Sustainable Finance: Was Banken von Politik und Regulierern erwarten

Dr. Christian Ossig Foto: flickr / Bankenverband

Obwohl Sustainable Finance in der internationalen Finanzcommunity zweifellos zu einem Topthema geworden ist, gibt es trotzdem aufgrund fehlender Definitionen noch kein branchenweit einheitliches Verständnis von "Sustainable Finance" beziehungsweise "Green Assets" und keine allgemein anerkannten Standards. Der Autor beschäftigt sich daher mit der Frage nach der passenden Regulierung. Mit dem Aktionsplan und den ersten vier Legislativvorschlägen zum Thema "Sustainable Finance" hat die Europäische Kommission bereits vorgelegt und die zentralen Hindernisse für eine nachhaltige Finanzwirtschaft adressiert. Der Autor sieht in der Praxis jedoch die Gefahr, dass zu viele Aspekte aus dem Bereich Sustainable Finance auf einmal geklärt werden sollen. Auch wenn der Zeitdruck hoch ist, appelliert er dafür, legislative Schnellschüsse unbedingt zu vermeiden und die Herausforderungen der Sustainable-Finance-Agenda im engen Schulterschluss zwischen Politik, Regulierer und Banken anzugehen. (Red.)

Der weltweite Handlungsdruck in Sachen Klimaschutz macht auch vor dem Finanzsektor nicht Halt. Den Banken kommt in diesem Prozess eine Schlüsselrolle zu; viele sehen sie als Katalysatoren für den Übergang in eine ressourcenschonende Welt. Mit zwei großen Herausforderungen sieht sich die Branche konfrontiert: Zum einen muss sie Nachhaltigkeitsaspekte bei Kredit- und Investitionsentscheidungen berücksichtigen und so Einfluss auf den Transformationsprozess nehmen, zum anderen die passenden Produkte und Finanzmittel für den angestrebten Wandel bereitstellen.

Offensichtlich entspricht dieser Ansatz auch der Sichtweise der Europäischen Kommission, hat er doch seinen Niederschlag im Aktionsplan "Financing Sustainable Growth" gefunden, den die Kommission im März 2018 veröffentlicht hat.

Investitionshöhe nicht ausreichend

Die privaten Banken erkennen ihre Verantwortung an, insbesondere mit Blick auf die Ziele des Pariser Klimaschutzabkommens. Diese sind auch deshalb gefährdet, weil das derzeitige Investitionsniveau nicht ausreicht, um ein ökologisch und sozial nachhaltiges Wirtschaftssystem zu garantieren. Damit die EU ihre Klima- und Energieziele bis 2030 verwirklichen kann, muss der Kontinent nach Schätzung der Europäischen Kommission einen jährlichen Investitionsrückstand von fast 180 Milliarden Euro aufholen. Um den Klimawandel weltweit aufzuhalten, sind noch deutlich höhere Investitionen nötig: Schätzungen reichen in einer Spanne von knapp 1 Billion Euro bis zu 6 Billionen Euro pro Jahr.

Angesichts dieser Schätzungen stellen sich mehrere Fragen. Erstens: Verfügen Banken über die richtigen Produkte, um diese großen Investitionen mitfinanzieren und damit die in sie gesetzten Erwartungen im Sustainable-Finance-Bereich tatsächlich erfüllen zu können? Zweitens: Finden sie hierfür überhaupt den passenden regulatorischen Rahmen vor? Und drittens: Welche weitere langfristige Unterstützung bedarf es vonseiten der Politik und der Regulierer?

Dynamische Entwicklung

Zur ersten Frage: Sustainable Finance ist in der internationalen Finanzcommunity zweifellos zu einem Topthema geworden. Nicht zuletzt die privaten Banken und ihre Tochtergesellschaften engagieren sich bereits seit mehreren Jahren im Bereich Sustainable Finance. Sie verfügen über umfassende Leitlinien und Rahmenwerke, die sicherstellen, dass international praktizierte und anerkannte Standards zu Umwelt- und Sozialbelangen - beispielsweise die "Zehn Prinzipien des UN Global Compact" - berücksichtigt werden.

Außerdem entwickelt sich der Sustainable-Finance-Sektor schon seit einiger Zeit sehr dynamisch; bereits heute steht den Kunden eine wachsende Zahl neuer Produktgruppen zur Verfügung. Ein Blick auf ausgewählte Marktsegmente zeigt dies eindrucksvoll:

Der globale Markt für Green Bonds, mit denen Klima- oder Umweltschutzprojekte finanziert werden, weist einen deutlichen Wachstumstrend auf. Während 2013 Green Bonds mit einem Volumen von nur 13 Milliarden US-Dollar emittiert wurden, waren es 2017 bereits 155 Milliarden US-Dollar. Dieses Jahr dürfte das weltweite Volumen auf mehr als 200 Milliarden US-Dollar ansteigen.

Der nachhaltige Anlagemarkt hat allein im deutschsprachigen Raum (Deutschland, Österreich und Schweiz) Ende 2017 eine Größenordnung von 280 Milliarden Euro erreicht.

Das Beispiel erneuerbare Energien zeigt darüber hinaus, wie Finanzmarktakteure ganz konkret zu einer erfolgreichen Transformation der Energiewirtschaft beitragen und so die Entwicklung hin zu einer kohlenstoffarmen Wirtschaft vorantreiben. Allein 2017 wurden weltweit 279,8 Milliarden Euro in erneuerbare Energien investiert, 10,4 Milliarden Euro davon in Deutschland. Für derartige großvolumige Finanzierungen stehen mittlerweile immer mehr Produkte zur Auswahl, die die Innovationsfähigkeit der Banken eindrücklich unter Beweis stellen. Beispielhaft genannt seien hier - neben den oft erwähnten Green Bonds - Green Loans, Positive Incentive Loans, Grüne Schuldscheine oder Grüne Pfandbriefe.

Flankierende Maßnahmen gefordert

Dies zeigt deutlich: Die Banken nehmen ihre Aufgaben im Rahmen der Sustainable-Finance-Agenda sehr ernst und haben das hier schlummernde Marktpotenzial erkannt. Um dieses Potenzial auch wirklich ausschöpfen und vor allem Skalierungseffekte erzielen zu können, bedarf es jedoch weiterer flankierender Maßnahmen vonseiten der Politik. Einigkeit besteht darin, dass bessere Rahmenbedingungen geschaffen werden müssen, damit neben öffentlichen Mitteln auch private Investitionen in größerem Umfang in den Sustainable-Finance-Sektor fließen können.

Die Haupthemmnisse, die der Erzielung von Skalierungseffekten im Wege stehen, liegen klar auf dem Tisch: Bisher gibt es aufgrund fehlender Definitionen noch kein branchenweit einheitliches Verständnis von "Sustainable Finance" beziehungsweise "Green Assets" und keine allgemein anerkannten Standards. Obendrein ist die Datenbasis zur finanziellen Risikoeinschätzung zukünftiger Klimarisiken noch (viel) zu gering.

Sustainable Finance und Regulierung

Damit sind wir bei der Frage nach der passenden Regulierung angelangt. Mit der Vorlage des Aktionsplans und der ersten vier Legislativvorschläge zum Thema "Sustainable Finance" hat die Europäische Kommission die zentralen Hindernisse für eine nachhaltige Finanzwirtschaft adressiert. Dem Finanzmarkt würden dadurch im Optimalfall standardisierte Vorgaben zu einem grünen Klassifikationssystem (Taxonomie-Verordnung), zu Offen le gungs -pflichten von Investoren hinsichtlich nachhaltigem Anlageverhalten (Disclosu re-Verordnung) sowie Benchmarks für Nachhaltigkeitsindizes (Benchmark-Verordnung) zur Verfügung stehen. Die Vorschläge bereiten also den Boden für die so dringend benötigten Rahmenbedingungen - zumindest in der Theorie.

In der Praxis hingegen besteht die Gefahr, dass der europäische Gesetzgeber schon kurz nach dem Start wieder vom Kurs abkommt. Zu viele Aspekte aus dem Bereich Sustainable Finance sollen auf einmal geklärt werden. Ergebnis: Insbesondere zwischen der Taxonomie- und der Disclosure-Verordnung treten Diskrepanzen auf. Vor allem ist es problematisch, dass die Verordnungsentwürfe durch diverse Verweise miteinander verknüpft sind. Änderungen in der einen Verordnung können dadurch deutliche und vor allem ungeplante Auswirkungen auf die anderen Verordnungen haben. Bei der Entwicklung von Nachhaltigkeitsindizes, also vor allem der Low Carbon Benchmarks, scheint es obendrein angebracht, noch abzuwarten, bis die Arbeiten zur Taxonomie-Verordnung weiter vorangeschritten sind, sodass zumindest auf einem gemeinsamen Grundverständnis hinsichtlich der Begrifflichkeiten aufgebaut werden kann.

Auch bei der zusätzlich ins Auge gefassten Einarbeitung von Nachhaltigkeitserwägungen in die MiFID II ist Vorsicht angesagt. Dies zeigen die Umsetzungserfahrungen aus der Anfang des Jahres in Kraft getretenen EU-Richtlinie: Sie hat nicht nur zu erheblichen Belastungen der Finanzwirtschaft geführt, sondern auch bei den Anlegern Unverständnis und Kritik ausgelöst - vor allem wegen der deutlich längeren Beratungs- und Orderprozesse.

Legislative Schnellschüsse vermeiden

Auch wenn der hohe Zeitdruck unter anderem den nahenden Wahlen zum Europäischen Parlament geschuldet ist, so sind doch legislative Schnellschüsse unbedingt zu vermeiden. Eine konsistente Gesetzgebung ist Voraussetzung für praktikable Rahmenbedingungen. Bei der Umsetzung einzelner Maßnahmen kommt es daher vor allem auf die richtige Reihenfolge und die Einbindung aller relevanten Stakeholder an. Nur so kann die bestehende Marktdynamik im Bereich Sustainable Finance verantwortungsvoll abgesichert werden. Noch ist Sustainable Finance ein zartes Pflänzchen, das genügend Platz zum Wachsen braucht. Die Kommission darf nicht gleich im Übereifer wieder unnötig zurechtstutzen, was gerade erst zu blühen begonnen hat.

Damit zur dritten Frage: Welche weitergehenden Unterstützungsmaßnahmen vonseiten der Politik und der Regulierungsbehörden sind notwendig, um die Sustainable-Finance-Agenda erfolgreich umzusetzen? Im Fokus sollte dabei die Überlegung stehen, wie Banken und andere private Investoren die notwendigen Investitionen für Klimaschutz- und Klimaanpassungsmaßnahmen - gemeinsam mit der öffentlichen Hand - langfristig stemmen können. Allein für den Umbau der deutschen Wirtschaft werden laut Schätzungen des BDI bis zum Jahr 2050 wohl Investitionen in Höhe von knapp 2 Billionen Euro getätigt werden müssen. Um diese Herausforderungen bewältigen zu können, sind also neue Ansätze gefragt, die herkömmliche Denkmuster - auch in der Regulierung - durchaus infrage stellen können.

So ist der Vorschlag, den Banken Eigenkapitalerleichterungen für grüne Investments einzuräumen, in den vergangen Monaten intensiv auf europäischer und nationaler Ebene erörtert und mit guten Argumenten zunächst abgelehnt worden. Doch muss die Diskussion hierzu im Rahmen der Sustainable-Finance-Agenda fortgeführt werden: Sofern klare Sustainable-Finance-Definitionen vorliegen, eine höhere Datenverfügbarkeit sichergestellt und damit eine bessere Risikoeinschätzung von Sustainable-Finance-Produkten möglich ist, sollten neue Optionen bei Eigenkapitalerleichterungen sorgfältig abgewogen werden.

Als erster Schritt könnten - auf gesicherter empirischer Basis - Eigenkapitalerleichterungen für ausgewählte, genau definierte und homogene Kreditportfolios (zum Beispiel private Baufinanzierungen) in Betracht kommen. Aber auch in anderen Bereichen können und sollten neue Ansätze ausgelotet werden - etwa in der Steuer- oder Förderpolitik.

Lösungsdruck wird höher

Die Diskussionen rund um das Thema "Sustainable Finance" werden nicht an Schwung verlieren. Im Gegenteil: Die Weltklimakonferenz in Kattowitz genauso wie die dramatischen Warnungen des Weltklimarates tragen dazu bei, die Debatten weiter anzufachen und den Lösungsdruck auf Politik und Wirtschaft zu erhöhen.

Die Herausforderungen der Sustainable-Finance-Agenda sind so elementar und tiefgreifend, dass Politik, Regulierer und Banken hier an einem Strang ziehen sowie im engen Schulterschluss neue Lösungsansätze in Angriff nehmen müssen. Nur so können die Banken die an sie gesetzten Erwartungen erfüllen und ihren unverzichtbaren Beitrag zur nachhaltigen Finanzierung leisten.

Dr. Christian Ossig Hauptgeschäftsführer und Mitglied des Vorstands, Bundesverband deutscher Banken, Berlin
Dr. Christian Ossig , Hauptgeschäftsführer , Bundesverband deutscher Banken e. V., Berlin
Noch keine Bewertungen vorhanden


X