sollen solche Eckpunkte für einen stadtentwicklungspolitischen Handlungsrahmen vorgelegt werden.

Fußnoten

1) Vergleiche auch die Projektdarstellung im Internet des BBSR - hier

2) Vergleiche hierzu auch den Beitrag von Petrin, Julian (2015).

3) Vergleiche im Internet die Nationale Stadtentwicklungspolitik - hier

4) Die wichtigen Handlungsfelder des Klima- und Ressourcenschutzes, die in der Smart City-Diskussion bereits heute breiten Raum einnehmen, werden in diesem Vorhaben nicht mit einer eigenständigen Expertise abgedeckt. Eine thematische Einbindung ist über andere Plattformen am Arbeitskreis "Smart Cities" sichergestellt.

5) Vergleiche Goldsmith, Stephen/Crawford, Susan (2014) sowie Schweitzer, Eva (2016).

6) Vergleiche hierzu Meyer-Schönberger, Viktor/ Cukier, Kenneth (2013).

7) Vergleiche auch von Lojewski, Hilmar/Munzinger, Timo (2013) oder Haury, Stephanie/Willinger, Stephan (2015).

Der Autor Dr. Peter Jakubowski Leiter Referat "Digitale Stadt, Risikovorsorge und Verkehr", Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) im Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung, Bonn

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