Disruption

Dr. Claudia Klausegger

Quelle: privat

Als Disruption (to disrupt = unterbrechen) wird meist eine Innovation bezeichnet, die ein bestehendes Produkt oder eine bestehende Technologie verdrängt. Konsequent weitergedacht und den Disruptionsbegriff erweiternd geht es unter anderem auch um bestehende Prozesse, bestehende Wertschöpfungsketten oder bestehende Geschäftsmodelle. Im Zuge der Digitalisierung mehr oder weniger aller Wirtschaftssektoren und vieler Lebensbereiche ist der Begriff populär geworden. Damit einhergehende Innovationen werden oft als disrupte Innovationen bezeichnet.

Das Phänomen der Disruption ist nichts Neues. Der Begriff Disruption im Zusammenhang mit Innovationen wurde bereits 1995 erstmals erwähnt 1) , er wird aber in der breiteren Öffentlichkeit erst jetzt verwendet.

Dominanz etablierter Player wird reduziert

Durch Disruption wird etwas grundlegend neu und/oder anders gemacht. Das bedeutet, dass dabei nicht nur ein gewisser Kundenmehrwert geschaffen wird, mit dem man auf dem Markt mit den etablierten Playern konkurriert, sondern dass ein grundlegendes Angebot gemacht wird, das aber dasselbe Kundenbedürfnis befriedigt. Die Folgen einer derartigen disruptiven Innovation können etablierte Unternehmen und ganze Wirtschaftszweige verändern.

Die Einführung disruptiver Innovationen auf einem Markt reduziert die Dominanz der dort bislang etablierten Player. Dies kann direkt sein, wenn neu in den Markt tretende Anbieter mit einer disruptiven Innovation mit den bisherigen Marktteilnehmern konkurrieren. Oder es ist indirekt, wenn die Anbieter einer disruptiven Innovation einen neuen Markt bilden, auf den Kunden von einem bestehenden Markt überlaufen.

Beispiele aus diversen Branchen

Disruptive Innovationen sind etablierten Produkten, Technologien, Prozessen, Wertschöpfungsketten und Geschäftsmodellen anfangs meist unterlegen. Wenn das so bleibt, scheiden sie bald aus dem Markt aus. Wenn es allerdings zu marktgerechten Verbesserungen und ebensolchen ergänzenden Entwicklungen kommt, können sie den Durchbruch schaffen.

Als Beispiele für eine erfolgreiche Disruption werden unter anderem angeführt:

- Diesel- und Elektrolokomotiven ersetzten die Dampflokomotiven.

- Die Compact Disc (CD) verdrängte Vinyl-Schallplatten und die Digital Versatile Disc (DVD) VHS-Videos. Beide werden heute sukzessive vom Streaming abgelöst.

- Im Druckgewerbe wurde der Bleisatz durch den Digitalsatz ersetzt. Die Vorteile der ersten Digitalkameras waren offensichtlich, schwache Auflösungen stellten aber einen großen Nachteil dar. Nach Verbesserung der Bildqualität haben Digitalkameras analoge Kameras nahezu vom Markt verdrängt.

- Lexika, Enzyklopädien und Atlanten wurden weitgehend durch das Internet ersetzt.

- Internetfähige Smartphones mit Touchscreens sind gerade dabei, die klassischen Mobiltelefone abzulösen.

Und der Trend setzt sich fort: Werden E-Books / E-Zeitungen den Bücher-/Zeitungsmarkt umkrempeln? Wird Uber das neue Taxifahren sein? Werden Robo Advisors die künftigen Anlageberater sein?

Heute meist von Start-up-Unternehmen initiiert

Ausgangspunkt einer Disruption ist radikales Denken, die zu einer Umwälzung revolutionärer Art führen kann. Sie wird heute meist im Zusammenhang mit der Digitalisierung, die derzeit aufgrund ihrer Bedeutung für die Wirtschaft das Hauptthema ist, von Start-ups initiiert.

Ob sich eine als radikale betrachtete Änderung allerdings am Markt durchsetzen wird, ist ungewiss. Deren Risiko ist hoch, deren Chance ist gering. Allerdings wird sie, wenn sie sich durchsetzt, für die etablierten Player auf dem jeweiligen Markt eine Gefahr und möglicherweise eine Gefahr für deren Überleben.

Disruption steht damit scheinbar im Gegensatz zur evolutionären Weiterentwicklung, die vorwiegend von etablierten Unternehmen gepflegt wird, deren Geschäftsmodelle erfolgreich sind. Für diese Unternehmen sind disruptive Innovationen fast unmöglich, da sie ein erfolgreiches Geschäftsmodell haben und dieses zu ändern mit einem hohen Risiko verbunden ist - ein Risiko, das derartige Unternehmen in der Regel nicht eingehen.

Nur Start-ups können ein so hohes Risiko eingehen, da sie wenig zu verlieren und viel zu gewinnen haben.

Auf disruptive Innovationen achten

Dennoch gilt es für etablierte Unternehmen, auf disruptive Innovationen zu achten. Wenn ein derartiges Unternehmen innovationsfreundlich ist und seine Produkte, Technologien, Prozesse, Wertschöpfungsketten und Geschäftsmodelle laufend nicht nur auf die Gewinnträchtigkeit, sondern auch auf die Zukunftsfähigkeit überprüft und zeitgerecht auf nahende (mögliche) revolutionäre Umwälzungen reagiert, führen derartige Veränderungen aber nicht zum Aus für das Unternehmen, sondern zu einem erfolgreichen - veränderten - Weiterbestehen.

Selbst entwickeln, kooperieren oder kaufen

Etablierten Unternehmen stehen bei einer auf dem Markt gebrachten disruptiven Innovation mehrere Möglichkeiten offen:

- Nicht zu reagieren. Das haben die Segelschiffwerften gemacht. Keiner einzigen ist es gelungen, zum Motorschiffhersteller zu werden.

- Die disruptive Innovation im eigenen etablierten und (bislang) am Markt erfolgreichen Unternehmen selbst zu realisieren. Das gelingt oft nicht, da die Erkenntnis, was notwendig ist, zu spät kommt und Strukturen in der Regel nicht dafür geeignet sind.

- Mit den disruptiven Innovatoren kooperieren, was aber nur funktioniert, wenn diese dazu willens sind. Das sind sie aber meist nur dann, wenn sie von einem Durchbruch ihrer Innovation nicht überzeugt sind.

- Das Unternehmen mit der disruptiven Innovation kaufen und mit dem innovativen Produkt den Markt erobern. Das bisherige Angebot kann für gewisse Kundengruppen als Alternative weiter am Markt bleiben oder es wird sukzessive eingestellt.

Auch die Finanzdienstleister sind gefordert

Auch die Finanzdienstleistungsbranche ist mit disruptiven Innovationen auf mehreren Geschäftsfeldern konfrontiert. Am meisten in der Öffentlichkeit stehen dabei jene im Payment-Bereich. So hat Paypal für sich eine Rolle als Zahlungsprovider im E-Business zwischen Online-Shop als Zahlungsempfänger und dem auf Basis seines E-Mail-Accounts registrierten Zahlungspflichtigen gefunden. Der Zahlungspflichtige zahlt dabei immer nur mit seinem Passwort zulasten der von ihm gewünschten Zahlungsform. Damit wurde Paypal rasch zu einem Top-Player auf diesem Gebiet. Inwieweit es den vielen anderen auf diesem Gebiet tätigen Fintechs ein Durchbruch gelingt angesichts der Notwendigkeit, einen zweiseitigen Markt abzudecken und die in der Regel notwendige internationale Verbreitung zu schaffen, ist noch offen.

Robo Advisors wiederum bieten Online-Anlageberatung mit der Möglichkeit für den Anleger, Geld online aufgrund algorithmenbasierter Anlagestrategien anzulegen. Dafür werden vergleichsweise geringe Entgelte verlangt. Bei Scalable Capital, einem derartigen Robo Advisor, wurde kürzlich Blackrock ein namhafter Gesellschafter. Aber auch im Kreditbereich tummeln sich einige Fintechs, die Kleinkredite sofort vergeben oder kleineren und mittleren Unternehmen Crowdlending zur Finanzierung anbieten. Auf all diesen Gebieten sind die traditionellen Finanzdienstleister gefordert.

Fußnote

1) Joseph L. Bower and Clayton M.Christensen, "Disruptive Technologies: Catching the Wave", Harvard Business Review January/February 1995, pp. 43-53

Dr. Ewald Judt ist Honorarprofessor an der Wirtschaftsuniversität Wien; ewald.judt[at]wu.ac[dot]at; Dr. Claudia Klausegger ist Assistenzprofessorin am Institut für Marketing-Management der Wirtschaftsuniversität Wien; claudia.klausegger[at]wu.ac[dot]at.

Dr. Claudia Klausegger , Assistenzprofessorin am Institut für Marketing-Management der Wirtschaftsuniversität Wien
Noch keine Bewertungen vorhanden


X