IMMOBILIENWIRTSCHAFT 4.0

VORKEHRUNGEN FÜR EINE DIGITALE ZUKUNFT

Prof. Dr. Stephan Bone-Winkel Quelle: BEOS AG

Der rasante technologische Fortschritt (Stichwort "Industrie 4.0") impliziert nicht zuletzt für Unternehmensstandorte und Flächenkonzepte massive Veränderungen. Die Autoren des folgenden Beitrags analysieren diese und stellen die mannigfaltigen künftigen Anforderungen an die Akteure der Immobilienwirtschaft vor. So plädieren sie unter anderem dafür, dass der Industrie 4.0 nun das Bauen 4.0 nachfolgen müsse. Dabei geht es um einen gänzlich neuartigen Immobilientypus, der sich vor allem durch ein hohes Maß an Flexibilität auszeichnet. Und auch im Bereich des Vermietungsmanagements sehen sie Anpassungsbedarf: Veränderte Mieterbedürfnisse etwa erfordern ihrer Ansicht nach ein Umdenken hinsichtlich des traditionell starken Fokus auf kontinuierliche Cashflows vonseiten der Asset Manager. Red.

"Das Internet ist nur ein Hype" - diese grandiose Fehleinschätzung von Bill Gates aus der Anfangszeit des World Wide Web wurde schnell zur weit verbreiteten Anekdote. Ein Wegbereiter der Digitalisierung hatte einen maßgeblichen Trend unterschätzt und musste später teuer nachrüsten. Beispiele wie diese zeigen, dass selbst die Vordenker der IT-Branche die Folgen der digitalen Revolution und die Einsatzgebiete ihrer Technologien lange Zeit nicht vorhersehen können.

Das ist heute genauso aktuell wie damals. Umso schwieriger wird es für die Experten anderer Branchen, die Zukunft ihrer Geschäftsmodelle im Zeitalter der Digitalisierung vorherzusehen. Schließlich betrifft diese Frage alle Wirtschaftszweige. Jedem Geschäftsmodell, das sich digitalisieren lässt, wird das mittelfristig widerfahren. Der Gewerbeimmobiliensektor ist keine Ausnahme. Im Gegenteil, er ist gleich auf mehreren Ebenen von der Digitalisierung betroffen. Neuartige Fertigungsprozesse und komplexe Supply Chains der Industrie 4.0 sorgen für wachsende Anforderungen der Mieter an Standort und Flächenqualität. Die kürzer werdenden Innovationszyklen bewirken, dass sich die Bedürfnisse der Nutzer immer schneller verändern und Flächen umgewandelt, hinzugemietet oder abgestoßen werden müssen. Das erfordert ein Umdenken bei den baulichen Voraussetzungen und im Vermietungsmanagement.

Zudem müssen Immobilienunternehmen einen internen Strukturwandel durchlaufen. Das Ziel: eine prozessorientierte und effizientere Arbeitsweise. Aber welche Weichen muss das Unternehmen dafür stellen, wo können Reibungspunkte entstehen und wie lassen sich in der "Ära 4.0" bestmögliche Resultate erzielen?

Fortschritt ist mit steigenden Flächenanforderungen verbunden

Für Unternehmen gibt es beim Thema Digitalisierung zwei große Unbekannte: einerseits das Tempo des Strukturwandels und andererseits die Art und Weise, wie sich Geschäftsmodelle anpassen müssen, damit sie zukunftsfähig bleiben. Wie eine tiefgreifende Disruption verlaufen kann, hat sich schließlich beim stationären Einzelhandel eindrucksvoll gezeigt. Etablierte Player mussten und müssen ihre Strategien anpassen, um gegen die Online-Konkurrenz wettbewerbsfähig zu bleiben. Von ähnlichen Umbrüchen werden zukünftig immer mehr Wirtschaftssektoren betroffen sein - wenngleich in unterschiedlichem Ausmaß und Tempo. Fest steht jedoch, dass die Innovations- und Produktzyklen immer kürzer werden und Anpassungsfähigkeit inzwischen einen maßgeblichen Erfolgsfaktor darstellt. Das bedeutet auch, dass die Unternehmensstandorte zum Schauplatz dieses digitalen Wandels werden - inklusive schnell wechselnder Flächenanforderungen.

Hinzu kommen die Folgen der Industrie 4.0 für Flächen und Unternehmensstandorte: Die fortschreitende Automatisierung sorgt dafür, dass mehr und mehr Prozesse auch in Unternehmensimmobilien teil- oder vollautomatisch ablaufen. Die menschlichen Mitarbeiter verrichten immer weniger körperliche Arbeit, sondern kümmern sich verstärkt um die Koordination. Sie nehmen Aufträge entgegen, veranlassen und überwachen die fehlerfreie Umsetzung. Diese Entwicklung lässt sich bereits seit einigen Jahren beobachten.

Industrie 4.0 trifft auf Bauen 4.0

Dennoch ist heute noch nicht absehbar, wie eine vollautomatisierte Immobilie tatsächlich gestaltet sein wird. Zudem müssen die integrierten Wertschöpfungsprozesse mehrerer Nutzungsarten - also beispielsweise Fertigung, Logistik, Servicebereiche oder Back Offices - infolge der digitalen Revolution stärker miteinander verzahnt werden. Beispielsweise erfordern additive Fertigungsmodule wie 3D-Drucker speziell zugeschnittene Flächen für die damit verbundene Produktionslogistik.

Um den neuartigen Flächenanforderungen entsprechen zu können, müssen bereits beim Bau oder bei der Revitalisierung existierender Objekte zahlreiche unterschiedliche Faktoren berücksichtigt werden. Der Industrie 4.0 muss das Bauen 4.0 folgen. Dafür muss ein neuartiger Immobilientypus geschaffen werden - unter dem Leitsatz "form follows function".

Ausreichend Kapazitäten für potenzielle Umrüstungsmaßnahmen

Die Grundrisse sollten flexibel anpassbar, die Flächen ausreichend tief und die Decken ausreichend hoch sein. Zwischenwände sollten sich ebenso problemlos einziehen lassen wie Mezzaninen, also Zwischengeschosse, zum Beispiel für zusätzliche Bürobereiche. Ausreichend große Gebäudehöhen können zudem den wachsenden Trend zur (echten) Mehrgeschossigkeit abbilden. Denkbar ist beispielsweise, die leichte Produktion ins erste Obergeschoss zu verlegen und das Erdgeschoss als City-Logistik-Areal zu nutzen.

Generell ist es wichtig, genug Kapazitäten vorzuhalten, um auch größere Umrüstungsmaßnahmen durchführen zu können. Dies gilt für Flächenzuschnitte und mögliche Deckentraglasten, aber genauso für die Anschlussleistung sowie die Internet-Infrastruktur im Areal. Neben den Flächen selbst muss daher die Gebäudetechnik so geplant werden, dass die Bestandsmieter auf dem Areal bei einer Nachrüstung nicht durch diese behindert werden.

Während die nach wie vor spekulativ entwickelten, konventionellen Gewerbeimmobilien mit Zellenbüros diese Anforderungen nur sehr begrenzt erfüllen können, bieten sich vor allem ältere Produktionsareale dazu an, im Rahmen umfangreicher Revitalisierungsmaßnahmen als Transformationsimmobilie neu positioniert zu werden. Beispielsweise lässt sich ein Fabrikareal aus der Gründerzeit häufig sowohl zur Lageroder Produktionshalle als auch zum zonenartigen Büroloft wandeln - oder zu einem Mix aus beiden Nutzungsarten. Zudem sollte auf den ungenutzten Bereichen einer solchen Liegenschaft nachverdichtet werden - vor allem angesichts der aktuell angespannten Marktlage und der fortschreitenden Grundstücksknappheit ist dies eine sinnvolle Maßnahme, um attraktive Neubauflächen in innerstädtischer Lage mit hohem Mietpotenzial bereitzustellen und die ungenutzten Wertreserven auf dem Areal zu heben.

Entscheidender Beitrag durch intelligente Sensortechnik

Die Nutzung bereits versiegelter Flächen ist auch unter ökologischen Gesichtspunkten sinnvoll. Eine kompaktere Bebauung mit effizienter Flächennutzung und kurzen Wegen kann zudem nachweislich für deutliche Energie- und Kosteneinsparungen sorgen. Der Einfluss von Nachverdichtungsmaßnahmen auf die Energiebilanz einzelner Gebäude ist häufig sogar größer als derjenige von direkten Maßnahmen zur Fassadendämmung. Darüber hinaus ergibt sich der Vorteil. dass die neuen Gebäude an die bestehende Infrastruktur des Areals angebunden werden können.

Ein wichtiger Schritt für die Zukunft ist - neben der verstärkten Anwendung digitaler Planungstools auf Basis von Building Information Modeling (BIM) - auch der Einsatz von intelligenter Sensortechnik auf Basis des Internets der Dinge (IoT). Die dadurch gewonnenen Nutzungsdaten können einerseits den Mietern bereitgestellt werden und Echtzeit-Informationen, beispielsweise über Energieverbräuche, liefern. Andererseits lässt sich für den Vermieter wichtiges Wissen für neue Bau- beziehungsweise Nachverdichtungsprojekte ableiten. Wenn es gelingt, diese Informationen in die Flächengestaltung einfließen zu lassen und dank der Techniken des modularen Bauens schnell und preisgünstig auf die Baustelle zu bringen, würde dies Kostensenkung und Effizienzsteigerung zugleich bedeuten. Die Vorteile des Bauens 4.0 erstrecken sich also über den gesamten Lebenszyklus der Immobilie.

Vermietungsmanagement an veränderte Gegebenheiten anpassen

Viele Grundsatzfragen lassen sich zum heutigen Zeitpunkt noch nicht klären. Wird es in Zukunft vollkommen menschenfreie Immobilien geben? Können VR-Technologien zur ernsthaften Alternative zum stationären Büro werden? Sorgt die steigende Grundstücksknappheit in den Städten dafür, dass in einigen Jahren die Trennlinie zwischen Wohn- und Gewerbearealen wegfällt? Welche Anforderungen muss eine Unternehmensimmobilie in 15 Jahren erfüllen? Trotz all dieser Unklarheiten lässt sich eines jedoch sagen: Wer heutzutage eine Immobilie entwickelt, sollte ausreichend Möglichkeiten für eine effiziente Nutzung als Lager-, Produktions- sowie als Bürobereich schaffen. Gleichzeitig müssen die Flächen reversibel sein. Dadurch können sie immer wieder angepasst werden und somit auf lange Sicht marktgängig bleiben.

Infolge der neuartigen Produktionsbedingungen und Flächenanforderungen müssen Immobilienunternehmen ihr Vermietungsmanagement anpassen. Es sollte den Mietern nicht nur baulich, sondern auch vom Vertragswerk her möglich sein, am Standort organisch mitzuwachsen. Vor allem für schnell wachsende Start-ups ist dies ein wichtiges Kriterium. Während bislang vor allem ein kontinuierlicher Cashflow im Mittelpunkt der Geschäftsstrategie von Asset Managern stand, müssen sie sich spätestens jetzt auf die neuen Gegebenheiten und die veränderten Mieterbedürfnisse einstellen. Dies gilt übrigens auch für Investoren und Finanzierer: Der WAULT (Weighted Average Unexpired Lease Term) ist zwar auch zukünftig eine wichtige Immobilienkennzahl, sagt aber nicht unbedingt etwas über die Flexibilität des jeweiligen Vermietungsmanagements aus.

Diese Flexibilität schafft Beständigkeit für Mieter und Vermieter. Denn solange es der Vermieter ermöglicht, Flächen hinzuzumieten, abzustoßen oder umzunutzen, kommt das dem Bedürfnis vieler Unternehmen nach Standort- und Objektsicherheit entgegen und sorgt gleichzeitig für langfristige Mietverhältnisse. Schließlich sind sie auf eine kontinuierliche Mitarbeitergewinnung angewiesen. Um als attraktiver und auch sicherer Arbeitgeber zu gelten, müssen sie sich zunächst am Standort etablieren. Zudem sind gerade hochwertige Gewerbeimmobilien in Vorzugslagen, die die wachsenden Ansprüche der Mieter an Lage und Flächenflexibilität erfüllen, ein begrenztes und begehrtes Gut.

Die Attraktivität des Standorts kann der Vermieter zusätzlich steigern, indem er eine Clusterbildung von ähnlich spezialisierten Unternehmen schafft und damit Synergien einzelner Mieter untereinander ermöglicht. Durch diese Maßnahmen lassen sich in der Regel attraktivere Mieteinnahmen erzielen. Mögliche Steigerungen des Mietzinses sollten daher auch verstärkt genutzt werden.

Neuartige Mietkonzepte

Gleichzeitig sollten Asset Manager neue Ideen entwickeln, die ihr Geschäftsmodell konsequent erweitern. Über die eingangs erwähnte IoT-Sensortechnik ist zukünftig nicht nur eine Big-Data-Analyse der Nutzungsweise möglich. Im Verbund mit einer Blockchain, die die erhobenen Daten fälschungssicher und dezentral speichert, sind neuartige Mietmodelle denkbar. Beispielsweise könnten Konferenzräume, Parkplätze oder Lagerflächen bequem online und je nach dem individuellen Bedarf angemietet werden. Für den Vermieter ergibt sich eine höhere Nutzungsintensität der Flächen. Für den Mieter besteht die Möglichkeit zur Kostenreduktion: Er bezahlt nur für den Zeitraum, in dem er die besagte Fläche auch tatsächlich nutzt.

Essenziell ist, solche Modelle nicht im Hinblick auf einen kurzfristigen Erfolg auszulegen - sondern einen langfristigen Vorteil für den Mieter zu generieren. Letzterer muss im Fokus sämtlicher Managementmaßnahmen stehen. Nur wenn der Asset Manager möglichst exakt auf die Wünsche des Nutzers eingehen kann, entsteht eine hohe Standorttreue. Und aus dieser entwickelt die Immobilie eine langfristig positive Performance. Das ist allerdings nur dann möglich, wenn dem jeweiligen Projektmanager ein hohes Maß an unternehmerischer (Entscheidungs-)Freiheit gelassen wird. Häufig kennt er seine Mieter und deren Bedürfnisse am besten und weiß daher, welche Maßnahme für seine Liegenschaft am sinnvollsten ist.

Digitalisierung bedeutet auch Kulturwandel

Neben all diesen Punkten, die vor allem die Bewirtschaftung von Immobilien betreffen, sind auch Veränderungen der internen Strukturen von Immobilienunternehmen äußerst wichtig. An einem Kulturwandel führt kein Weg vorbei. Die Abkehr von starren Unternehmensstrukturen und überkommenen Hierarchien ist genauso wichtig wie die von einem linearen Leistungsdenken, damit die erwähnte Selbstständigkeit auch von den Mitarbeitern gelebt werden kann. Wichtig sind vor allem offene Kommunikationsstrukturen und eine projektbezogene, interdisziplinäre Arbeitsweise: Dadurch wird ein stetiger Wissenstransfer zwischen den Spezialisten einzelner Fachgebiete möglich.

Wichtiges Beispiel hierfür ist die Arbeit an einer realen oder virtuellen Projektwerkbank: Wenn sich für jedes Projekt die Beteiligten regelmäßig neu zusammenfinden, können der Status quo diskutiert, Probleme besprochen und neue Ideen eingebracht werden. Es entsteht kein Informationsverlust zwischen voneinander abgegrenzten Abteilungen, sondern ein kreativer Ideenaustausch. Dazu gehören auch das Mindset "Trial-and-Error" und die Analyse von Fehlschlägen: Nicht bei jeder Idee lässt sich der Erfolg von Anfang an abschätzen und manchmal ist das Scheitern eines Teilprojekts eine wichtige Zwischenetappe auf dem Weg zur Innovation.

Aktive Einbindung der Mitarbeiter

An Veränderungen, die von der Unternehmensführung angestoßen werden, sollten die Mitarbeiter unbedingt beteiligt werden. Dazu gehören unter anderem die Standardisierung von Prozessen und die Verwendung einheitlicher Software in allen Unternehmensstandorten. Digitalisierung heißt Change Management: Den Anlass und Nutzen der Maßnahmen gilt es, offen zu kommunizieren und dabei jeden Mitarbeiter aktiv in den Änderungsprozess einzubinden. Dabei sollte die Führungsebene stets ein offenes Ohr für die Wünsche der Mitarbeiter haben - und diese wenn möglich berücksichtigen. Das lohnt sich letztlich nicht nur für das Unternehmen, sondern genauso für Mieter und Investoren. Eine reibungslose Prozessstruktur ermöglicht schnellere Reaktionen, eine höhere Effizienz - und damit eine bessere Wertschöpfung.

Es gibt kaum einen Bereich, in dem Immobilienunternehmen nicht von den Umbrüchen der digitalen Revolution betroffen sind. Das sollte allerdings nicht als Gefahr, sondern vielmehr als Chance gesehen werden. Schließlich ergibt sich die Möglichkeit, neue Alleinstellungsmerkmale zu entwickeln und sich somit stärker von der Konkurrenz abzugrenzen. Dadurch wird die Zukunftsfähigkeit des Unternehmens gestärkt. Mehr noch: Wenn die Mitarbeiter ermutigt werden, ihr eigenes Geschäftsmodell immer wieder in Frage zu stellen, sinkt die Gefahr, von einer disruptiven Idee überrascht zu werden - ähnlich wie seinerzeit Bill Gates vom Erfolg des Internets.

DER AUTOR PROF. DR. STEPHAN BONE-WINKEL, Mitglied des Aufsichtsrats, BEOS AG, Berlin
DER AUTOR HOLGER MATHEIS, Mitglied des Vorstands, BEOS AG, Berlin

Weitere Artikelbilder

Noch keine Bewertungen vorhanden


X