Bundesverfassungsgericht: Paukenschlag in Karlsruhe

Quelle: Bundesverfassungsgericht

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Das Bundesverfassungsgericht (BVfG) hat heute seine Entscheidung über mehrere Verfassungsbeschwerden gegen das Staatsanleihekaufprogramm (Public Sector Purchase Programme, PSPP) bekanntgegeben. Demnach hat der Zweite Senat den Beschwerden stattgegeben. Danach haben Bundesregierung und Deutscher Bundestag die Beschwerdeführer in ihrem Recht aus Art. 38 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 in Verbindung mit Art. 79 Abs. 3 GG verletzt, indem sie es unterlassen haben, dagegen vorzugehen, dass die Europäische Zentralbank (EZB) in den für die Einführung und Durchführung des PSPP erlassenen Beschlüssen weder geprüft noch dargelegt hat, dass die hierbei getroffenen Maßnahmen verhältnismäßig sind.

Laut BVfG steht dem das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 11. Dezember 2018 nicht entgegen, da es im Hinblick auf die Kontrolle der Verhältnismäßigkeit der zur Durchführung des PSPP erlassenen Beschlüsse schlechterdings nicht mehr nachvollziehbar und damit ebenfalls ultra vires ergangen sei. Das Gericht weist in seiner Mitteilung zudem explizit darauf hin, dass es einen Verstoß gegen das Verbot der monetären Haushaltsfinanzierung nicht festgestellt habe und dass die aktuellen finanziellen Hilfsmaßnahmen der EU oder der EZB im Rahmen der Bekämpfung der Folgen der Corona-Pandemie nicht Gegenstand der Entscheidung waren.

In der genaueren Begründung führt das Gericht aus, dass die Beschlüsse des Rates der Europäischen Zentralbank dazu entgegen des anderslautenden Urteils des Europäischen Gerichtshofs als Ultra-vires-Maßnahmen zu qualifizieren seien. Ultra-vires-Akte sind Entscheidungen, die außerhalb der Kompetenzen der Stelle liegt, die entscheidet. Es ist das erste Mal in der Geschichte der europäischen Integration, dass ein solcher Akt festgestellt wird.

Punkt 2 der „Wesentlichen Erwägungen“ des Senats zum Urteil hat es in sich: Das BVfG wirft dem Europäischen Gerichtshof vor, dass es in „offensichtlicher Weise Bedeutung und Tragweite des auch bei der Kompetenzverteilung zu beachtenden Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit (Art. 5 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 4 EUV)“ verkenne. Das Urteil sei wegen der vollständigen Ausklammerung der tatsächlichen Auswirkungen des Programms auf die Wirtschaftspolitik methodisch schlechterdings nicht mehr vertretbar.

Das Gericht untersagt es zudem der Bundesbank nach einer Übergangsfrist von höchstens drei Monaten an Umsetzung und Vollzug des Programms mitzuwirken. Es sei denn, der Rat der EZB kann bis dahin in einem neuen Beschluss nachvollziehbar darlegen, dass die mit dem PSPP angestrebten währungspolitischen Ziele nicht außer Verhältnis zu den damit verbundenen wirtschafts- und fiskalpolitischen Auswirkungen stehen. Zudem hat die Bundesbank dafür zu sorgen, dass die Bestände an Staatsanleihen auch zurückgeführt werden.

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