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Finanzplatz Deutschland: Welche Prinzipien sind der BaFin besonders wichtig?

Felix Hufeld Foto: Schafgans DGPh / BaFin

Drei Prinzipien sind für den Präsidenten bei der Arbeit der BaFin besonders relevant. Erstens will die Aufsicht bei aller Orientierung an Kennzahlen auch den Einzelfall im Blick behalten und sich eine qualitative, abwägende Komponente bewahren. Zweitens bekennt er sich zu einer Wahrung von Angemessenheit und Proportionaliät, ohne dabei die Anforderungen an die Ausstattung mit Eigenkapital und Liquidität zu vernachlässigen. Und Drittens will er die Regulierung nicht nur auf die Solvenz beschränkt wissen, sondern auch Fragen des Verhaltens einbeziehen, also beispielsweise die Art und Weise, wie Produkte entwickelt und verkauft sowie Kunden beraten werden. (Red.)

Goethes Faust ist ein gebildeter Mann. Philosophie, Juristerei, Medizin, auch Theologie hat er studiert, weil er herausfinden will, was die Welt im Innersten zusammenhält. Doch alles Studieren empfindet er als vergebens und hofft, in der Magie Erkenntnisse zu finden. Aber auch die kann seinen Wissensdrang nicht befriedigen. Also lässt er sich auf Mephistopheles ein.

Orientierung an Prinzipien

Als Regulierer und Aufseher müssen wir wissen, was das Finanzsystem in seinem Innersten zusammenhält, um für seine Stabilität zu sorgen. Von der Magie dürfen wir dabei nicht allzu viel erwarten. Mit dem Teufel wollen wir auch nicht paktieren, denn wir schätzen unsere Unabhängigkeit. Wir setzen stattdessen auf Juristerei, Ökonomie und Mathematik - und auf Prinzipien, die unsere Arbeit auch im Jahr 2018 prägen werden. Lassen Sie mich drei davon herausgreifen: faktenbasiertes Urteilen, Angemessenheit und eine Balance zwischen solvenzbasierter und Verhaltensaufsicht.

1. Aufsicht als faktenbasiertes Urteilen: Wie unter einem Brennglas stellt sich die Frage des faktenbasierten Urteilens im einheitlichen Aufsichtsmechanismus (Sing le Supervisory Mechanism - SSM), der die rund 120 bedeutenden Großbanken der Eurozone unter der Führung der Europäischen Zentralbank (EZB) direkt überwacht.

Aus gutem Grund setzt der SSM auf einen Ansatz, der weitaus mehr Kennzahlen zur Grundlage nimmt, als dies hierzulande in der Bankenaufsicht üblich war. Die Aufsicht über Institute aus 19 Ländern kann nur dann funktionieren, wenn sie auf einer soliden quantitativen Basis stattfindet.

Allerdings muss sich gute Aufsicht im Einzelfall bewähren. Die Vorstellung, aufsichtliche Entscheidungen ließen sich allein auf Basis mechanistischer, kennzahlen- oder entscheidungsbaumgestützter Herleitungen treffen, mag verlockend sein. Doch Aufsicht wird sich stets im Einzelfall beweisen müssen, braucht also immer auch eine qualitative, abwägende und beurteilende Komponente. Diese ausgewogene Mischung streben wir auch im SSM an. Sie bewahrt uns vor faustischen Versuchungen jeder Art.

2. Angemessenheit und Proportionalität als Aufsichtsprinzip: Institute und ihre Verbände suggerieren, die heutige Finanzregulierung zwinge Unternehmen in die Knie. Dieser Behauptung lässt sich zunächst entgegenhalten, dass die regulatorischen Maßnahmen der vergangenen Dekade die notwendige Reaktion auf die schwerste Finanzkrise seit den dreißiger Jahren des vergangenen Jahrhunderts waren. Und doch stellt sich - wie immer - die Frage, ob die Regulierung der Nachkrisenzeit angemessen und ausreichend proportional ist, ob sie also etwa die Risikoprofile der Beaufsichtigten ausreichend berücksichtigt und keine übermäßigen Kosten verursacht. Sie ist es zumindest nicht durchgehend.

Die Europäische Kommission will - etwa bei der geplanten Novelle von Eigenmittelrichtlinie und Eigenmittelverordnung - kleinere Institute entlasten.1) Das ist angebracht, denn wir haben in den vergangenen Jahren in der Bankenregulierung ein Maß erreicht, das kleinere Institute über Gebühr und - was ihr Risikoprofil angeht - unangemessen belastet.

Der Brüsseler Ansatz geht Deutschland allerdings nicht weit genug. Bundesfinanzministerium, BaFin und Deutsche Bundesbank haben daher - in enger Abstimmung mit den Verbänden - gemeinsam eine Proportionalitätsinitiative auf europäischer Ebene gestartet. Die Idee ist, dass alle europäischen Banken einer von drei Kategorien zugeordnet werden. Entscheidend wären dabei unter anderem Größe, Systemrelevanz und Risikoprofil.

Vereinfachung, aber keine materielle Erleichterung

Für die drei Kategorien gälten abgestufte und unterschiedlich strenge beziehungsweise detaillierte regulatorische Anforderungen. In der obersten Kategorie befänden sich systemrelevante und potenziell systemrelevante Institute. Für sie gälten weiterhin die vollen regulatorischen Anforderungen. Für die Institute der mittleren Kategorie könnten in einzelnen Regelungsbereichen - etwa dem Meldewesen, der Offenlegung und der Vergütung - punktuelle Erleichterungen geschaffen werden. Die sehr kleinen und nicht komplexen Institute, die sich in der untersten Kategorie wiederfänden, kämen in den Genuss weiterreichender Erleichterungen und Befreiungen. Denkbar wäre sogar eine Small Banking Box, ein eigenes, vereinfachtes Aufsichtsregime.

Wenn wir "mehr Proportionalität" sagen, darf das nicht "weniger Stabilität" heißen. Die Anforderungen an die Ausstattung mit Eigenkapital dürfen keinesfalls aufgeweicht werden. Gleiches gilt für die Anforderungen an die Liquidität. Wir wollen sie zwar vereinfachen, materielle Erleichterungen schlagen wir aber gerade nicht vor.

Der Ausgang der deutschen Proportionalitätsinitiative ist offen. Wir wissen, dass andere Länder das Thema Proportionalität anders bewerten und noch sehr viel Überzeugungsarbeit vor uns liegt.

Von Goethe stammt auch der viel zitierte Satz: "Ein jeder kehre vor seiner Tür." Wie sieht es vor der Tür der BaFin aus - etwa bei der praktischen Aufsicht über <die rund 1 450 sogenannten weniger bedeutenden deutschen Kreditinstitute? Angemessenheit und Proportionalität haben bekanntlich immer zwei Seiten: eine regulatorische und eine aufsichtliche. Die BaFin gestaltet ihre Aufsichtspraxis proportional, man könnte auch sagen: risikoorientiert. Sie dosiert also ihre Aufsicht entsprechend der Art und dem Umfang der Geschäfte, dem Gesamtrisiko und der Relevanz der einzelnen Banken, die sie unmittelbar beaufsichtigt.

Das Prinzip der Risikoorientiertheit, eine der großen aufsichtlichen und regulatorischen Errungenschaften der vergangenen Jahre, hat viele Facetten. Bei den Verhandlungen rund um den Abschluss von Basel III stand es zur Disposition. In der Kritik standen interne Modelle. Es gab starke Bestrebungen, die Modellierung von Risiken durch einen zu hohen Output Floor de facto abzuschaffen. Dem hätte ich unter keinen Umständen zugestimmt.

Unser Ziel war und ist es, die Möglichkeit der Risikomodellierung zu erhalten, zugleich aber die exzessive und ungewollte Variabilität in der Bewertung der risikogewichteten Aktiva zu begrenzen. Das soll nun unter anderem mit einem Output Floor von 72,5 Prozent geschehen. Die neuen Regelungen stellen die Institute vor große Herausforderungen. Die Banken haben aber neun Jahre Zeit, sich schrittweise darauf einzustellen. Das sollte machbar sein.

Auch wenn wir uns manches anders gewünscht hätten, wir werden mit dem Kompromiss vom 7. Dezember leben - und die Vorteile der Modellierung weiter nutzen können: Die Modellierung von Risiken auf der Basis von Verlusthistorien und Prognosen zwingt die Banken, ihre

Risiken sehr genau zu kennen. Diese Kenntnis brauchen auch wir Aufseher, um den Kapitalbedarf der systemrelevanten Institute und damit auch des gesamten Finanzsystems erfassen und beurteilen zu können. 3. Von der Solvenz zum richtigen Verhalten: Neben der solvenzbasierten Regulierung existiert ein weiterer und ebenso wichtiger Regulierungszweig, der sich mit Fragen des Verhaltens beschäftigt, also mit der Art und Weise, wie Produkte entwickelt und verkauft und Kunden beraten werden.

Der ehrbare Kaufmann als Vorbild

Der Umgang mit Kunden und die Gestaltung von Produkten und Vertrieb werden zunehmend gesetzlich geregelt - man denke nur an die Neuauflage der MiFID, deren Vorgaben wir von Januar an anwenden werden. In den gesellschaftlichen Debatten der Nachkrisenzeit waren vehement schärfere Verhaltensregeln gefordert worden. Finanzdienstleister standen am Pranger - für Verhaltensweisen, die in der Alles-ist-möglich-Atmosphäre der 90er und der Nuller Jahre nicht als anrüchig gegolten hatten, die heute aber nicht mehr akzeptiert werden.

Es war richtig, auch in der Verhaltensregulierung die Zügel anzuziehen. Und doch dürfen wir auch hierbei nicht übers Ziel hinausschießen. Zudem können sich gerade auf dem Gebiet des Verhaltens Fragen stellen, die sich gesetzlich nur schwer regeln lassen. Wir bewegen uns hier in der Grauzone zwischen Legalität und Legitimität. Anstand und ethisches Handeln lassen sich nur bedingt hoheitlich herbeiregulieren. Ein Vorbild wie der ehrbare Kaufmann taugt da schon eher, auch wenn ihm noch immer ein etwas angestaubtes Image anhaftet. Selbstregulierung - genauer gesagt: regulierte Selbstregulierung - hat in dieser Grauzone ihre Stärken.2) Diese Stärken nutzt auch die BaFin als Aufsicht, denn "auf Mischung kommt es an". So steht es in "Faust - Der Tragödie zweiter Teil". Wobei wir Tragödien ja gerade verhindern wollen.

Fußnoten

1) Vergleiche hierzu z.B. http://europa.eu/rapid/press-release_IP-16-3731_de.htm

2) Vergleiche hierzu zum Beispiel Weiß, Wolfgang, Selbstregulierung der Wirtschaft - noch sinnvoll nach der Finanzkrise?, Der Staat: Vol. 53, No. 4, pp. 555-575, https://doi.org.

Felix Hufeld Präsident, Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin), Bonn/Frankfurt am Main
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