BAUSPAREN UND BAUSPARKASSEN 2019

QUO VADIS, ZINSPOLITIK?

Stefan Bielmeier, Foto: DZ Bank

Angesichts der abflauenden Konjunktur in der Eurozone, die vor zahlreichen wirtschaftspolitischen Herausforderungen steht, rückt die EZB die Anhebung der Leitzinsen weiter in die Ferne. Und die geldpolitischen Zügel werden voraussichtlich auch in den kommenden Jahren der "Post-Draghi-Ära" locker bleiben, so die Einschätzung des Autors. Dafür spreche zum einen, dass der EZB-Präsident bekanntlich nicht im Alleingang die künftige Marschrichtung der Notenbank bestimmen kann, und zum anderen, dass die aktuellen konjunkturellen Rahmendaten eine Rückkehr zur geldpolitischen Normalität zunächst de facto ausschließen. Insgesamt räche sich nun, dass die EZB nicht früher mit Zinsanhebungen begonnen hat. Die Voraussetzungen dafür seien lange Zeit günstig gewesen, doch nun schließe sich das Zeitfenster umso schneller. Red.

Weltweit gibt es derzeit eine Reihe von Gefahrenherden, die das Potenzial haben, die wirtschaftliche Dynamik in der Eurozone aber auch global zu bremsen. Eine problematische Entwicklung ist zweifelsohne der um sich greifende Populismus in vielen Ländern sowie der Rückzug einiger Staaten aus internationalen Kooperationsverträgen. Gerade die oftmals mit Populismus einhergehenden protektionistischen Maßnahmen führen dazu, dass über Jahre gewachsene Handelsstrukturen aufgebrochen werden.

Welthandel erfährt Neuordnung

Durch die "America-First"-Politik des US-amerikanischen Präsidenten könnte der Welthandel eine grundsätzliche Neuordnung erfahren. So dürften die schon in Kraft getretenen Zölle sowie die Drohungen von weiteren tarifären Handelshemmnissen die Weltkonjunktur in den kommenden Jahren belasten. Insbesondere Deutschland würde unter einem nachlassenden Welthandel und/oder Zöllen leiden, da der Exportsektor weiterhin das konjunkturelle Zugpferd darstellt.

Zölle für den deutschen Automobilsektor würden wohl die wichtigste Triebfeder des deutschen Wirtschaftswachstums bremsen. Außerdem besteht das Risiko, dass der Brexit längerfristig die internationalen Handelsbeziehungen infrage stellen wird. Gewachsene Import- und Exportstrukturen müssen neu ausgehandelt und Geschäftsverbindungen unter einem veränderten rechtlichen Rahmen neu geordnet werden.

In Italien hingegen könnte die populistische Regierung neue Ausgabenpläne befürworten, die langfristig die Staatsschulden in die Höhe treiben. Auch andere EU-Länder scheinen sich von der Idee, den Haushalt mittelfristig zu konsolidieren sowie Strukturreformen voranzutreiben, zu verabschieden. Hierdurch dürften die Wachstumsaussichten mittelfristig geschwächt werden, da eine hohe Staatsverschuldung tendenziell wachstumsbremsend wirkt. Viele Probleme Europas sind struktureller Natur. Sollten Reformen ausbleiben, könnte Europa daher in den kommenden Jahren mit Wachstumsproblemen zu kämpfen haben.

Erhebliche Abschwungrisiken in der Eurozone

In der Eurozone bestehen somit erhebliche Abschwungrisiken. Der Ausblick für das laufende und das kommende Jahr bleibt entsprechend vorsichtig. Die Konjunktur im Euroraum dürfte für das Gesamtjahr 2019 auf ein Wirtschaftswachstum von 1,2 Prozent nach 1,8 Prozent im Vorjahr abkühlen. Für Deutschland erwarten wir eine konjunkturelle Stabilisierung und eine gesamtwirtschaftliche Wachstumsrate von rund einem Prozent.

Die gesamteuropäische Inflation sollte in diesem Umfeld in den kommenden zwei Jahren nicht merklich ansteigen, sondern weiterhin um die 1,5 Prozent pendeln und damit auch sichtbar unterhalb der EZB-Zielmarke bleiben. Für erhöhte Volatilität könnten wie in den vergangenen Jahren die Öl- und ein Stück weit auch die Nahrungsmittelpreise sorgen. Ein nachhaltiger Anstieg auf Werte oberhalb der Zwei-Prozent-Marke ist nicht wahrscheinlich.

Geldpolitische Normalisierung in weite Ferne gerückt

Für die Europäische Zentralbank (EZB) sind das keine guten Nachrichten. Eigentlich hatte die EZB den Markt darauf vorbereitet, im September dieses Jahres einen milden Zinsanhebungszyklus zu beginnen. Die überraschende Wachstumsabkühlung und die nachlassende Inflationsdynamik dürften diesen Plan nun obsolet machen. Die EZB geht mit dem vorliegenden Datenkranz die Argumentation für eine oder gar mehrere Zinsanhebungen verloren.

Angesichts der verhaltenen konjunkturellen Dynamik und eines schwach ausgeprägten grundlegenden Preisdrucks dürften die Bestrebungen der EZB, zur geldpolitischen Normalität zurückzukehren, daher im Keim erstickt werden. Die Notenbank dürfte daher in diesem Jahr nicht mehr die Leitzinsen anheben. Um zumindest noch einen kleinen Schritt in Richtung einer weniger expansiven Geldpolitik zu gehen, könnten die Währungshüter bis zum Ende des Jahres den negativen Einlagesatz ein kleines Stück anheben. Voraussichtlich bleibt dieser jedoch im negativen Bereich.

Insgesamt rächt sich, dass man nicht früher mit Zinsanhebungen begonnen hat. Die wirtschaftlichen Daten hätten dies eigentlich zugelassen. Aber dieses zeitliche Fenster scheint sich nun schnell zu schließen. Die konjunkturell schwierige Situation wird dazu führen, dass die Europäische Notenbank nicht nur in diesem, sondern auch in den kommenden Jahren kaum die Möglichkeit haben wird, die geldpolitischen Zügel zu straffen. Wir erwarten daher auf Sicht bis Ende 2020 einen unveränderten Leitzins von null Prozent.

Draghi-Nachfolge: vieles spricht gegen Kurswechsel

An dieser Prognose dürfte sich auch dann kaum etwas ändern, wenn einer der stärksten Befürworter der niedrigen Leitzinsen, der EZB-Vorsitzende Mario Draghi, Ende Oktober 2019 den Chefsessel turnusgemäß räumen wird, wenn seine Amtszeit endet. So erscheint die Erwartung überzogen, dass mit einem neuen EZB-Präsidenten die Geldpolitik grundsätzlich restriktiver beziehungsweise dogmatischer werden könnte. Bei der Mehrzahl der potenziellen Kandidaten ist davon auszugehen, dass diese den bisher eingeschlagenen geldpolitischen Kurs weiter gutheißen werden.

Für Kontinuität in der Geldpolitik spricht zudem, dass ein neuer EZB-Chef nicht im Alleingang die weitere Marschrichtung der Notenbank bestimmt. So haben die EZB-Vertreter bereits in der Vergangenheit stets betont, dass geldpolitische Entscheidungen unter den Ratsmitgliedern im Konsens getroffen werden. Letztlich haben bei der Festlegung des zukünftigen geldpolitischen Kurses die konjunkturellen Rahmendaten weiterhin den bedeutendsten Einfluss - und diese sprechen derzeit nicht für eine Kursänderung hin zu höheren Leitzinsen der EZB.

Hoffen auf Durchbruch im Handelskonflikt

Um dieses konjunkturelle Bild grundsätzlich zu ändern, bräuchte es schon bald einen geordneten Brexit. Außerdem dürften die Vereinigten Staaten keine Strafzölle auf europäische oder deutsche Autoexporte erheben. Doch selbst diese Entwicklungen würden wohl nicht ausreichen, um die Perspektiven nachhaltig aufzuhellen. Letzten Endes würde nur eine dauerhafte Lösung im Handelskonflikt die konjunkturellen Aussichten verbessern. So müsste im Handelsstreit ein für alle zufriedenstellender Kompromiss gefunden werden, insbesondere auch mit dem wirtschaftlichen Schwergewicht China.

Der Zollstreit mit den USA belastet Chinas Außenhandel inzwischen beträchtlich, das Wachstum der Im- und Exporte hat deutlich nachgegeben. Vor diesem Hintergrund verliert die Wirtschaft weiter an Schwung. Nur eine Lösung im Handelsstreit würde zu einem deutlich positiveren Konjunkturausblick führen. Denn länderübergreifende Handelsabkommen sind die Basis für den Aufstieg, das Wachstum und den Wohlstand zahlreicher Volkswirtschaften. Ein solches Szenario sieht derzeit nicht sehr wahrscheinlich aus.

Übertriebener Pessimismus

Was die langfristigen Zinsen betrifft, so dürfte diesen auf Sicht der kommenden Monate leicht höher tendieren. Hintergrund dieser Annahme ist, dass die gegenwärtigen Konfliktherde zumindest etwas an Brisanz verlieren. Außerdem halten wir den gegenwärtigen Konjunkturpessimismus für übertrieben. Die langen Zinsen könnten daher zunächst leicht höher ausfallen. Mit dieser Prognose ist jedoch mitnichten ein deutlich höheres Zinsniveau verbunden.

Die Konjunktureintrübungen gepaart mit einer längerfristig expansiv ausgerichteten Geldpolitik, dürften die Zinsen auf Sicht der kommenden ein bis zwei Jahre niedrig halten. Insgesamt werden wir noch einige Jahre mit dem vorliegenden, sehr niedrigen Zinsumfeld umgehen müssen. Denn mit dem anhaltend expansiven Leitzinsausblick gibt es kaum einen treibenden Faktor für einen möglichen nachhaltigen und dauerhaften Renditeanstieg.

Fed legt Pause ein

Ein möglicher Renditeanstieg wird auch durch die US-Vorgaben limitiert. Die US-Notenbank befindet sich laut den jüngsten Aussagen in einer Phase, in der die Zentralbanker eine Pause im Leitzinserhöhungszyklus einlegen, um die wirtschaftliche Entwicklung abzuwarten. Über die Sommermonate sollte sich herauskristallisieren, dass der derzeitige Konjunkturausblick der US-Notenbank zu optimistisch ist. Politische Schützenhilfe für die US-Konjunktur wird es kaum geben.

Aufgrund der schwierigen politischen Verhältnisse in den Vereinigten Staaten - das Repräsentantenhaus wird von den Demokraten und der Senat von den Republikanern dominiert - wird es dem US-Präsidenten schwer möglich sein, erneute fiskalpolitische Stimuli durchzusetzen. Somit richten sich die Blicke der Marktteilnehmer auf die Fed. Diese wird aber bei einer nachlassenden konjunkturellen Dynamik keine weiteren Leitzinserhöhungen vornehmen. Da wir also davon ausgehen, dass die US-Notenbank den Höhepunkt im aktuellen Zinserhöhungszyklus erreicht hat, dürften die US-Zinsen auf dem aktuellen Niveau seitwärts tendieren.

Langfristige Zinsen bleiben vorerst niedrig

Daher bleiben wohl auch die langen Zinsen in Deutschland bis Ende 2021 recht niedrig. Neben einem nahezu unveränderten Niveau der US-Zinsen, spricht hierfür die konjunkturelle Entwicklung, die auf Sicht der kommenden Jahre nur sehr moderat ausfallen sollte. Daneben gehen wir davon aus, dass die Entwicklung der Inflationsrate weiterhin sehr verhalten sein wird.

Nicht zuletzt erwarten wir, dass die EZB bis auf Weiteres an ihrer Reinvestitionspolitik festhalten wird. Liquidität aus fällig werdenden Wertpapieren, die die EZB in ihrem Portfolio hält, wird umgehend wieder in Anleihen angelegt. Dies sollte einen möglichen Anstieg der Zehnjahresrenditen in Deutschland verhindern.

DER AUTOR STEFAN BIELMEIER, Chefvolkswirt und Bereichsleiter Research, DZ BANK AG, Frankfurt am Main

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