Proportionalität in der Bankenüberwachung - Überblick über aktuelle Aktivitäten

Hiltrud Thelen-Pischke, Foto: Nina Pischke

Dass kleine und mittlere Banken durch die Regulierung stärker belastet werden als große Institute, sieht die Autorin sowohl durch Studien als auch eigene Erfahrungen belegt. Als Mitglied der ersten Banking Stakeholder Group bei der EBA hat sie das Thema Proportionalität mit in der öffentlichen Diskussion positioniert, eine wirkliche Erleichterung registriert sie aber noch nicht. Um mehr Proportionalität bei der Bankenüberwachung zu ermöglichen, ohne die Stabilität einzelner Institute oder des Marktes insgesamt zu gefährden, plädiert sie der Tendenz nach für die Beibehaltung der Anforderungen an Eigenmittel, Großkredite und Liquidität für alle Banken. Ein separates Twotier- Regelwerk zur Reduktion der überproportionalen Compliance-Kosten bei den kleinen Instituten hält sie aber ebenso für diskussionswürdig wie die Abschaffung der Säule II für die kleinen Institute - gegebenenfalls mit einem pauschalen zusätzlichen Kapitalpuffer. Und die Beibehaltung der Offenlegungspflichten nach Säule III für kleine Banken will sie ebenfalls hinterfragt wissen. (Red.)

Die Finanzkrise 2008 zog enorme wirtschaftliche und finanzielle Belastungen für die EU-Mitgliedsstaaten nach sich. Die Reaktion des europäischen Gesetzgebers zur Bekämpfung der Ursachen der Krise und zur wirksameren Regulierung der Finanzmärkte mündete in einer ganzen Fülle von neuen Vorschriften. Um der Regulierungs- und Aufsichtsarbitrage ein Ende zu bereiten, war die Harmonisierung der Vorschriften eines der wichtigsten Ziele.

Mit der für alle CRR-Institute unmittelbar zur Anwendung kommenden Eigenmittelverordnung CRR, der Eigenmittelrichtlinie CRD IV und zahlreichen bindenden technischen Standards sowie den Leitlinien der EBA wurde das sogenannte "Single Rule Book" geschaffen. Seit 2014 müssen die Banken in der EU tausende Seiten mit Vorschriften allein für die prudenzielle Rechtsetzung beachten. Dazu kommen die harmonisierten Regelungen für die Sanierung und Abwicklung von Instituten (BRRD), die Wertpapierdienstleistungen (MiFID II/MiFIR), die OTC-Derivateregelungen EMIR und viele andere mehr.

Institutionen mit Regulierungs- und Aufsichtsfunktionen

Eine weitere wichtige Neuerung betrifft das Europäische System der Finanzaufsicht mit den drei Aufsichtsbehörden EBA, ESMA und EIOPA sowie dem Europäischen Ausschuss für Systemrisiken. Damit folgte die EU-Kommission den Empfehlungen der hochrangigen Expertengruppe um Jacques de Larosière zur Stärkung der Bankenaufsicht. Und schließlich wurden der EZB besondere Aufgaben im Zusammenhang mit der einheitlichen Aufsicht über CRR-Kreditinstitute (SSM-Auf sicht) und der Abwicklungsbehörde (SRB) hinsichtlich der einheitlichen Abwicklung von Banken übertragen.

Auf der EU-Ebene existieren jetzt diverse Institutionen, die zum einen für die Regulierung und damit für die Bankengesetzgebung mitverantwortlich sind. Zum anderen üben sie zum Teil zugleich Aufsichtsfunktionen aus, so zum Beispiel die ESMA über die Ratingagenturen. Die EBA-Aufsicht richtet sich grundsätzlich nur an die nationalen Aufsichtsbehörden, während die EZB die zuständige Aufsichtsbehörde in der Bankenunion ist und die direkte Aufsicht über die bedeutenden Institute (SI) ausübt. Nur für die weniger bedeutenden Institute (LSI) hat sie die Aufsichtstätigkeit an die nationalen Aufsichtsbehörden zurückdelegiert. Insoweit agiert die BaFin unter der Kompetenz und Kontrolle der EZB.1) Eigene Aufsichtsaktivitäten und Einschätzungen der BaFin im prudentiellen Bereich unter Berücksichtigung nationaler Besonderheiten sind nicht im Sinne der EZB.

Es überrascht nicht, dass dieses komplexe neue Aufsichtssystem mit vielen Playern eine Fülle von neuen Vorschriften hervorgebracht hat. Jede dieser Regelungen hat - für sich betrachtet - in den allermeisten Fällen ohne Zweifel ihre Daseinsberechtigung. Es soll sichergestellt werden, dass sich die vor der Krise gemachten Fehler im aufsichtsrechtlichen Umfeld nicht wiederholen. Bedenkt man aber, dass die in der Krise in Schieflage geratenen Banken alle komplexe Geschäftsmodelle hatten und international tätig waren, die lediglich nur national tätigen Institute jedoch während der Krise für die nötige Finanzstabilität gesorgt haben, dann fragt man sich, warum in der EU- Regulierung dieser Tatsache wenig bis gar nicht Rechnung getragen wurde. Gerade umgekehrt hat die EU die Vorschriften für die Säulen I, II und III aus Basel weitgehend ohne Differenzierung auf alle Einlagenkreditinstitute gleichermaßen ausgerollt.

Überproportionale Belastung der kleinen und mittleren Institute

Die praktische Umsetzung der neuen Vorschriften hat gezeigt, dass die kleinen und mittleren Institute bei der Einhaltung der Regeln überproportional belastet werden. Die Kosten für die IT-Infrastruktur, die personellen Ressourcen in der Compliance-Abteilung oder in der internen Revision fallen dort deutlich stärker ins Gewicht als bei den großen, international tätigen Banken. Das steht nicht nur im Widerspruch zur Idee des sogenannten "Level Playing Field", sondern setzt falsche Anreize bezüglich der Größe und Homogenität in der Bankenbranche.2) Realwirtschaft und Kunden spüren die Auswirkungen schon heute beziehungsweise spätestens beim nächsten Abschwung.

Im Folgenden werden neuere, europäische und internationale Ausarbeitungen zum Thema Proportionalität erläutert sowie ein Ausblick auf die aktuelle Überarbeitung der CRD und CRR vorgenommen. Wichtig ist dabei zwischen Bankenregulierung und Bankenaufsicht zu unterscheiden. Denn auch wenn die Regelungen proportionaler werden sollten, könnte eine harmonisierte einheitliche Aufsichtspraxis in der Bankenunion den eröffneten Erleichterungen im Weg stehen.3) Schließlich möchte kein Aufseher für die nächste Bankenpleite zur Rechenschaft gezogen werden. Insoweit könnte es vielleicht sogar gewünscht sein, eine überschaubare Anzahl von Banken nach den strengsten Vorgaben zu beaufsichtigen.4)

Aktivitäten der Banking Stakeholder Group (BSG) bei der EBA

Bereits die erste Banking Stakeholder Group bei der EBA beobachtete, dass die EBA, obwohl sie sich grundsätzlich dem Proportionalitätsprinzip verpflichtet sah (vergleiche EBA Annual Report 2013, S. 27), diesem Erfordernis bei den ihr aufgetragenen Aufgaben doch nicht vollumfänglich nachkam. Bei der Erstellung der diversen technischen Standards referenzierte sie jeweils ausdrücklich auf die in der CRR genannten Einzelvorschriften. Diese enthalten im Detail keinen Hinweis auf Proportionalität, sondern sind sehr technisch ausgerichtet.

Hinweise der BSG auf die generelle Vorgabe zur Beachtung der Proportionalität wurden daher bei der Erstellung der Standards nicht umgesetzt. Gerade für die Vertreterinnen der deutschen Seite in der BSG war die Proportionalität von enormer Bedeutung. Schließlich ist die ganz überwiegende Mehrheit der kleinen Banken (sowohl bezogen auf die EU wie auch auf die Bankenunion) in Deutschland angesiedelt und nur regional mit einem zumeist einfachen Geschäftsmodell aktiv.5)

Zum Thema Proportionalität hat die BSG dann im Dezember 2015 einen ausführlichen Bericht veröffentlicht. Der darin enthaltene Aufruf zur verbesserten Anwendung des Proportionalitätsprinzips richtet sich an die EU-Verantwortlichen und die Aufseher. Es wird vorgeschlagen, die überbordende Bankenregulierung unter dem Blickwinkel von Proportionalität und Komplexität zu hinterfragen. Vor allem sei zu analysieren, inwieweit die Summe der Regularien (unabhängig von den jeweiligen Einzelvorschriften) unverhältnismäßig sei und zu einer unausgewogenen Kosten-Nutzen-Relation führe.

Der Bericht nennt Beispiele, bei denen das Prinzip der Proportionalität nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt wurde, so unter anderem bei den Regelungen zum aufsichtlichen Meldewesen, zur Liquidität, zu den Risikomodellen, zur Leverage Ratio und auch zur Corporate Governance. Die enorm gestiegenen Personal- und Sachaufwendungen zur Befolgung der neuen Regelungen belasten gerade kleinere Institute stärker und behindern die Versorgung der Realwirtschaft mit Krediten zur Förderung von Innovation und Wachstum.6)

Die BSG weist zudem darauf hin, dass eine unverhältnismäßige Bankenregulierung den Eindruck erweckt, dass der Regulator tatsächlich das Management der Banken insofern übernimmt, als er die Ermessensspielräume der Geschäftsleitung einschränkt und de facto die Kontrollfunktion des Überwachungsorgans limitiert. Eine daraus entstehende Überlappung von Funktionen zwischen Aufsehern und beaufsichtigten Instituten kann sogar die Unabhängigkeit der Aufsicht gefährden, die aber notwendig ist, um eine wirksame Überprüfung der Banken durchführen zu können.7) Seit Veröffentlichung des EBA BSG Reports hat das Thema Proportionalität in der Bankenregulierung deutlich Fahrt aufgenommen.

Proportionalität und Compliance als Kostenfaktor

Verschiedene Untersuchungen bestätigen die Erkenntnis, dass die kleinen Institute durch die neuen Regularien unverhältnismäßig stärker belastet werden. So kommt Andreas Schenkel in seiner 2016 durchgeführten empirischen Untersuchung zu bankspezifisch verursachten Regulierungskosten bei deutschen Genossenschaftsbanken zum Ergebnis, dass die Regulierungskosten nicht proportional mit der Größe einer Genossenschaftsbank korrelieren. Vielmehr fällt bei kleinen Genossenschaftsbanken mit einer Bilanzsumme von unter 220 Millionen Euro deutlich mehr Verwaltungsaufwand für Regulierungskosten an als bei Genossenschaftsbanken mit einer Bilanzsumme von über 1,2 Milliarden Euro.

Die Untersuchung umfasst die Kosten für das Risikomanagement, die Wertpapierdienstleistungen, die Bekämpfung der Geldwäsche und die Einhaltung der IT-Standards. Wenn man die Ergebnisse dieser Untersuchungen auch für die anderen Bereiche der Regulierung fortschreibt, dann können die durch die Finanzmarktregulierung erzeugten Verzerrungen die Wettbewerbsfähigkeit kleinerer und mittlerer Banken so stark bedrohen, dass sie "zu klein zum Überleben" sein werden.8)

FSI-Insight-Studie zur Anwendung der Basler Standards

Das Financial Stability Institut hat 2017 untersucht, inwieweit der Proportionalität bei der Anwendung der Basler Standards Rechnung getragen wird.9) Erste wichtige Erkenntnis ist: Es gibt ein breites Spektrum in Bezug auf die Anwendung von einer sehr begrenzten Anwendung für wenige international aktive Banken in den USA bis zu einer umfassenden Anwendung für alle Banken in der EU. In der Schweiz und Brasilien wird differenzierter vorgegangen. Dort werden die Banken in verschiedene Klassen kategorisiert, abhängig von der Größe oder Komplexität, und für jede Kategorie wird nur ein bestimmtes Set von Vorschriften angewendet.

Der Chairman des FSI, Fernando Restoy, hat zugegeben, dass die gestiegene Komplexität des Basler Standards in einigen Fällen eine Modifizierung der Anforderungen erforderlich machen kann - insbesondere dort, wo die gewünschte Widerstandsfähigkeit der Banken auch ohne die umfängliche Anwendung der Basel III Vorgaben erreicht würde. Andererseits äußert er die Sorge, dass das Proportionalitätsprinzip missbraucht werden könnte, um kleineren Instituten einen bedeutenden regulatorischen Vorteil zu verschaffen. Gerade auf der europäischen Ebene sieht er die Notwendigkeit, dass sich der Bankensektor konsolidieren sollte. Der von den Aufsehern gewünschte Abbau von Überkapazitäten könnte dagegen durch Erleichterungen für kleinere Banken behindert werden.10)

European Banking Institute (EBI)-Studie zur Proportionalität

Die 2018 veröffentlichte Untersuchung des EBI über die Europäische Bankengesetzgebung kommt zum Ergebnis, dass die Umsetzung der globalen Reformen zur Verbesserung der Widerstandsfähigkeit der Finanzmärkte in Europa sehr streng und eindimensional erfolgte.11) Proportionalität sei nur eine theoretische Bezugnahme mit wenig oder keiner praktischen Relevanz. Es wird zwar zugestanden, dass die EU Implementierung für den Finanzmarkt deutlich macht, dass die Regulierung auf dem strengen Vorsichtsprinzip beruht und verbunden mit einer strengen Überwachung der Banken mehr Sicherheit gewährleistet.

Die Schattenseite dieses Ansatzes führt aber dazu, dass gerade kleinere Banken mit überproportional höheren Regulierungskosten konfrontiert sind. Das behindert ihre Weiterentwicklung und ihre wichtige Finanzierungsfunktion auf regionaler Ebene.

Die Wissenschaftler betonen, dass es an der Zeit ist, das Regulierungssystem zu vereinfachen, um es wirksamer zu gestalten. Der von ihnen vorgeschlagene "twotier approach" sieht vor, dass kleine, nicht grenzüberschreitend tätige Institute mit einem einfachen Geschäftsmodell separaten robusten Bankvorschriften, abgeleitet aus den CRR-Säule-I-Regelungen, unterliegen sollen. Der große Vorteil wird darin gesehen, dass sich die kleinen Banken nicht mehr mit den unzähligen Details der CRR auseinandersetzen müssen, um schließlich die für sie wichtigen Vorschriften beziehungsweise Ausnahmen und ständigen Anpassungen zu identifizieren und laufend zu überwachen. Das wäre insgesamt deutlich kostensparender und der Nachweis der Compliance mit den Vorschriften könnte für alle Beteiligten (Geschäftsleitung, Aufsichtsorgane, Aufseher) effizienter und wirksamer erbracht werden.

Behandlung von Haftungsverbünden in Deutschland

In Deutschland ist die ganz überwiegende Anzahl der kleinen und mittleren Institute dem Genossenschaftssektor und dem öffentlich-rechtlichen Sparkassensektor zugeordnet. Diese sollten nach Ansicht des EBI jedoch nicht in den Genuss einer erleichterten Regulierung kommen. Es wird als nicht sachgerecht gesehen, Institute, die in einem Haftungsverbund zusammengeschlossen sind, der Kategorie der kleinen Banken zuzuordnen, ganz unabhängig von deren Bilanzsumme, rein lokaler Präsenz und Geschäftsmodell. Hier sei eine zu enge Vernetzung mit anderen Banken vorhanden und damit eine zu große Ansteckungsgefahr in Krisenzeiten.

Dem ist entgegenzuhalten, dass zumindest auf der Ebene der Sparkassen und Genossenschaftsbanken die Ansteckungsgefahren bis heute gegen null gingen. Letztlich waren es immer einzelne Institute, die zumeist aufgrund unangemessener Kreditverluste vom Haftungsverbund aufgefangen wurden. Kreditnehmer und Einleger waren von solchen Rettungsaktionen wenig tangiert. Es gab keinen Run auf die Bank, keine Liquiditätskrise und das Vertrauen in die lokal tätigen Institute sowie die Kreditversorgung blieben gesichert. Niemand weiß, wie und wo die nächste Krise entstehen wird und es ist nicht abzustreiten, dass die starke technische Vernetzung der Verbünde neue Gefahrenherde in sich birgt.

Die den Verbünden angeschlossenen Institute allein deshalb schon generell aus der Kategorie "kleine Banken" auszuschließen, ist jedoch fragwürdig. So wird zum Beispiel den bereits in den Haftungsverbünden eingerichteten Prüfungs- und Überwachungsmaßnahmen mit "Peer- Group"-Vergleichen bis hin zur risikoorientierten Beitragserhebung für die Institutssicherungssysteme bei einem solchen Vorgehen nicht Rechnung getragen.12) In der Praxis sollte es gute Argumente dafür geben, dass für regional tätige Sparkassen und Genossenschaftsbanken eine einfache, robuste Regulierung effizient und wirksam ist. Die Regulierungskosten gingen zurück und die Institute könnten ihren eigentlichen Aufgaben und Herausforderungen - Intermediärfunktion auf lokaler Ebene, Umgang mit dem digitalen Wandel et cetera - wieder besser gerecht werden.

SSM-Aufsicht - EZB-Regelwerk und EZB-Praxis

Die gesetzliche Grundlage für die Aufsichtstätigkeit der EZB bilden die EZB SSM-Verordnung und die SSM-Rahmenverordnung. Oberstes Ziel der EZB-Aufsicht ist es zu gewährleisten, dass innerhalb des SSM eine einheitliche Aufsicht über die Institute in der Bankenunion erfolgt. Nach Art. 1 der SSM-Verordnung berücksichtigt die EZB "bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben gemäß dieser Verordnung unbeschadet des Ziels, die Sicherheit und Solidität von Kreditinstituten zu gewährleisten, in vollem Umfang die verschiedenen Arten, Geschäftsmodelle und die Größe der Kreditinstitute". Insoweit ist das Proportionalitätsprinzip prominent in der EZB-Verordnung verankert. Das zeigt sich sowohl in der Differenzierung zwischen bedeutenden und weniger bedeutenden Instituten wie auch im Grundsatz 7 des EZB-Leitfadens zur Bankenaufsicht.13)

Jedoch betont die EZB, dass die Unterscheidung in bedeutende und weniger bedeutende Institute keinesfalls Unterschiede im Aufsichtsansatz beinhaltet. So hat Ignazio Angeloni klargestellt, dass es im SSM kein "Two-tier"-System dergestalt geben kann, dass verschiedene Aufsichtsansätze zum Einsatz kommen können und unterschiedliche Risikotoleranzlevels akzeptiert werden. Vielmehr soll mit direkter und indirekter Aufsicht die Einheitlichkeit des Aufsichtsansatzes sichergestellt werden, um dasselbe Ziel zu erreichen. Er warnt davor, dass kleinere Institute durch den Gesetzgeber oder Aufseher bevorzugt behandelt werden. Für den SSM sollen die Solidität (prudential soundness), die Harmonisierung und das wettbewerbsfördernde "Level Playing Field" die übergeordneten Grundsätze bleiben.14)

Inwieweit die Proportionalität letztlich dann in der Aufsichtspraxis gelebt wird, muss sich noch zeigen. Der EZB-Leitfaden "Fit & Proper" für Geschäftsleiter und Aufsichtsorgane wie auch die EZB-Erwartungen an die Säule II stellen für kleinere Banken erhebliche Herausforderungen dar. Die SREP-Überprüfung für die LSIs orientiert sich an den EBA-Leitlinien, der komplexen EZB-Methodik für die bedeutenden Institute und den nationalen Verfahren.15) Der Ermessensspielraum für die Anwendung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit für die LSIs soll weiterhin bei der nationalen Aufsicht liegen. Das ändert aber nichts daran, dass die nationalen Aufseher der Kontrolle der EZB unterliegen und die EZB DG III die Oberaufsicht für alle LSIs innehat.16)

Nationaler Gesetzgeber und nationale Aufsicht

Anfang 2019 hat die BaFin eine Veranstaltung zum Thema "Verhältnismäßigkeit und Subsidiarität in der Bankenaufsicht und -regulierung" in Kooperation mit dem EBI durchgeführt.17) Die BaFin stellt klar, dass sie den Ansatz "Regulierung zu vereinfachen, aber dennoch risikosensitiv zu gestalten" präferiert. Anpassungen dürften jedoch nicht in einer Deregulierung münden. Weiterhin wird konstatiert, dass der Entscheidungs- und Gestaltungsspielraum der BaFin immer enger wird, weil das EU-Recht Vorrang vor deutschen Regelungen hat. Das spüren die Institute bei den Säule-II-Kapitalzuschlägen sehr konkret.

Weitere neuere Positionen zur Proportionalität sind von Mitarbeitern der österreichischen sowie von der niederländischen Aufsicht (DNB) veröffentlicht worden.18)

Während der österreichische Bankenmarkt ähnlich wie der deutsche noch viele kleine Banken umfasst, ist der niederländische Bankenmarkt hoch konzentriert und wird von wenigen sehr großen Banken dominiert. Daher behandelt die DNB das Thema Proportionalität zusammen mit der Frage der zu großen und das Finanzsystem gefährdenden Homogenität im Finanzsektor. Die derzeitigen komplexen regulatorischen Vorgaben werden als erhebliches Hindernis für den Markteintritt neuer Wettbewerber gesehen. Mehr Heterogenität würde die Finanzstabilität besser unterstützen.19)

Europäischer Gesetzgeber - CRD-V- und CRR-II-Vorschläge

Im Herbst 2015 hatte die EU-Kommission einen sogenannten "Call for Evidence" zu den zirka 40 Regelwerken des EU-Finanzrahmenwerks gestartet. Danach wurde Anpassungsbedarf in vier wesentlichen Bereichen identifiziert, unter anderem hinsichtlich der Verbesserung der Proportionalität, ohne die aufsichtlichen Ziele zu gefährden. Die im EU-Bankenpaket im November 2016 für die CRD und die CRR vorgeschlagenen Verbesserungen umfassten für kleine, nicht komplexe Institute die Berichts- und Offenlegungsvorschriften sowie die Vergütungsregelungen. Darüber hinaus wurden Erleichterungen bei der Ermittlung der Marktrisiken im Handelsbuch und bei den Kontrahentenrisiken vorgestellt.

Ende 2018 haben sich die am Trilog beteiligten Parteien auf einen Kompromiss geeinigt. Danach sind noch weitere Vereinfachungen bei der Ermittlung der NSFR geplant. Als klein und wenig komplex können Banken unter anderem dann behandelt werden, wenn ihre Bilanzsumme bis zu 5 Milliarden Euro beträgt, ihre Cross- Border-Aktivitäten ganz überwiegend auf den europäischen Wirtschaftsraum ausgerichtet sind und sie keine internen Modelle zur Ermittlung der Risikoaktiva nutzen. Die aktuellen CRD-V- beziehungsweise CRR-II-Neuerungen umfassen mehr als 600 Seiten. Dazu werden noch etliche von der EBA vorzubereitende technische Standards und Leitlinien kommen. Viele Neuerungen werden für die kleinen Banken keine Bedeutung haben. Gleichwohl werden sich die Compliance-Abteilungen umfassend mit den Änderungsvorschlägen beschäftigen müssen, um die für sie relevanten Teile zu identifizieren.

Bis dato hat sich die EU nicht zu einem "Two-tier"-System für die Bankenregulierung positioniert. Anders ist es bei den Versicherungsunternehmen und auch die neuen Vorschläge für die Regulierung der Wertpapierfirmen gehen in Richtung eines Two-tier-Systems. Der große Vorteil eines solchen Systems ist darin zu sehen, dass sich nicht mehr alle Marktteilnehmer detailliert mit allen Regelungen auseinandersetzen müssen, um am Ende einschätzen zu können, ob diese für sie zutreffen oder auch nicht. Separate Vorschriften für kleine, nicht komplexe Institute könnten deutlich ressourcenschonender und damit kostensparender eingehalten werden.

Verlagerung der aufsichtlichen Arbitrage

Der derzeitige "One-size-fits-all"-Ansatz der prudenziellen EU-Gesetzgebung für Banken wurde bereits lange vor der Finanzkrise in Europa angewendet. Für Finanzdienstleistungen im gemeinsamen Binnenmarkt sollten dieselben Wettbewerbsbedingungen gelten und die grenzüberschreitende Erbringung von Finanzdienstleistungen erleichtern, ohne die Finanzstabilität zu gefährden. Nach der Finanzkrise wurde das Single Rule Book für alle Banken in der EU mit einer unmittelbar anzuwendenden Eigenkapitalverordnung ausgestattet. Dies dient der Harmonisierung der Gesetzgebung und soll aufsichtliche Arbitrage verhindern. Es ist zu konstatieren, dass Banken nun einem strengen Regelwerk und einer strengen Aufsicht unterliegen. Die regulatorische Arbitrage ist aber nicht verschwunden, sondern findet vielmehr außerhalb des streng regulierten Systems im Nichtbanken-Finanzsektor statt.

Die Regelungen für Banken sind heute sehr komplex und detailliert, enthalten Inkonsistenzen im Verhältnis untereinander und die Kosten für die Compliance belasten die kleineren Banken überproportional. Daran werden auch CRR II und CRD V nicht viel ändern. So sind Reporting- und Offenlegungserleichterungen zwar sehr zu begrüßen, aber noch wichtiger wäre es, die ganze Komplexität um die (qualitativen) Säule-II-SREP-Anforderungen für LSIs zu hinterfragen. Für die kleinen Institute sind die Kapitalplanungen von enormer Bedeutung, da sie sich meist nicht ohne Weiteres neues Kapital am Markt beschaffen können. Säule-I-Kapitalanforderungen und Leverage Ratio sind mit simplen Rechenschritten zu ermitteln. Es können nur Risiken eingegangen werden, für die entsprechende Kapitalpolster vorhanden sind. Auf der anderen Seite stehen die Unwägbarkeiten aus den SREP-Kapitalzuschlägen einer halbwegs belastbaren Kapitalplanung sehr im Weg.

Mehr Proportionalität sollte bei der Bankenüberwachung möglich sein, ohne die Stabilität der einzelnen Institute oder des Bankenmarkts insgesamt zu gefährden. Insoweit ist es wichtig, dass die Säule-I-Anforderungen (Eigenmittel, Großkredite, Liquidität) von allen Banken anzuwenden sind. Über die Leverage Ratio wäre noch einmal zu diskutieren. Insgesamt gesehen könnte ein separates Two-tier-Regelwerk die bisher überproportionalen Compliance-Kosten bei den kleinen Instituten deutlich reduzieren. Wie bereits in der Schweiz und auch in den USA praktiziert, wäre darüber hinaus über die Abschaffung der Säule II für die kleinen Institute nachzudenken. Mit einem pauschalen zusätzlichen Kapitalpuffer für die Säule II könnte den nicht in der Säule I erfassten Risiken adäquat Rechnung getragen werden. Die Beibehaltung der Offenlegungspflichten nach Säule III für kleine Institute wäre ebenfalls zu hinterfragen.

Markteintrittshürden niedrig halten

Die Vorschläge für ein Two-tier-System sollen nicht zu einer laxeren Bankenregulierung und -aufsicht führen. Das Regulierungssystem soll vielmehr effizienter und wirksamer gestaltet werden. Dann trägt es dem in der EU bereits verankerten Proportionalitätsprinzip sachgerecht Rechnung und verbessert den Wettbewerb durch niedrigere regulatorische Markteintrittshürden. Ein heterogener Bankensektor dient der Finanzstabilität und stellt die Versorgung der Realwirtschaft (Unternehmen und Privatkunden) mit Bankprodukten sicher.20) Davon profitiert die gesamte Volkswirtschaft. Für einen Flächenstaat wie Deutschland bleibt diese Versorgung - trotz aller Digitalisierungsbestrebungen - weiterhin ein wichtiges Element für Beschäftigung und Wohlstand in den Regionen.

Fußnoten

1) Vgl. Art. 4 (1) i.V.m. Art. 6 SSM-VO und Jacub Gren, ECB Legal Working Paper, The Eurosystem and the Single Supervisory Mechanism: institutional continuity und constitutional constraints, no 17/July 2018, S. 33

2) Dombret, Auf dem Weg zu mehr Verhältnismäßigkeit in der Regulierung? Vorschlag für eine Small Banking Box, Vortrag vom 29. August 2017, www.bundesbank.de/de/presse/reden

3) Handelsblatt vom 13.11.2018, EZB Direktorin warnt vor laxerer Bankenkontrolle

4) www.bankingsupervision.europa.eu/press

5) End of Term of Office Report of the Banking Stakeholder Group (BSG) of the EBA, 03 October 2013, S. 21

6) EBA BSG Report, Proportionality in Banking Regulation, Dezember 2015, S. 9

7) EBA BSG Report, a.a.O., S. 15

8) www.ifg-muenster.de

9) Castro Carvalho et al. 2017, www.bis.org

10) www.bis.org

11) Joosen/Lamandini/Lehmann/Lieverse/Tirado, Stability, Flexibility and Proportionality: Towards a Two-Tiered European Banking Law, EBI Working Paper 2018

12) Kotz/Schmidt, Corporate Governance of Banks - A German Alternative to the Standard Model, Zeitschrift für Bankrecht und Bankwirtschaft 2016

13) www.ecb.europa.eu

14) www.bankingsupervision.europa.eu/press

15) www.bankingsupervision.europa.eu

16) www.bankingsupervision.europa.eu

17) www.bafin.de

18) www.oenb.at/Publikationen

19) www.dnb.nl/en/binaries

20) Schäfer, Sehnsucht nach nationalen Champions hebelt die Bankenunion aus, Börsenzeitung, 19.2.2019, S. 2

Hiltrud Thelen-Pischke Thelen-Pischke Consulting, Steinbach
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