RISIKOMANAGEMENT

"DIE FINANZIERUNGEN WERDEN ANSPRUCHSVOLLER"

Dr. Michael Munsch, Foto: Creditreform Rating AG

Wie lange noch? Die Frage, wann das öffentliche Leben in Deutschland wieder hoch gefahren werden kann, wird gerade von der Kreditwirtschaft sehr aufmerksam verfolgt, schließlich lauern hier massive Risiken für die Kreditbücher. Bislang werden diese unter anderem dank der Aussetzung der Insolvenzantragspflicht noch gut kaschiert, doch der Moment der Wahrheit rückt für viele Geldhäuser näher. Wie die Creditreform Rating AG die aktuelle Situation sowie die daraus resultierenden Implikationen für die gewerbliche Immobilienfinanzierung beurteilt, verrät deren Vorstand Michael Munsch im Gespräch mit der I & F. Red.

Herr Dr. Munsch, hätten Sie es zu Beginn der Corona-Pandemie für möglich gehalten, dass die Zahl der Unternehmensinsolvenzen in Deutschland am Ende des Jahres 2020 mit 16 300 Fällen den niedrigsten Stand seit Einführung der Insolvenzordnung (InsO) im Jahr 1999 erreichen würde?

Ein wenig überraschend ist es schon, 2019 waren es immerhin noch rund 19 000 Fälle. Es gibt jedoch ein eindeutiges Motiv für diese Entwicklung. Zwar ist seit über zehn Jahren eine Rückwärtsbewegung der Insolvenzzahlen zu verzeichnen, doch entgegen aller Erwartung hat sich dieser Trend auch während der Corona-Pandemie nicht umgekehrt. Der Grund dafür ist aber selbstredend nicht die gute Performance der Unternehmen oder etwas Vergleichbares, sondern die Aussetzung der Antragspflicht für Insolvenzen.

Die Bundesregierung hat Mitte Januar die Aussetzung der Insolvenzpflicht ein weiteres Mal bis (vorerst) Ende April 2021 beschlossen. Wie stehen Sie grundsätzlich zu dieser Strategie? Werden Risiken damit nicht lediglich aufgeschoben, im schlimmsten Fall sogar verstärkt, weil sich beispielsweise Banken bei der Kreditvergabe zu sehr in Sicherheit wiegen?

Grundsätzlich erachten wir die ergriffenen Maßnahmen zur Stabilisierung der gesamtwirtschaftlichen Lage als nötig und angemessen. Das Ziel ist es schließlich "gesunde" Unternehmen zu retten, da viele der Corona-Hilfen noch nicht ausgezahlt wurden. Durch die Maßnahmen werden jedoch auch Unternehmen am Leben gehalten, die eigentlich nicht mehr wettbewerbsfähig sind. Daher kann es durchaus passieren, dass zukunftsfähige Unternehmen ausscheiden, während schlecht wirtschaftende vorerst durchkommen. Inwieweit die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht bei einer Corona-bedingten Überschuldung der richtige Ansatz ist, bleibt also zumindest fraglich. Die Wirkung dieser Maßnahmen hängt auch von einem massiven "Rebound-Effekt" ab. Sollte dieser ausbleiben, bestünde die Gefahr stark erhöhter Forderungsausfälle bei weiteren Marktteilnehmern. Dies kann dann zu Nachrundeneffekten führen, was wiederum den gesamtwirtschaftlichen Abwärtstrend verstärken würde.

Auch die Kreditwirtschaft ist einem erhöhten Risiko ausgesetzt, worauf die gesteigerte Vorsorge bereits hindeutet. Es ist allerdings nicht unwahrscheinlich, dass die bisher gebildeten Risikovorsorgen der Banken nicht ausreichen. Ohne massiv ihre Kosten zu senken, werden es auch die ohnehin chronisch ertragsschwachen deutschen Banken zunehmend schwerer haben, nachhaltig profitabel zu agieren. Insbesondere mit Blick auf die Corona-Hilfskredite trägt die KfW-Sicherung jedoch erheblich zur Stabilisierung und Sicherung der Kreditvergabe in Deutschland bei.

Creditreform hat im vergangenen November prognostiziert, dass es bereits im ersten Quartal 2021 zu rund 24 000 Firmeninsolvenzen in Deutschland kommen würde. Ist das damit nun Makulatur?

Nein, wir rechnen weiterhin mit 24 000 Insolvenzen - allerdings verlagert sich diese Prognose durch die erneute Verlängerung der Insolvenzantragspflicht zeitlich nach hinten.

Wann erwarten Sie in Deutschland den Höhepunkt der Insolvenzwelle? Und was ist dabei ihr konjunkturelles Basisszenario?

Sobald die Aussetzung der Insolvenzpflicht aufgehoben wird, ist mit einer deutlich steigenden Anzahl an Insolvenzen zu rechnen. Zwar wird der wirtschaftliche Schaden mit der Länge des Lockdowns zunehmen, jedoch gehen wir von einem Wiederanstieg des realen BIP-Wachstums auf etwa 3,4 Prozent im Jahr 2021 und 3,9 Prozent im Jahr 2022 aus.

Welche Branchen werden dabei besonders betroffen sein?

Die Hotellerie, das Gastronomiegewerbe und natürlich der Kultursektor sind bereits stark betroffen. Gleiches gilt aber auch für mittelständische und kleinere Unternehmen sowie den Textileinzelhandel. Der Geschäftsbetrieb in diesen Branchen war und ist während der Lockdown-Phasen nur eingeschränkt beziehungsweise gar nicht möglich. Allerdings sollte nicht vergessen werden, dass auch innerhalb der Branchen große Differenzen zwischen den einzelnen Marktteilnehmern bestehen können. So dürfte beispielsweise das Familienhotel an der Ostsee in der vergangenen Saison die größten Umsätze seit Jahren eingefahren haben, während das Business-Hotel in Frankfurt-Mitte einen fast durchgängigen Leerlauf erlebt.

Lässt sich dabei möglicherweise auch eine Unterscheidung zwischen Großunternehmen und KMUs treffen?

Auf die KMUs haben die Entwicklungen deutlich mehr Einfluss, da hier zum Teil die entsprechenden finanziellen Rücklagen fehlen. Allerdings sind auch einige große Unternehmen von den wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie stark betroffen. Als Beispiele sind hier Adler, Esprit, Appelrath Cüpper oder auch Maredo und Vapiano zu nennen. Die Zahl der Insolvenzverfahren in den Umsatzgrößenklassen 5 bis 25 Millionen Euro (plus 26,4 Prozent) und 25 bis 50 Millionen Euro (plus 36,4 Prozent) stieg deutlich. Dieser Trend ist auch dadurch zu erklären, dass Großunternehmen das Insolvenzrecht zunehmend als Sanierungsmöglichkeit betrachten und sich durch gezielte Beratungen restrukturieren. Prominentestes Beispiel dafür war im vergangenen Jahr Galeria Karstadt Kaufhof.

Die Zunahme von Insolvenzen in Eigenverwaltung oder nach der Spielart "Schutzschirmverfahren" ist eine Folge davon, dass Branchen wie die Autoindustrie, die Luftfahrt, aber auch der (stationäre) Einzelhandel vor drastischen Umwälzungen stehen. Eine Verdopplung der Fallzahlen war bei Unternehmen mit mehr als 50 Millionen Euro Jahresumsatz zu verzeichnen. Trotz dieser Trends sind aber weiterhin vor allem Kleinst- und Kleinunternehmen von Insolvenzen bedroht. In acht von zehn insolventen Unternehmen waren höchstens fünf Personen beschäftigt.

Mit Blick auf die drohenden Mietausfälle gehen Immobilienexperten regelmäßig davon aus, dass A-Lagen tendenziell besser gewappnet sind als B- und C-Lagen. Sehen Sie das auch so?

Es ist richtig, dass Immobilien in A-Lagen weniger betroffen sein werden. Dort wird man bei einem potenziellen Mieterausfall zügig Ersatz finden können. Es gilt also nach wie vor die alte Immobilienweisheit: "Lage, Lage, Lage".

Ihre Kollegen von Moody's haben vor einigen Monaten vor erheblichen Risiken für deutsche Banken in der gewerblichen Immobilienfinanzierung gewarnt. Wie schätzen Sie das ein?

Bedingt durch die Auswirkungen der Covid-19-Pandemie auf die generierten Cashflows von gewerblichen Immobilien kann es zu Zahlungsverzügen kommen, was in der Folge wiederum die Banken betreffen wird. Aber auch hier gilt: Die tatsächlichen Auswirkungen sind aufgrund des Moratoriums noch nicht klar abschätzbar. Generell lässt sich jedoch sagen, dass Finanzierungen anspruchsvoller werden. Der gewerblichen Immobilienfinanzierung sollte also zukünftig eine besondere Aufmerksamkeit zuteilwerden, da deutlich beschleunigte Veränderungen im Markt einen massiven Druck auf die Werteentwicklung und Vermarktungsmöglichkeiten erwarten lassen. Hier sind beispielsweise Hotelimmobilien zu nennen, deren Werteentwicklungen massiv von dem Branchentrend betroffen sein werden. Andere Gewerbeimmobilien werden durch die beschleunigte Digitalisierung und die zu erwartenden Ausfälle der Mieter in den Innenstädten betroffen sein. Wir sehen natürlich auch bei den Immobilienbanken eine deutlich gesteigerte Kreditvorsorge, was unsererseits eine Ausweitung der NPLs zum vierten Quartal 2020 und im Geschäftsjahr 2021 erwarten lässt.

Gibt es bislang irgendwelche belastbaren Indizien für eine Verschlechterung der Lage bei den Immobilienbanken, Stichwort "NPLs"? Würden Sie diesbezüglich eine Prognose wagen?

Eine gesteigerte Kreditvorsorge der Banken spiegelt die Erwartung von einem deutlichen Anstieg der NPLs wider. Das gilt insbesondere für die stark betroffenen Sparten wie die Gewerbeimmobilienbranche. Nach unserer Auswertung aus dem vergangenen Jahr (basierend auf den H1-2020-Zahlen), hat sich die Vorsorge deutscher Banken im Durchschnitt in etwa verdreifacht. Aufgrund anhaltender Garantien und Moratorien ist das Ausmaß der Auswirkungen auf die NPLs allerdings weiterhin unklar. Generell sind die Banken hierzulande recht gut kapitalisiert und dadurch robust. Das anhaltende Niedrigzinsumfeld belastet jedoch weiterhin die Ertragslage.

Sie führen auch Ratings in den USA durch. Wie ist die Lage auf dem dortigen Immobilienmarkt verglichen mit Europa?

In den USA sind deutlich mehr Mietausfälle zu verzeichnen und es gibt eine entsprechende Reaktion der Ratingagenturen beziehungsweise der Kapitalmärkte. In Europa ist das aufgrund der Moratorien der Insolvenzaussetzung noch nicht klar abschätzbar.

Welche Auswirkungen erwarten Sie hierzulande durch die gestiegenen Risiken in einzelnen Sub-Assetklassen wie Hotels und Shoppingcentern auf Finanzierungen? Müssen Banken da nicht automatisch restriktiver werden?

Als Ratingagentur beobachten wir das Ausschlagen der Risikoquoten. Gerade bei den genannten Sub-Assetklassen wird sich das am laufenden Cashflow bemerkbar machen. Ebenso werden wir Auswirkungen auf die Entwicklung von Immobilienwerten, im Speziellen bei Hotellerie und Gastronomie, beobachten. Die Finanzierungen werden anspruchsvoller. Es wird zu Mieteinbußen kommen, was wiederum Auswirkungen auf die Einschätzung der Immobilienwerte hat. Die Risiken unterscheiden sich je nach Segment jedoch stark. Insbesondere die schon angesprochenen Hotels und Gastronomieflächen sowie Shoppingmalls werden besonders stark betroffen sein.

Erwarten Sie in diesem Zusammenhang einen steigenden Einfluss alternativer Finanzierungsformen, beispielsweise den verstärkten Gang an den Kapitalmarkt?

Ja, in der Immobilienfinanzierung wird es aller Voraussicht nach einen Shift von der Bankenfinanzierung hin zum Kapitalmarkt geben. Risikoprämien werden dort anders gesehen und der Druck auf die Immobilienbewertung steigt. Das war bereits vor Corona so, die Pandemie hat diese Entwicklung bloß verstärkt. Pauschal lässt sich aber sicherlich sagen, dass es Unterschiede in den einzelnen Bereichen gibt. Am Ende entscheidet sich das im Einzelfall.

Darüber hinaus ist zu beobachten, dass in den vergangenen sechs bis sieben Jahren bankenunabhängige Finanzierungen (Debt Fonds) stark zugenommen haben. Zwar ist der Marktanteil noch nicht systemrelevant, aber dennoch ist das Segment jedes Jahr überproportional gestiegen. Bisher fehlte unserem Kapitalmarkt die Transformationsfunktion, auch Gelder für kleinere Projekte bereitzustellen. Das wird sicherlich noch stärker werden und dafür sorgen, dass am Markt keine wirkliche "Finanzierungslücke" entsteht. Höhere Risikoaufschläge bedeuten auch mehr Druck auf die Immobilienbewertungen. Das macht sich in den Finanzierungsrunden bemerkbar. Es wird in Zukunft also mehr "alternative" Angebote geben.

Inwieweit hat die Pandemie Ihre Arbeit als Ratingagentur verändert? Gibt es neue Faktoren, denen Sie künftig verstärkt Rechnung tragen müssen?

Wir haben frühzeitig damit begonnen, alle unsere Ratings genau zu überprüfen, um möglichst schnell Veränderungen bei den Ratingobjekten feststellen zu können. Zusätzlich werden ESG-Faktoren auch für uns als Ratingagentur immer wichtiger. Bereits seit vergangenem Jahr berücksichtigen wir diese Faktoren in unseren Beurteilungen und wir werden sie entsprechend weiterer Entwicklungen und Auswirkungen auf Ratingobjekte einbeziehen.

ZUR PERSON DR. MICHAEL MUNSCH Vorstand, Creditreform Rating AG, Neuss
Noch keine Bewertungen vorhanden


X