WOHNEN STATT BETEN

Philipp Hafner, Quelle: Verlag Helmut Richardi

Viele Gedenkveranstaltungen erinnerten in den vergangenen Wochen an das einhundertjährige Jubiläum der Novemberrevolution in Deutschland, die den Beginn der Weimarer Republik markierte. Ein wenig beleuchteter Aspekt in diesem Zusammenhang betrifft den infolgedessen langsam einsetzenden Bedeutungsverlust der christlichen Kirchen: Im monarchisch geprägten Deutschen Kaiserreich noch mit enormem Einfluss auf das Leben der hiesigen Bevölkerung, symbolisierte die nun Einzug haltende parlamentarische Demokratie einen Schritt hin zur Säkularisierung der Gesellschaft, die bis dato nahezu vollständig einer christlichen Religionsgemeinschaft angehört hatte.

An diesem Trend hat sich mit wenigen Unterbrechungen bis heute nichts Wesentliches geändert, allein im Jahr 2015 verloren die evangelische und katholische Kirche hierzulande 538 000 Menschen durch Todesfälle und Austritte. Gleichwohl gehört noch immer die Mehrheit der Deutschen einer der beiden größten Kirchen an: Zum Jahresende 2017 zählte die Deutsche Bischofskonferenz rund 23,3 Millionen katholische Kirchenmitglieder, bei der Evangelischen Kirche waren es 21,5 Millionen Menschen. In Summe entspricht dies einem Anteil an der Gesamtbevölkerung von rund 58 Prozent. Eine weiterhin durchaus beachtliche Basis also - zumindest in der Theorie. Denn in der täglichen - oder besser: sonntäglichen - Praxis fällt es den Glaubensgemeinschaften immer schwerer, diese Basis für Gottesdienstbesuche zu mobilisieren.

Als Konsequenz lässt sich, mit Ausnahme vielleicht der höchsten Feiertage, inzwischen vielerorts ein allzu vertrautes, trauriges Bild beobachten: Eine große, imposante Kirche, die bis auf wenige Reihen gähnend leer ist. Die Zahl der vom Leerstand betroffenen Kirchengebäude ist mittlerweile alarmierend hoch. So wird laut einer aktuellen Studie der Evangelischen Bank ein konkreter Leerstand aus jeder zweiten befragten Landeskirche beziehungsweise Diözese gemeldet. Was soll mit derartigen "Problemimmobilien", bei denen die hohen Fixkosten für Sanierung und Instandhaltung in keinem gesunden Verhältnis mehr zur tatsächlichen Nutzung stehen, also geschehen? Diese unangenehme Frage ist bislang oftmals völlig ungeklärt.

"Keine andere Ursache gibt es Kirchen zu bauen, als dass die Christen mögen zusammenkommen, beten, Predigt hören und Sakramente empfangen. Und wo diese Ursache aufhört, sollte man dieselben Kirchen abbrechen, wie man es mit allen anderen Häusern tut, wenn sie nicht mehr nützlich sind." So radikal plädierte Martin Luther seinerzeit für einen Abriss nicht mehr gebrauchter Gotteshäuser. Rund 500 Jahre später ist dieser Ansatz mit wenigen Ausnahmen allerdings keine realistische Option. Zum einen sind bereits durch den strengen Denkmalschutz, den fast 90 Prozent der rund 45 000 deutschen Kirchen betreffen, enge Grenzen gesetzt. Und zum anderen stoßen solche Überlegungen regelmäßig auf heftigen Widerstand in der Bevölkerung. Denn so sehr sich die Deutschen mittlerweile auch vom aktiv praktizierten Glauben entfernt haben mögen, so stark kochen die Emotionen noch immer hoch, wenn solche Szenarien überhaupt diskutiert werden. Gerade in ländlichen Regionen sind Kirchen meist stark prägende Bestandteile, die von Geschichte, Schätzen der Baukultur und letztlich auch Identifikation zeugen.

Dass zur "Ultima Ratio" eines Abrisses generell deutlich bessere Alternativen existieren, haben in den vergangenen zwei Jahren Studierende der Immobilienwirtschaft an der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen (HfWU) unter Leitung von Professor Winfried Schwatlo umfangreich recherchiert. Die jüngst dazu veröffentlichte Studie "Die Zukunft von Kirchenimmobilien" beschreibt zahlreiche gelungene Beispiele, wie verwaisten Sakralbauten neues Leben eingehaucht werden kann. "Im Haus meines Vaters gibt es viele Wohnungen" heißt es im Johannes-Evangelium beispielsweise so schön. In Mönchengladbach und Freiburg ist dieser Satz durch die Umwidmung der entweihten Herz-Jesu-Kirche und St.-Elisabeth-Kirche nun im wahrsten Sinne des Wortes Realität geworden. Insgesamt 65 günstige Mietwohnungen sind hier entstanden. In Essen-Huttrop wurde die seit 2008 entweihte evangelische Pauluskirche in Form von Seniorenwohnanlage und Kindertagesstätte einer neuen Nutzung zugeführt und in Bielefeld erweist sich die ehemalige Martini-Kirche dank Restaurant inklusive Biergarten seit Kurzem als echter Publikumsmagnet.

All diese und viele weitere ermutigende Umwidmungskonzepte sollen den Verantwortlichen als Anregung für eine tragfähige Zukunft nicht mehr gebrauchter Kirchengebäude dienen. "Wegsehen hilft jedenfalls nicht mehr", sind Schwatlo und sein Autorenteam überzeugt. Angesichts der düsteren Prognosen zur Mitgliederentwicklung der Kirchengemeinden ist das wohl tatsächlich so sicher wie das "Amen in der Kirche".

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