Gespräch des Tages

Börsen - Zwischen Tradition und Marktbereinigung

Jetzt zeigt sich, wie sehr die MiFID die Börsenlandschaft wirklich verändert. Denn es ist bemerkenswert, was dieser Tage in Berlin geschieht: Zuerst kündigt die bisherige außerbörsliche Handelsplattform (multilateral trading facility, MTF) Tradegate Exchange an, die Zulassung als regulierter Markt bekommen zu haben. Zum Start des Handelsplatzes war vorab für den 1. Dezember dieses Jahres geladen worden, gehandelt wird ab dem 4. Januar 2010. Pünktlich zum Feiertag platzte dann die Bombe: Die Deutsche Börse übernimmt 75 Prozent plus einen Anteil an der Plattform selbst sowie ein Aktienpaket von fünf Prozent an deren Betreibergesellschaft. Dass ein Volumen und Geld spendender Partner gesucht wurde, war im Markt durchaus bekannt gewesen. Dass von allen im Vorfeld in den Medien kolportierten möglichen Interessenten mit dem Frankfurter Handelsplatzbetreiber nun der Unwahrscheinlichste bei Tradegate einsteigt, hat gleichwohl überrascht. Doch die Taktik der Frankfurter erschließt sich leicht: Während sich das Geschäft an der Frankfurter Wertpapierbörse zunehmend schwierig gestaltet, weist das auf Privatkunden fokussierte MTF enorme Wachstumsraten auf. Und das gilt selbst für die ansonsten geschäftsschwachen letzten Monate.

Die Börse Berlin steht als traditioneller, geregelter (Regional-)Markt nun umso mehr unter Beschuss. Nicht nur, weil sie jetzt einen neuen Wettbewerber mit finanzkräftiger Unterstützung auf dem eigenen Terrain angehen muss. Auch hat sich der 324 Jahre alte Handelsplatz strategisch verkalkuliert. Die teuer gekauften Anteile an der in London aktiven Easdaq und deren Technologieplattform Equiduct, mit der man sich neben dem traditionellen Xontro-Handel ein zweites Standbein aufbauen wollte, haben sich bislang alles andere als ausgezahlt. So gering war die erhoffte Anziehungskraft, dass man die Tochter bis auf einen Restanteil an den US-Hedgefonds Citadel veräußern musste (Kreditwesen 16-2009). Und auch beim traditionellen Geschäft stehen dem Handelsplatz Schwierigkeiten ins Haus. Bislang nämlich trägt Frankfurt aufgrund des hohen Handelsvolumens den mit Abstand größten Anteil an den Kosten für die Skontroführer-Plattform. Fällt dieser Geldgeber weg, müssen alle verbleibenden Nutzer demnach mit den doppelten Kosten für den Betrieb und die Entwicklung ihrer Kernplattform rechnen. Bei ohnehin schmalen Gewinnen wird das für einige Handelsplätze ein durchaus schwieriges Unterfangen.

Einige der verbliebenen Regionalbörsen in Hamburg/Hannover, Düsseldorf, Stuttgart, München und auch Berlin, die heute freilich längst nicht mehr allein regional agieren, haben sich mit ihren jeweiligen Nischen gute Standbeine aufgebaut - ob mit Fonds, Derivaten oder Best Execution. Zumindest was den deutschen Markt betrifft waren sie mitunter sogar Marktbereiter einzelner Kategorien. Allerdings holt die Deutsche Börse mit all ihrer technologischen und betriebswirtschaftlichen Macht auf, kaum ein Segment des Börsenhandels, das der Frankfurter Betreiber nicht abdeckt.

National sind die Strukturen in den vergangenen Jahren damit recht stabil geblieben. Und dass über die Landesgrenzen hinweg von MiFID eine Bedrohung für die Deutsche Börse, Nyse Euronext, die LSE oder selbst die regionalen Märkte ausgehen könnte, konnte nach den zunächst sehr schleppenden Marktanteilsgewinnen bei den alternativen Plattformen - mit Ausnahme von Chi-X schon fast in Vergessenheit geraten. Nun aber bröckelt es bei den "alten" Handelsplätzen gleich an mehreren Stellen: Zum einen saugen die Newcomer Chi-X, Bats & Co den etablierten Märkten mittlerweile doch immer nachhaltiger die Volumina weg. Damit geraten Letztere unter Handlungsdruck. Zum Zweiten etablieren sich spezialisierte kleinere Anbieter á la Tradegate. Zwar ist auch die MTF-Branche nicht allein von Erfolgen gekrönt. Die von mehreren Großbanken initiierte Plattform Turquoise etwa musste bekanntlich bereits aufgegeben werden. Anderen fiel es bislang schwer, eine kritische Masse zu erreichen. Dennoch zeigt die Geschwindigkeit der Ereignisse in Berlin, zusammen mit dem jüngst gestarteten Xetra International Market, dass der größte deutsche Marktbetreiber wie auch die gesamte Branche post-MiFID weiterhin eifrig nach neuen Strukturen suchen.

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