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SPANIEN: AKTUELLE ENTSCHEIDUNGEN DES TRIBUNAL SUPREMO ZUM UMSTRITTENEN HYPOTHEKENZINSSATZ IRPH

Stefan Meyer, Foto: Monereo Meyer Abogados

Im Verfahren um vermeintlich zu viel verlangte Hypothekenzinsen hat nach dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) vor kurzem auch der Oberste Gerichtshof von Spanien (Tribunal Supremo) im Sinne der Banken geurteilt. Die auf dem spanischen Hauspreis index IRPH beruhenden Zinsberechnungen für Baukredite sind demnach legitim, auch wenn das oberste spanische Gericht - genau wie der EuGH - die unzureichende Transparenz der Kreditinstitute bemängelte. Die Erleichterung bei Letzteren dürfte riesig sein: Verbraucherschützer schätzen, dass betroffene Kreditnehmer aufgrund der seit 2008 stark divergierenden Entwicklung von IRPH und Euribor fast 40 Milliarden Euro mehr an Zinsen gezahlt haben. Die Autoren präsentieren im folgenden Beitrag die wesentlichen Argumente des Tribunal Supremo. Red.

Hypothekarisch besicherte Darlehen sind ein wesentlicher Bestandteil des spanischen Wohnungsmarkts, allein schon deshalb, weil die Eigentumsquote in Spanien rund 80 Prozent beträgt. Der Oberste Gerichtshof Spaniens hat kürzlich in vier Revisionsverfahren, die mit großer medialer Aufmerksamkeit begleitet wurden, entschieden, dass im Rahmen der Kommerzialisierung von Hypotheken mit einer variablen IRPH-Zinssatzmodalität zwar eine Verletzung des Transparenzgebots vorläge, diese fehlende Transparenz von IRPH-Zinssatzklauseln jedoch nicht per se zur Nichtigkeit derselben führe.

Eine Alternative zum Euribor

Die Bezeichnung IRPH (Índice de Referencia de Préstamos Hipotecarios) steht für den offiziellen Referenzzinssatz der Zentralbank "Banco de España" für hypothekarisch besicherte Darlehen und stellt eine Alternative zu Euribor-Finanzierungen dar. Ungefähr 10 Prozent aller in Spanien im Rahmen des frei finanzierten Wohnungsbaus gewährten Hypothekenkredite wurden in den vergangenen Jahren mit dem IRPH-Referenzzinssatz gewährt, ungefähr 90 Prozent mit dem Euribor-Referenzzinssatz.

Der IRPH-Hypothekenzinssatz wurde durch die Banco de España bereits 1994 ins Leben gerufen. Er berechnet sich nach dem Durchschnitt der Zinssätze für Hypothekendarlehen, die von Banken und anderen Kreditinstituten mit einer Laufzeit von drei oder mehr Jahren gewährt werden.

Diskussion hat ihren Ursprung in der Finanzkrise

Die gegenständlichen Diskussionen um den IRPH-Hypothekenzinssatz sind vor dem Hintergrund zu sehen, dass innerhalb der Europäischen Union im Rahmen der Finanz- und Wirtschaftskrise Ende 2007 verschiedene Maßnahmen zur Ankurbelung der Wirtschaft ergriffen wurden. Eine der Maßnahmen war die Absenkung des EZB-Leitzinses. Zwischen 2013 und 2016 tendierte der 12-Monats-Euribor gegen Null oder fiel sogar in negative Zinsbereiche. Im Gegensatz hierzu pendelte sich der spanische IRPH-Hypothekenzinssatz konstant bei zirka 2 Prozent ein (siehe Abbildung).

In der Folge verlangten nicht wenige Darlehensnehmer gegenüber ihren Banken die vermeintlich zu viel bezahlten Hypothekenzinsen zurück. Eingedenk der in der Folge geführten Rechtsstreitigkeiten entschied der Europäische Gerichtshof (EuGH) im März dieses Jahres, dass den nationalen beziehungsweise hier den spanischen Gerichten die Prüfung obliege, ob die Banken von ihren Kunden zu hohe IRPH-Zinsen verlangt haben.

Der Oberste Gerichtshof Spaniens hatte nun in den vergangenen Wochen in mehreren Revisionsverfahren über den IRPH-Hypothekenzinssatz zu entscheiden, deren ausführliche Urteilsgründe jeweils kürzlich veröffentlicht wurden:

- Urteil 595/2020 vom 12. November 2020, Aktenzeichen 2328/2016;

- Urteil 596/2020 vom 12. November 2020, Aktenzeichen 2863/2016;

- Urteil 597/2020 vom 12. November 2020, Aktenzeichen 12/2017;- Urteil 598/2020 vom 12. November 2020, Aktenzeichen 2007/2017.

Vorgebrachte Rechtsverletzungen der Revisionsführer

Die vorgebrachten Rechtsverletzungen der Revisionsführer fokussierten im Wesentlichen auf die beiden im Folgenden skizzierten Aspekte.

Verstoß gegen das spanische Gesetz 7/1998 zum Vertragsschluss mit allgemeinen Geschäftsbedingungen (Ley General de Contratación 7/1998 de 13 de abril de Condiciones Generales de Contratación): Die Revisionsführer rügten zum einen den Verstoß gegen das im spanischen AGB-Gesetz von 1998 verankerte Transparenzgebot. Die von den Banken verwendeten IRPH-Klauseln würden als missbräuchliche allgemeine Geschäftsbedingungen dem Transparenzgebot im Sinne einer tatsächlichen Verständlichkeit (comprensibilidad real) gemäß den Artikeln 1, 5, 7 des Gesetzes 7/1998 nicht gerecht. Zudem vertraten die Revisionsführer die Ansicht, die Klauseln würden der Einbeziehungskontrolle (control de inclusión) nicht standhalten, also dem Schutz vor Klauseln mit "Überrumpelungseffekt".

Verstoß gegen spanisches Verbraucherschutzgesetz (Ley 26/1984, 19 de julio, General para la Defensa de los Consumidores y Usuarios) in Verbindung mit den Vorgaben der Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen: Die Revisionsführer sahen auch einen Verstoß gegen Artikel 10 des spanischen Verbraucherschutzgesetzes als gegeben an. Bei den IRPH-Hypothekenzinssatz betreffenden Klauseln zur Höhe des Zinssatzes handele es sich um missbräuchliche Klauseln.

Die revisionsgegenständlichen Klauseln seien nicht individuell mit dem jeweiligen Darlehensnehmer verhandelt worden und seien den Revisionsführern als allgemeine Geschäftsbedingungen zum Vertragsschluss auferlegt worden, ohne die Möglichkeit einer inhaltlichen Einwirkung.

Entwicklung von IRPH und Euribor von 2000 bis Oktober 2020 (in Prozent) Quelle: European DataWarehouse, Bank von Spanien

Oberster Gerichtshof weist Revisionen zurück

Zudem rügten die Revisionsführer, dass es die beklagten Banken im Rahmen der revisionsgegenständlichen Klauseln pflichtwidrig unterlassen hätten, über die Berechnungsformel des IRPH-Index aufzuklären. Ferner hätten die Banken es pflichtwidrig unterlassen, über die Entwicklung desselben in den vergangenen Jahren aufzuklären, insbesondere einen Vergleich mit anderen offiziellen Leitzinssätzen vorzunehmen, wie dem Euribor. Die von den Banken verwendeten Klauseln seien insgesamt als missbräuchlich anzusehen.

Der Oberste Gerichtshof Spaniens hat in sämtlichen der vorbezeichneten Entscheidungen die jeweiligen Revisionen mit den folgenden Begründungen zurückgewiesen.

Ein Verstoß gegen das Transparenzgebot bedeute nicht automatisch die Nichtigkeit von IRPH-Zinssatzklauseln: Nach Ansicht des Obersten Gerichtshof führe eine gegebenenfalls fehlende Transparenz von IRPH-Zinssatzklauseln nicht per se zur Nichtigkeit derselben. Diese Klauseln beträfen nämlich letztlich den Preis des Hypothekendarlehensvertrags als wesentliches Element, so dass eine inhaltliche Überprüfung beziehungsweise Inhaltskontrolle der Klauseln zu erfolgen habe.

Es sei dabei zwischen der Transparenzkontrolle und der Frage der Missbräuchlichkeit einer Klausel zu differenzieren. Zur Feststellung, ob eine missbräuchliche Klausel vorliege, sei des Weiteren zu prüfen, ob ein bedeutendes Missverhältnis zwischen den Rechten und Pflichten der Vertragsparteien bestehe.

Kein Verstoß gegen den Grundsatz von Treu und Glauben: Zudem vertritt der Oberste Gerichtshof die Auffassung, dass eine Verletzung des Rechtsgrundsatzes von Treu und Glauben (buena fe) schwer vorstellbar sei, wenn Banken einem Verbraucher einen offiziellen Hypothekenreferenzzinssatz anböten. Der IRPH-Hypothekenzinssatz sei bereits Ende 1993 von der Banco de España als eine der Zinssatzmodalitäten für Hypothekendarlehen mit variablem Zinssatz empfohlen worden.

Sofern sich der IRPH-Zinssatz zu einem bestimmten Zeitpunkt während der Laufzeit des Darlehens im Vergleich zu einem anderen Zinssatz (wie dem Euribor) negativ unterscheide, würde dies nicht bedeuten, dass sich der IRPH-Zinssatz während der restlichen Laufzeit des Vertrages stets in diesem Maße entwickle.

Banken können aufatmen

Zwar mag die Feststellung von Verstößen der von spanischen Banken vertraglich bestimmten IRPH-Zinssatzklauseln gegen das Transparenzgebot einen "moralischen Sieg" für die klagenden Darlehensnehmer bedeuten. Jedoch sind es in diesem Falle die spanischen Banken, die erleichtert aufatmen. Ihnen drohen diesmal keine horrenden Verluste aufgrund richterlich angeordneter Rückzahlungen der durch die Darlehensnehmer im Rahmen der hypothekarisch gesicherten Darlehen gezahlten IRPH-Zinssätze.

Die Entscheidungen sind vor dem Hintergrund der Aufarbeitung der hausgemachten spanischen Immobilienkrise (2008 bis 2014) zu sehen. Im Rahmen dieser Aufarbeitung sind bereits viele verbraucherfreundliche Urteile, insbesondere auch zur Nichtigkeit von sogenannten "Bodenklauseln" ergangen, und seit dem Frühjahr 2019 gibt es ein neues Gesetz über Immobilienkredite (Ley 5/2019, de 15 de marzo, reguladora de los contratos de crédito inmobiliario).1)

1) Siehe hierzu ausführlich Böck/Meyer "Spanien: Neue Spielregen bei Immobilienfinanzierungen", erschienen in Immobilien & Finanzierung, Heft 5/2019, S. 24 ff. und Meyer/Amort "Das neue spanische Gesetz über Immobilienkredite", erschienen in Immobilien & Finanzierung, Heft 7/2019, S. 33 ff.

DER AUTOR STEFAN MEYER, Rechtsanwalt und Gründungspartner, Monereo Meyer Abogados, Madrid
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DER AUTOR STEVEN RUDMANN, Rechtsanwalt und Associate, Monereo Meyer Abogados, Madrid
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Stefan Meyer , Rechtsanwalt und ­Gründungspartner , Monereo Meyer Abogados, Madrid
Steven Rudmann , Associate, Rechtsanwalt und Abogado Inscrito , Monereo Meyer Abogados, Madrid

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