Disruptionsstrategie in der Projektfinanzierung

Dr. Christian Ostendorf, Essen

Quelle: privat

Dr. Christian Ostendorf, Essen - Dass der Zahlungsverkehr und das Anlagegeschäft vieler Kreditinstitute von Fintechs bedroht sind oder zumindest Marktentwicklungen in diesen Segmenten stark beschleunigt werden, wird fast täglich durch neue Beispiele oder Untersuchungen untermauert. Aus Sicht des Autors sind auch "High-End-Bereiche" des Bankgeschäftes keineswegs vor zerstörerischen Angriffen der Newcomer sicher. Als Beispiel schildert er seine Überlegungen im Bereich der Projektfinanzierung. In Zeiten einer zunehmenden Regulierung durch Basel III und Solvency II sieht er die traditionell starke Marktposition von Banken und Versicherern in diesem Geschäftsfeld durch die mangelnde Profitabilität von Langfristfinanzierungen bedroht. Neuen Anbietern und vor allem Plattformen, die weniger strengen Regulierungsvorschriften unterliegen und Fremdkapital ohne die Mindestanforderungen anbieten können, räumt er deshalb gute Chancen ein, sich in Zusammenarbeit mit spezialisierten Dienstleistern in diesem Geschäft durchzusetzen. (Red.)

Ist die Kombination aus Disruption und Projektfinanzierung ein Absurdum? - Der in diesem Artikel verwendete Terminus technicus ist wie folgt zu verstehen: Das zentrale Wesensmerkmal der Digitalisierung fokussiert sich auf die Automatisierung, bei der viele Arbeiten, die bisher vom Menschen ausgeführt wurden, durch Systeme, Roboter oder künstliche Intelligenz ersetzt werden. Im Zeitalter der Digitalisierung werden viele Start-up-Unternehmen überwiegend im Silicon Valley mit dem Ziel gegründet, Branchen zu zerstören. Sie greifen selbst Branchenriesen an mit dem Ziel, die Welt zu verbessern.1)

Schumpeter beschrieb diesen dem marktwirtschaftlichen System als genetischer Code innewohnenden Prozess als schöpferische Zerstörung. Warum auch sollte man das eigene Geschäftsmodell kritisch hinter fragen, das weltweit offensichtlich so erfolgreich war?2) Die gezielte Entwicklung und Vermarktung einer disruptiven Innovation um bestehende Markteilnehmer zu verdrängen wird im Folgenden als Disruptionsstrategie verstanden.

Mangelnde Flexibilität vieler etablierter Unternehmen

Clayton M. Christensen hat den Begriff der "Disruption" geprägt. Etablierte Unternehmen fokussieren sich aus der Natur heraus auf den bestehenden Markt und die bestehenden Kundenverbindungen. Aufgrund der starren Markt- und Kundenstrukturen fehlt ihnen häufig die Flexibilität, sich disruptiven Technologien zu öffnen. Zunächst liegt dies an der zu Beginn häufig schlechteren Leistung der disruptiven Technologien, da diese allenfalls in kleinen Nischen gefragt sind, nicht aber im Massenmarkt. Etablierte Unternehmen klassifizieren disruptive Technologien als uninteressant und zögern so lange, bis sich die Technologie verbessert und sie irgendwann marktfähig wird. Dabei wirkt die digitale Transformation auf folgende drei Einflussbereiche auf die Unternehmen ein:

1. Digitalisierung von Produkten und Dienstleistungen,

2. Digitalisierung von Prozessen und Entscheidungen,

3. Digitalisierung von gesamten Geschäftsmodellen.

Darüber hinaus wird häufig die Geschwindigkeit unterschätzt, die sich exponentiell entwickelt.3) Laut Christensen entstehen Disruptionen auf zwei Arten: Entweder bewirkt eine qualitativ schlechtere Technologie am unteren Ende des Marktes in einer Nische eine Disruption oder es wird mit einer disruptiven Technologie ein neuer Markt geschaffen. Matzler erweitert diese Definition, indem auch eine neue Technologie im High-End-Bereich des Marktes eintreten kann und sich dann von oben nach unten durchsetzt. Dabei verweist er auf Tesla, welches im Premiumsegment beginnt und sich von oben nach unten in den Markt vorarbeitet.4)

Disruption auch im High-End-Segment?

Während der letzten 20 Jahre war die Disruption am deutlichsten im Handel, Reisen und Publishing von innovativen Unternehmen wie Google und Amazon zu spüren. In der zweiten Welle der digitalen Disruption steht jetzt die Finanzindustrie im Fokus.5) Bill Gates formulierte bereits 1994: "Banking is necessary, banks are not." Die in der Finanzkrise sich entwickelnde Crowd funding-Revolution erzielt bis heute explosionsartiges Wachstum und erfährt mit weiter entwickelten Crowdfunding-Technologien die Massenmarkttauglichkeit. Fortan wurde die digitale Revolution im Finanzwesen als "Fintech" bezeichnet, wobei London bis heute das Zentrum der Entwicklungen ist. Hier haben sowohl Behörden als auch die Finanzindustrie die Chancen für eine Verjüngung des Finanzplatzes erkannt und die internationale Wettbewerbsfähigkeit nachhaltig gesteigert.6)

Speziell der Banken- und Versicherungsmarkt steht großen Veränderungen gegenüber und wird sich in den nächsten Jahren nahezu in Gänze neu gestalten müssen. Beispielsweise positioniert sich Goldman Sachs als Tech Company und beschäftigt heute schon mehr als 30 Prozent Ingenieure und Programmierer.7) Gunter Dueck warnt vor Massenarbeitslosigkeit und spricht mit "Flachbildschirmrückseitenberatung" den Großteil der Privatkundenbetreuer im Banken- und Versicherungsmarkt direkt an.8) Wenn heute Auxmoney, Seedmatch und andere Anbieter am unteren Ende des Marktes erfolgreich in einer Nische Kredite von C2C oder von C2B im Rahmen von Direct Lending platzieren, ist damit der Disruptionsprozess nach Clayton in vollem Gange. Daraus resultiert die Frage: Kann eine Disruption auch im High-End-Bereich nach Matzler im Banken- und Versicherungsmarkt erfolgen? Die Projektfinanzierung wäre beispielsweise solch ein High-End-Bereich.

Angriffsfläche auch am Markt für Projektfinanzierung

Im Folgenden wird daher zur Beantwortung der vorausgegangenen Frage die internationale Projektfinanzierung kritisch untersucht. Die internationale Projektfinanzierung wird dabei wie folgt definiert: Die Projektfinanzierung ist Bestandteil der Strukturierten Finanzierung und ermöglicht die langfristige Finanzierung großvolumiger Infrastrukturvorhaben. Dabei wird Infrastruktur häufig in Power, Oil & Gas, Transportation, Mining, Industry und Telecommunication unterteilt.

Projektbeteiligte handeln hierbei gemeinsam in einem strukturierten Rahmen und Vorgehen und bringen damit ihre individuellen wirtschaftlichen und technischen Fähigkeiten ein. Banken stellen dabei langfris tige Kreditfinanzierungen ausschließlich auf das sich selbst tragende Non-recourse-Projekt in einer eigenständigen Projekt gesellschaft "SPV" ab, weil sie keine volle Garantie der Eigenkapitalgeber erhalten. Grundlagen für Investitionsvorhaben bei Projektfinanzierungen sind:

- Eigenständige Projektgesellschaft,

- Projekt Cashflows als maßgebliche Orientierung,

- Risikomanagement und -verteilung,

- Non- oder limited Recourse.9)

us welchem Grund bietet sich gerade die Projektfinanzierung einer Disruptionsstrategie an? Auf der einen Seite steht die Disruption mittels Systematisierung, Standardisierung und Digitalisierung und auf der anderen Seite für jedes einzigartige Projekt die hochkomplexe und individualisierte Projektfinanzierung. Gleichwohl befindet sich die Projektfinanzierung derzeit im Umbruch und eröffnet vielleicht gerade hierdurch eine größere Angriffsfläche und Chancen einer erfolgreichen Disruption.

Generell präsentiert sich der Projektfinanzierungsmarkt für potenzielle Disrupteure als sehr attraktives Geschäftsmodell.

Erstens ist die Projektfinanzierung für alle Beteiligten ein hochprofitables Geschäftsmodell und bietet bis in die weite Zukunft ein globales, stark ansteigendes Wachstum. Zweitens wurden niedrige und insgesamt wenige Ausfälle im Ergebnis in den Port folios nachgewiesen. Sofern es dennoch in der Vergangenheit zu einem Ausfall kam, wurde nur eine vergleichsweise geringe Verlustquote verzeichnet. Drittens befindet sich der Projektfinanzierungsmarkt derzeit im Wandel, der sich bis dato wie folgt vollzieht: Bedingt durch die Einführung von Basel III bis 2020 gerät die Profitabilität für Langfristfinanzierungen bei den Banken in den nächsten Jahren zunehmend unter Druck und das Geschäftsmodell verliert an relativer Attraktivität.

Pensionskassen als natürliche Partner

Dies liegt vordergründig an der Klassifizierung der Projektfinanzierung als Specialised Lendings und den Mindestquoten für Risikogewichte von Portfolios.10) Zenke betont die Notwendigkeit starker Banken

und die Pflicht von Versicherungen und Pensionsfonds.11) Doch die Banken sind durch Basel III geschwächt. Schon jetzt ist ein Know-how-Transfer im Projektfinanzierungsmarkt zu verzeichnen. Einerseits stürzen sich die großen WP-Gesellschaften auf die lukrativen Advisory-Mandate, andererseits rüstet die Versicherungsbranche ihr Know-how im Projektfinanzierungsgeschäft ebenfalls auf.

Nach Brodehser haben gerade Versicherungen und Pensionskassen mit ihren langfristigen Einlagen ein adverses Fristentransformationsrisiko und zeichnen sich dadurch als natürliche Partner von Projektfinanzierungen aus.12) Zwar wurden Eigenkapitalvorschriften nach Solvency II für Versicherer im Bereich Infrastrukturanlagen gelockert, jedoch unterliegen die Versicherer ähnlich wie Banken den strengen Richtlinien der Versicherungsaufsicht EIOPA, welche das Engagement in der Projektfinanzierung zügelt.13)

Bereitstellung von Fremdkapital ohne Mindestanforderungen

Wenn zwei sich streiten, freut sich der Disrupteur. Generell hat der Advisor eine größere Chance ein Mandat zu gewinnen, wenn dieser ebenfalls eine Fremdkapitalfinanzierung mit anbieten kann. Dies schafft Vertrauen für weitere Fremdkapitalanbieter und somit eine bessere Platzierung der gesamten Fremdkapitaltranche im Markt. Bei gleicher Advisory-Qualität haben in conclusio die WP-Gesellschaften grundsätzlich das Nachsehen gegenüber den Banken und Versicherungen. Ein Disrupteur hätte also bei der Kombination aus qualitativ gleichwertiger Advisory-Leistung und einer Bereitstellung von Fremdkapital ohne Mindestanforderungen nach Basel III oder EIOPA die besten Chancen am Markt.

Wie bei allen Fintechs könnte es eine plattformbasierte Lösungsmöglichkeit geben, auf der, ähnlich wie beim Crowdfunding, strukturierte Projektfinanzierungen dem Privatinvestor zugänglich gemacht werden. Hierbei hat die Qualität der strukturierten Produkte oberste Priorität. Zur Gründung einer langfristigen Vertrauensbasis muss die Güte des Produktes dem Privatinvestor klar verständlich, glaubwürdig und überzeugend vorgestellt werden. Eine neu etablierte, transparente und frei zugängliche Ratingstruktur unterstützt die Qualität und die Vergleichbarkeit der einzelnen Produkte. Ebenfalls ist die Bündelung mehrerer Projektfinanzierungen als Fonds vorstellbar, der ähnlich wie ein Bankenkreditportfolio die Ausfallwahrscheinlichkeit einzelner Projekte kalkuliert, einpreist und das Risiko eines Fondsverlustes damit vollständig ausschließt. Das Strukturierungs-Know-how als Plattformbetreiber einzukaufen ist sehr kapitalintensiv und könnte zunächst wie bisher gut über die relevanten WP-Gesellschaften abgedeckt werden.

Größen- und Skalierungseffekte bei Plattformen haben gezeigt, dass sich langfristig maximal zwei konkurrierende Plattformen im Markt etablieren können (Google und Bing oder Amazon). Bei einer Vielzahl von Plattformen ist die Motivation des Privatinvestors, sich bei jeder Plattform zu registrieren, sehr gering. Somit registriert sich der Privatinvestor auf der Plattform mit der größten Projektauswahl. Folglich hat diese Plattform die größten finanziellen Kapazitäten, was wiederum zu mehr Projekten und mehr Privatinvestoren führt. Dementsprechend kann es langfristig nur ein oder zwei Plattformen geben, da kleinere Plattformen automatisch verdrängt werden.

Tesla hat eindrucksvoll gezeigt, wie kapitalintensiv eine Marktdurchdringung eines disruptiven Ansatzes von oben nach unten ist. Sollte also ein Disrupteur auf dem Projektfinanzierungsmarkt ebenfalls mit großem Kapitalaufwand eigenes Know-how einkaufen und als einer der ersten eine eigene Marke als Plattform etablieren, ist die Chance groß, langfristig den Projektfinanzierungsmarkt zu beherrschen und Banken und Versicherungen in ihrem Geschäftsgebiets der Projektfinanzierung zu zerstören. Sowohl die Anzahl an kapitalintensiven Projekten auf der einen Seite als auch Privatinvestoren mit langfristigem Investitionshorizont, Dividendenfokus und großer Sicherheitsfokussierung (Altersvorsorge) haben das Potenzial für eine erfolgreiche Plattformlösung bis hin zu einem Aufstieg zu einem globalen Konzern. Der Kuchen, den es zu verteilen gilt, ist groß, wenn das Produkt "Projektfinanzierung" für die Banken und Versicherungen zerstört und von Disrupteuren übernommen werden soll.

Literaturverzeichnis

Bozicevic, Falko, Liebig, Svenja: Phase I - Die digitale Disruption erreicht Finanzindustrie; Going Public, Februar/März 2017, S. 26ff.

Böttcher, Jörg; Blattner, Peter: Projektfinanzierung; 3., überarbeitete Auflage, München 2013

Dueck, Gunter: Schwarmdumm: So blöd sind wir nur gemeinsam; Frankfurt 2015

Fabozzi, Frank J.; de Nahlik, Carmel: Project financing; Eighth Edition, London 2012

Kleiner, Marcus, Brodehser, Peter: Infrastrukturfinanzierungen - ein Markt mit Zukunft für Banken und institutionelle Investoren; in: ZfgK 10-2013, S. 519ff.

Matzler, Kurt im Interview mit Winfried Kretschmer: Verlauf exponentiell, Wirkung disruptiv; ChangeX, Erding 2017

Nevitt, Peter K.: Project financing; London 1980

Pitzer, Jürgen: Glaubwürdige Kommunikation im Zeitalter der Disruption; in: ZfgK 9-2016, S. 412ff.

Richter, Thomas: Erleichterte Finanzierung von Infrastruktur durch Spezialfonds; in: ZfgK 16/17-2016, S. 792ff.

Tytko, Dagmar: Grundlagen der Projektfinanzierung; Stuttgart 1999

Watzek, Harald: Einfluss interner Modelle auf die Infrastruktur- und Projektfinanzierung; in: ZfgK 9-2017, S. 434ff.

Yescombe, Edward R: Principles of project finance; San Diego/London 2013

Zenke, Harald D.: Export- und Projektfinanzierung: Gesellschaftliche Trends aufspüren und begleiten; in: ZfgK 1-2012, S. 36ff.

Fußnoten

1) Vgl. Matzler.

2) Vgl. Pitzer.

3) Vgl. Matzler.

4) Vgl. Matzler.

5) Vgl. Bozicevic, Liebig.

6) Vgl. Bozicevic, Liebig.

7) Vgl. Bozicevic, Liebig.

8) Vgl. Dueck.

9) Vgl. Nevitt; Fabozzi; Böttcher, Blattner; Yescombe; Tytko.

10) Vgl. Watzek.

11) Vgl. Zenke.

12) Vgl. Kleiner, Brodehser.

13) Vgl. Richter.

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