Digitaler Wandel in der Vermögensverwaltung

Dr. Andreas Przewloka, Mitglied des Vorstands und Chief Operating Officer, UBS Europe SE, Frankfurt am Main

Quelle: UBS Europe SE

Dr. Andreas Przewloka, Mitglied des Vorstands und Chief Operating Officer, UBS Europe SE, Frankfurt am Main - Dass die Digitalisierung auch vor der Vermögensverwaltung nicht haltmachen wird, zeigen aus Sicht des Autors allein schon die zahlreichen Angebote des Robo Advisory. Gleichwohl setzt der Autor in dieser Disziplin auf die Technik und die Zusammenarbeit mit Fintechs eher als ein ergänzendes Instrument. Und auch von der gründlichen Erforschung und dem Einsatz der Blockchain-Technologie verspricht er sich nur eine flankierende Wirkung. Als zentrales Element einer erfolgreichen Vermögensverwaltung versteht er bei aller Ausschöpfung neuer Instrumente der Digitalisierung den persönlichen Kontakt mit den Kunden und damit eine wie auch immer geartete Möglichkeit eines vertrauensvollen Austausches. In der Aufrechterhaltung des direkten Kundenkontaktes mit den Beratern setzt er dabei nicht zwingend auf das Vor-Ort-Gespräch, sondern will auch an dieser Stelle das gesamte Spektrum der neuen technischen Möglichkeiten ausschöpfen - bis hin zum klassischen Telefonkontakt. (Red.)

Vermögensverwalter stehen derzeit vor einer großen Herausforderung: Niedrige Zinsen drücken auf die Erträge, dazu verändern sich die Kundenbedürfnisse. Der digitale Zeitgeist macht eben auch nicht Halt vor der Art und Weise, wie Menschen mit Finanzen umgehen. Vermögensverwalter tun gut daran, die Digitalisierung ernst zu nehmen - aber nicht um jeden Preis.

Eine Umwälzung historischen Ausmaßes

Vergangenheit und Gegenwart kennen viele Schlagworte, die doch eher leere Worthülsen waren. Im Gegensatz dazu ist die Digitalisierung eine Entwicklung, ja eine Umwälzung historischen Ausmaßes: Die nicht nur im Hier und Jetzt stattfindet, sondern schon jetzt den Alltag prägt und massiv verändert. Nachdem Google, Amazon und weitere Vertreter der digitalen Avantgarde die Erwartungen von Konsumenten an Produkte und Dienstleistungen revolutioniert haben, ist die Digitalisierung längst auch in der Finanzbranche angekommen. Der ohnehin schon starke Wettbewerb im Bankenmarkt wurde durch den Aufstieg von Fintechs noch einmal verschärft.

Die derzeit wohl am heißesten diskutierte Technologie im Bankensektor ist Blockchain. Ihr Potenzial ist disruptiv genug, um die gesamte Bankenlandschaft nachhaltig zu verändern. Im Prinzip ermöglicht die Technologie die sichere Abwicklung einer Transaktion zwischen zwei Akteuren. Über verschlüsselte Identitäten können sich beide Akteure von der Vertrauenswürdigkeit des Gegenübers überzeugen.

Das richtungsweisende Element dabei ist der Umgang mit Daten: Wo bisher jeder einzelne Vorgang separat erfasst wurde und für riesige zentral gespeicherte Datenmengen gesorgt hat, speichert Blockchain-Technologie anonymisierte und dezentrale Datenblöcke in einer Kette, die nicht verändert, aber von allen Teilnehmern des digitalen Netzwerks eingesehen werden kann. Die Informationen werden aber nur dann in der Kette hinterlegt, wenn die Mehrzahl der Netzwerkteilnehmer die zugrunde liegende Transaktion als rechtens anerkennt.

Der potenzielle Mehrwert von Blockchain ist immens: Nahezu alle Finanztransaktionen können künftig in Echtzeit abgewickelt werden, Transaktionskosten reduziert und das Gegenparteirisiko gesenkt werden. Dazu könnten Regulatoren in das System integriert werden, um kriminellen Bedrohungen schnellstmöglich entgegenzuwirken. Für die Vermögensverwaltung wären beispielsweise auf Blockchain basierende smarte Applikationen denkbar, die zu selbstständigen Lernprozessen und Handlungen fähig sind. Portfoliomanager könnten sich somit bei Handelsentscheidungen unterstützen lassen.

Enorme Investitionen zur Erschließung der Blockchain-Technologie

Aufgrund des enormen Potenzials, die Abwicklung von Transaktionen zu revolutionieren, investieren viele Marktteilnehmer signifikante Beträge in die Erschließung der Technologie. Mit der Gründung eines Innovationslabors beim Fintech Inkubator Level 39 in London war UBS sogar die erste globale Bank mit einem eigenen Blockchain-Programm.

Allerdings ist es noch ein langer Weg, bis Blockchain ein Vertrauensmotor der digitalen Bankenwelt werden kann. Sollten sich die Prognosen über das disruptive Potenzial der Blockchain bewahrheiten, wird die Technologie den Bankensektor jedoch nachhaltig neu strukturieren und früher oder später auch die Vermögensverwaltung transformieren.

Doch genug der Zukunftsmusik und zurück in die Gegenwart. Auch abseits von Blockchain wurden in der jüngeren Vergangenheit zahlreiche Entwicklungen von Fintechs angestoßen. Deren digitale Produkte zeichnen sich oft durch Unkonventionalität aus und sind noch dazu massenmarkttauglich. Die Bandbreite reicht von der einfachen Zahlungsabwicklung über digitale Kreditmarktplätze bis hin zur Onlineportfoliooptimierung. Viele Retailbanken wissen das innovative Potenzial der Fintechs mittlerweile für sich zu nutzen und setzen auf Zusammenarbeit. Online Banking, Mobile Banking und Robo Advisory sind nur ein paar der Neuschöpfungen im Zuge der Digitalisierung des Alltagsgeschäfts. Direktbanken ermöglichen sogar den selbstgesteuerten Handel mit Wertpapieren.

Im Bereich der klassischen Vermögensverwaltungen hingegen scheint die digitale Transformation auf der Stelle zu treten. Eine solche Neuaufstellung bedarf immer jeder Menge Ressourcen, Kooperationen mit Fintechs und innovative Produktangebote alleine sind nicht genug. Erhöhte Anforderungen an Regulierung und Compliance müssen beachtet werden, zudem ist der Einsatz von hochwertiger Technologie notwendig, um Cyberkriminalität vorzubeugen und Datenschutz zu garantieren. Das ist sehr aufwendig: Und doch reicht es als Erklärung für die schleppende Digitalisierung, fast schon Digitalisierungsresistenz zu nennen, nicht aus. Andere Bereiche im Bankensektor sind hier schon wesentlich weiter.

Der entscheidende Hinderungsgrund scheint eher eine Einstellungssache zu sein, das Selbstverständnis, was klassisches Private Banking ist. Tradition ist genau wie Vertrauen eine der Grundlagen in der Vermögensverwaltung. Kundenbeziehungen wurden hier oftmals noch über Generationen hinweg aufgebaut und gepflegt. Doch wie für alle anderen Geschäftsfelder gilt auch in diesem Fall die Binsenweisheit: "Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben", oder in diesem konkreten Fall der Kunde. Denn wer zu lange ausschließlich auf traditionell gut Bewährtes setzt, droht den Anschluss zu verlieren.

Auch Vermögende sind heutzutage digitalaffin und haben dieselben Erwartungen an Finanzdienstleistungen wie andere Kundengruppen. Um diese bedienen zu können, müssen Vermögensverwalter das Potenzial der Digitalisierung noch konsequenter nutzen. Wer am Puls der Zeit agiert, dem eröffnen sich immense Chancen: Mit neuen Technologien kann die Beratung optimiert und das Geschäftsmodell gestärkt werden. Über digitale Kanäle können neue Kundensegmente erschlossen und bestehende an neuartige Services herangeführt werden. Nicht zuletzt sollte der holistische Digitalisierungsprozess generell als Chance wahrgenommen werden, sich schlanker und effizienter aufzustellen.

Dabei ist es nicht die Integration neuartiger Technologien per se, die Vermögensverwalter vor ihre größte Herausforderung stellt. Vielmehr entpuppt sich die Aufgabe, moderne Angebote in Einklang mit den Stärken der klassischen Vermögensverwaltung zu bringen, als äußerst heikel. Aktuelle Anlegerbedürfnisse erfordern Lösungen, die mit veränderten Lebensweisen und Erwartungen vereinbar sind. Das beinhaltet beispielsweise den jederzeit möglichen Onlineeinblick ins eigene Portfolio sowie Zugang zu topaktuellen Marktanalysen.

Raum für die persönliche Beratung

Trotz oder gerade wegen der hohen Transparenz will die große Mehrheit der Anleger bei Entscheidungsfindungen aber nach wie vor vertrauensvoll an die Hand genommen werden. Vermögensverwaltungen leben davon, das ihnen entgegengebrachte Vertrauen zurückzuzahlen. Das ist nur möglich, wenn die individuellen Bedürfnisse und Investmentziele der Kunden verstanden und verinnerlicht werden, sodass die jeweils bestmögliche Lösung generiert werden kann.

Ein Robo Advisor allein ist nicht in der Lage, diese Aufgabe zufriedenstellend zu bewältigen, sondern nur die persönliche Beratung - von Mensch zu Mensch. Technologische Innovationen können zwar Anlagevorschläge liefern und den Zugang zu Informationen beschleunigen, aber nur der geschulte Berater kann die Vorschläge individuell einordnen und dabei helfen, die Navigation durch komplexe Sachverhalte zu erleichtern.

Durch den Einsatz innovativer Elemente hat die Digitalisierung das Potenzial, die Qualität in der Vermögensverwaltung weiter zu erhöhen. Künstliche Intelligenz kann beispielsweise dazu verwendet werden, Kunden noch besser zu beraten. Verhaltenstendenzen von Portfoliomanagern, die sich unter Umständen nachteilig auf die Rendite auswirken, können mithilfe von Technologie identifiziert und anschließend abgeschaltet werden. Die Anlagestrategien der Kunden könnten dadurch sogar besser umgesetzt werden, was wiederrum zu besseren und nachhaltigeren Ergebnissen führt. Bei onlinebasierten Angeboten kann dieselbe leistungsstarke digitale Plattform als Informationsquelle sowohl auf Kunden- als auch Anbieterseite eingesetzt werden. So wird der Berater entlastet und kann sich auf seine Kernkompetenz konzentrieren - die Beratung. Im digitalen Zeitalter ist es dabei essenziell, dass diese Leistung maßgeschneidert über die richtigen Kanäle angeboten wird - viele verzichten aus Gründen der Zeitersparnis auf das persönliche Vor-Ort-Gespräch, schätzen aber trotzdem den persönlichen Dialog. Hier können zum Beispiel digitale Angebote mit telefonischer Beratung Ab hilfe schaffen. Anderen wiederum ist der direkte Kontakt vor Ort weiterhin sehr wichtig, weshalb Vermögensverwalter es vermeiden sollten, die herkömmliche Beratungsleistung einzuschränken. Es wäre die falsche Herangehensweise, das bisherige Angebot zugunsten der Digitalisierung zu beschneiden. Die Vermögensverwaltung muss sich nicht transformieren, sie muss sich sinnvoll erweitern. Ansonsten würde sie sich ihrer größten Stärken im Wettbewerb mit reinen Digitalanbietern berauben.

Hochkomplexe, dynamische Investmentstrategien

Zu diesen Stärken gehören abseits von Vertrauen unter anderem hochkomplexe, dynamische Investmentstrategien. Gerade in Zeiten volatiler Märkte braucht es Ansätze, die es ermöglichen, Risiken und Verluste in schwierigen Marktphasen zu verringern und gleichzeitig von positiven Markttrends zu profitieren. Ansätze, die emotionalen Verhaltensmustern einen Riegel vorschieben. Solche Strategien sind extrem ressourcenaufwendig: Sie erfordern kontinuierliche Analysen des makroökonomischen Umfelds sowie die verlässliche Identifikation von Trends in den Aktienmärkten. Auf diese Weise kann das Portfolio jederzeit umgeschichtet und an die aktuelle Marktsituation angepasst werden. Nur wenn solche Strategien mit digitalen Angeboten in Einklang gebracht werden, ergibt sich für den digitalaffinen Nutzer auch einen Mehrwert.

Obwohl die digitale Revolution wahrscheinlich erst am Anfang steht, wird der Mensch in der Vermögensverwaltung nicht zu ersetzen sein. Nur wem der Spagat gelingt, die technischen Möglichkeiten trotz aller Hürden intelligent zu nutzen und diese gleichzeitig mit den alten Stärken zu kombinieren, kann seinen Kunden auch künftig ein wettbewerbsfähiges Leistungsspektrum bieten. Mit anderen Worten: Das effiziente Zusammenspiel aus Mensch und Maschine ist der Zukunftsgarant der klassischen Vermögensverwaltung.

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