Negativzinsen aus wirtschaftlicher und juristischer Sicht

Prof. em. Dr. Leo Schuster, Lehrstuhl für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, Bankbetriebslehre und Finanzierung, Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät Ingolstadt, Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt

Quelle: privat

Prof. em. Dr. Leo Schuster, Lehrstuhl für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, Bankbetriebslehre und Finanzierung, Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät Ingolstadt, Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt - Auch die Wirtschaftswissenschaft und die Rechtsprechung müssen sich an das derzeitige Umfeld der Negativzinsen erst gewöhnen. Im Zins erkennt der Autor zwar durchaus noch einen Knappheitsindikator, sieht mit der Allokations- und der Akkumulationsfunktion aber wesentliche Bestandteile der klassischen Betrachtung außer Kraft gesetzt und die Wirtschaftswissenschaft vor die Aufgabe gestellt, zu den geänderten Funktionen des Zinses neue Überlegungen anzustellen. Mit Blick auf den Umgang der Rechtsprechung mit der neuen Situation vermisst er klärende Entscheidungen, auch solche höchstrichterlicher Art und registriert bei Kunden wie bei der Kreditwirtschaft große Unsicherheit bei der Auslegung bestehender und der Schaffung neuer Vertragsgrund lagen für das Einlagen- und Kreditgeschäft. (Red.)

Zins ist der Preis für das Risiko und den Liquiditätsverzicht bei der zeitweisen Überlassung von Geld, Kredit und Kapital an Dritte. In einem marktwirtschaftlichen System bildet sich der Preis grundsätzlich durch Angebot und Nachfrage, beeinflusst von deren Elastizität und der Kreditabhängigkeit der Wirtschaftssubjekte. Weitere Einflussfaktoren spielen eine Rolle, wie die Administration oder sogar die Manipulation. Bei Letzterer ist zum Beispiel an das inzwischen sanktionierte Liborkartell einiger international tätiger Banken erst in jüngster Zeit zu erinnern. Permanenten administrativen Einfluss nehmen die Zentralnotenbanken, die durch ihre Geldpolitik den Leitzins (Euribor) festlegen, der mit der Bankenkrise in der EU seit 2008 von 4,5 Prozent sukzessive bis auf 0 Prozent 2016 reduziert wurde, der Beginn also der Nullzinspolitik. In deren Gefolge ist der Zins für die Einlagen der Banken, die ihre überschüssige Liquidität bei der EZB deponieren, seit 2014 negativ und liegt heute bei minus 0,4 Prozent.

Immenser Liquiditätsüberhang

Durch diese Politik der EZB ist zusätzlich zu ihren monatlichen Ankäufen von Anleihen aller Art und in einem derzeitigen Volumen von 60 Milliarden Euro ein immenser Liquiditätsüberhang von 2 Billionen Euro geschaffen worden, womit eigentlich ein großes Investitionsvolumen im Euroraum zur Verfügung gestellt wurde. Dieses wird auch von den südeuropäischen Ländern für deren quasi kostenloses Schuldenmanagement genutzt, in anderen Ländern, einschließlich Deutschland, herrscht jedoch eine von politischen Rezessionsängsten geprägte Investitions- und Konsumzurückhaltung privater und unternehmerischer Kreise. Da sich also für die überschießende Liquidität entsprechend geeignete Anlagemöglichkeiten in der Wirtschaft nicht oder nur sehr schwer finden lassen, bleibt den Banken eigentlich nur die Alternative einer sicheren Parkierung der Mittel im Zentralbanksystem.

Der dafür an die EZB zu entrichtende Negativzins kostet die deutschen Banken im Jahr fast 2 Milliarden Euro, was die höchste Belastung im Vergleich mit allen Euroländern darstellt. Die marktwirtschaftlich operierenden Finanzinstitute reagierten zunächst mit einer Nullzinspolitik im Einlagenbereich und neuestens mit einer Weitergabe respektive Abwälzung der Negativzinsen auf ihre Einlagenkunden. Diese die Konditionen drastisch verschlechternden Maßnahmen wurden zusätzlich noch angereichert durch verschiedene Gebührenerhöhungen und neue, für die Kunden oft intransparente und belastende Kontomodelle.

Im Interesse der Fiskalpolitik

Da die Einleger bei Banken weder über eine Lobby verfügen noch von der nationalen Wirtschafts- und Finanzpolitik unterstützt werden, entgegen früheren Beteuerungen über den Wert des Sparens zur Altersvorsorge, ist eine Änderung dieser Situation nicht in Sicht. Die Negativzinspolitik der EZB und der Geschäftsbanken ist vielmehr sogar im Interesse der nationalen Fiskalpolitik, die sich auf diese Weise günstig verschulden kann und damit die politisch wichtige "schwarze Null" bewahrt.

Daneben profitieren auch Kreditnehmer aller Art und, wie schon erwähnt, im internationalen Kontext vor allem die südeuropäischen Schuldnerländer. Eine kürzlich vorgestellte wissenschaftliche Studie erbringt den Nachweis, dass zum Beispiel Griechenland für den bisher aufgenommenen Schuldenberg von mehr als 200 Milliarden Euro einen Negativzins von minus 0,28 Prozent erzielt, das heißt, dieses Land würde an seinen Schulden verdienen (vergleiche FAZ vom 8. Mai 2017).

Funktionen des Zinses

Zinsen sind im Prinzip Knappheitsindikatoren auf den Geld-, Kredit- und Kapitalmärkten. Die Frage, ob diese Aussage auch bei Nullzins- oder Negativzinssituationen noch richtig ist, kann sicherlich bejaht werden, denn Geld und Kredit sind reichlich vorhanden und die Zinsen entsprechend niedrig. Alle anderen üblicherweise einschlägigen Funktionen des Zinses scheinen aber ihre Berechtigung verloren zu haben. Dies gilt vor allem für die Selektionsfunktion, weil niedrige Zinsen selbst noch wettbewerbsschwache Unternehmungen nicht oder nur verzögert aus dem Markt drängen. Es fehlt damit die "reinigende Kraft von Zinsen für die Volkswirtschaften", was Winand von Petersdorff als den Fluch der Niedrigzinsen bezeichnet (FAZ vom 4. November 2016).

Ähnliches trifft auch auf die Allokationsfunktion zu, denn der nicht oder kaum noch vorhandene Zins lenkt nicht mehr die Produktionsfaktoren in die Wirtschaftssektoren, wo sie am dringendsten benötigt werden. Sparen soll vielmehr politisch unattraktiv zugunsten von Konsum und Investitionen gemacht werden. Der gewünschte Erfolg stellt sich bei derart administrativ gelenkten Maßnahmen oft nicht oder nur unzureichend ein. So haben Negativzinsen in Dänemark dazu geführt, dass die Bürger noch mehr gespart haben, um auch künftig ihre Kaufkraft zu erhalten.

Eine der wichtigsten Funktionen des Zinses, die Akkumulationsfunktion, wonach Geldvermögen durch Zins und Zinseszins aufgebaut werden, ist praktisch zur Gänze obsolet. Versteht man unter Zins nicht nur den Nominalzins, der dann bereits negativ ist, wenn er die Nullgrenze unterschreitet, sondern auch den die Inflation berücksichtigenden Realzins, so kann die vermögensverzehrende Wirkung gegebenenfalls umso größer sein.

Paradigmenwechsel

Aber welche tragenden Funktionen sind dann dem ursprünglichen Zinsdifferenzgeschäft der Banken im neuen Zins-Regime zuzuschreiben? Offensichtlich hat sich ein Paradigmenwechsel eingestellt, der die Zinsverhältnisse um 180 Grad verkehrt. Einleger müssen im Prinzip einen Negativzins entrichten, Kreditgeber in bestimmten Fällen ihren Kreditnehmern zusätzlich Zinsen bezahlen!

Noch ist es richtig, dass nicht alle Banken von allen Passivkunden Negativzinsen verlangen, aber der Weg in diese Richtung ist beschritten. Richtig ist auch, dass es im Aktivgeschäft durchaus noch Sparten gibt, in denen höhere Zinsen üblich sind, wie zum Beispiel beim Dispokredit mit 10 bis 12 Prozent, den immerhin ein Drittel der Deutschen in Anspruch nimmt, 10 Prozent der Kreditnehmer sogar mehrmals im Jahr.

Noch keine höchstrichterliche Rechtsprechung

Auch scheint es die Ausnahme zu sein, dass Kreditnehmer von ihrer Bank Zinsen zusätzlich zum aufgenommenen Kredit erhalten, was nur bei längerfristigen und vor Jahren mit Zinsgleitklauseln abgeschlossenen Verträgen der Fall sein kann. Sind nämlich die Referenzzinssätze, wie EONIA, Libor oder Euribor auch in den Minusbereich gerutscht, so ist tatsächlich die paradoxe Situation für den Kreditnehmer vorstellbar, seinen Kredit noch mit Zinszahlungen der Bank "anzureichern". Allerdings steht noch eine höchstrichterliche Rechtsprechung zu diesem Thema aus und heute schon schützen sich die Banken bei Zinsänderungsklauseln, indem sie einen Referenzzinssatz von mindestens Null als Floor festlegen.

In einer anderen Sache hat der Bundesgerichtshof (BGH) am 21. Februar 2017 eine Entscheidung zugunsten von Bausparkassen getroffen. Dabei ging es um die Praxis der Bausparkassen, gut verzinste Altverträge zu kündigen, wogegen Bausparer geklagt hatten. Nach dem Urteil des BGH können Bausparverträge gekündigt werden, wenn die Bausparsumme komplett angespart ist, beziehungsweise Verträge, die seit mehr als zehn Jahren zuteilungsreif sind, auch wenn diese noch nicht voll angespart sind. Eine Ausnahme ist allerdings bei Verträgen mit Zinsbonus gegeben, bei denen die Frist von zehn Jahren frühestens beginnt, wenn der Bausparer Anspruch auf den Bonus hat.

Im Kreditgeschäft gibt es noch eine weitere Ausprägung der Negativzinsen für den Fall, dass zum Zwecke der Zinsoptimierung Derivatgeschäfte abgeschlossen werden. Ein Swap-Geschäft kann zum Beispiel dazu dienen, einen variablen Zins (zum Beispiel Euribor plus Marge) gegen einen Festzins zu tauschen, um sich sowohl gegen steigende Zinsen abzusichern, wie auch eine feste Kalkulationsbasis für die Zinsbelastung zu erhalten. Steigt der Zins, hat sich der Tausch für den Kunden gelohnt. Bleibt der Zins konstant oder sinkt er, ergibt sich kein Nutzen aus der Absicherung. Geht er aber ins Negative, so tritt der gegenteilige Fall ein, es entsteht nämlich für den Kunden ein quasi unbegrenztes Zinsrisiko.

Dadurch ist die paradoxe Situation gegeben, dass der Kunde zusätzlich zum Festzins auch den variablen Negativzins zu tragen hat, wenn der Swap-Vertrag eine Negativzins-Klausel enthält. Die Banken selbst haben sich in der Regel für diesen Fall, der eigentlich nie zu erwarten war, durch entsprechende Zinsklauseln abgesichert. Ob diese Klauseln allerdings, zum Beispiel wegen einer mangelhaften Beratungsleistung der Bank, anfechtbar sind, ist derzeit Gegenstand mehrerer gerichtlicher Auseinandersetzungen.

Zinstheorien

Die historisch geführten Diskussionen in der Geld- und Kredittheorie der Volkswirtschaftslehre haben eine Vielzahl von unterschiedlichen Zinstheorien hervorgebracht. In der Regel geht es dabei um die ethische Rechtfertigung des Zinsnehmens, was auch als späte Reaktion auf das kanonische Zinsverbot zu verstehen ist, das in christlichen Ländern den Zins als quasi Wucher unter Verbot gestellt hat. Dieses hat bis in das 15. und 16. Jahrhundert und in manchen Ländern darüber hinaus Gültigkeit gehabt, auch wenn es oft nicht eingehalten wurde, nicht zuletzt von den Kirchen selbst. Zins ist in dieser Zeit oft als Wucher bezeichnet worden, so wie das entsprechende arabische Wort "Riba" heute noch beides bedeutet, nämlich Zins und Wucher. Das Nehmen von Zinsen ist im islamischen Kontext bis in die Gegenwart mit einem Verdikt belegt, wird aber oft durch andere Maßnahmen umgangen, wie zum Beispiel die Gewinnbeteiligung am geschäftlichen Erfolg.

Beispiele für die erwähnten Zinstheorien der neueren Zeit könnten für praktisch alle volkswirtschaftlichen Schul- und Lehrmeinungen genannt werden, wie die Produktivitätstheorie (J. B. Say, Malthus), die Nutzungstheorie (Hermann Menger), die Abstinenztheorie (William Nassau), die Agiotheorie (von Böhm-Bawerk). Ohne auf diese und andere Zinstheorien in diesem Zusammenhang näher einzugehen, kann jedoch konstatiert werden, dass nur eine unter ihnen die Berechtigung eines negativen Zinses zum Gegenstand hat. Selbst die sozialistische Ausbeutungstheorie (zum Beispiel Karl Marx) erklärt, aber negiert nicht den Zins. Seine Entstehung liegt vielmehr ausschließlich in der menschlichen Arbeit begründet, die allerdings zugunsten des Kapitalisten als Nutznießer ausgebeutet wird.

Die "Freiwirtschaftslehre" als exotisch geltender Ansatz

Ein besonderer bisher eher als exotisch geltender Ansatz allerdings darf in diesem Zusammenhang nicht fehlen: Die "Freiwirtschaftslehre" zurückgehend auf Silvio Gesell (1862 bis 1930), in der nicht nur die Zinslosigkeit des Geldes gefordert wird, sondern auch, dass Geld mit der Zeit automatisch an Wert verlieren müsse, um das Horten zu verhindern. Geld solle vielmehr ausgegeben werden, um die Wirtschaft anzukurbeln. Gesell forderte deshalb dezidiert, dass Geld mit einem negativen Zins belegt werden soll, gleichsam als eine Steuer auf die Liquidität. Auch wenn sich diese sogenannte "Schwundgeldtheorie" von Silvio Gesell nie und nirgends wirklich durchsetzen konnte, verwundert es dennoch nicht, dass sich einige zeitgenössische Verfechter der derzeitigen EZB-Politik der Parallelen zum Negativzins wegen dafür einsetzen.

Die Ökonomik hat die Aufgabe, zu den geänderten Funktionen des Zinses neue Überlegungen anzustellen. Auch muss heute schon alternativ an die Zeit gedacht werden, wenn Zinsen von den Zentralnotenbanken wieder hochgefahren werden, was aber derzeit noch von der EZB vehement verneint wird und in der Tat in absehbarer Zeit auch nicht zu erwarten sein dürfte.

Offen ist dann auch die Frage, wie die EZB den riesigen Berg von Titeln, die sie durch ihre Ankäufe im Portefeuille hält, abgibt beziehungsweise reduziert, ob sukzessive oder auf einmal oder durch Einbringung von "Nonvaleurs" in eine zu gründende "Bad Bank". Noch weniger gelöst ist das Problem, wie südeuropäische Staaten mit ihren aufgelaufenen Schulden umgehen werden, ohne dass die gesamte Eurozone größeren Schaden nimmt.

Einführung von Negativzinsen - die Schweiz als Vorreiter

Negativzinsen in der neueren Bankpraxis sind erstmals von der Schweizerischen Nationalbank im Jahr 1972 eingeführt worden, allerdings damals nur für Einlagen aus dem Ausland, um die Flut von Flucht geldern im Rahmen zu halten. Mit dieser Maßnahme sollte auch eine weitere Aufwertung des Franken verhindert werden. Eine Signalwirkung auf andere Länder, insbesondere auf Deutschland, ist damals nicht aufgetreten. Erst im Jahre 2014 führte die Schweizerische Nationalbank erneut Negativzinsen ein, um den Euro-/Franken-Mindestkurs von 1,20 halten zu können. Die bankbetriebliche Terminologie verwendet für diese Art von Negativzinsen der Zentralnotenbanken gegenüber den Geschäftsbanken auch den Terminus "Strafzins".

In Deutschland war 2012 das Schuldenmanagement des Staates Vorreiter, bei der aufgrund der erstklassigen Bonität des Landes erfolgten Emission von Geldmarktpapieren, Bundesanleihen, Bundesschatzanweisungen beziehungsweise Auktionen von Wertpapieren, die mit Minusrenditen (zum Beispiel minus 0,0122 Prozent bis minus 0,06 Prozent) Milliarden an Gewinnen für den Staat abwarfen. Die Rendite von Bundesobligationen lagen dann im Januar 2015 bei minus 0,5 Prozent und im August 2015 emittierte die Bundesrepublik Deutschland eine Staatsanleihe mit zweijähriger Laufzeit zu einem Nominalzins von minus 0,25 Prozent. Aber auch bei der im Jahr 2016 aufgelegten zehnjährigen Bundesanleihe handelte es sich um einen negativen Realzins, obwohl sie mit einem Nominalzins von null Prozent, aber mit einem Emissionskurs von 100,48 Prozent platziert wurde.

Im Jahre 2014 machte die EZB als erste große Zentralbank Gebrauch von Negativzinsen gegenüber Geschäftsbanken, indem deren Bankguthaben bei ihr zuerst mit einem Zins von minus 0,1 Prozent und inzwischen mit minus 0,4 Prozent belegt wurden, in der erwähnten Absicht, Einlagen der Geschäftsbanken unattraktiver werden zu lassen zugunsten einer erhöhten Kreditvergabebereitschaft an die Wirtschaft. Dieser Einsatz des neuartigen geldpolitischen Instrumentariums der EZB war nach den Worten ihres Präsidenten Mario Draghi auf das Verhältnis zu den Geschäftsbanken wie folgt gemünzt: "Die Zinssätze, die wir verändert haben, sind für Banken, nicht für die Leute."

Da die in erster Linie vom Zinsdifferenzgeschäft abhängigen deutschen Kreditbanken sehr zinsempfindlich sind, fürchten sie um ihre Rentabilität und haben begonnen, Negativzinsen auch gegenüber ihrer Kundschaft einzuführen. Es werden also jetzt auch die "Leute" mit Negativzinsen konfrontiert, allerdings zunächst neben Unternehmungen und Institutionellen (unter anderem Lebensversicherungsgesellschaften, Sozialversicherungen, Krankenkassen) nur die privaten Großeinleger.

Auch die kommunalen Finanzverwaltungen sind vom Niedrigzinsumfeld in verschiedener Weise betroffen. Noch zahlen nur wenige Negativzinsen für ihre Liquiditätsreserven, bei den ihnen in der Regel nahestehenden Sparkassen, profitieren aber gleichzeitig von niedrigen Kreditzinsen, was eine insgesamt oft vorteilhafte Mischrechnung für die Gemeinden ergibt.

Gebühren als Kompensation für ausbleibende Zinseinkünfte

Den Anfang mit Negativzinsen machte schon 2014 die Deutsche Skatbank, ein kleines thüringisches Institut, zunächst nur gegenüber Großeinlegern. Weitere Banken sind diesem Beispiel gefolgt, wie die Commerzbank, die WGZ-Bank, mehrere Sparkassen, Volks- und Raiffeisenbanken, bis jetzt mehrheitlich ab Einlagensummen von 100 000 Euro und mit Sätzen von minus 0,40 Prozent. Einlagen sind plötzlich nicht mehr begehrt, weil sie nicht mehr gebraucht werden. Lange Zeit lieferte das Einlagengeschäft den nötigen Rohstoff für die Kreditvergabe. Einlagenkunden, die ehedem heftig umworben waren, werden heute in andere Bereiche umgelenkt. Anstelle des Einlagengeschäftes haben die meisten Banken und Sparkassen über höhere Gebühren eine Kompensation für ausbleibende Zinseinkünfte geschaffen, zum Beispiel für Geldaufbewahrung, komplizierte Kontoführungsmodelle mit Stückgebühren bei mehrfachen Abhebungen am Automaten, Abbau von Zweigstellen, Ausdünnung bei der Beratung, weil nicht mehr für jedermann.

Es erstaunen deshalb die neuen Antimarketing-Strategien mit Schlagworten wie der Forderung nach dem Ende der "Umsonst-Kultur" oder der "Kostenlos-Kultur" als hätte es bei den Banken wirklich schon etwas umsonst gegeben! Bisher konnten eben die Kreditinstitute über einen festen Bodensatz und die Quersubventionierung von Dienstleistungen eine flexiblere Preispolitik betreiben, auch mit "Underpricing" von komplementären Angeboten.

Negativzinsen in juristischer Betrachtung

Während sich die ökonomische Analyse der Negativzinsen um die Themen Geldwertstabilität, Rentabilität der Banken sowie Investitions- und Konsumneigung der Bankkunden bewegt, stellt die juristische Debatte die Frage in den Mittelpunkt, ob und wie Banken im Einlagengeschäft bei laufenden Verträgen einseitig, also ohne Zustimmung ihrer Kunden von einer positiven Verzinsung auf negative Zinsen übergehen können und auf der anderen Seite welche vertraglichen Vorkehrungen sie im Kreditgeschäft treffen müssen, um nicht bei Minuszinsen am Markt, zum Beispiel von Zinsgleitklauseln, vor einer Umkehr der Zinspflicht zu stehen.

In der Literatur ist bislang das Einlagengeschäft (zum Beispiel Tobias Tröger) vorrangig diskutiert worden, das Kreditgeschäft (zum Beispiel Jens-Hinrich Binder) wird meist separat davon und als weniger problembezogen betrachtet. Die grundsätzliche und übergreifende Diskussion des Phänomens der Negativzinsen aus Banken- und Kundensicht ist deshalb geboten, weil bereits erste Klagen gegen Negativzinsen vor der unteren Instanz der Gerichte anhängig sind, und Banken bisher ganz unterschiedliche und individuelle Strategien eingesetzt haben. So versuchen Banken und Sparkassen die Einführung von Negativzinsen über persönliche Gespräche, also einer Art Verhandlungslösung, mit den betroffenen Kunden durchzusetzen. Andere haben die Änderung in Informationsbriefen mitgeteilt oder ließen sogar die Kunden darüber abstimmen. Wieder andere haben die Allgemeinen Geschäftsbedingungen entsprechend angepasst oder bieten völlig neue Kontomodelle an, die Negativzinsen zur Grundlage machen.

In sehr detaillierten Überlegungen und Abwägungen zu diesem Thema hat Tobias Tröger schließlich das Fazit gezogen, "dass bei bestehenden Einlagenverträgen negative Zinsen nicht erhoben werden können". Er bezieht sich dabei auf die klassischen Zinstheorien, wonach Zinsen für die zeitweilige Bereitstellung von Liquidität zu entrichten sind und die Erhebung von negativen Zinsen keine Leistungsanpassung sondern einen Paradigmenwechsel darstellt. Bei der Unterschreitung der Nullzinsmarke würde eine andere ökonomische und zivilrechtliche Dimension beschritten. Im Falle des Übergangs von positiven zu negativen Zinsen würde das zugrunde liegende Rechtsgeschäft in eine regelmäßige Verwahrung umgewandelt.

Anpassung bestehender Einlagenverträge

Die zur Diskussion stehenden Einlagenkategorien sind jederzeit fällige Sichteinlagen, Termineinlagen mit fester Laufzeit oder Kündigungsfrist (Fest- und Kündigungsgelder) sowie Spareinlagen (mit fixen Kündigungsfristen). Keine Probleme beim Übergang zu Negativzinsen stellen Termineinlagen dar, da sie bei Fälligkeit ohnehin in eine neue Vertragsform gekleidet werden können, die dann Minuszinsen mit einschließen kann. Die Sicht- und Kontokorrenteinlagen, die bisher schon kaum positiv verzinst wurden, sind anders zu beurteilen. Sie dienen nur zur sicheren Geldaufbewahrung einschließlich des Schutzes durch die Einlagensicherungssysteme auf Transaktionskonten mit quasi Liquiditätscharakter zu Zahlungsverkehrszwecken.

Damit sind sie als unregelmäßige Verwahrung (§ 700 BGB) zu beurteilen. Aber im Lichte der heutigen Dominanz des Kunden interesses, das die sichere Aufbewahrung und Liquiditätshaltung in den Vordergrund stellt, kann die schuldrechtliche Einordnung von Sichteinlagen auch als echter Verwahrungsvertrag (§ 688 BGB) gerechtfertigt werden. Dafür wäre dann auch eine Vergütungspflicht des Bankkunden zu vermuten, was im Negativzins zum Ausdruck gebracht werden würde.

Bei den anderen Einlagenformen jedoch gilt die Entgeltpflicht der Kreditinstitute im Rahmen der zugrunde liegenden Vertragsbeziehungen als Darlehensvertrag (§ 488 BGB) und unregelmäßiger Verwahrungsvertrag (§ 700 BGB). Das Erheben negativer Zinsen im Rahmen bestehender Kundenbeziehungen bedarf dann neuer vertraglicher Grundlagen, das heißt, die bisherigen Darlehens- und unregelmäßigen Verwahrungsverträge müssen durch echte Verwahrungsverträge ersetzt werden (so zum Beispiel Tobias Tröger).

Als grundsätzlich gangbarer Weg gilt auch die Kündigung der bestehenden Einlagenverträge vonseiten der Banken mit dem begleitenden Angebot eines neuen eine Negativzinsklausel enthaltenden Vertrages. Allerdings laufen in einer solchen Situation diese Banken Gefahr, ihre Kunden an Konkurrenzinstitute zu verlieren, die keine oder geringere Negativzinsen fordern. Schließlich scheint den Kreditinstituten die Option offenzustehen, mit ihren Bestandskunden einen Änderungsvertrag zu vereinbaren, mit der Absicht, ein regelmäßiges Verwahrverhältnis einzugehen. Dabei muss allerdings die Änderung der Beziehung eindeutig zum Ausdruck kommen. Der Kunde muss des Weiteren eine Annahmeerklärung abgeben, sein Schweigen allein genügt nicht.

Umkehr der Zahlungslast bei Kreditgeschäften

Während, wie schon erwähnt, bezüglich der Negativzinsen das Einlagengeschäft der Banken im Vordergrund steht, kann es auch eine Umkehr der Zahlungslast bei Kreditgeschäften geben, wenn die marktüblichen Referenzzinssätze (Euribor, Libor) negativ werden. Ist der Kundenzins über automatische Zinsgleitklauseln an den Referenzzinssatz gekoppelt, wäre eine Vergütungspflicht der Banken vorstellbar. Die Banken schützen sich jedoch gegen diesen aus heutiger Sicht abstrusen Wirkmechanismus, indem der vertragliche Zinssatz nach unten begrenzt wird, zumindest auf Null.

In Österreich besteht bereits ein Urteil des Obersten Gerichtshofes (OGH), das die Position der Banken in der Diskussion um den Negativzins stärkt. Danach werden keine Zinszahlungen der Bank fällig, wenn der Sollzins aufgrund einer Zinsgleitklausel ins Negative rutscht. Wird dann der Zins von der Bank bei 0 Prozent eingefroren, sei dies nicht zu beanstanden. Die Gerichte der ersten Instanz haben noch dem Kreditnehmer zunächst recht gegeben, während das OGH keine Verletzung der Anpassungssymmetrie sah. Dessen Begründung war, dass sich bei einem Kreditvertrag die Parteien darüber einig seien, dass der Kreditnehmer und nicht der Kreditgeber Zinsen zu zahlen habe.

Negativzinsen - Kulturwandel im Bankgeschäft

Die Diskussion des Negativzinses zeigt eine allenthalben vorhandene Ungewissheit der beteiligten Parteien. Die Banken wie ihre Klientel sind sehr verunsichert. Zum ersten Mal fühlen sie sich mit einem Phänomen konfrontiert, das als echter Paradigmenwechsel oder sogar Kulturwandel marktwirtschaftliche Regeln außer Kraft setzt. Sogar die Berechtigung des Begriffes "Negativzins" wird infrage gestellt, weil es sich nicht mehr um Zins im herkömmlichen Wortsinn handelt, die Zinslast vielmehr umgekehrt wird, womit auch das Schuldverhältnis den darlehensrechtlichen Charakter verliert (so Jens-Hinrich Binder).

Wie unsicher sich die Banken in diesem neuen Umfeld bewegen, zeigt, dass sie flankierende Maßnahmen zur Kostensenkung, wie neue Gebührenordnungen für den Bezug von Bargeld am Terminal, kurz nach deren Einführung wieder zurückgenommen haben, nicht zuletzt wegen anstehender Klagen der Verbraucherschützer vor Gericht. Den Banken fehlen in der neuen Situation angemessene Strategien im Zinsdifferenzgeschäft und klärende Entscheidungen, auch solche höchstrichterlicher Art. Die Verbraucherschützer sind alarmiert und sehen in vielen Fällen in der neuen Politik der Banken die Rechte der Bankkunden beeinträchtigt, was wiederum zu einer weiteren Bemühung von Gerichten führen wird. Schließlich sind auch die Bank- und Sparkassenkunden in einem Dilemma. Als Kreditkunden können sie von niedrigen Zinssätzen profitieren. Als Einlagenkunden und "alleingelassene Sparer" (FAZ, 4. November 2016) haben sie Negativzinsen zu entrichten und zusätzliche Inflationsverluste an ihren Ersparnissen zu ertragen bis hin zur allmählichen Verzehrung ihrer Vermögen.

Literaturverzeichnis

Binder, Jens-Hinrich; Ettensberger, Svenja: "Automatischer" Negativzins bei darlehensvertraglichen Zinsänderungsklauseln im Niedrigzinsumfeld, in: Zeitschrift für Wirtschafts- und Bankrecht, 44, 31. Oktober 2015, S. 2069 bis 2116.

Tröger, Tobias: Negative Zinsen auf Einlagen - juristische Hindernisse und ihre wettbewerbspolitischen Auswirkungen, in: Ifo-Schnelldienst, Heft 2, 2015, S. 11 bis 14.

Tröger, Tobias: Vertragsrechtliche Fragen negativer Zinsen auf Einlagen, in: NJW 2015, S. 657 ff.

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