JUBILÄUMSAUSGABE IMMOBILIEN & FINANZIERUNG - DER LANGFRISTIGE KREDIT

DER PFANDBRIEF ALS ECKPFEILER DER DEUTSCHEN LANGFRISTKULTUR - HEUTE UND IN ZUKUNFT

Jens Tolckmitt, Foto: vdp

Mit seinen über 250 Jahren ist der Pfandbrief nicht nur das mit Abstand älteste deutsche Kapitalmarktinstrument; er steht damit zugleich auch wie kein zweites Finanzprodukt symbolisch für die hiesige Langfristkultur. Und deren Vorzüge kommen insbesondere in Krisenzeiten deutlich zum Vorschein - die aktuell grassierende Covid-19-Pandemie bildet da keine Ausnahme, wie die Schilderungen im vorliegenden Beitrag zeigen. Trotz alledem könnte dieses spezifisch deutsche Charakteristikum infolge regulatorischen Übereifers perspektivisch an Bedeutung verlieren. Der Autor warnt in diesem Zusammenhang eindringlich vor einer Übererfüllung im Rahmen der Umsetzung der neuen Baseler Eigenkapitalvorschriften. (Red.)

Wer nach den prägenden Merkmalen, den historischen Wurzeln und der Bedeutung der deutschen Langfristkultur in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft sucht, der kommt am Pfandbrief nicht vorbei. Er ist eine der raren und nachhaltigen Erfolgsgeschichten des hiesigen Finanzwesens. Was im Jahr 1769 mit einer "Cabinetts-Ordre" von Friedrich dem Großen begann und zunächst nur darauf ausgerichtet war, klammen Gutsbesitzern Zugang zu langfristigem Kapital zu verschaffen, hat sich über all die vielen Jahre zu einem grundlegenden Bestandteil für die Finanzierung des Wirtschaftswachstums und zu einem echten deutschen Exportschlager entwickelt.

Unangefochtene Benchmark

Heute ist der Pfandbrief, der im vergangenen Jahr seinen 250. Geburtstag feiern konnte, weltweit anerkanntes Sinnbild für Stabilität, Synonym für Verlässlichkeit und ein Inbegriff von Qualität. Der Pfandbrief ist das Vorbild für ähnliche Produkte, die es mittlerweile in knapp 40 Ländern weltweit gibt, und er war, ist und bleibt für all jene Covered Bonds die unangefochtene Benchmark. Als zuverlässig verfügbares Refinanzierungsinstrument bildet der Pfandbrief die Basis für langfristig orientiertes Kreditgeschäft und steht damit im Zentrum der - vor allem in Deutschland traditionell beheimateten, aber auch im europäischen Kontext für politisch und regulatorisch wünschenswert erachteten - Langfristkultur in der Finanzierung der Wirtschaft.

Stetig wachsende Emittentenschar

Dabei hat die Bedeutung des Pfandbriefs stetig zugenommen. Das wird beim Blick zurück auf die Entwicklung in den sieben Jahrzehnten, die das Wirken dieser angesehenen Fachzeitschrift mittlerweile umspannt, besonders deutlich: Während 1950 rund 50 Kreditinstitute den Pfandbrief als Refinanzierungsinstrument nutzten, sind es heute 81. Gestiegen ist in dieser Zeit auch die Zahl der Mitgliedsinstitute des Verbands deutscher Pfandbriefbanken (vdp), und zwar von 26 auf 49. Sie kommen aus allen Teilen der deutschen Kreditwirtschaft und stehen insgesamt für einen Anteil von rund 96 Prozent am gesamten deutschen Pfandbriefumlauf.

Das belegt eindrucksvoll, dass sich der Pfandbrief über die Jahre - und erst recht seit der Finanzkrise - von einem Spezialprodukt für Spezialisten immer mehr zu einem unverzichtbaren Element im Refinanzierungsmix von Kreditinstituten verschiedenster Prägung entwickelt hat, mit hoher strategischer Bedeutung für alle seine Emittenten.

Auch die Investoren sind dem Pfandbrief treu geblieben, über alle Finanz- und Wirtschaftskrisen hinweg und allen Unwuchten und Umwälzungen im internationalen Finanzsystem zum Trotz. Die ungebrochen hohe Attraktivität für Investoren, selbst in Niedrig- und Nullzinszeiten, zeigt sich nicht zuletzt an den steigenden Absatzzahlen - insbesondere beim Kernprodukt der Pfandbrieffamilie, dem Hypothekenpfandbrief.

Krisenfest und bodenständig

Der Pfandbrief mag wenig Glamour ausstrahlen und eher bodenständig daherkommen. Aber er spielt seine Stärken gerade dann aus, wenn es besonders darauf ankommt. Weder Währungsreformen noch Kriege konnten seine makellose Kredithistorie bisher trüben. Und auch während der weltweiten Finanzkrise vor etwas mehr als einem Jahrzehnt blieb er - zeitweise als einziges Finanzinstrument von Rang - jederzeit nutzbar und ist gestärkt daraus hervorgegangen.

Unsichere Zeiten sind Pfandbrief-Zeiten, könnte man deshalb mit Fug und Recht feststellen. Was auf direktem Wege zur aktuellen, von der Covid-19-Pandemie ausgelösten Krise führt. Erneut beweist der Pfandbrief in dieser Ausnahmesituation seine ungewöhnlich hohe Krisenfestigkeit. Der Pfandbriefmarkt ist trotz der globalen Verwerfungen funktionsfähig geblieben und hat im Vergleich zu anderen Kapitalmarktsegmenten nur moderate Spread-Aufschläge verzeichnet, die sich inzwischen auch wieder weitgehend normalisiert haben.

Folgerichtig treten die Pfandbriefbanken in dieser schwersten Wirtschaftskrise seit vielen Jahrzehnten auch als Teil der Lösung auf, indem sie einen Beitrag zur Sicherstellung der benötigten Liquidität und der Kreditvergabe an die Realwirtschaft leisten. Ganz im Sinne der deutschen Langfristkultur, zu der auch die gegenseitige Verantwortung zwischen Kreditgeber und -nehmer untrennbar gehört. Wer als Bank einen Kredit bis zur Fälligkeit auf seiner Bilanz hält und wer das Engagement langfristig refinanziert hat, der steht auch in schwierigen Zeiten seinen Kunden als verlässlicher Partner zur Seite. In Zeiten wie diesen kommt dieses spezifisch deutsche Charakteristikum besonders zum Tragen.

Den Kreditinstituten steht mit dem Pfandbrief ein stabilisierendes Element zur Verfügung, um ihrer Verantwortung gerade in Krisenzeiten gerecht zu werden. Allerdings würde man dem Pfandbrief Unrecht tun, reduzierte man seinen Mehrwert lediglich auf Phasen wie diese. Vielmehr war er immer wesentliche Grundlage der Wettbewerbsfähigkeit seiner Emittenten und hat schon immer proaktiv Antworten auf zentrale gesellschaftliche Herausforderungen der jeweiligen Zeit geliefert. Das ist auch heute noch der Fall.

Stolze Historie, positive Zukunftsperspektiven

Das jüngste Beispiel dafür ist der sogenannte "Grüne Pfandbrief", eine speziell auf die Finanzierung nachhaltiger Investitionen ausgerichtete Produktvariante der gedeckten Schuldverschreibung. Dabei handelt es sich um Hypothekenpfandbriefe, die mit klimafreundlichen Objekten beziehungsweise Finanzierungen besichert sind und damit einen wichtigen Beitrag zur Eindämmung des Klimawandels leisten - übrigens schon deutlich länger, als die ganzen politischen und regulatorischen Initiativen mit dem gleichen Ziel zurückreichen.

Um dem Markt für grüne Pfandbriefe weiteren Schub zu verleihen und eine sinnvolle Orientierungshilfe für Emittenten und interessierte Investoren zu bieten, haben die im vdp organisierten Institute im vergangenen Jahr Mindeststandards erarbeitet, die Pfandbriefbanken erfüllen müssen, wenn sie einen grünen Hypothekenpfandbrief emittieren wollen. Das Potenzial ist angesichts des trotz Covid-19-Pandemie ungebrochenen Nachhaltigkeitstrends enorm. Jetzt kommt es darauf an, dieses vergleichsweise junge Segment weiter zu hegen und zu pflegen - und Tendenzen entgegenzuwirken, es durch Überregulierung zu strangulieren.

Das Erfolgsrezept: Tradition und Innovation

Der Pfandbrief ist so widerstandsfähig und hat nichts von seiner Attraktivität eingebüßt, weil Gesetzgeber und Pfandbriefbanken es immer wieder geschafft haben, in seiner Weiterentwicklung Tradition und Innovation zu verbinden, wobei der Pfandbrief selbst sich zwar im Kern immer treu geblieben ist, aber auch eine hohe Wandlungsfähigkeit unter Beweis gestellt hat. Das ist das Erfolgsrezept für starke 250 Jahre - ein nicht nur in der ansonsten von Kurzatmigkeit geprägten Finanzwelt außergewöhnlich langer Zeitraum.

Es sind das Bekenntnis aller Beteiligten zu dauerhaft hoher Produktqualität, die im Pfandbriefgesetz festgeschriebene einfache Produktstruktur, die ein hohes Maß an Transparenz ermöglicht, und der konservative Markenkern, die den Pfandbrief ausmachen und maßgeblich zu dessen makelloser Historie beigetragen haben. Über die Jahre wurde das gesetzliche Regelwerk konsequent modernisiert und an veränderte Marktbedingungen angepasst - ohne dass kurzfristige Moden, von denen es bekanntlich auch im Kapitalmarkt reichlich gab, die Marke Pfandbrief angetastet oder gar gefährdet hätten.

Wichtige Weichenstellungen auf deutscher und europäischer Ebene

Die nächste Novelle des Pfandbriefgesetzes steht bevor. Und auch die für die Krisenfestigkeit des Aktivgeschäfts und damit für die Qualität des Pfandbriefs wichtige Beleihungswertverordnung, ein weiteres deutsches Spezifikum, steht vor einer Novellierung. Aber nicht nur in Deutschland, sondern auch auf europäischer Ebene wird der regulatorische Rahmen für den Pfandbrief stetig weiterentwickelt. So wurde im vergangenen Jahr - nach jahrelanger Vorarbeit und pünktlich zum großen Pfandbrief-Jubiläum - die Harmonisierung von gedeckten Schuldverschreibungen in der Europäischen Union auf den Weg gebracht.

Deren Ziel ist es unter anderem, den Covered-Bond-Markt für neuartige Deckungswerte zu öffnen und zu verbreitern. Gleichzeitig soll der Markt durch verbindliche Merkmale und Definitionen stärker standardisiert werden. Die deutschen Pfandbriefbanken begrüßen dieses Projekt, in dem die Handschrift des Pfandbriefgesetzes sehr deutlich zu erkennen ist.

Zudem wird so die regulatorische Privilegierung von Covered Bonds dauerhaft sichergestellt und ausreichend Raum für den Erhalt und die Weiterentwicklung von bewährten und erfolgreichen nationalen Produkten wie dem Pfandbrief gegeben, nachdem dem europäischen Reflex zur "Vollharmonisierung" erfreulicherweise einmal widerstanden worden war. Die Umsetzung der europäischen Vorschriften in nationales Recht steht noch aus. Dabei plädiert der vdp für eine sachgerechte, also nicht über die europäischen Vorgaben hinausgehende Umsetzung.

Sorgen bereitet den Pfandbriefbanken und ihrem Verband ein anderes bedeutendes Regulierungsthema: die Reform der Baseler Eigenkapitalregeln, die zunächst scheinbar wenig mit dem Pfandbrief zu tun hat, aber die akute Gefahr birgt, das Ökosystem, in dem der Pfandbrief seine Funktion erfüllt, nachhaltig zu verändern.

Basel IV: Verhältnismäßigkeit in Gefahr

Nach offiziellen Berechnungen der Europäischen Bankenaufsichtsbehörde EBA und entgegen der ursprünglichen Zusage der beteiligten Regulierungsbehörden, wird die Umsetzung zu massiv steigenden Kapitalanforderungen für europäische und insbesondere deutsche Banken führen, gerade in der risikoarmen und ja gerade deshalb pfandbrieffähigen Immobilienfinanzierung. Aus Sicht der Pfandbriefbanken wäre dies ungerechtfertigt, eine unverhältnismäßig hohe Belastung und damit genau das Gegenteil einer risikosensitiven Regulierung mit Augenmaß.

Eine Übererfüllung der Vorgaben, wie sie von der EBA empfohlen wird, würde aus Sicht des Verbands zu einer deutlichen Verteuerung und Verknappung von Krediten, gezielten Fehlanreizen im Kreditgeschäft, einer Verlagerung des klassischen Bankgeschäfts in weniger regulierte Bereiche der Finanzindustrie, einer Hinwendung europäischer Banken zum amerikanischen Off - balance - sheet - Geschäftsmodell und insgesamt zu einer Schwächung des europäischen Bankenmarkts im internationalen Vergleich führen.

Eine surreale Vorstellung

Letztlich wäre davon mittelbar auch der Pfandbrief als traditionelle, aber besicherte Bankschuldverschreibung betroffen. Denn Kredite, die nicht mehr auf der Bilanz gehalten werden, weil die Eigenkapitalanforderungen nicht risikoadäquat und für Banken betriebswirtschaftlich nicht tragbar sind, können auch nicht durch eine traditionelle Bankschuldverschreibung über die Bilanz refinanziert werden.

Es wäre ausgesprochen seltsam, um nicht zu sagen surreal, wenn europäische Banken durch die Bankenregulierung seit der Finanzkrise gezwungen werden würden, ihr bewährtes bilanzbasiertes europäisches Geschäftsmodell aufzugeben und sich stattdessen ausgerechnet dem amerikanischen Geschäftsmodell zuzuwenden, dessen außerbilanzieller Charakter diese Krise ja ganz wesentlich mitverursacht hat.

Vor diesem Hintergrund begrüßt der vdp die kürzlich bekanntgegebene Verschiebung der Umsetzung von Basel III um ein Jahr sowie die Überlegungen der EU-Kommission, aufgrund der Covid-19-Krise einzelne, besonders advers wirkende Elemente des Reformpakets wie den Output Floor nochmals zu hinterfragen. Unabhängig davon wird sich der vdp weiterhin für eine angemessene Umsetzung insbesondere des besonders belastenden Output Floors einsetzen, um den Besonderheiten und der Stabilität des deutschen Immobilienmarkts gerecht zu werden.

Gemeinsam für den langfristigen Erfolg des Pfandbriefs

Die Fülle der aktuellen Themen und Herausforderungen zeigt: Die Fortsetzung der Erfolgsgeschichte des Pfandbriefs ist kein Automatismus. Der vdp und seine Mitgliedsinstitute sind fest davon überzeugt, dass der Pfandbrief hervorragend für die Zukunft gerüstet ist - wenn alle wie bisher an einem Strang ziehen und dazu beitragen, nicht nur die Attraktivität dieses Traditionsprodukts durch Innovationen weiter zu steigern, sondern auch den regulatorischen Rahmen so zu gestalten, dass der Pfandbrief seine Stärken ausspielen kann.

Dann bleibt er auch in Zukunft eine unverzichtbare Säule im Refinanzierungsmix der Kreditinstitute. Dann bleibt er ein Vorzeigeprodukt des europäischen Kapitalmarkts, ein attraktives Investment für seine Anleger - und nicht zuletzt auch ein Eckpfeiler der Langfristkultur in der Finanzierung unserer Volkswirtschaft.

DER AUTOR JENS TOLCKMITT Hauptgeschäftsführer, Verband deutscher Pfandbriefbanken (vdp) e.V., Berlin
Jens Tolckmitt , Hauptgeschäftsführer , Verband deutscher Pfandbriefbanken (vdp) e.V., Berlin
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