Im Gespräch

"Wir können heute gar nicht mehr billig bauen"

Tobias Nöfer, Geschäftsführer, Nöfer Gesellschaft von Architekten mbH, Berlin

Berlin boomt - diese Erkenntnis spiegelt sich nicht zuletzt in Form eines seit Jahren anhaltenden Zuzugs wider. Entsprechend hoch ist der Druck auf den dortigen Wohnungsmarkt. Um diesen nachhaltig zu mildern, hat der rot-rotgrüne Berliner Senat im aktuellen Koalitionsvertrag einen Hochhausentwicklungsplan verankert. Der Frage, wie dieser Plan mit Leben gefüllt werden könnte, hat sich unter anderem der Architekt Tobias Nöfer angenommen. Im Interview erläutert er ein zusammen mit Kollegen entwickeltes Konzept, das Hochhäuser an insgesamt 25 Standorten rund um die Berliner Innenstadt vorsieht. Seine städtebauliche Vision ist groß: "Wie Stadttore wirkende Hochhauspaare im großen Kreis rings um den Stadtkern" sollen das Zentrum der Hauptstadt sichtbar machen. Darüber hinaus spricht er über anhaltende Grabenkämpfe zwischen Traditionalisten und Modernisten, steigende Anforderungen beim Bau sowie Fehlentwicklungen bei der Bürgerbeteiligung. Red.

I&F Herr Nöfer, was bedeutet Berlin für Sie persönlich?

Berlin ist lange Zeit schon die spannendste Stadt Deutschlands, auch für mich persönlich. Ich bin im Münsterland geboren, habe in Aachen und Zürich studiert und bin anschließend nach Berlin gegangen, weil die Stadt ein Experimentierfeld für Architektur ist und darüber hinaus groß genug, um unterschiedlichste Szenarien zu bieten. Die Stadt hat viele Facetten, viele Quartiere sowie mehrere Stadtzentren. Auch sind die unterschiedlichsten Arten des Bauens charakteristisch für die Stadt. Die Bandbreite an Erscheinungen ist also maximal.

I&F Denken Sie, dass sich das Stadtbild Berlins in den kommenden Jahren radikal verändern wird?

Ich glaube ja. Wenn man sich überlegt, wie die Stadt nach der Wende vor gut 25 Jahren aussah und im Vergleich heute - das ist schon ein radikaler Wandel. Und dieser Wandel setzt sich fort, möglicherweise nicht so sehr im Stadtzentrum, da dort die meisten Flächen belegt sind. Aber an den Rändern oder auch in den Zwischenräumen ist der Druck momentan sehr groß. Und die schiere Menge an derzeit realisierten Projekten wird das Stadtbild wohl noch einmal stark verändern.

I&F Sie haben kürzlich für einen Ring aus Hochhäusern in Berlin plädiert, der an 25 Standorten jeweils 150 Meter hohe Türme vorsieht. Worum genau ging es Ihnen bei diesem Vorschlag?

Es gibt nicht nur aus der Fachwelt, sondern auch aus der Politik heraus die Idee, Hochhäuser zu bauen. Die Motivation ist naheliegend: Auf der einen Seite steigt der Druck auf die Handelnden, Flächen zu schaffen, weil wir derzeit einen Zuzug von 40 000 und noch mehr Menschen pro Jahr in Berlin erleben. Mit diesen Menschen kommen zusätzlich auch viele Firmen, deren Zentralen neu gebaut werden sollen. Das hat Bedarf nach allen möglichen Bauten zur Folge. Da ist es verständlich zu sagen, wir wollen dies im bestehenden Stadtkontext tun, sprich im Inneren der Stadt - schließlich sind dies auch die Orte, wohin die Leute wollen.

Mitten im urbanen Leben zu sein, ist mit Sicherheit interessanter, als an den Stadtrand der Metropole zu ziehen. Diesem Druck mithilfe von Hochhäusern beziehungsweise generell über Verdichtung gerecht zu werden, war auch bereits das Ziel des jüngst ins Innenresort gewechselten Bausenators Andreas Geisel. Wahrscheinlich wird es auch seine Nachfolgerin verfolgen, wenn sie vernünftig ist. In diesem Kontext haben wir überlegt, wie sich erstens diese zusätzliche Baumasse sowie die dabei erzeugten zusätzlichen Verkehrsströme gut organisieren lassen, und zweitens, wie man daraus auch städtebaulich Kapital schlagen kann. Wenn wir in Berlin einen Hochhausentwicklungsplan machen wollen - und das ist die feste Absicht des Senats, der dies im neuesten Koalitionsvertrag verankert hat - muss man fragen, welche Ziele er dabei verfolgt. Eines ist sicherlich, berühmte Orte in der Innenstadt wie den Kurfürstendamm und den Gendarmenmarkt nicht mit Hochhäusern zuzubauen.

I&F Daher also der Vorschlag mit dem Ring?

Richtig. Unser gemeinsam mit Klaus Zahn entwickelter Vorschlag ist es, Hochhäuser dort zu platzieren, wo wir ohnehin eine optimale Verkehrserschließung haben. Das ist dort, wo sich die Ringbahn und die Stadtautobahn mit den Einfallstraßen kreuzen, die ins Stadtzentrum führen. Da sind bereits vorhandene und meist leere Bauplätze, die eine maximale infrastrukturelle Erschließung gewährleisten. Wenn man die vorgeschlagenen 25 Standorte an der Ringbahn wie vorgeschlagen bebauen würde, ergäbe sich ein städtebaulich besonderes Szenario: Wir hätten Hochhauspaare, die wie Stadttore wirken, im großen Kreis rings um den Stadtkern, wodurch weithin sichtbar würde, wo das Zentrum der Stadt ist. Wenn es gelänge, den S-Bahn-Ring rund um das Stadtzentrum mithilfe der Hochhäuser zu "verbildlichen", dann entstünde dabei ein phantastisches räumliches Gebilde.

I&F Kann man von einer Art "Renaissance" des Wohnens im Hochhaus sprechen? In Frankfurt gibt es ähnliche Projekte.

Ja. Wir selbst haben derzeit zwei Wohnhochhäuser ("Max und Moritz") am Ostbahnhof in Planung und Bau, die 85 und 95 Meter groß sein werden. Dieses Wohnkonzept war lange Zeit nicht wirklich präsent in Berlin, insofern ist es schon eine Renaissance.

I&F Lindern Wohnhochhäuser die zunehmende Wohnungsnot?

Moderne Hochhäuser sind per se teuer und deswegen nicht die Lösung der Wohnungsfrage. Wenn man über die Fläche nachdenkt, große Grundstücke, die neu erschlossen werden, ist das Hochhaus sicher nicht die erste Wahl. Bei Berücksichtigung der Abstandsflächen ist es einfach kein Vorteil, Hochhäuser zu bauen. Die Dichte lässt sich letztlich auch mit fünf- oder sechsgeschossigen Häusern herstellen.

I&F Es hat den Anschein, als werde derzeit im Schweinsgalopp gebaut, um der Wohnungsnot beizukommen. Dabei sehen moderne Konzepte von Architekten häufig unter anderem Modulbauten und Monostrukturen vor. Sind dies durchdachte Konzepte? Oder werden gerade Faktoren wie Nachhaltigkeit, Baukunst und Ästhetik vernachlässigt?

Die Gefahr einer Vernachlässigung dieser Aspekte ist meiner Meinung nach absolut präsent. Es ist ein Drama, dass in Zeiten großen Drucks auf alte Konzepte zurückgegriffen wird - aus Unsicherheit, aber auch aus Ignoranz. Derzeit hat man zu sehr das Thema des kostengünstigen Wohnungsbaus - egal wie - auf dem Schirm und vergisst schnell die damit einhergehenden Schwierigkeiten. Dabei wurden Erfahrungen mit massenhaftem Wohnungsbau irgendwo auf der Wiese bereits gemacht: Die Folge ist oftmals eine Spaltung der Gesellschaft, bei der insbesondere nach 20 Jahren nur noch Menschen am Rande der Gesellschaft in solchen Monostrukturen wohnen wollen, wenn die Gebäude ein wenig heruntergekommen sind.

Wir als Architekten können an dieser Stelle nur immer wieder Argumente liefern und die Politik dazu auffordern, Fehler nicht erneut zu begehen. Vorkonfektionierte Bauten an beliebigen Orten und gesichtslose Wohnmaschinen - das sollte es nicht nochmal geben.

I&F Wie sehr nehmen Bauträger und Investoren Einfluss auf Ihre Arbeit als Architekt? Fühlen Sie sich nicht hin und wieder als reines ausführendes Organ?

Das hängt ganz von den Investoren ab. Es gibt natürlich solche, die ausschließlich auf die Rendite achten und glauben, das sei schon alles. Bauträger und Investoren stehen grundsätzlich vor einem Dilemma. Ein gutes Geschäft ist ein Bauwerk oberflächlich nur dann gewesen, wenn die Rendite top ist. Auf der anderen Seite sind Bauträger aber auch Bürger und haben eine Verantwortung als Teil der Gesellschaft, ihren Beitrag zur Stabilität ebendieser zu leisten. Und das bedeutet bei Häusern, dass diese nicht nur eine technische, sondern auch eine soziale und eine ästhetische Nachhaltigkeit haben müssen. Eine maximale Rendite kann somit nicht das einzige Ziel eines klugen Investors sein. Ich habe keine Auftraggeber, die auf dieser Ebene nicht ansprechbar wären.

Unsere Bauherren wollen in der Regel auch nach Jahren noch gerne an ihren Projekten vorbeifahren und stolz darauf sein. Immerhin brauchen auch sie ein fertiges Projekt als Referenz für das Nächste. Grundsätzlich möchten wir uns nicht als rein ausführendes Organ betätigen und uns zum Beispiel an unqualifiziertem Massenwohnungsbau beteiligen. Denn man kann Massenwohnungsbau auch gut machen, dafür gibt es in der Geschichte viele Beispiele. Die Gründerzeitquartiere in Berlin, etwa in Berlin-Friedenau sind riesige Projektentwicklungen von Investoren gewesen mit gewaltigen Baumassen, die aber heute noch und in Zukunft perfekt funktionieren werden, da sie von vornherein gut angelegt und geplant waren. Platz, Straße, Parzelle, Haus, Wohnung - ganz einfach. Die Strukturen von solchen Quartieren müsste man sich nur anschauen und fragen, warum es nicht einfach auf diese Weise gemacht wird.

I&F Ist es inzwischen nicht so, dass die vielfältigen gesetzlichen Anforderungen beim Bau das Anliegen kostengünstigen und gleichzeitig qualitativen Bauens unterwandern?

Auf jeden Fall, wir können heute gar nicht mehr billig bauen. Was die Politik fordert, ist ein Stück weit schizophren: Auf der einen Seite steht der Wunsch, kostengünstigen Wohnungsbau für Leute mit geringem Einkommen zu errichten. Auf der anderen Seite werden die Anforderungen an die Bautechnik ständig hochgeschraubt. Das ist alles gut gemeint, aber gut gemeint ist auch in diesem Fall das Gegenteil von gut. Man kann nicht an jeder Daumenschraube drehen. Schallschutznormen und solche zur Energieeinsparung erhöhen nun einmal die Baukosten.

Selbst der moderne Plattenbau oder der hässliche Schuhkarton auf der Wiese ist heute teuer, da die hohen Anforderungen auch hier eingehalten werden müssen. Die Idee der Energieeinsparverordnung beispielsweise möchte ich natürlich nicht in Abrede stellen, sie wird nur zu sehr von der Baustoffindustrie gesteuert. Man sucht zu wenig danach, woher wir klimaneutrale Energie bekommen könnten - etwa nach Ausweitung der Erdwärme. Stattdessen verstopft man sozusagen die Fassaden.

I&F Wo liegen aus Ihrer Sicht erfahrungsgemäß die größten ideologischen Reibungsflächen im Städtebau?

Unverändert besteht der große Konflikt zwischen Modernismus und Traditionalismus im Städtebau und in der Architektur. Zum einen gibt es Leute wie mich, die Architektur und Städtebau als sich langsam entwickelndes und an Geschichte orientiertes Metier verstehen und versuchen, gewissermaßen auf dem Fundament der Geschichte stehend das Neue zu erarbeiten. Dagegen stehen diejenigen, die der Überzeugung sind, dass der Modernismus, das heißt die Abkehr vom Alten, der einzig gangbare Weg ist. Dabei ist die Grundlage des Modernismus stark von der vor 100 Jahren erfundenen Ideologie vom Glauben an den neuen Menschen geprägt, der heute völlig anders sei als früher. Die alten Zöpfe werden abgeschnitten, der moderne Mensch braucht keine Gemütlichkeit und auch keine Heimat.

Dieser Konflikt zwischen Traditionalisten und Modernisten ist offenbar grundlegend und dauert immer noch an, auch wenn man denken konnte, das sei nach der Postmoderne vorbei. Die Grabenkämpfe, die in der Fachwelt von diesen Polen ausgefochten werden, lenken leider sehr vom eigentlichen Thema ab. Die Qualifizierung der Wirklichkeit, in der die Menschen leben müssen - ein neuer Realismus - ist aus meiner Sicht weit vielversprechender als utopische bauliche Experimente auf die Leute niederprasseln zu lassen, die sich regelmäßig nach kurzer Zeit als Irrtum herausstellen, weil es den neuen Menschen, den man dafür bräuchte, einfach nicht geben will.

I&F Fordern Sie weniger Regulierung von der deutschen Politik oder sind Sie zufrieden mit dem Zusammenspiel und den Rahmenbedingungen? Oder ist es eher ein Kampf zwischen Politik und Architekten?

Es ist eher ein Kampf der Interessen des Individuums mit denen der Gesellschaft. Dieser äußert sich dann im Verhalten der Politik gegenüber der Fachwelt. Die Individualität in der Wählerschaft, die Diskrepanz in den Forderungen der Wähler, drückt sich auch in dem Verhalten der Politiker aus.

Diesen fällt es offensichtlich ungemein schwer, beispielsweise ein starkes städtebauliches Konzept gegenüber den zersetzenden Kräften der Partikularinteressen durchzusetzen. Wir Fachleute müssen von der Politik Gemeinsinn und den Mut zur Stadtbaukunst fordern.

Ein Beispiel, wie es nicht geht, lässt sich am Berliner Alexanderplatz aufzeigen: Hier gab es ein sehr stadträumlich gedachtes städtebauliches Konzept aus den neunziger Jahren, das zunächst an mangelnder Wirtschaftskraft litt, dann allerdings zerredet wurde und letztlich wohl gescheitert ist.

Als Gesellschaft neigen wir dazu, im Städtebau alles klein und kaputt zu reden. Wenn jeder Dummkopf mitreden darf und Einfluss hat, haben wir am Ende eine Kakophonie von Meinungen und eine Kakophonie von Häusern.

I&F Wie stehen Sie vor diesem Hintergrund zur Bürgerbeteiligung?

Die Form von Bürgerbeteiligung, die ich erlebe, funktioniert meiner Ansicht nach überhaupt nicht. Letztlich engagieren sich nur diejenigen, die direkt von Maßnahmen betroffen sind und mit dem Vehikel Bürgerbeteiligung ihre Partikularinteressen durchsetzen wollen. Darum kann es nicht gehen. Eine breitere gesellschaftliche Diskussion über den Sinn und die Form von Bürgerbeteiligung ist notwendig.

Die derzeit praktizierten Beteiligungen führen oftmals zu Schieflagen, bei denen sich jeder, der von einem Neubauprojekt in der eigenen Umgebung betroffen ist, lautstark zur Wehr setzt. Das wird dann als Meinungsbild der Bürger gewertet und kann Projekte zu Fall bringen. Wenn dieser Trend anhält, können wir am Ende gar nichts mehr bauen - insbesondere nichts Großartiges mehr.

I&F Die Bürger verfolgen also primär ihre eigenen Interessen, während der Politik oftmals die Standhaftigkeit fehlt. Wie könnte eine klarere Linie im Sinne eines gelungenen Städtebaus aussehen?

Eine klare Linie wird grundsätzlich von unserer Verfassung vorgegeben. Wir haben eine repräsentative Demokratie, in der die Bürger ihre Vertreter wählen. Diese Vertreter beschäftigen sich intensiv mit den Inhalten der großen politischen Themen, darunter auch denen des Städtebaus. Ich habe wenig Verständnis dafür, dass dieses Prinzip so oft verlassen wird. Würde diese in der Verfassung verankerte Idee tatsächlich konsequent umgesetzt werden, könnte man sich mit den gewählten Vertretern auch einmal in Ruhe fachlich auseinandersetzen. Ich glaube, dass die Bürgerbeteiligung dafür sorgt, dass dies nicht mehr funktioniert. Sie führt in ihrer heutigen Form zur Dekonstruktion unseres politischen Systems.

I&F Folglich also mehr gelebte Repräsentativität?

Ja, denn nicht jeder Bürger kann sich angemessen und intensiv mit den komplexen Fragen der Stadtbaukunst beschäftigen. Das ist eindeutig die Aufgabe der Fachwelt und der Volksvertreter. Als betroffener Architekt sitze ich allerdings oft in Stadtplanungsausschüssen und bin nicht selten enttäuscht, wie wenig fachlich viele bauliche Entscheidungen gefällt werden. Häufig sehen sich die verantwortlichen Politiker - so sehr ich deren Engagement, sich überhaupt in den politischen Raum zu bewegen, schätze - ausschließlich als Vertreter ihrer jeweiligen Parteimeinung.

Sachliche und fachlich fundierte Argumente werden aus taktischen Gründen wider besseren Wissens beiseite geschoben. Da wundere ich mich ab und zu, dass es trotzdem noch einigermaßen in Deutschland läuft. Eine wichtige Aufgabe für die Zukunft ist, den Bürgern wieder mehr Vertrauen in ihre Vertreter beizubringen. Wir sollten mehr repräsentative Demokratie wagen und über die ernsten Fragen der Stadtentwicklung auf möglichst hohem Niveau diskutieren und entscheiden. Denn es hängt sehr viel Zukunft von dem ab, was wir heute schaffen.

Zur Person Tobias Nöfer Geschäftsführer, Nöfer Gesellschaft von Architekten mbH, Berlin

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