Crowdfunding mit Stiftungsförderung - das Modell Deutscher Integrationspreis

Kirsten Keppeler, Leiterin Deutscher Integrationspreis, Gemeinnützige Hertie-Stiftung, Frankfurt am Main

Kirsten Keppeler, Leiterin Deutscher Integrationspreis, Agata Werner, Referentin Deutscher Integrationspreis, beide Gemeinnützige Hertie-Stiftung, Frankfurt am Main - Dass gesellschaftlich wichtige Anliegen und Projekte der sogenannten Schwarmfinanzierung zugänglich sind, haben in den vergangenen Jahren schon eine Reihe von Kreditinstituten erfolgreich in der Praxis gezeigt. Inzwischen bedienen sich auch Stiftungen dieses Modells. Die Autoren schildern die Erfahrungen ihres Hauses mit dem Projekt des Deutschen Integrationspreises. Mit dem Einsatz des Crowdfundings konnten sie die von der Stiftung zur Verfügung gestellte Fördersumme vervierfachen und tausende von Unterstützern mit einbinden. Der gute Ruf des Initiators sowie eine qualifizierte Vorauswahl der infrage kommenden Projekte erhöht ihrer Ansicht nach die Chancen, hinreichend Spender und Unterstützer zu mobilisieren. (Red).

Warum entschließt sich eine der größten unternehmerisch ungebundenen Stiftungen, in ihrem neuen Projekt - dem Deutschen Integrationspreis - Fördermittel mit Crowdfunding zu kombinieren? Crowdfunding ist in der Stiftungswelt bislang kein etabliertes Finanzierungsinstrument. In der Regel agieren Stiftungen allein oder in Kooperation mit der öffentlichen Hand, dem Dritten Sektor oder Unternehmen. Crowdfunding hingegen ist im Start-up-Bereich gängig und insbesondere bei Sozialunternehmen sehr beliebt, denn diese haben es schwer an herkömmliche Kredite zu gelangen und versuchen auf andere Weise, Finanzierungsmöglichkeiten zu finden. Mit dem Deutschen Integrationspreis hat sich die Hertie-Stiftung entschlossen, Crowdfunding als neuen Mechanismus einzuführen, da er für die Stiftungsarbeit große Mehrwerte mit sich bringen kann und auch der fortschreitenden Digitalisierung Rechnung trägt.

Mehrwerte des Modells

Rückhalt aus der Gesellschaft für Neues: Der Deutsche Integrationspreis, der 2016 erstmalig ausgeschrieben wurde, sucht Projekte, die die Integration von Geflüchteten mit einem neuartigen Ansatz voranbringen und sie dabei möglichst stark einbeziehen. Träger sind Sozialunternehmen, Vereine, Initiativen und Einzelpersonen mit Vorhaben, die auf Rückhalt in der Gesellschaft angewiesen sind und sich für die Beteiligung vieler, also der Crowd, sehr eignen. Integration geschieht zwar lokal, viele Unterstützer - auch Geflüchtete selbst - erreicht man jedoch vor allem in der digitalen Welt.

Stiftung als Verstärker gesellschaftlicher Impulse: Die Beteiligung der Gesellschaft ist für eine gemeinnützige Einrichtung extrem wertvoll, denn sie unterfüttert ihren Auftrag und Anspruch, der Gesellschaft zu nutzen. Durch die aktive Einbeziehung und Mitentscheidung Vieler beim Deutschen Integrationspreis wird die Auswahl der zu fördernden Ideen und Projekte auf eine breite Basis gestellt. Nicht die Hertie-Stiftung entscheidet, welche Projekte unterstützt werden und in die Umsetzung gehen, sondern die Crowd. Die Stiftung nimmt die Rolle des Organisators, Vermittlers und Verstärkers ein - eine wichtige, richtige Rolle für eine gemeinnützige Einrichtung.

Multiplikator in mehrfacher Hinsicht: Im Netz vergrößert sich die Reichweite: Über Facebook, Twitter und Co. erfahren viel mehr Menschen von Projektideen. Das bringt den Projekten erstens finanzielle Unterstützung, zweitens neue Ehrenamtliche und Netzwerke, die vor Ort mit anpacken und die Projektarbeit langfristig sichern und drittens Nachahmer, die das Konzept an andere Orte übertragen. Durch die Kombination von Crowdfunding und Stiftungsförderung in einem zeitlich begrenzten Wettbewerb, erreichen die einzelnen Projekte gemeinsam noch mehr Menschen als alleine und vervielfachen dadurch die Fördermittel.

Vor diesem Hintergrund war für die Hertie-Stiftung schnell klar, dass das Thema Integration mit einem Crowdfunding-Contest große Sichtbarkeit erhält und sich neue Finanzierungsmöglichkeiten erschließen.

Best Practice: Crowdfunding-Contest mit Stiftungsförderung

Zunächst benötigt man eine etablierte Crowdfunding-Plattform, die die technische Umsetzung leisten kann. Es gibt unterschiedliche Anbieter und Akteure am Markt. Der Deutsche Integrationspreis wurde mit Startnext, der größten Plattform im deutschsprachigen Raum, umgesetzt. Diese bietet die technische Infrastruktur, Reichweite und hat unter anderen mit "kulturMut" der Aventis Foundation bereits auf regionaler Ebene Erfahrungen mit einem Contest ähnlicher Art gesammelt.

Als nächstes braucht man gute Projekte, die in dem Themenfeld wirken und Finanzierung suchen. Über ein öffentliches Bewerbungsformular erhielt die Hertie-Stiftung bundesweit über 250 Bewerbungen. Nach einem Check starteten 40 Projekte gemeinsam in einen sechswöchigen Contest. Dabei waren die Integrationsansätze der Projekte sehr verschieden: von Jobvermittlung, über Begegnung durch gemeinsames Kochen, Gesundheit, Musik und Sport bis hin zur Vermittlung von Wohnungen. Vor Contest-Beginn erarbeiteten die Projekte ein Kurzprofil, ein Video und attraktive Dankeschön für ihre Unterstützer. Dazu hatte jeder eine eigene Projektseite auf der Internetseite von Startnext. Eine Übersichtsseite zeigte alle beteiligten Projekte nach Rangfolge ihrer erreichten Unterstützer.

In der sechswöchigen Crowdfunding-Phase hatten alle Projekte das Ziel, so viele Menschen und so viel Geld wie möglich für sich zu gewinnen. Zur Halbzeit vergab die Hertie-Stiftung zusätzlich insgesamt 140 000 Euro an die Projekte mit den meisten Unterstützern. Alle kommunikativen Kanäle wurden genutzt: Hier waren die Projekte und auch ihre Netzwerke sehr aktiv und man erlebte die Verbreitungskraft der digitalen Medien. Nachrichten auf den sozialen Kanälen verbreiteten sich immens, sodass am Ende eine halbe Million Menschen die Contest-Seiten im Internet besuchten. Das Ergebnis ist für alle erfreulich: 34 von 40 Projekten erreichten ihr Finanzierungsziel und konnten in die Umsetzung gehen. 16 300 Menschen unterstützten aus eigener Tasche, sodass insgesamt beeindruckende 714 000 Euro in die Integrationsarbeit fließen.

Selbstläufer oder Einsatz von Erfolgsfaktoren?

Der Deutsche Integrationspreis ist damit noch nicht zu Ende: Eine achtköpfige Jury wählt die drei Preisträger unter anderem nach Kriterien wie Innovation, Wirkungspotenzial, Einbindung von Geflüchteten sowie Übertragbarkeit und Skalierbarkeit aus. Am 26. Oktober erhalten diese für ihre besonders wirkungsvolle Arbeit eine Anschlussfinanzierung von insgesamt 100 000 Euro.

Klarheit der eigenen Botschaft: Mithilfe von Text, Video und Bild muss den Unterstützern klar werden, worum es in dem Projekt geht und warum es sich lohnt, das Projekt zu fördern.

Transparenz über den Einsatz der Gelder: Es überzeugt, wenn Konzept und Finanzierung zusammenpassen und man als Spender sicher sein kann, dass das eigene Geld sinnvoll eingesetzt wird. Das Crowdfunding-Prinzip "all or nothing" ist deshalb für diese Art Wettbewerb passend, da nur denjenigen das Geld ausgezahlt wird, die ihre Mindestfinanzierungssumme erreicht haben.

Die Wertschätzung der Spender durch das "reward based"-Verfahren: Spender erhalten eine Quittung, Unterstützer ein Dankeschön als Gegenleistung. Dies können witzige, kleine Dinge oder Aktivitäten sein, die zum Charakter des Projekts passen. Damit zeigen Initiativen kreatives Potenzial: Kochrezepte, persönliche Dankes-Videos, selbstgestaltete Brettchen, Tablet-Hüllen, Gemälde oder gleich ein ganzes Fest.

Authentische Kommunikation im Social Web: Die Menschen hinter der Idee müssen authentisch und sympathisch sein, um möglichst viele von der Wichtigkeit ihrer Idee zu überzeugen. Dabei spielt die Mobilisierung in den sozialen Netzwerken eine zentrale Rolle. Wichtig ist auch die persönliche Ansprache bereits bestehender Kontakte. Jede Interaktion wie "Liken" und "Teilen" ist willkommen. Das Motto lautet: Crowdfunding braucht die Crowd!

Eine kritische Masse: Für einen Crowdfunding-Contest spielt neben der erwähnten Qualität der Projekte, auch die Quantität eine Rolle. Je mehr Projekte mitmachen, desto mehr Medien und Menschen werden auf sie aufmerksam und reagieren.

Gesellschaftliche Relevanz des Themas: Je bedeutender das Thema eines Crowdfunding-Contests in der Gesellschaft ist und je dringender Lösungsansätze benötigt werden, umso mehr Menschen werden innovative Projekte unterstützen und zur Realisierung verhelfen.

Vertrauensvorschuss durch die Stiftung: Die Tatsache, dass die Hertie-Stiftung eine qualitative Vorauswahl der Contest-Projekte getroffen und eigene Fördermittel eingebracht hat, erhöhte die Vertrauenswürdigkeit in die Projekte, sodass noch mehr Spender und Unterstützer mobilisiert werden konnten.

Fair-Play in einem gemeinsamen Rahmen: Die beteiligten Projekte haben sich gegenseitig unterstützt: Sie haben sich vernetzt und beraten, Beiträge geliked und geteilt, gemeinsam Veranstaltungen durchgeführt und sich sogar finanziell unterstützt. Alle engagieren sich für ein gemeinsames Ziel, nämlich das Zusammenleben in Deutschland zu gestalten. Am Ende des Crowdfunding-Contests waren sich die Initiativen einig, dass das gemeinsame Crowdfunding allen genützt hat.

Ermutigende Erfahrungen

Die Hertie-Stiftung schreibt am 27. Oktober 2017 den Deutschen Integrationspreis 2018 aus. Diesmal sollen vor allem Projektinitiatoren erreicht werden, die selbst Fluchtoder Migrationsgeschichte haben und wissen, worauf es ankommt, um sich in einem neuen Land heimisch zu fühlen. Außerdem konnte mit dem Stifterverband, der den Deutschen Integrationspreis 2018 fördert, ein starker Partner gewonnen werden.

Aber auch andere Stiftungen und Unternehmen können von den hier beschriebenen Erfahrungen profitieren und soziale Projekte, Start-ups und Sozialunternehmen darin unterstützen, mit Crowdfunding eine Anschubfinanzierung zu erhalten. Erfolgreiches Fundraising im reward-based-Verfahren ist ein "Markttest" und ein guter Indikator dafür, ob sich ein Absatzmarkt findet und eine Idee langfristig etablieren kann. Mit einem renommierten Förderer wie einer Stiftung, Bank oder einem Unternehmen, lässt sich die Crowd leichter gewinnen, gute Projekte zu unterstützen.

Die Gemeinnützige Hertie-Stiftung Die Hertie-Stiftung baut auf dem Lebenswerk des 1972 verstorbenen Stifters Georg Karg, Inhaber der Hertie Waren- und Kaufhaus GmbH, auf. Die Arbeit der Stiftung konzentriert sich auf zwei Leitthemen: Gehirn erforschen und Demokratie stärken. Die Projekte der Stiftung setzen modellhafte Impulse innerhalb dieser Themen. Im Fokus stehen dabei immer der Mensch und die konkrete Verbesserung seiner Lebensbedingungen.- Gründung: 1974- Stifter: Hans-Georg Karg und Brigitte Gräfin von Norman- Anlagevermögen: rund 1 Milliarde Euro- Jährliche Förderung: 20 bis 25 Millionen Euro
Ergebnisse des Contests Mit einem Einsatz von 140 000 Euro gelang es der Hertie-Stiftung mithilfe der Crowd, die Fördersumme zu vervierfachen, also 575 000 Euro einzusammeln (das bedeutet einen Anteil der Crowd von rund 80 Prozent am Gesamtfunding), mehr als 16 300 Unterstützer zu mobilisieren und 34 von 40 gestarteten Integrationsprojekten zu einer Finanzspritze für ihre Arbeit zu verhelfen und all dies unter Beteiligung der Gesellschaft. Das entspricht einer Erfolgsquote von 85 Prozent und wäre in der Zeit und mit gleichen Ressourcen ohne den Crowdfunding-Contest nicht gelungen.
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