Die neue Bundesregierung hat die Bereiche Bauen und Wohnen bekanntlich zum Topthema ernannt und ambitionierte Ziele ausgerufen: 400 000 neue Wohnungen und Eigenheime will sie jedes Jahr erschaffen mit ihrer "Wohnraumoffensive", so steht es im Koalitionsvertrag. Viele Branchenexperten fragen sich, wie das - innerhalb einer Legislaturperiode - gelingen soll.
Es geht auch ohne Versiegelung neuer Flächen
Bei der Frage "Wie erschaffen wir ein Maximum an neuem Wohnraum?" steht viel zu wenig im Fokus, dass dieses Ziel auch ohne Versiegelung neuer Flächen ermöglicht werden kann. Und zwar, indem etwa Büround Verwaltungsgebäude umgewidmet werden. Während in vielen Regionen Deutschlands der Wohnraum knapp ist, Gewerbeimmobilien aber keine Mieter finden, liegt es logischerweise nahe, Letztere einfach umzuwandeln.
Zumal Umnutzung oftmals günstiger und klimaschonender ist als Neubau. Das Pestel-Institut hat das Potenzial für neuen Wohnraum durch Aufstockungen und Umwidmungen auf 2,7 Millionen zusätzliche Wohnungen beziffert (siehe Abbildung). Das wären deutlich mehr, als die Ampelkoalition neu erbauen will.
Immer mehr überflüssige Büros und leerstehende Läden
Pandemiebedingt verändert sich aktuell vor allem die Büroarbeitswelt. Wer am PC arbeitet, hat seine Tätigkeit teilweise in den heimischen Wohnraum verlagert. Folglich werden in der Zukunft nicht mehr von allen Unternehmen so viel Büroflächen wie bisher benötigt - und könnten Wohnungsnotlücken stopfen.
Dasselbe gilt für leerstehende Einzelhandelsflächen, die - ebenfalls pandemiebedingt - immer zahlreicher werden. Dort war ein regelrechter Schub zu verzeichnen: Gemäß IVD-Research betrug die Leerstandsquote im Sommer 2021 im bundesweiten Durchschnitt zirka 20 Prozent, das ist ein Drittel mehr als vor der Pandemie. Diese Entwicklung habe sich in den vergangenen Monaten weiter verstärkt, gaben vier von fünf der befragten Immobilienunternehmen an.
Bei den Leerständen in vielen Innen-, Klein- und Mittelstädten handelt es sich nicht um ein vorübergehendes Phänomen. Eine deutliche Mehrheit (62 Prozent) der IVD-Marktexperten sieht diesen Prozess als unumkehrbar an. Deswegen gewinnen Umnutzungspotenziale, insbesondere mit Blick auf zusätzlichen Wohnraum, immer mehr an Bedeutung.
Natürlich ist das keine Lösung für Shoppingcenter und 1-A-Lagen in Fußgängerzonen. In Nebenlagen deutscher Großstädte und in Klein- und Mittelstädten stellt sich die Frage für viele Eigentümer allerdings ganz konkret.
Doch damit Umnutzungspläne auch Realität werden können, müssen Vermieter in die Lage versetzt werden, ihre Einzelhandelsflächen entsprechend umzubauen. 68 Prozent der Immobilienunternehmen erwarten eine deutlich steigende Nach frage, wenn man Einzelhandelsflächen, die dazu geeignet sind, in Wohnraum umwandelt. Zudem seien Vermieter grundsätzlich dazu bereit, Gewerbeeinheiten in dafür passenden Lagen in Wohnungen umzuwandeln.
Doch aktuell existieren für sie noch zu viele Hürden, Widerstände und Schwierigkeiten, etwa durch baurechtliche Rahmenbedingungen. Zudem fragen sich Eigentümer und Investoren ob Umnutzungsvorhaben wirtschaftlich wirklich sinnvoll sind.
Damit die Prozesse für Umnutzungsprojekte leichter und zügiger vorangehen können, müssen zielgerichtete Maßnahmen her. Die Devise muss "Umbau und Neubau" lauten, vor allem in Lagen außerhalb von 1-A-Metropolen und größeren Städten. Das Planungsrecht und auch die Bauordnungen der Länder, die überwiegend auf den Neubau ausgelegt sind, erschweren aktuell noch viel zu sehr die rentable Umsetzung von Umbau- und Weiternutzungskonzepten. Wird Gewerbebestand umgebaut, sollte dies selbstverständlich so ressourcenschonend wie möglich geschehen.
Sonderabschreibungen als Umnutzungsanreiz
Das "Verbändebündnis Wohneigentum" forderte im Juni 2021, dass - ähnlich wie beim Kauf von denkmalgeschützten, "schwierigen" Immobilien - eine Sonder-Afa eingeführt werden muss, damit für Eigentümer Anreize gesetzt werden. Nur so könnten Umnutzungsmaßnahmen bei Immobilien vorangetrieben werden.
Umgenutzte Bestandsgebäude sollten vor allem jungen Familien und kleineren, älteren Haushalten zugutekommen, und zwar als Wohneigentum. Länder und Kommunen sollten durch planungsrechtliche Vorgaben und Entwicklungskonzepte zielgerichtet dafür Sorge tragen, dass die Umnutzung leerstehender Gebäude sowie die innerörtliche Verdichtung und Aufstockung von Gebäuden erleichtert und beschleunigt werden.
Im Sinne einer zukunftsfähigen Ortsentwicklung sind ergänzende innerörtliche Bauflächen für selbst genutztes Wohneigentum anzubieten, deren Vergabe an flächensparende Bauformen gebunden werden, forderte das "Verbändebündnis Wohneigentum" außerdem.
Wohneigentumsbildung: Der Blick in die Niederlande lohnt sich
Dafür sollten Bürgschaftsprogramme ins Leben gerufen werden, als Eigenkapitalergänzung beziehungsweise -ersatz. Denkbar wären auch Sicherheitsfonds, um Schwellenhaushalte bei ihrer Wohneigentumsbildung zu fördern. Nach niederländischem Vorbild könnte gegen die Zahlung einer einmaligen Gebühr (unter einem Prozent der Darlehenssumme) der Fonds bei Zahlungsverzug übernehmen. Das würde das Risiko von Zwangsversteigerungen mindern.
Ebenfalls denkbar: Kreditprogramme für kleines Wohneigentum mit stabilen Zinskonditionen auf niedrigem Niveau bis zu 30 Jahre. Zudem sollte es Freibeträge bei der Grunderwerbsteuer geben, die an bestimmte Einkommensverhältnisse sowie eine angemessene Größenordnung des selbst genutzten Wohneigentums gekoppelt sein könnten.
Preisdämpfende Wirkung für den Immobilienmarkt
In dem Kurzgutachten "Chancen der Wohneigentumsbildung durch die Umnutzung von Büroflächen und den Wiederbezug von Wohnungen im ländlichen Raum" kommt das Pestel-Institut zu interessanten Ergebnissen: Bis zum Jahr 2035 könnten, zusätzlich zum Neubau auf dem aktuellen Niveau, rund 235 000 ländliche Wohnungen durch die Umnutzung von Büroflächen geschaffen werden.
Die aktuell vorhandenen Wohnungsdefizite ließen sich dadurch weitgehend abbauen. Diese Entwicklung würde sich preisdämpfend auswirken und damit die Chancen von Haushalten mit mittleren und unteren Einkommen zur Wohnungseigentumsbildung verbessern. Es gäbe weitere positive Auswirkungen: Berufstätige, die sich aufgrund der Tätigkeit im Homeoffice für einen Umzug aus dem Ballungszentrum in den ländlichen Raum entscheiden, würden den städtischen Wohnungsmarkt entlasten.
Erheblicher Beitrag zum Klimaschutz
Es gibt weitere Zahlen und Prognosen, die den Nutzen derartiger Maßnahmen unterstreichen, etwa aus dem Kurzgutachten "Redevelopment - Wohneigentum 2021" der ARGE Arbeitsgemeinschaft für zeitgemäßes Bauen e. V.: Den Autoren zufolge würde der Klimaschutzeffekt bei Umnutzungen bis zu 9,2 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr betragen. Auch bei Kostenfragen hat Umnutzung die Nase vorn, der Umbau von Büroflächen sei etwa zwei Drittel günstiger als der Wohnungsneubau. Der Umbau von Büroflächen etwa zwei Drittel günstiger als der Wohnungsneubau.
Als Fazit lässt sich somit festhalten: Wer klimaschonend mehr bezahlbaren Wohnraum schaffen will, sollte nicht nur auf teuren Neubau setzen. Das Bauordnungs- und Planungsrecht sollte schnellstens in diese Richtung angepasst werden. Und bei Förderprogrammen muss gelten: Umbau und Neubau fördern.