MARKT- UND OBJEKTBEWERTUNG

TIERWOHLSTÄLLE IN DER WARTESCHLEIFE: SCHEITERT TIERWOHL FÜR SCHWEINE AN GESETZGEBUNG UND EMISSIONSBERECHNUNGEN?

Kerstin Ahmann, Foto: privat

Die Frage nach der Haltungsform von Tieren und der Herkunft von Fleisch ist für Verbraucher in den vergangenen Jahren immer dringlicher geworden. Trotzdem gestaltet sich der Weg hin zu mehr Tierwohl als äußerst steinig. Deutlich wird das zum Beispiel an dem langatmigen "Borchert-Prozess", der den Umbau der hiesigen Nutztierhaltung vorsieht. Die Autorin schildert die aktuellen Entwicklungen und die damit einhergehenden Implikationen für die Immobilienbewertung. Red.

Sich über landwirtschaftliche Immobilien einen Überblick zu verschaffen ist komplex, denn es gibt starke regionale Unterschiede in Deutschland: tierstarke Regionen mit intensiver Flächennutzung in Nordwestdeutschland, Grünlandregionen im Norden und Süden, große Betriebsstrukturen im Osten und eher kleinere Betriebe im Süden. Ferner hat jede Tierart schon von Natur aus unterschiedliche Anforderungen an die Haltungsbedingungen und damit an die Immobilien.

Diese Haltungsbedingungen der Nutztiere entsprechen aktuell überwiegend nicht den Erwartungen der Verbraucher und stehen im Fokus des Lebensmitteleinzelhandels, des Gesetzgebers und der NGOs.

Die Mindestanforderungen zur Tierhaltung in Deutschland basieren im Wesentlichen auf der geltenden Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung (TierSchNutztV), die jüngst (01/2021) in einigen Punkten novelliert wurde, sowie auf dem Baurecht mit flankierenden Gesetzen und Vorschriften wie zum Beispiel der TA Luft (Technische Anleitung zur Reinhaltung der Luft) und dem BImSchG (Bundes-Immissionsschutzgesetz).

Die Novellierung der TierSchNutztV im Januar 2021 betrifft vor allem die Stallanlagen der Schweine haltenden Betriebe, insbesondere die Sauenhalter/Ferkelproduzenten. Um die unterschiedlichen Anforderungen an die Stallanlagen zu erfassen, sei kurz der Prozess der Produktion umrissen: In den Sauenställen werden die Muttertiere gehalten, die in einem biologisch bestimmten Rhythmus Ferkel werfen.

Ferkelproduktion: drei Phasen, drei Gebäudetypen

Diese Ferkel verbleiben gesetzlich mindestens vier Wochen bei den Sauen, werden dann in einen Aufzuchtstall (zweite Phase) umgetrieben, um in der dritten Phase in den Maststall eingestallt zu werden. Es gibt mithin innerhalb der Schweinefleischproduktion regelmäßig drei Stall- beziehungsweise Gebäudetypen mit unterschiedlichen Anforderungen, die aus der jeweiligen Phase resultieren.

Für die Stallanlagen der ersten Phase, den Sauenställen, wurden mit Änderung der Verordnung Fakten geschaffen. Die Muttertiere dürfen weniger fixiert werden und bekommen mehr Platz. Das Problem: Nur ein marginaler Prozentsatz der heutigen konventionellen Ställe erfüllt die Anforderungen; es sind erhebliche Investitionen in den Um-, und wahrscheinlich sogar Neubau erforderlich.

Bis 2024 müssen Betriebe, die weiter wirtschaften wollen, ein Umbaukonzept für das Deckzentrum vorlegen, für das bis 2029 ein Bauantrag gestellt sein muss; für den Abferkelbereich im Sauenstall gilt die Frist für den Bauantrag bis 2033. Jüngst gaben in einer Umfrage der ISN mehr als 40 Prozent der Sauenhalter an, die Tierhaltung innerhalb der nächsten fünf Jahre aufgeben zu wollen.1)

Die zweite Phase, die Ferkelaufzucht, ist oft der Sauenhaltung nachgelagert oder seltener in der Mastphase vorgelagert. Die Stall- beziehungsweise Haltungsform wird sich in Zukunft an der nachgelagerten Phase und der Vermarktungsform orientieren. Hier sind ähnlich wie in der dritten Phase (Mast) bisher keine neuen gesetzlichen Rahmenbedingungen geschaffen. Es wurde zuletzt über freiwillige Maßnahmen diskutiert (Tierwohlkennzeichnung).

Tierwohlkennzeichen - deutscher Alleingang ist unwahrscheinlich

Die große Koalition hat unter der Leitung der Bundesministerin für Ernährung und Landwirtschaft, Julia Klöckner, ein Kompetenznetzwerk Nutztierhaltung (sogenannte Borchert-Kommission) eingesetzt, um einerseits die Machbarkeit des Umbaus in der Tierhaltung in Bezug auf mehr Tierwohl zu untersuchen, und andererseits unter der Leitung des Thünen-Institutes eine finanzielle Folgeabschätzung abzugeben. Erklärtes Ziel war es, die Vorschläge der Borchert-Kommission, nämlich ein freiwilliges nationales Tierwohlkennzeichen, bis zur Bundestagswahl im September 2021 durchzusetzen.

Die Kennzeichnung basiert auf einem dreistufigen Label: Stufe 1 - "mehr Platz", Stufe 2 - "Außenklima" und Stufe 3 - "Auslauf". Das Vorhaben scheiterte politisch auf den letzten Metern im Juni daran, dass ein Koalitionspartner auf ein verpflichtendes Label drängte. Jedoch gilt ein deutscher Alleingang, der für die Produzenten Gesetzescharakter hat, europarechtlich als kaum umsetzbar. Abbildung 1 gibt einen Überblick zu den politischen Positionen basierend auf den jeweiligen Parteiprogrammen.

Sehr viel früher reagierte der Lebensmitteleinzelhandel (LEH). Seit 2018 arbeitet der LEH daran, eine einheitliche Kennzeichnung für den Verbraucher zu etablieren. Unter dem Label "haltungsform.de" wurden vier Stufen (Stallhaltung, Stallhaltung-Plus, Außenklima und Premium)2) definiert und in der Praxis angewendet. Zahlreiche Einzelhändler kündigten an, bis 2030 ausschließlich Fleisch der Haltungsstufen 3 und 4 anbieten zu wollen.

Für investitionsbereite Landwirte ergibt sich nunmehr das Dilemma, keine geltenden gesetzlichen oder marktüblichen Vorschriften der Tierwohlställe als Basis für Neu- oder Umbauten vorzufinden.

Abbildung 1: Parteipolitische Positionen zu den Themen Landwirtschaft und Tierwohl Quelle: Parteiprogramme, K. Ahmann

Bezug zur landwirtschaftlichen Immobilie

Bestehende konventionelle Stallanlagen können oft das geplante staatliche Kennzeichen in Stufe 1 und die Stufe 2 der "haltungsform.de" durch kleinere Umbauten beziehungsweise das Nachrüsten von Einrichtungen erreichen. Soll dem Tier jedoch auch "Außenklima" ermöglicht werden (geplantes staatliches Label der Stufe 2 beziehungsweise "haltungsform.de"-Stufe 3), muss der Landwirt größere Umbaumaßnahmen am Stallgebäude vornehmen - allen voran die Öffnung von Fassadenteilen.

Viele bestehende Stallanlagen wurden vor der Änderung des Baugesetzbuches im Jahr 2013 als Warmstall errichtet und entsprechen den seinerzeit geltenden Gesetzen und Richtlinien. Da bei der Öffnung von Fassadenteilen sowohl in die Statik eingegriffen wird, als auch das Emissionsverhalten des Stalls sich ändert, sind (Um-)Baugenehmigungen selbstredend erforderlich.

Zu dem Umstand, dass sich die gesetzlichen Vorgaben seit 2013 verschärft haben, liegen den Genehmigungsbehörden jedoch kaum wissenschaftliche Erkenntnisse über die Emissionen freigelüfteter Stallanlagen vor. Auch können seit der ursprünglich erteilten Genehmigung neue Biotope oder Schutzgebiete in unmittelbarer Umgebung zum vorhandenen Stallgebäude ausgewiesen oder etwa andere - beispielsweise wohnwirtschaftliche - Nutzungen ausgeweitet worden sein.

Erteilen die Genehmigungsbehörden leichtfertig beziehungsweise mit Wohlwollen Baugenehmigungen, um den Prozess zugunsten des Tierwohls voranzutreiben, könnten Anwohner oder Umweltverbände im Klageverfahren über ein Gericht die Genehmigung kippen.

Dann hätte am Ende der Landwirt erheblich investiert, ohne den Stall auf Dauer betreiben zu können.

Abbildung 2: Ausläufe vor einem Offenstall Quelle: The Family Butchers Germany GmbH

Vorgehen in der Bewertung

Die im Mai 2021 novellierte TA Luft sieht für freibelüftete, tierwohlgerechte Mastschweineställe Erleichterungen in Bezug auf die Emissionen vor. Eine entsprechende Definition zum "tierwohlgerechten Mastschweinestall" auf gesetzlicher beziehungsweise staatlicher Ebene steht jedoch aus. Die bestehenden Kriterien aus dem Handel können dafür bisweilen nicht herangezogen werden.

Für die Bewertung der landwirtschaftlichen Betriebsgebäude bleibt zu unterscheiden, welche baulichen Änderungen bereits gesetzlich verankert sind und bei der Bewertung, insbesondere der Beleihungswertermittlung im Rahmen von Abzügen, berücksichtigt werden müssen (etwa Phase 1, Sauenställe) und welche zukünftigen Anforderungen an die Stallgebäude ein Modernisierungsrisiko darstellen, weil sie in Umfang und Zeitpunkt bisher nicht definiert sind. Dabei sind Grundlagen für die Bewertung einerseits die baulichen Rahmenbedingungen der Stallanlage und andererseits unter anderem der Faktor Standort mit den Rahmenbedingungen Emissionsvorbelastungen, Entwicklungsmöglichkeiten am Standort/ auf dem Grund stück sowie Lage zu Schutzgebieten.

Es bleibt abzuwarten, in welcher (Rechts-) Form, in welchem Umfang, in welchem Zeitrahmen und mit welchen finanziellen Unterstützungen das Tierwohl in Deutschland weiter vorangetrieben wird. Anhand der Parteiprogramme sind Gemeinsamkeiten, aber auch gegensätzliche Aussagen zu finden. Zum Zeitpunkt der Koalitionsverhandlungen (Anfang November) ist der politische Rahmen für die Landwirtschaft nicht auszumachen. Fest steht: ein "Weiter so" wird es nicht geben und je länger der Wartemodus in der heimischen Landwirtschaft andauert, umso mehr Betriebe geben die Tierhaltung auf.

Fußnoten

1) ISN - Interessengemeinschaft der Schweinehalter Deutschlands e. V. "Umfrage zur Zukunft der Schweinehaltung", 2021.
2) Informationen unter www.haltungsform.de.

Kerstin Ahmann , Senior-Immobiliengutachterin , KENSTONE GmbH Real Estate Valuers, Münster

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