DICKE BERLINER LUFT

Philipp Otto, Chefredakteur

Es lebe der Sozialismus! Knapp 30 Jahre nach dem Fall der Berliner Mauer scheint dieser alte Schlachtruf in der Hauptstadt wieder ungeahnten Zuspruch zu erfahren, wie die derzeit erstaunlichen Entwicklungen am dortigen Immobilienmarkt nahelegen. So erwägt der Berliner Senat die Rekommunalisierung der ehemals zur städtischen Wohnungsbaugesellschaft GSW gehörenden Bestände von über 50 000 Wohnungen. Diese waren vor 15 Jahren - ausgerechnet von einem rot-roten Senat - in finanzieller Not verkauft worden und befinden sich mittlerweile im Besitz der Deutschen Wohnen. Parallel dazu arbeitet eine Bürgerinitiative - mit Unterstützung der regierenden Linken und Grünen - eifrig an einem Volksentscheid, der die gesetzliche Voraussetzung zur Enteignung von Immobilienunternehmen "mit Gewinnerzielungsabsicht und mindestens 3 000 Wohnungen im Bestand" schaffen soll. Eine hierzu vom Tagesspiegel durchgeführte Umfrage ergab, dass 54,9 Prozent der rund 2 500 Befragten eine solch radikale Maßnahme eindeutig beziehungsweise eher richtig fänden.

Ein beunruhigend hoher Wert, der sicherlich ein Stück weit der besonderen Situation in Berlin mit drastischen Preis- und Mietanstiegen in den vergangenen Jahren wie auch der berüchtigten "Berliner Luft" geschuldet sein dürfte. Doch in verschiedenen Varianten sind solche Tendenzen auch in anderen hiesigen Großstädten zu beobachten und müssen somit ernst genommen werden. Mit Sorge muss das vor allem die großen Bestandshalter erfüllen, die sich in den vergangenen Jahren umfangreiche Portfolios in den Ballungszentren zusammengekauft haben. Diese wollen effizient gepflegt werden, sowohl im Sinne der eigenen Aktionäre und Eigentümer als auch im Interesse der Mieter. Wie schwierig dieser Spagat mitunter sein kann, zeigt das Beispiel Deutsche Wohnen, denn der Konzern war allein an Berliner Gerichten per Ende 2017 in insgesamt 76 Verfahren verwickelt. Wenn nun noch Enteignungsgefahren dazukommen, könnte die Lust solcher Investoren schnell ganz zum Erliegen kommen. Das mögen manche begrüßen, die den "Mietwucherern und Ertragsoptimierern" endlich einen Riegel vorschieben wollen.

Aber wer übernimmt dann die Pflege der Bestände? Denn natürlich muss auch die Politik ihr Handeln kritisch reflektieren. Schlimm genug, dass die öffentliche Hand Anfang der 2000er Jahre infolge großer Verkaufswellen kommunaler Wohnungsbestände viel Einfluss auf die Steuerung der Immobilienmärkte verloren hat. Die Uhr lässt sich aber nicht zurückdrehen und die nun im Raum stehenden Rückkaufpläne erscheinen wenig zielführend. Denn allein der für die GSW-Wohnungen benötigte finanzielle Aufwand wäre für die Steuerzahler gigantisch. Nun ist das Land Berlin ohnehin mit fast 60 Milliarden Euro hochverschuldet, kommt es da noch drauf an? Ja, kommt es. Denn die entscheidende Frage ist doch, was kommunale Eigentümer dauerhaft besser machen können als private.

Die öffentliche Hand hat sich selten als guter Unternehmer erwiesen, jüngstes Beispiel ist einmal mehr die Deutsche Bahn, und der Glanz als Akteur auf den Immobilienmärkten ist eher matt. Da ist die politisch induzierte Regulierungswut, die das Bauen in den vergangenen Jahren massiv verteuert und unattraktiv gemacht hat. Da ist aber auch das altbekannte Nadelöhr "Bauland": Der Anteil der Grundstückskosten an den Gestehungskosten einer Wohnung schlägt in attraktiven Lagen inzwischen mit über 50 Prozent zu Buche. Hier kann nur zusätzliches Angebot Entlastung schaffen.

Doch werden bei der Mobilisierung von Brachflächen, Baulückenschließungen oder der Konvertierung leerstehender Gewerbeimmobilien bislang wirklich genügend Anstrengungen von den betroffenen Kommunen unternommen? Wenn neue Flächen erschlossen werden, erfolgt die Vergabe oft noch immer nach dem Höchstpreisverfahren. Hier müssen die rein ökonomischen Ziele noch stärker um soziale Aspekte ergänzt werden, denn günstige Wohnungen und maximale Einnahmen durch Grundstücksverkäufe schließen einander eben aus. Private Investoren werden bereits in großen Städten dazu gezwungen, einen bestimmten Anteil an bezahlbarem Wohnraum mit zu entwickeln, um überhaupt eine Baugenehmigung zu bekommen.

Die Todo-Liste ließe sich um viele Punkte wie etwa die Grunderwerbsteuer und die überlasteten Bauämter erweitern. Ganz grundsätzlich sollten die Kommunalpolitiker aber auf jeden Fall auch ihren Umgang mit der Immobilienwirtschaft überdenken. Die vermehrt zu beobachtende Tendenz, diese als gierig und mieterfeindlich darzustellen, ist gefährlich und letztlich auch Unfug, denn eine gesunde Entwicklung der Städte liegt im Interesse aller Beteiligten. Den derzeit infolge ungebrochenen Zuzugs in die Metropolen um sich greifenden "Wachstumsschmerzen" ist am Ende des Tages nur mit vereinten Kräften und der Maxime "Bauen, Bauen, Bauen" beizukommen. Die öffentliche Hand konnte und wird diese Herkulesaufgabe alleine jedenfalls nicht leisten können.

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