Gespräch des Tages

Retailgeschäft - Mehr Innovation bitte!

Das Bankgeschäft ist eine sehr alte Branche. Wie weit die Wurzeln des "Retailgeschäfts" tatsächlich zurückgehen, hängt im Wesentlichen von der Definition ab. Entsprechend ausgereift, so sollte man meinen, sind Produkte, Dienstleistungen und Anbieterstruktur. Und doch: In den vergangenen Monaten hat sich eine ganze Reihe "neuer" Finanzdienstleister am Markt bemerkbar machen können. Mit zum Teil innovativen, sicher aber mutigen Konzepten machen diese sich die Trägheit (und mitunter Bequemlichkeit) der etablierten Institute zunutze. Ähnliches gab es in der Vergangenheit zwar immer wieder einmal. Doch scheinen die gegenwärtigen Anläufe, dem "Establishment" den Rang zumindest in Teilbereichen abzulaufen, vielversprechender als frühere Vorstöße. Beispiel eins: In Großbritannien buhlt derzeit der Virgin-Milliardär Richard Branson um die 600 zum Verkauf stehenden Filialen der angeschlagenen und staatlich kontrollierten Lloyds Banking Group (in der auch die Sparkassen des Landes einst aufgegangen sind). Sollte sein Gebot erfolgreich sein - bei Northern Rock hatte es die Virgin-Gruppe vor zwei Jahren schon einmal versucht -, würde die bislang nur online erreichbare Finanzsparte Virgin Money, die seit 1995 einfach verständliche Sparprodukte, Konsumentenkredite und Kreditkarten für eine In-ternet-affine Kundschaft anbietet, auf einen Schlag zur sechstgrößten Retailbank auf der Insel werden. Eine Banklizenz hat man sich längst durch die Übernahme der Church House Trust plc. Anfang 2010 gesichert. Gleichwohl müsste sich das Konzept erst einmal in der Praxis beweisen, wenn die Margen durch die Betriebskosten für Filialen samt Mitarbeitern geschmälert werden.

Oder Beispiel zwei: Seit 2001 betrieb die Berliner Effektengesellschaft einen außerbörslichen Handelsplatz in der Hauptstadt. Anders als viele der bekannteren Akteure wie Chi-X, Bats oder Turquoise zielte ihr Angebot in erster Linie auf Retail-Kunden ab. Und das mit Erfolg, wie die Wachstumsraten der vergangenen Jahre gut belegen. Erfolgsrezept: Geschwindigkeit und geringe Gebühren dank einer modernen Softwarebasis. Schnell hatte sich die Plattform, die seit 2010 als regulierter Markt betrieben wird, einen Namen gemacht - und das Interesse des finanzstarken Platzhirschen Deutsche Börse auf sich gezogen, der sie nach und nach zu seinem Eigen gemacht hat. Nun noch Beispiel drei, in aller Kürze: Wer heute im Internet bezahlt, tut dies immer öfter über die Online-Plattform Paypal, oftmals vorbei an den Kreditinstituten. Insbesondere die sofortige Gutschreibung der Beträge auf dem Gegenkonto ist der herkömmlichen (Bank-)Überweisung deutlich überlegen - eine Laufzeit von drei Werktagen ist dem modernen Bankkunden nicht mehr vermittelbar.

Es ist gut, dass es auch in einer über viele Jahre gereiften Branche noch Innovationen gibt. Das Internet, soviel ist bekannt, hat nicht nur das Retailgeschäft, sondern auch die Ansprüche der Bankkunden verändert. Während bei den Finanzdinosauriern aber immer noch darüber nachgedacht wird, wie sich alte Produkte aufpeppen und online verkaufen lassen - das berüchtigte Multikanalbanking -, blickt man andernorts längst nach vorn und passt sich deutlich besser und kühner an ein immer schnelleres (und schnelllebigeres) Umfeld an. Auch das explosionsartige Wachstum sozialer Netze haben die Banken, von einigen wenigen Ausnahmen abgesehen, völlig verschlafen. Die Alten der Branche müssen sich also in Acht nehmen. Auch wenn sich über Jahre gewachsene "Vollsortimenter" mit ausgedehntem Filialnetz freilich nicht auf die Schnelle neu erfinden können, so sollte man beispielsweise weniger über Standards streiten, unterschiedlichste und inkompatible Karten- und Online-Bezahlverfahren etwa helfen weder den Instituten noch den Kunden. Stattdessen gilt es, zügiger, konsequenter und vor allem ohne festgefahrene Strukturen im Hinterkopf zu agieren. Dabei ist Eile geboten, denn der moderne Kunde ist nicht sehr geduldig. Das lange vernachlässigte Retailgeschäft lebt - und Privatkundeneinlagen, das beschreiben die Autoren dieser Kreditwesen-Ausgabe, werden überdies aus regulatorischen Gründen zur Refinanzierung immer wichtiger.

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