Weniger Schulden - mehr Spielraum für die Stadtentwicklung

Dietmar Fischer

Was tun, wenn das Geld knapp wird und Investitionen in die öffentliche Infrastruktur zum Mühlstein am Hals der Kommunen werden? Die Zusammenarbeit mit privaten Investoren im Rahmen von Public Private Partnerships ist nur eine der Möglichkeiten, die der Autor aufzeigt. Ein besseres Finanzmanagement gehört ebenso dazu wie die wirtschaftlich effizientere Aufstellung kommunaler Unternehmen, die dann mehr Gewinne abliefern könnten. Sonst droht als langfristige Konsequenz ein weiterer Verfall der öffentlichen Infrastruktur. Das Ergebnis ist eine Abwärtsspirale mit Negativfolgen für den interkommunalen Wettbewerb um Unternehmen und Einwohner. Es drohen entvölkerte Landstriche, in denen die Aufrechterhaltung der Infrastruktur für die Kommunen nur noch Kosten verursacht, aber keine Einnahmen mehr generiert. Red.

Auf den ersten Blick sind es gute Neuigkeiten für die Stadtentwicklung in Deutschland. Im vergangenen Jahr konnten die Kommunen - dank sprudelnder Steuereinnahmen und den von einigen Bundesländern aufgelegten Entschuldungsfonds - ihren Gesamtschuldenstand erstmals seit 2008 leicht reduzieren.

Uneinheitliches Bild

Gut für die Stadtentwicklung ist dies insofern: Die Kommunen haben dank weniger Schulden tendenziell mehr Spielraum bei der Aufrechterhaltung oder gar dem Ausbau der Infrastruktur. Mehr Spielraum für die personelle Ausstattung der planenden und genehmigenden Behörden, wenn es um Neubauten oder Umnutzungsprojekte geht. Im Zweifel vielleicht sogar mehr Spielraum für kommunale Bauprojekte beispielsweise mit Blick auf bezahlbare Wohnungen (zum Beispiel realisiert über kommunale Wohnungsbauunternehmen). Auf den zweiten Blick allerdings wird deutlich, dass die Verschuldung längst nicht überall rückläufig war. In Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein, Thüringen und dem Saarland stieg die Gesamtverschuldung der Kommunen im Jahr 2013 weiter an. Zudem wächst der Anteil der Kommunen, die in die Schuldenfalle rutschen: Im Jahr 2013 hat gut jede zweite Kommune mit mehr als 20 000 Einwohnern ein Haushaltsdefizit verbucht; für das laufende Jahr rechnen sogar 63 Prozent dieser Kommunen mit höheren Ausgaben als Einnahmen.

Auch für die weitere Zukunft ist das Bild eher düster. Für die kommenden drei Jahre gehen nur 37 Prozent der Kämmerer von sinkenden Schulden aus, jede zweite Kommune hingegen prognostiziert einen Anstieg ihrer Verschuldung. Die Zahlen gehen auf eine Umfrage unseres Hauses unter 300 deutschen Kommunen sowie eine Analyse der Verschuldungssituation von Kommunen mit mindestens 20 000 Einwohnern zurück.

Schlechtere Rahmenbedingungen

Für die Stadtentwicklung bedeuten die Zahlen, dass sich die Rahmenbedingungen in vielen Kommunen verschlechtern dürften. Etwa jede dritte Kommune plant bereits, Leistungen zu reduzieren oder ganz einzustellen. Besonders häufig wollen die Gemeinden bei der Straßenbeleuchtung (18 Prozent), der Jugend- und Seniorenarbeit (7 Prozent) sowie bei Bibliotheken und kulturellen Einrichtungen (4 Prozent) sparen.

Welche Auswirkungen die genannten Punkte auf die Aufenthalts- und Lebensqualität von Quartieren haben, liegt auf der Hand. Eine adäquate Straßenbeleuchtung trägt zur Sicherheit und nicht zuletzt zur Atmosphäre des öffentlichen Raums bei. Und Kinder und Senioren wiederum sollten Teil eines jeden lebendigen, gemischt genutzten Quartiers sein. Gemischte Sozialstrukturen sind längst Ziel einer nachhaltigen Stadtentwicklung und dürften ebenso wichtig sein wie eine Mischung der unterschiedlichen Nutzungen wie Wohnen, Arbeiten, Erholung - und Kultur (Stichwort: Sparen an Bibliotheken).

Besonders prekär ist ein weiteres Ergebnis der Untersuchung: Die Schere zwischen armen und reichen Kommunen geht immer weiter auseinander. Die ohnehin bereits finanzschwachen Kommunen geraten immer tiefer in die Schuldenfalle: Gemeinden mit einem hohen Schuldenstand von mehr als 2 000 Euro je Einwohner verzeichnen tendenziell einen weiteren Anstieg der Pro-Kopf-Verschuldung. Städte und Gemeinden mit geringer Pro-Kopf-Verschuldung (unter 1 000 Euro) hingegen reduzieren ihren Schuldenstand mehrheitlich.

Schere geht auseinander

In den kommenden Jahren dürfte sich die Situation - wie gesagt - noch verschärfen. Von den Kommunen, die derzeit ein Haushaltsdefizit erwirtschaften, prognostizieren 58 Prozent einen weiteren Anstieg der Schulden, nur 31 Prozent rechnen mit einem Rückgang der Verschuldung. Bei den Kommunen mit Haushaltsüberschuss überwiegt hingegen der Anteil derer, die einen Schuldenabbau erwarten (42 Prozent gegenüber 39 Prozent).

Die deutschen Kommunen entwickeln sich in Richtung Zweiklassengesellschaft. Dass finanziell benachteiligte Kommunen ihre Investitionen in Straßen und Gebäude dabei herunterfahren, mag kurzfristig noch Erfolge bringen. Die langfristige Konsequenz jedoch ist, dass der Verfall der öffentlichen Infrastruktur weiter fortschreitet. Das Ergebnis ist eine Abwärtsspirale mit Negativfolgen für den interkommunalen Wettbewerb um Unternehmen und Einwohner.

Angesichts der Finanzmisere vieler Kommunen haben einige Bundesländer Programme zur finanziellen Unterstützung aufgelegt. In acht Bundesländern gibt es bereits solche kommunalen Rettungsschirme, immerhin 21 Prozent der befragten Kommunen nutzen die Möglichkeit bereits. Dabei zeigt sich: Kommunen, die solche Finanzhilfen erhalten, führen als Konsolidierungsmaßnahme am häufigsten eine Reduzierung der Ausgaben für freiwillige Leistungen durch. Zudem werden Ausgaben für Pflichtaufgaben reduziert und - wenn möglich - Einnahmen aus dem Beteiligungsbereich erhöht.

Rettungsschirme mit mäßigem Erfolg

Die Maßnahmen haben allerdings bislang offenbar nicht zu einer spürbaren Verbesserung der Finanzsituation geführt. Und mittelfristig stehen die Kommunen vor weiteren Herausforderungen: Zum einen wird die im Grundgesetz festgeschriebene Schuldenbremse die Situation möglicherweise noch verschärfen. Denn um die Vorgaben einzuhalten, dürften einige Bundesländer ihre Zahlungen an die Kommunen reduzieren. Zum anderen werden viele Kommunen den demografischen Wandel - sprich: eine älter werdende Gesellschaft und sinkende Bevölkerungszahlen - sowie den Trend zur Verstädterung schmerzhaft zu spüren bekommen. Gerade in strukturschwachen und abgelegenen Regionen leiden die Kommunen bereits heute unter anhaltenden Arbeitsplatz- und Bevölkerungsverlusten - eine Entwicklung, die sich in den kommenden Jahren und Jahrzehnten noch verstärken wird.

Seit einigen Jahren rechnen Stadtentwicklungsexperten damit, dass in Deutschland regelrecht entvölkerte Landstriche entstehen werden. Oder zumindest weitgehend entvölkerte Landstriche, in denen die Aufrechterhaltung der Infrastruktur für die Kommunen mit erheblichen Kosten verbunden ist - zumal sich die Einnahmen drastisch reduzieren.

Insgesamt gilt: Eine nachhaltige Lösung des kommunalen Schuldenproblems ist eher nicht in Sicht. Um ihre finanzielle Situation zu verbessern, fordert die große Mehrheit der Kämmerer (90 Prozent), dass beispielsweise die Sozialausgaben komplett vom Bund übernommen werden sollten. Vor allem aber drängen die Befragten auf eine strikte Einhaltung des Konnexitätsprinzips, nach dem diejenige staatliche Ebene, die für eine Aufgabe verantwortlich ist oder sie veranlasst, auch für deren Finanzierung zuständig sein sollte: Fast alle befragten Kommunen halten dies für sehr wichtig.

Kommunen müssen neue Wege gehen

Und natürlich bleibt die Rolle der Kommunen selbst wichtig. So gibt es nach wie vor durchaus Kommunen, die über ihre Verhältnisse leben. Und es gibt Kommunen, die ihre Potenziale ungenutzt lassen. Ein Feld ist die interkommunale Zusammenarbeit. Die bereits vorhandene Infrastruktur lässt sich je nach Fall möglicherweise gemeinsam nutzen. Zudem werden bestehende verwaltungsinterne Organisationsstrukturen und Abläufe zu selten hinterfragt und auf mögliche Einsparpotenziale hin überprüft.

Und: Kommunale Unternehmen könnten in vielen Fällen deutlich mehr Geld an die Rathäuser überweisen, wenn sie besser aufgestellt wären. Ob kommunales Stadtwerk oder Verkehrsbetriebe - oft geht es leider immer noch mehr um politische Einfluss- und Gestaltungsmöglichkeiten als um wirtschaftliche Effizienz und damit einen größtmöglichen Ertrag für die Kommune (wobei der Ertrag natürlich nicht zulasten der jeweiligen stadtentwicklungspolitischen Aufgabe führen darf). Auch der Verkauf kommunaler Beteiligungen und kommunalen Eigentums kann eine Option sein - sofern Kommunen dabei mit Augenmaß vorgehen.

Last but not least muss auch eine stärkere Zusammenarbeit mit Privaten geprüft werden. Viele Kommunen haben diesen Punkt bereits auf der Agenda. Gemeint sind damit nicht nur Beschaffungsvarianten - Stichwort Öffentlich-Private-Partnerschaften beispielsweise bei Schulgebäuden. Gemeint ist die "ganz normale" Stadtentwicklung. Private Player wie beispielsweise Immobilienprojektentwickler spielen hier als Ideengeber, Investoren und somit als Impulsgeber für die Stadtentwicklung eine immer größere Rolle. Sie gestalten den städtischen Raum direkt oder indirekt mit - je nach Umfang von Projekten sowohl mit Blick auf die Architektur als auch mit Blick auf infrastrukturelle Themenfelder. Zweifelsfrei muss die ganzheitliche Planung städtischer Strukturen und die Aufrechterhaltung der Infrastruktur eine hoheitliche Aufgabe bleiben. Allerdings könnte manche Kommune gegenüber privaten Investoren perspektivisch offener werden.

Der Autor

Dietmar Fischer Partner, Ernst & Young Real Estate GmbH, Eschborn

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