Nachhaltigkeit in der Finanzwirtschaft: nicht verordnen, sondern leben

Rupert Lay, Professor (emer.) für Wissenschaftstheorie, Naturphilosophie und Sprach philosophie, Philosophisch-Theologische Hochschule Sankt Georgen, Frankfurt am Main, und Bertram Theilacker, Mitglied des Vorstands, Nassauische Sparkasse, Wiesbaden - Der ursprünglich aus der Forstwirtschaft stammende Begriff der Nachhaltigkeit wird aus Sicht der Autoren in der öffentlichen Darstellung überstrapaziert. Zwar begrüßen sie es, dass sich in den vergangenen Jahrzehnten tendenziell eine Abkehr von einer ideologisch geprägten Sichtweise durchgesetzt hat und inzwischen ein pragmatischer Ansatz gepflegt wird, der erhebliche Schnittmengen zwischen Ökologie und (moderner) Ökonomie herausgearbeitet hat und zu nutzen sucht. Doch mit Verweis auf christliche und ethische Wurzeln wenden sie sich gegen ein verordnetes nachhaltiges Handeln, das teils auch noch von Kontrollinstanzen, etwa in Form von Nachhaltigkeitsbeauftragten, durchgesetzt werden soll. Gerade in den regional verankerten Bankstrukturen mit dezentralen Entscheidungsprozessen sehen sie gute Voraussetzungen, das Nachhaltigkeitsprinzip glaubhaft vor Ort zu leben. (Red.)

Nur wenige Begriffe werden seit Jahren so inflationär gebraucht, wie das Wort "Nachhaltigkeit". Das ist erfreulich und bedauerlich zugleich. Erfreulich, weil deutlich wird, dass sich die Menschen, Unternehmen, Parteien und Organisationen für die Zukunft des Planeten engagieren. Bedauerlich aber, weil bekanntlich eine Inflation stets am Wert zehrt - und zwar nicht nur am Geldwert. Wenn in beinahe allen Festansprachen, Geschäftsberichten und Imagevideos das hohe Lied der Nachhaltigkeit angestimmt wird, stellt sich die Frage, inwieweit den wohlfeilen Formulierungen auch konkrete Taten folgen. Mangelt es bei der Umsetzung an Stringenz, tritt Aktionismus an die Stelle einer konsequenten Strategie, dann wird aus dem Bekenntnis zur Nachhaltigkeit eine mehr oder weniger unverbindliche Absichtserklärung. Sie mag gut klingen, ob sie bei den Menschen aber gut ankommt, darf bezweifelt werden.

Ursprung in der Forstwirtschaft

"Nachhaltigkeit" ist keine Modefloskel, sondern geht im Wirtschaftsleben zurück bis ins 18. Jahrhundert. Sie entstammt der Forstwirtschaft und besagt, dass nur so viele Bäume gefällt werden dürfen, wie anschließend wieder nachwachsen. Es ging also von Anfang an um Ressourcen-Schonung - im konkreten Fall um die Ressource Holz. Zunächst stand das Wort "nachhaltig" synonym für dauerhaft und langfristig wirksam. Vor allem die Weltausstellung "Expo 2000" in Hannover lenkte dann den Fokus auf die tiefer gehende Bedeutung von "Nachhaltigkeit". Der Begriff steht heute für ökologisch verantwortungsbewusstes Handeln, ressourcenschonendes Wirtschaften sowie für Transparenz, Fairness und Vertrauen.

Lange Zeit schien es, als bestünde gleichsam ein natürlicher Antagonismus zwischen Ökologie und Ökonomie. An die Stelle dieser vor allem ideologisch geprägten Sichtweise ist inzwischen ein pragmatischer Ansatz getreten. Tatsächlich gibt es erhebliche Schnittmengen zwischen Ökologie und (moderner) Ökonomie. Das Prinzip der Nachhaltigkeit gehört ohne Zweifel dazu. Mit möglichst geringem Ressourceneinsatz ein hohes Maß an Effizienz sicherzustellen - das ist gleichermaßen ökonomisch und ökologisch.

Aber auch in einem ganz anderen Bereich ist "Nachhaltigkeit" fest verankert: In der christlichen Schöpfungsidee findet sich die Verbindung von Sozialem, Ökonomie und Ökologie - mithin perspektivisch die Dauerhaftigkeit/Nachhaltigkeit von Leben. "Das gemeinsame Wort der Kirchen ... übernimmt das Prinzip der Nachhaltigkeit als ethische Leitmaxime für eine ökologisch tragfähige, wirtschaftlich erfolgreiche und sozial gerechte Zukunftsgestaltung", so die Deutsche Bischofskonferenz bereits 1998.

Keine Öko- und Ethik-Polizisten

Konsequent nachhaltiges Handeln ergibt für ein Unternehmen auch wirtschaftlich Sinn, vorausgesetzt, das Prinzip der Nachhaltigkeit wird auf allen Ebenen umgesetzt. Es erscheint wenig sinnvoll, etwa "Nachhaltigkeitsbeauftragte" einzusetzen, die wie Öko- und Ethik-Polizisten ihren Kolleginnen und Kollegen Vorgaben machen und als ein zusätzliches Kontrollorgan wahrgenommen werden. Das fördert nicht die Akzeptanz nachhaltigen Handelns, weil sich die Menschen dann gegängelt fühlen. Nachhaltigkeit muss von den Mitarbeitern auf allen Ebenen aktiv gelebt und nach innen und außen stringent kommuniziert werden.

Gerade für Banken als Dienstleister der Realwirtschaft spielen nachhaltige Strategien eine besondere Rolle. Was passiert, wenn sich Geldinstitute plötzlich diesem Prinzip verpflichtet fühlen, wenn die Gier des Augenblicks die gemeinsame Verantwortung für die Zukunft ausblendet, wurde in der Finanzkrise der vergangenen Jahre überdeutlich. Nicht der nachhaltige, sondern der schnelle Euro oder Dollar bestimmte das Handeln. Ethisches Handeln: fehl am Platz. Noch heute berichtet die Presse tagtäglich über fragwürdige Praktiken, Gerichtsentscheidungen und Milliarden-Strafzahlungen von Banken. Jetzt versuchen viele Banken, das Vertrauen der Öffentlichkeit und ihrer Kunden zurückzugewinnen. Wenn man aber etwas zurückgewinnen muss, hat man es zuvor verspielt.

Eine nachhaltige Geschäftsstrategie zeichnet sich durch Transparenz, Verlässlichkeit und Fairness aus. Die Nähe zu den Kunden und die regionale Verwurzelung - zwei Charakteristika der Sparkassen - bilden einen soliden Rahmen, nachhaltiges Handeln umzusetzen. Wer in seiner Region eng verwurzelt ist, hebt nicht ab. Entscheidungen werden nicht in fernen Zentralen getroffen, sondern mitten in der Region. Das ist der Markt der jeweiligen Sparkasse. Sie kann sich nicht einfach aus ihrem Geschäftsgebiet zurückziehen und woanders ihr Glück probieren. Insofern muss eine Sparkasse schon aus reinem Eigeninteresse nachhaltig agieren, denn eine prosperierende und lebenswerte Region ist eine der Voraussetzungen für den wirtschaftlichen Erfolg der Sparkasse - von dem dann wiederum auch die Region profitiert. Die langfristig ausgerichtete Geschäftspolitik der Sparkassen, ihre Orientierung am Gemeinwohl im Rahmen ihres öffentlichen Auftrags und der Verzicht auf Gewinnmaximierung um jeden Preis sind gute Voraussetzungen, nachhaltige Strategien umzusetzen.

Neben dem Engagement für das Gemeinwohl und der damit verbundenen Integration von sozialen und ökologischen Zielen in das Bankgeschäft bietet das Geschäftsmodell der Sparkassen viel Raum zur Umsetzung nachhaltigen Handelns. So sind Sparkassen der traditionelle Partner und Finanzierer des Mittelstands. Dabei legen die Institute Wert auf eine langfristige Beziehung zu ihren Kunden. Aus dieser Langfristigkeit resultiert das Wissen über die wirtschaftlichen Bedürfnisse und Risiken der Kunden, was wiederum erlaubt, adäquate und lösungsorientierte Produkte sowie Serviceleistungen zu unterbreiten. Das gilt für Firmenkunden ebenso wie für Privatkunden.

Verankerung in der Realwirtschaft

Die nachhaltige Partnerschaft der Sparkassen mit dem Mittelstand stärkt die Regionen und macht sie dauerhaft krisenfester. Diesem Ziel dient ferner nicht zuletzt die Unterstützung und Beratung von Existenzgründern. Die enge Verzahnung mit den Regionen, die Nähe zu den Kunden und die Verankerung in der Realwirtschaft trugen dazu bei, dass sich das Geschäftsmodell der Sparkassen gerade in der Finanzkrise bewährte und die Kunden ihren Instituten vertrauten.

Große Bankkonzerne dagegen gerieten in eine tiefe Vertrauenskrise. Die Marketingberatung Prophet etwa ermittelte jüngst in einer Umfrage, dass knapp drei Viertel der Bundesbürger der Meinung sind, Banken seien nur auf ihren eigenen Vorteil bedacht. Diese Vertrauenskrise ist nicht nur ein Image-, sondern vielmehr ein Legitimationsproblem. Die Sensibilität für das Thema Nachhaltigkeit hat - aus traurigem Anlass - zugenommen.

Wichtiger Beitrag zur Energiewende

Den regionalen Kreditinstituten kommt in Zeiten der Energiewende eine weitere Aufgabe zu, mit der sie ihre nachhaltige Ausrichtung unter Beweis stellen können. Der Atomausstieg stößt bei den Bürgern auf breite Akzeptanz. Gleichzeitig wünschen sie sich jedoch sichere und bezahlbare Energie. Hierzu sind hohe Investitionen in Energieeinsparung sowie erneuerbare Energieformen wie Windenergie, Biomasse und Photovoltaik erforderlich. Vor allem sind bei der künftigen Energieproduktion mehr Dezentralität und Bürgerbeteiligung gefragt. In vielen Regionen besteht hoher Finanzierungsbedarf. Die Sparkassen sind dort nicht nur gefragte Finanzierungspartner, vielmehr erweist sich auch ihr Netzwerk als förderlich bei der regionalen Umsetzung der Energiewende. Damit die Institute entsprechendes Know-how vorhalten können, bieten die regionalen Sparkassenakademien Schulungen zu den Themen Nachhaltigkeit, nachhaltige Anlageprodukte und erneuerbare Energien.

Nachhaltige und ethische Investments - was ist notwendig? Erkennbar ist die Henne-Ei-Problematik: Was muss zuerst da sein: der nachfragende Kunde oder das entsprechende Produkt? Unverkennbar ist, dass mehr und mehr Anleger - gerade in Zeiten bescheidener Renditen - "saubere", nachhaltige Investments tätigen wollen. Die Branche ist gefordert, adäquate Produkte bereitzustellen. Die Sparkassen-Finanzgruppe bietet hier eine Reihe von Möglichkeiten, hat aber noch weiteres Potenzial. Da die Bedürfnisse der Kunden individuell abgefragt werden (Finanzcheck), bietet es sich an, die Einstellung zur Nachhaltigkeit in Erfahrung zu bringen. Kunden werden sich - so die übereinstimmenden Prognosen - mehr und mehr für nachhaltige und ethische Investments entscheiden. Die KfW hatte erst jüngst mit der Platzierung ihrer "Grünen Anleihe" - mit der Umweltschutz- und Klimaprojekte finanziert werden - einen Riesenerfolg.

Doch birgt dieses Thema Reputationsrisiken, die nicht unterschätzt werden sollten. Die Tokyo Electric Power Company (Tepco) zum Beispiel steht heute für die Atomkatastrophe von Fukushima. Doch zuvor war der japanische Energiekonzern in einer regionalen Variante des Dow Jones Sustainability World Index gelistet - als nachhaltiges Vorzeigeunternehmen. Auch der Ölkonzern BP gehörte lange Zeit diesem erlauchten Kreis an - bis zum 20. April 2010, als es auf der Explorations-Ölplattform Deepwater Horizon im Golf von Mexiko zu einem schweren Unglück kam, das eine katastrophale Ölpest zur Folge hatte. Mit anderen Worten: Gerade bei nachhaltigen Investments ist kompetente Beratung unverzichtbar, damit der Kunde sicher sein kann, dass Nachhaltigkeit mehr ist als nur ein verkaufsförderndes Label. Auch in dieser Hinsicht hat die Branche, haben Kundenberater noch Lernbedarf.

Überprüfung der Sponsoringaktivitäten

Nicht zuletzt gilt es, im Bereich der Unternehmenskommunikation und des Sponsorings auf Konsequenz zu achten. Ein Unternehmen, das sich in seinen Publikationen zum Prinzip der Nachhaltigkeit bekennt, gleichzeitig aber zum Beispiel als Formel-1-Sponsor auftritt, hat zumindest ein Glaubwürdigkeitsproblem. Es erscheint daher ratsam, Sponsoringaktivitäten des Kreditinstituts auf ihre nachhaltige Entwicklung hin zu überprüfen und gegebenenfalls zu erweitern.

Doch grau ist bekanntlich alle Theorie. Wie setzt die Nassauische Sparkasse Nachhaltigkeit konkret in ihrer Geschäftsstrategie um? Nachhaltigkeit ist Teil der Corporate Social Responsibilty (CSR), darunter versteht die Sparkasse die freiwillige Integration sozialer, ökologischer und ökonomischer Belange in die Unternehmenstätigkeit. Sie soll im Bewusstsein der Menschen im Geschäftsgebiet und darüber hinaus als verantwortungsvolles und nachhaltig agierendes Unternehmen verankert werden. Hierzu wird CSR in allen relevanten Steuerungsinstrumenten, Prozessen und Strukturen sowie natürlich auf der Maßnahmenebene umgesetzt. Bis Ende 2014 hat die Sparkasse ihre Aktivitäten auf der Maßnahmenebene weiter deutlich ausgebaut. So werden beispielsweise inzwischen 90 Prozent des eigenen Strombedarfs aus regenerativen Energieträgern gewonnen. Im August 2013 wurde das hauseigene Servicecentrum als Ökoprofit-Unternehmen ausgezeichnet. Der Fuhrpark umfasst mehrere umweltschonende Autos, darunter zwei Elektro-Smarts, die sich im Alltag sehr bewährt haben.

Mit ihrer Charta der Vielfalt möchte die Sparkasse die Anerkennung, Wertschätzung und Einbeziehung von Vielfalt in die Unternehmenskultur weiter fördern. Mithilfe des Talentwettbewerbs soll sichergestellt werden, dass das hohe Qualifikationsniveau der Mitarbeiter erhalten bleibt. Dabei legt die Personalentwicklung einen starken Fokus auf die Förderung von Frauen für Fach- und Führungsaufgaben.

Apropos Führungsaufgabe: Es geht nicht darum, Führungskräften etwas anzutrainieren. Zielführend ist nur die Entwicklung von Führungspersönlichkeiten, die innerlich frei und zur Selbstreflexion fähig sind.

Der Naspa Corporate Governance Kodex zeigt als Orientierungsrahmen, wie die Sparkasse

- ihr Selbstverständnis als ehrbarer Kaufmann organisiert und mit Leben füllt,

- bestrebt ist, die heutigen und künftigen Anforderungen an ein umfassendes, proaktives und integres Management zu erfüllen,

- Transparenz herstellt, die über die gesetzlichen Anforderungen hinausgeht. Man mag der Sparkasse vorhalten, dass immer noch viel zu tun ist. Richtig, aber sie arbeitet daran!

Eine besondere Rolle spielt CSR naturgemäß im Beratungsgeschäft. Dabei geht es nicht allein um Geldanlage, Finanzierung und Vorsorge, vielmehr werden die Privatkunden darüber hinaus zum Thema energiesparender oder umweltschonender Maßnahmen einschließlich öffentlicher Fördermittel beraten. Den Firmenkunden wiederum stehen zwei ausgebildete Berater für erneuerbare Energien sowie ein Kreditreferent zu diesem Thema zur Verfügung.

CSR nach dem Graswurzelprinzip

Schon lange bevor CSR für die Kreditwirtschaft relevant wurde, gründete die Naspa ihre Stiftung "Initiative und Leistung". Durch ihre rechtliche Konstruktion ist eine Stiftung auf Dauer angelegt, also im direkten Wortsinn nachhaltig. Damit werden ehrenamtliches Engagement in den Bereichen Gesellschaft, Kultur und Sport unterstützt.

Diese Praxisbeispiele belegen: CSR ist für alle Unternehmen, insbesondere für die sensible Finanzbranche, ein wichtiges Instrument, um Vertrauen zu erhalten und weiter zu stärken, Image aufzubauen und Reputationsrisiken so gering wie möglich zu halten. Allerdings funktioniert CSR nur nach dem "Graswurzelprinzip" - alle Mitarbeiter müssen mitmachen. Wird CSR nur vom Vorstand aufgesetzt und nicht gelebt, erschöpft sie sich in Worthülsen, dann wird sie schnell selbst zum Reputationsrisiko.

Im Übrigen kommen Unternehmen an der Berichterstattung nicht finanzieller Informationen gar nicht mehr vorbei: Die EU hat ein entsprechendes Regelwerk beschlossen, welches jetzt sukzessive umgesetzt wird - dem Gedanken der Nachhaltigkeit folgend.

Das führt zu jedem Einzelnen, dem Menschen: Die Verantwortung für das Handeln des Einzelnen kann ein Unternehmen, eine Institution nicht übernehmen. Aber man kann den Menschen stärken im nachhaltigen und respektvollen Handeln und man kann ihn auffordern, dort, wo er im Unternehmen Widerspruch sieht, diesen zu benennen. Die Ausbildung von Führungskräften zu Systemagenten, die nur ihre Funktion vollziehen, ist kein Beitrag zur Nachhaltigkeit. Persönlichkeiten dagegen, die in ihren Entscheidungen ethisch geerdet sind, helfen Unternehmen weiter, zukunftsfähig und damit nachhaltig gewappnet zu sein. Ethik für Führungspersönlichkeiten lässt sich wie folgt zusammenfassen: "Handele so, dass Du das personale (soziale, emotionale, musische, sittliche, religiöse) Leben in Dir und anderen eher mehrst und entfaltest, denn minderst und verkürzt." (Rupert Lay, Ethik für Manager). Das ist nachhaltig!

Bertram Theilacker , Mitglied des Vorstands , Nassauische Sparkasse (Naspa), Wiesbaden
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