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NEW WORK VERSUS ALTE REGULATORIK - DER SCHREIBTISCH ALS BASIS HAT AUSGEDIENT

Prof. Dr. Alexander von Erdély, Foto: CBRE

Es dürfte kein Zufall sein, dass ausgerechnet die größten und erfolgreichsten Internetkonzerne wie Google, Apple, Facebook & Co. bereits seit Jahren kräftig in die Neugestaltung sowie den Bau von Büros investieren. Sie wissen um die enorme Bedeutung von "State of the Art"-Bürostrukturen für Wohlbefinden und Produktivität ihrer Mitarbeiter. Gerade in Deutschland ist die Umsetzung kühner Office-Visionen aber gar nicht so leicht darstellbar, argumentiert Alexander von Erdély im vorliegenden Beitrag. Grund dafür seien hoffnungslos überholte regulatorische Vorgaben. Red.

Die Kontakteinschränkungen der vergangenen zwei Jahre haben zwei Dinge klar gezeigt. Erstens: Es ist nicht unbedingt notwendig, ins Büro zu gehen, um die Unternehmensprozesse aufrechtzuerhalten. Und zweitens: Die Menschen gehen gerne ins Büro, weil das Netzwerken und der soziale Kontakt mit den Kollegen wichtige Bedürfnisse sind. Wenn wir uns entscheiden, ins Büro zu gehen, wollen wir sozial interagieren, gemeinsam Projektideen entwickeln, Wissen austauschen und zusammen brainstormen.

Die traditionelle Bürostruktur hat ausgedient

Dafür brauchen wir aber keine Schreibtische, weshalb unsere veralteten Bürostrukturen und die damit verbundenen Vorschriften grundlegend geändert werden müssen. Denn bei der Frage nach der benötigten Größe und der Konzeption eines Büros hält die Regulatorik der Arbeitsstättenverordnung an alten und überholten Regelsätzen fest, die sich im Wesentlichen am Schreibtisch orientieren und zum Beispiel dessen Größe sowie diverse Abstände von der Schreibtischkante definiert.

Was passiert aber, wenn der Mittelpunkt der Regulatorik, der Schreibtisch, immer mehr verdrängt und durch andere Ausstattungen ersetzt wird? Wie soll sich eine moderne New-Work-Kultur etablieren?

Lange dunkle Flure, kleine Einzelbüros und die Teeküche gegenüber der Herrentoilette: Diese Struktur findet sich bei einem Großteil der veralteten Büros wieder. Diese bestehen zu 80 bis 90 Prozent aus Schreibtischen. Auch die aus der alten Regulatorik vererbten Einzelbüros erfüllen in keiner Weise alle Anforderungen, die Mitarbeiter heutzutage an ihr Büro stellen, sie dienen allenfalls als "Fokusraum" für die konzentrierte Einzelarbeit.

Büros werden aber auch immer mehr Mittelpunkt kreativer, sozialer und innovativer Zusammenarbeit und halten Räume für Wissenstransfer und das Pflegen von Kontakten bereit. Und diese Funktionen nehmen zu, denn einen Schreibtisch inklusive Notebook hat jeder Büroarbeiter spätestens seit der pandemiebedingten Homeoffice-Zeit auch zu Hause. Um den ganzen Tag nur am Tisch zu sitzen, muss also nicht extra der Weg ins Büro auf sich genommen werden.

Dennoch findet sich der Schreibtisch weiterhin mit festen Maßen als Hauptbestandteil des Büros wieder: "Ausreichend groß ist eine Arbeitsfläche, wenn ihre Maße mindestens 1600 mm x 800 mm (Breite x Tiefe) betragen." So steht es im Leitfaden für die Gestaltung von Bildschirm- und Büroarbeitsplätzen der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung geschrieben, der in Zusammenarbeit mit der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin erstellt wurde. Gleichzeitig werden in der Arbeitsstättenverordnung Mindestabstände sowie vorgeschriebene Bewegungsflächen von zwölf bis 15 Quadratmeter definiert, die als minimale Bürofläche pro Mitarbeiter gelten - doch woher kommen derartige Faustregeln und Berechnungen? Schreibtische waren schon seit Beginn der Bürotätigkeit vor Jahrhunderten der Hauptbestandteil der Räumlichkeiten. Das hat sich auch im ansonsten bahnbrechenden 20. Jahrhundert kaum geändert. Während Büromitarbeiter zunächst nur mit einem Zettel und Stift ausgestattet worden waren, revolutionierte sich die Tätigkeit mit der Erfindung der Schreibmaschine und später des Computers.

Wie überholt die Regulatorik ist, zeigt sich in der vorgegebenen Positionierung des Tischs: Der Arbeitsstättenverordnung nach sollte jeder Schreibtisch im rechten Winkel zum Fenster stehen, damit sich das Licht nicht im Bildschirm spiegelt. Dass wir heutzutage enorm flache und entspiegelte Monitore besitzen, die in jeden Winkel zur Sonne gestellt werden können, ohne dass die Qualität der Anzeige gemindert wird, wurde in keiner Verordnung berücksichtigt. Und auch nicht, dass diese Monitore mittlerweile nur wenige Zentimeter tief sind, kein Vergleich mit den Röhrenbildschirmen in den Anfängen des Computerzeitalters - und das sind nur zwei der Beispiele.

60 Prozent der Schreibtische bleiben täglich frei

Dass sich unsere Anforderungen an das Büro gewandelt haben, liegt außerdem an unserem veränderten Lebensstil und der Art und Weise, wie und wo wir arbeiten. Während früher geregelte Büroarbeitszeiten zwischen 9 und 18 Uhr gang und gäbe waren, werden heutzutage die ersten E-Mails oftmals direkt nach dem Aufstehen am Handy gelesen und beantwortet.

Gleichzeitig sind auch mehrere Unterbrechungen für die Kinderbetreuung und für Haushaltsarbeiten möglich, wofür jedoch der letzte Businesscall noch nach 19 Uhr angenommen wird. Das heißt konkret: Unser Arbeitsalltag wird mit dem Privatleben durchmischt. Statt einer stringenten Arbeits- und Erholungsphase ist der Alltag also wesentlich flexibler und vielschichtiger geworden. Und auch innerhalb der Büros haben sich Arbeitsalltag und -abläufe stark verändert. Besprechungen, konzentriertes Arbeiten, Telefonkonferenzen, informelle Meetings, Projektarbeit und so weiter wechseln sich über den Tag fortlaufend ab. Und die Auswirkungen auf die Nutzung vorhandener Schreibtische ist schon längst deutlich sichtbar: Zwischen 08:30 Uhr und 17:30 Uhr liegt eine durchschnittliche Schreibtischauslastung lediglich zwischen 35 und 40 Prozent. Selbst in Hochphasen ist höchstens jeder zweite Platz besetzt. CBRE wertet seine eigenen Flächenauslastungen, aber auch die vieler Kunden in regelmäßigen Abständen aus und bisher gab es an keinem Standort und zu keiner Zeit eine Auslastung von mehr als 60 Prozent - mindestens 40 Prozent der Schreibtische bleiben also unbesetzt.

Die Maßnahme, jedem Mitarbeiter einen Schreibtisch zur Verfügung zu stellen, erweist sich also als vollkommen überholt und abseits der Realität des modernen Büroalltags. Das ist nun schon nichts Neues mehr. Aber es bleibt die Kernfrage: Wie wirkt sich das auf das Layout und die notwendige Größe von Büros aus und in welcher Weise müssten die aktuellen Vorschriften der Regulatorik angepasst werden?

Modernes Arbeiten - tägliche Optionen

In der modernen Welt passen die Arbeitnehmer ihren Arbeitsplatz an ihre individuellen Tageswünsche an - der Ort wird also an die täglichen To-dos angepasst: Welches Setting benötige ich heute? Einen Schreibtisch im Homeoffice, einen neuen Blickwinkel von branchenfremden Mitgliedern im Coworking-Space um die Ecke oder den routinierten Austausch mit meinen Teamkollegen im Büro?

Gemäß dem neuen New-Work-Konzept stehen im Büro - anders als nach den aktuellen Vorschriften der Regulatorik - diverse Möglichkeiten und Aktivitäten bereit, die an keinen Schreibtisch gebunden sind. Daher braucht es offenere Strukturen und öffentliche Raumkonzepte, in denen mehrere Menschen zusammenfinden können, Meeting- und Projekträume zum Brainstormen, die Lounge für den lockeren Austausch oder kleinere Rückzugsbereiche. Die Regulatorik bietet also keine Basis mehr für das, was wir eigentlich im Büro machen wollen.

Zudem zeigt sich, dass wir in den vergangenen Jahren enorme Fortschritte in Richtung eines nichtterritorialen Arbeitens innerhalb sowie außerhalb des Büros gemacht haben. Während früher also vor allem das tätigkeitsorientierte Arbeiten im Alltag der Büromitarbeiter präsent war - mit einem klar abgetrennten "Me-Bereich" -, wandelte sich dieser Gedanke in den vergangenen Jahren. Der nächste Schritt bestand darin, aus dem "Me-Space" auszubrechen und ihn in einen "We-Space" umzuwandeln.

Was wir zukünftig erwarten, ist die flächendeckende Wandlung hin zu einem unabhängigen und dezentralen Arbeitsplatz, der nicht nur losgelöst von einem bestimmten Bereich im Büro, sondern vollständig ortsungebunden ist. Damit würde die Arbeit vollständig aus der Büroimmobilie herausgelöst werden und sich folglich nur noch an bestimmten Teams orientieren - hin zu der täglichen Frage: Wo sind meine Teamkollegen und was muss ich tun, um mich mit ihnen zu treffen?

Gute Regulatorik berücksichtigt Unternehmenskulturen

Die Kunst einer guten Regulatorik ist es, verschiedene Unternehmenskulturen und Entwicklungsstände ein- statt auszuschließen. Diejenigen Firmen, die offene Bürostrukturen und eine flexible Arbeitsplatzkultur wollen oder teilweise sogar schon praktizieren, weisen beinahe automatisch einen höheren Grad an Digitalisierung auf. Denn ein kulturell traditionelles Unternehmen mit sehr modernen und radikalen Officestrukturen sowie mit hoch technologisierter Infrastruktur funktioniert genauso wenig wie ein modernes und innovatives Start-up-Unternehmen mit traditionellen Bürolayouts und Einzelbüros.

Bei der neuen Regulatorik sollte es also vor allem um die Bandbreite der Strukturen und Entwicklungsstände der jeweiligen Unternehmen gehen. Das heißt: Wir benötigen eine Verordnung mit Grenzen, die nach links und rechts variabel sind. Denn die rasante Entwicklung in den vergangenen Jahren hat das Büroleben in einen extremen Wandel versetzt, der eine große Bandbreite an Entwicklungsständen zurücklässt.

Dies in einer Regulatorik zu erfassen, ist eine große Herausforderung. Denn nicht nur die Unternehmen unterscheiden sich in ihren Strukturen, sondern auch die Tätigkeiten, die innerhalb eines Büros anfallen, sind verschiedenster Art: Von der Buchhaltung über die Wirtschaftsprüfung bis hin zu großen Telefonkonferenzen oder Aktivitätsworkshops. Aus diesem Grund sollte bei einer neuen Regulatorik eher mit Korridoren und flexiblen Grenzen gearbeitet werden, bei denen die unterschiedlichen Aktivitäts- sowie Personentypen innerhalb des Unternehmens berücksichtigt werden. Denn während zum Beispiel Führungskräfte und Vertriebsprofis in der Regel teamorientiert und flexibel arbeiten, sind die Tätigkeiten an derer Berufsgruppen auf eine individuelle Arbeit an festen Standorten ausgelegt. Dazu gehören beispielsweise Trader und Kundenbetreuer, die tendenziell zwischen 60 und 80 Prozent ihrer Zeit im Büro verbringen.

Allerdings sollte die neue Verordnung mit der gewünschten Flexibilität keinesfalls einheitliche Standards zum Well-Being der Mitarbeiter und zur Privatsphäre vernachlässigen. Das ist nicht nur essenziell, um den Arbeitnehmerschutz weiterhin zu gewährleisten, sondern auch unabdingbar, um im War for Talents zu bestehen.

Softere Grenzen machen nicht nur Platz für neue Impulse, wodurch individuelle Bürostrukturen mit New-Work-konformen Flächen entstehen können. Auch traditionelle Strukturen nach den alten Richtlinien finden sich in einer neuen, flexiblen Verordnung wieder. So können die Grenzbereiche innerhalb der Verordnung genügend Flexibilität zulassen, sodass die individuellen Bedürfnisse der Unternehmen jeglichen Entwicklungsstands und Mitarbeiter jeder Berufsgruppe in dem Modell berücksichtigt werden können.

Entwarnung für Projektentwickler

Das bedeutet für Projektentwickler Entwarnung: Sie müssen nicht befürchten, dass mit einer neuen Regulatorik die Büroentwicklungen aus den vorigen und kommenden Jahren der neuen Verordnung nicht mehr gerecht werden würden. Es hat sich herausgestellt, dass das Grundraster des klassischen Büros flexibel genug ist, um auch andere Büroformen umzusetzen. Wenn also nach aktuellen Maßstäben entwickelt wird, dann sind diese Flächen auch mit einer neuen Verordnung gut verwendbar. Das schafft Parallelen zum Quartier: Auch dort sollten die Flächen möglichst nutzungsreversibel gestaltet werden, da sich das Zusammenleben immer weiter verändert.

Also: Wenn genügend Struktur vorgehalten und flexibel genug entwickelt wird, dann können Flächen, die nach der aktuellen, veralteten Richtlinie ausgerichtet sind, mit wenigen Handgriffen neuen Standards angepasst werden. Sollte es also zu einer dringend benötigten Überarbeitung der Verordnung kommen, können im besten Fall jegliche Flächen relativ einfach in noch bessere New-Work-Flächen umgewandelt werden, ohne sie in ihrer gesamten Grundstruktur verwerfen zu müssen. Und auf diesen Flächen finden dann auch die guten alten Schreibtische ihren Platz - wenngleich deutlich weniger prominent, als es aktuell der Fall ist.

Alexander von Erdély , CEO , CBRE GmbH, Düsseldorf
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