Zukunft der regional tätigen Kreditinstitute

Tabelle: Erfolgsfaktoren im Retail- und Individualkundengeschäft

Dr. Thomas Meuche, Professor für Finanzmanagement, Hochschule Hof - Die Geschäftsmodelle der Regionalbanken werden durch die Digitalisierung zwar angreifbar, aber deren neue Möglichkeiten können gleichzeitig auch Ansatzpunkte für die Zukunftsfähigkeit bieten. Erfolgschancen sieht der Autor im notwendigen Transformationsprozess für die kleineren und mittleren Institute aus allen drei großen Bankengruppen nur dann, wenn die Prozesse, die einer Onlineanwendung zugrunde liegen, identisch mit denen sind, die hinter einem persönlichen Beratungsgespräch liegen. Als lohnende Ertragsquellen nennt er neben speziellen Auswertungen aus dem vorhandenen Datenbestand den Ausbau der Funktion als Informationsdienstleister. (Red.)

Viele Genossenschaftsbanken und Sparkassen werden für 2015 nochmals Rekordergebnisse ausweisen. Gleichzeitig wird bei den mit der Bankenaufsicht betrauten Institutionen immer klarer, dass sich der Fokus der Prüfung in den kommenden Jahren verstärkt auf die Nachhaltigkeit der Ertragskraft und damit auf das Geschäftsmodell der Regionalbanken*) konzentrieren muss. Denn dort liegen die essenziellen Risiken in der Zukunft und weniger in den Risikoaktiva, die bisher im Fokus der Prüfung standen. Grund dafür sind die massiv rückläufigen Ergebnisse, die die Eckwertplanungen der meisten Banken für die kommenden vier Jahre ausweisen. Szenarien, die von einer Halbierung der Ergebnisse vor Risiko ausgehen, sind keineswegs die Ausnahme.

Folgen der Niedrigzinspolitik der EZB

Die Ursache dieser Entwicklung liegt vor allem in der Niedrigzinspolitik der EZB und dem damit verbundenen Einbruch des Zinsergebnisses. Wenn es um die schnelle Weiterentwicklung der Digitalisierung des Bankgeschäfts geht, haben die in Verbünden organisierten Banken gegenüber den regionalen Privatbanken einerseits den Vorteil, dass sie Größendegressionseffekte bei den Entwicklungskosten erzielen können, andererseits haben sie aber einen erheblichen Nachteil was die Geschwindigkeit anbelangt. Die demokratischen Strukturen in den Verbünden und das Auseinanderdriften der Institutsgrößen und damit der Interessen der einzelnen Banken stehen schnellen Entscheidungen und damit einer angemessenen Innovationsgeschwindigkeit entgegen. Das trifft derzeit die Genossenschaftsbanken stärker als die Sparkassen. Dieser Nachteil wird in den kommenden Jahren erheblich an Gewicht gewinnen, sodass der Druck auf die Organisationen wächst, sich anzupassen. Die aktuelle Zinssituation ist aber nicht die einzige Herausforderung der Banken. Die Digitalisierung stellt das Geschäftsmodell der Regionalbanken ganz generell in Frage. Als Finanzintermediäre hängt ihr Erfolg maßgeblich von der Qualität der verfügbaren Daten und den der Datenanalyse zugrunde liegenden Modellen ab. Damit sind sie dem Grunde nach Informationsdienstleister und so aufs engste mit der Digitalisierung verbunden. Die Geschäftsmodelle von Unternehmen der digitalen Wirtschaft basieren zu einem Großteil auf Plattformen, die Mittlerfunktionen automatisieren. Dies gilt für die Neuorganisation von Mobilität (Uber, Blabla Car) ebenso wie für die Finanzbranche (Lendico, Funding Circle, Paypal). Auf dieser Basis erfolgt tatsächlich der Angriff auf die Funktion der Banken als Finanzintermediäre.

Deloitte hat im Auftrag der australischen Regierung die Betroffenheit verschiedener Branchen durch die Digitalisierung untersucht und festgestellt, dass hinsichtlich des Zeitraums und der Dimension der Veränderung die Finanzindustrie zu den am stärksten betroffenen Branchen gehört. Nach dieser Untersuchung betrug der Anteil digitaler Nutzung im Bankenbereich 2012 rund 54 Prozent, künftig kann dieser Anteil auf 90 Prozent steigen.1)

Mengengeschäft besonders bedroht

Nicht alle Bereiche einer Bank werden gleichermaßen in den kommenden Jahren von der Digitalisierung betroffen. Immer dann, wenn entweder die Einmaligkeit einer Situation die Abbildung in einem Modell unwirtschaftlich macht, die Komplexität der Aufgabenstellung zu hoch ist oder das Vertrauen in eine automatisierte Lösung fehlt, wird der Vorgang zunächst nicht digitalisiert. Das heißt, dass die Digitalisierung zunächst hauptsächlich das Mengen- oder Retailgeschäft betrifft. Hier hat in den letzten Jahren allenfalls das extrem hohe Sicherheitsbedürfnis der vor allem älteren Generation in Deutschland eine schnellere Entwicklung verhindert. Bei der jüngeren Generation lassen sich die hohen Anforderungen an den Datenschutz nicht mehr feststellen. Dem entsprechend steht diese Kundengruppe auch den Onlineangeboten viel offener gegenüber.

Um beurteilen zu können, wie stark eine Bank Angriffen durch die Digitalisierung ausgesetzt ist, muss zunächst die Kundenstruktur analysiert und hier eine Einteilung in Privat- und Firmenkundengeschäft einerseits und in Retail- und Individualgeschäft andererseits vorgenommen werden. Heute erwirtschaften die meisten Regionalbanken den Großteil des Ergebnisses im Firmenkundengeschäft. Die Ursache dafür liegt im hohen Anteil von Individualgeschäft in diesem Segment. Im Privatkundengeschäft dominiert ganz klar der Retailbereich.

Die Bemühungen der Regionalbanken in den letzten Jahren auch vermögende Privatkunden anzusprechen, zeigen zwar den einen oder anderen Erfolg, signifikante Ergebnisbeiträge lassen sich aber nur in wenigen Ausnahmefällen verzeichnen. Zudem lässt sich feststellen, dass die Anlagesumme kein Komplexitätstreiber ist und auch hier selbst bei vermögenden Kunden eine Digitalisierung nicht ausgeschlossen ist.

Erfolgsfaktoren im Blick halten

Sieht man sich die Erfolgsfaktoren jeweils im Individual- und im Retailgeschäft an, stellt man fest, dass im Individualgeschäft Beratungsqualität, Flexibilität und Geschwindigkeit zentral sind und ein angemessener Preis eine Rahmenbedingung darstellt. Im Retailgeschäft hingegen ist der Preis der dominierende Faktor gefolgt von Einfachheit und Produktqualität, wobei die Produktqualität schon als Rahmenbedingung verstanden werden kann. Dementsprechend ist das standardisierbare Retailgeschäft besonders geeignet für eine Digitalisierung. Dies gilt vor allem für die Produkte Zahlungsverkehr, Kreditgeschäft, Anlageberatung und Brokerage. Auf diesen Feldern erfolgt auch schwerpunktmäßig der Angriff durch Onlinebanken und Fintechs. Der für die Banken relevanteste Angriff erfolgt in den kommenden Jahren im Zahlungsverkehr. Bereits 2013 wurden 20 Prozent der Bezahlungen im Onlinehandel über Paypal abgewickelt.2) Diese Zahlungsart liegt damit auf Platz zwei nach der Bezahlung auf Basis einer Rechnung und vor der Lastschrift.

Sowohl die Internetkonzerne, allen voran Apple (Apple Pay) und Google (Google Wallet), als auch Mobilfunkanbieter wie Vodafone (Vodafone Wallet) in Kooperation mit Paypal drängen als große Spieler in den Markt. Dabei entwickelt sich der Zahlungsverkehr immer stärker hin zum mobilen Bezahlen. Das ermöglicht eine Bezahlung in Echtzeitzahlung und so auch neue Möglichkeiten im Private to Private (P2P) Bereich, also der Übertragung von Geld von Smartphone zu Smartphone ohne Zwischenschaltung einer Bank. Die im Februar 2016 verkündete strategische Allianz zwischen Vodafone und Paypal3) wird die Entwicklung erheblich beschleunigen. Ganz generell werden die Angebote der Zahlungsdienstleistungen von Internetkonzernen massiv an Bedeutung gewinnen, weil sie im Gegensatz zu vielen Bankangeboten extrem einfach sind, eine Kategorie die vor allem bei den jüngeren Kunden hohe Bedeutung hat, auch wenn dies möglicherweise Abstriche an der Sicherheit bedeutet.

Sieht man sich die Zusammensetzung der Provisionserträge der Regionalbanken an, stellt man fest, dass zwischen 40 und 70 Prozent davon aus dem Zahlungsverkehr kommen. Um die Provisionserträge zu sichern, haben im vergangenen Jahr viele Banken ihre Gebührenmodelle angepasst, mit der Folge im Durchschnitt gestiegener Einnahmen aus dem Zahlungsverkehr. Kurzfristig haben sich kaum negative Reaktionen im Sinne von Kundenabwanderungen beobachten lassen. Dies kann sich aber auf mittlere Sicht ändern, zumal die alternativen Angebote im Zahlungsverkehr in aller Regel einfacher in der Bedienung sind. In diesem Kontext ist das Gefährdungspotenzial durch neue Anbieter von Zahlungsverkehrsdienstleistungen zu bewerten.

Finanzierungs- und Anlageplattformen

Im Bereich der Finanzierung und der Anlage versuchen Plattformen wie Funding Circle, Iwoca, Lendico oder das von Cortal Consors4) angebotene Crowdfunding von den Banken die Funktion des Finanzintermediärs zu übernehmen. Sie bringen interessierte Anleger mit Unternehmensgründern oder Wachstumsunternehmen zusammen. Das Institut für Mittelstandsforschung der Universität Bonn hat in Befragungen von Crowdfunding finanzierten Unternehmen herausgefunden, dass diese Finanzierungsart nicht in erster Linie deshalb gewählt wird, weil keine alternativen Finanzierungsangebote vorliegen, sondern weil mit der Wahl dieses Weges Zusatznutzen im Sinne einer Steigerung der Marken- und Produktbekanntheit entsteht.5) Dieser Nutzen lässt sich über die klassische Finanzierung nicht erzielen. Dieser Effekt hat in der Bankwirtschaft bislang kaum Aufmerksamkeit gefunden.

In der Anlageberatung bieten Fintechs Lösungen für die Strukturierung von Anlageportfolios an. Üblicherweise ermitteln diese Plattformen ein auf den Anleger zugeschnittenes optimales Anlageportfolio, das auf der Basis von Algorithmen zusammengestellt wird. Der Kauf der empfohlenen Wertpapiere muss dann allerdings über eine Bank erfolgen, wobei die Kunden solcher Angebote sich zumeist Onlinebrokern bedienen. Bei beratungsfreien Abwicklungsgeschäften stehen dann die Transaktionskosten und die Geschwindigkeit im Mittelpunkt, nachdem die "Beratung" bereits an anderer Stelle statt fand.

Unter Zugrundelegung der skizzierten Entwicklungen ergeben sich für die Regionalbanken zwei Stoßrichtungen: erstens muss das konventionelle Geschäft konsequent an den in der Tabelle dargestellten Erfolgsfaktoren ausgerichtet werden, zweitens gilt es aber auch sich mit neuen Ertragsquellen auseinander zu setzen. Solche Ertragsquellen können aus der Funktion der Bank als Informationsdienstleister erwachsen.

Herausforderungen für das Retailgeschäft

Um die preislichen Anforderungen im Retailgeschäft künftig erfüllen zu können, bedarf es eines konsequenten Kostenmanagements. Dies erfordert erstens eine Auseinandersetzung mit der Frage nach der optimalen Betriebsgröße, zweitens muss das Filialgeschäft hinterfragt werden und drittens müssen die Prozesse vereinfacht und standardisiert werden, zumindest an den Stellen, an denen Differenzierung keinen Mehrwert für den Kunden bietet. Größe alleine ist kein Erfolgsfaktor, aber kleine Institute mit Bilanzsummen unter 1 Milliarde Euro werden alleine die hohen aus der Regulatorik resultierenden Anforderungen kaum noch zu vertretbaren Kosten umsetzen können. Hier wie im Bereich der IT sind die Kostendegressionseffekte besonders groß.

Was die Filialen anbelangt, geht es nicht in erster Linie um die Frage wie viele davon eine Bank sich leisten kann. Davor ist im Rahmen einer Diskussion des gesamten Geschäftsmodells zu klären, welche Rolle diesen Filialen in Zukunft zukommen soll. Daraus ergibt sich dann auch, wie eine "Filiale" in Zukunft aussehen muss, um ihre Funktion zu erfüllen. Sicher wird es den Tresen nicht mehr geben, hinter dem Servicemitarbeiter Formulare entgegennehmen. Möglicherweise ist die "Filiale" nur noch ein Büro, ein Café oder ein anders gearteter Wohlfühlraum, in dem Beratungsgespräche stattfinden, womit sich die Banken den Finanzdienstleistern annähern. Erst nachdem über die Rolle und Ausgestaltung der Filiale Klarheit besteht, kann entschieden werden, wie viele davon noch benötigt werden. Schließlich muss es im Retailgeschäft zu einer konsequenten Standardisierung im Produktangebot sowie einer Vereinfachung und Standardisierung der Prozesse kommen. Insbesondere in der Firmenkundenbank bedeutet dies ein Arbeiten mit Aktivlinien im Kreditgeschäft und die Nutzung von Produktbündeln. Letztere leisten einen Beitrag zur Reduzierung der Variantenvielfalt als einem wesentlichen Kostentreiber. Kreditplattformen zeigen auf, wie solche schlanken Prozesse gestaltet werden können.

Das Profil der Mitarbeiter ist mehr noch als in der Vergangenheit ein Vertriebsspezialist, der in der Lage ist die Bedürfnisse des Kunden schnell zu erfassen und diese mit dem eingegrenzten Produktfortfolio zu befriedigen. Die Abwicklung muss dann online erfolgen. Dieses Mitarbeiterprofil ist in den Regionalbanken bislang keineswegs weit verbreitet.

Ansatzpunkte im Individualgeschäft

Vom Ergebnisbeitrag her spielt das Individualgeschäft in der Firmenkundenbank bei Regionalbanken eine zentrale Rolle. Dieser Ergebnisbeitrag kommt sowohl aus dem Zins- als auch aus dem Provisionsgeschäft. Wobei das Provisionsgeschäft in Anbetracht der Zinsentwicklung eine immer wichtigere Rolle spielt. In Anbetracht der durch alternative Zahlungsmethoden wie Paypal unter Druck geratenden Erlöse aus dem Zahlungsverkehr müssen andere Angebote gefördert werden. Das kann erstens das Auslandsgeschäft sein, das für immer kleinere Unternehmen in Anbetracht der Internationalisierung Bedeutung erlangt. Zweitens lassen sich Erlöse erzielen, indem die Kunden bei der Optimierung ihrer finanzwirtschaftlichen Prozesse unterstützt werden. So kann die Bank beispielsweise Lösungen aufzeigen, wie sich das Forderungsmanagement und der Zahlungsverkehr im Unternehmen effizienter gestalten lassen.

Drittens ließen sich spezielle Auswertungen aus dem vorhandenen Datenbestand verwerten, indem dem Kunden Analysen über sein Unternehmen angeboten werden. Viertens könnte die Bank in ihrer Funktion als Informationsdienstleister auch Cloud Computing als Dienstleistung anbieten. Das Vertrauen dafür genießt sie und die Ressourcen sind grundsätzlich vorhanden. Fünftens ließe sich die regionale Kompetenz nutzen, um gezielt die regionale Wirtschaft zu vernetzen und darüber auch eine Existenzberechtigung als Regionalbank zu haben. Grundvoraussetzung für die Stärkung des Individualgeschäfts sind allerdings hervorragend ausgebildete Mitarbeiter, die sich in die Situation des Kunden hineinversetzen können, sein Geschäftsmodell verstehen und die daraus resultierenden künftigen Anforderungen an die Finanzwirtschaft antizipieren können. Diese Qualifikationen liegen heute in vielen Fällen nicht vor.

Entscheidend für den Erfolg der Regionalbanken wird es in Zukunft zudem sein, ob es ihnen gelingt die im Onlinebereich entwickelten Prozesse in die Bank zu integrieren. Es wird nicht erfolgreich sein, wenn neben die Säulen des "klassischen" Bankgeschäfts eine Onlinebank gebaut wird. Die Prozesse, die hinter einer Onlineanwendung liegen, müssen identisch mit denen sein, die hinter einem persönlichen Beratungsgespräch liegen. Im Sinne einer Prozessoptimierung ist auch konsequent zu prüfen, wie künftig aufwendige Dateneingaben vermieden oder zumindest reduziert werden können. Datenübernahmen von der Datev sind hier ein Beispiel. Dateneingaben durch den Kunden zu Beginn eines Onlinegeschäfts ein anderes.

Die Regionalbanken, die schnell ein klares Geschäftsmodell entwickeln, die Kostensenkungspotenziale konsequent nutzen und durch attraktive Oberflächen, Einfachheit und Geschwindigkeit auch Digital Natives ansprechen, haben auch eine Zukunft.

*) In der Bundesbankstatistik wird der Begriff der Regionalbanken und sonstige Kreditbanken als Untergruppe der Kreditbanken geführt. Der hier gewählte Ansatz ist breiter gewählt und umfasst auch die in der Region tätigen Sparkassen und Genossenschaftsbanken.

Fußnoten

1) Vgl. Frank Farall u. a.: Digital Disruption - Short Fuse, Big Bang, S. 8, Deloitte 2012

2) Vgl. Statista 2016: Marktanteile von ausgewählten Zahlungsverfahren beim Onlinehandel in Deutschland im Jahr 2013

3) Vgl. Tillmann Braun: Paypal wird Teil der Vodafone Wallet, in Computerwoche Experten vom 11. Februar 2016

4) Vgl. dazu unter anderem die Unternehmenspräsentationen Cortal Consors: https://www.consorsbank.de/ev/Sparen-Anlegen/Anlegen/Crowdfunding

5) Vgl. ifm Bonn (Hrsg.): Crowdinvesting gewinnt an Zuspruch, in: Der Forschungsnewsletter zum Mittelstand, Ausgabe 4/2015/18. Januar 2016

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