Welche Prioritäten setzt das EU-Parlament beim Finanzbinnenmarkt?

Markus Ferber, Foto: Markus Ferber

Laut Markus Ferber hat sich die Europäische Kommission in dieser Legislaturperiode vorgenommen, sowohl die Fiskalregeln als auch den Rahmen für die wirtschaftspolitische Steuerung zu überprüfen. Zudem soll mit Basel III erneut ein Regulierungspaket umgesetzt werden. Dem Autor ist es dabei wichtig, darauf zu achten, dass dies passgenau für den europäischen Bankensektor geschieht. Es gehe dabei vor allem auch da rum, das Paket nur umzusetzen, wenn das in anderen Regionen ebenfalls geschieht, um keine Wettbewerbsnachteile für europäische Banken zu generieren. Um die Kapitalmarktunion weiter voranzubringen, sei demnach eine Harmonisierung des Steuer- und Insolvenzrechts in Europa nötig. Auch auf das Thema Nachhaltigkeit geht Ferber ein. Er betont die Wichtigkeit des Themas, warnt aber davor, falsche Schritte zu unternehmen, die beispielsweise in Blasenbildung enden könnten. (Red.)

Europa hat die Finanz- und Staatsschuldenkrise überwunden und in den vergangenen beiden Legislaturperioden des Europäischen Parlaments wurden wichtige Vorkehrungen getroffen, um die Widerstandsfähigkeit der Wirtschafts- und Währungsunion und des europäischen Finanzsektors insgesamt zu steigern. Nichtsdestoweniger stehen auch in den kommenden Jahren einige Herausforderungen an.

Während der Finanzkrise ist die Staatsverschuldung in der EU erheblich gestiegen. Daran zeigt sich: Die europäischen Fiskalregeln funktionieren nur leidlich. Zwar befindet sich der Gesamtschuldenstand in der Eurozone schon seit einigen Jahren in einem leichten Abwärtstrend, aber Ende 2018 war der Gesamtschuldenstand in der Eurozone mit 85,1 Prozent des Bruttoinlandprodukts noch immer deutlich höher als vor der Finanz- und Wirtschaftskrise (2008: 68,7 Prozent). Gleichzeitig kommt es mit schöner Regelmäßigkeit zum Budgetstreit zwischen Europäischer Kommission und einigen Mitgliedern der Eurozone. Obwohl die Defizitkriterien regelmäßig verfehlt werden, kam es aber noch nie zu einer Geldstrafe. Die Europäische Kommission kommt ihrer Rolle als Hüterin der Verträge nur unzureichend nach und konzentriert sich vor allem auf die Flexibilität im Stabilitäts- und Wachstumspakt, nicht aber auf die zugrunde liegenden Regeln. Über die Jahre hat das dazu geführt, dass die Regeln immer granularer, komplexer und unberechenbarer geworden sind.

Wirtschafts- und Währungsunion zur Stabilitätsunion machen

Die Europäische Kommission hat sich in dieser Periode vorgenommen, sowohl die Fiskalregeln als auch den Rahmen für die wirtschaftspolitische Steuerung zu überprüfen. Dabei müssen vor allem der Stabilitätsgedanke und die Berechenbarkeit im Vordergrund stehen. Die Defizitregeln müssen so ausgestaltet sein, dass sie antizyklisch wirken: Sie sollten eine Krisensituation nicht noch verschärfen und gleichzeitig dafür sorgen, dass in wirtschaftlich guten Zeiten fiskalische Puffer aufgebaut werden.

In der vergangenen Legislaturperiode des europäischen Parlaments ist im Bereich der europäischen Bankenregulierung bereits viel geschehen. Wir haben internationale Standards zur Stärkung der Eigenkapitalunterlegung und zur Abwickelbarkeit von Banken umgesetzt und wichtige Schritte hin zu einer verhältnismäßigeren Bankenaufsicht gemacht. Auch in dieser Legislaturperiode kommt mit der Finalisierung von Basel III erneut ein Paket zur Umsetzung internationaler Standards auf den europäischen Gesetzgeber zu. Das Verhandlungsergebnis aus dem Baseler Ausschuss für Bankenaufsicht gibt aus europäischer Sicht wenig Grund zur Freude. Umso wichtiger wird es sein, dass das Paket zur Finalisierung von Basel III passgenau und mit Blick auf die Spezifika des europäischen Bankensektors umgesetzt wird. Insbesondere die erst kürzlich eingeführten Regeln für ein verhältnismäßigeres Bankenaufsichtsrecht dürfen durch das Baseler Paket nicht gefährdet werden.

Einige Elemente aus dem Baseler Paket wie etwa die hohen Risikogewichte für Hypothekarkredite müssen im Rahmen der europäischen Umsetzung grundsätzlich überdacht werden. Grundsätzlich sollte auch darüber nachgedacht werden, die europäische Umsetzung des Baseler Pakets von einer erfolgreichen und effektiven Umsetzung in anderen Jurisdiktionen (insbesondere den USA) abhängig zu machen.

Bankenunion: Verhältnismäßigkeit und Widerstandsfähigkeit

Gleichzeitig muss es darum gehen, die Krisenanfälligkeit europäischer Banken langfristig zu reduzieren. Dabei muss der Fokus sowohl auf dem Abbau der hohen Quoten an ausfallgefährdeten Krediten als auch auf eine risikogerechte Behandlung der enorm großen Portfolios an Staatsanleihen in den Bilanzen bestimmter Banken liegen.

Diversifizierte Finanzierungskanäle sind für die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft entscheidend. Das Finanzierungsmodell der europäischen Wirtschaft hat jedoch heute eine deutliche Schlagseite zur Bankenfinanzierung. Gleichzeitig droht mit dem Brexit der heute liquideste Finanzplatz für die Börsenfinanzierung zu einem Drittstaat zu werden. Vor dem Hintergrund des Brexits gewinnt das ohnehin bereits wichtige Projekt Kapitalmarktunion entsprechend noch einmal an Bedeutung.

Neustart der Kapitalmarktunion

Zwar ist in der vergangenen Legislaturperiode, etwa durch einen neuen Aufsichtsrahmen für Wertpapierfirmen und zentrale Gegenparteien und eine Stärkung der europäischen Finanzaufsichtsagenturen, bereits einiges geschehen, bei einigen grundsätzlichen Fragen gibt es aber bislang keinen Fortschritt. Wollen wir die Kapitalmarktunion wirklich voranbringen, braucht es vor allem eine Harmonisierung im Steuer- und Insolvenzrecht. Denn nur, wenn Investitionen im ganzen europäischen Binnenmarkt steuerlich gleichbehandelt werden und sich Investoren darauf verlassen können, dass Rechtstitel auch in ganz Europa innerhalb eines vertretbaren Zeitrahmens vollstreckbar sind, werden tatsächlich die wesentlichen Barrieren für grenzüberschreitendes Wirtschaften abgeschafft.

Neben Fortschritten im Bereich Steuer- und Insolvenzrecht werden in der neuen Legislaturperiode auch die Überprüfung einiger großer Dossiers wie der Finanzmarktrichtlinie MiFID II, der Richtlinie über Eigenkapitalunterlegung für Versicherungen (Solvency II) und der Richtlinie über Produktinformationsblätter für Finanzprodukte (PRIIPs) auf die Tagesordnung kommen. Bei all diesen Dossiers sollte bei der Überprüfung das Prinzip der Verhältnismäßigkeit im Vordergrund stehen.

Sowohl bei der Überarbeitung der Eigenkapitalvorschriften für Banken als auch beim Überarbeiten des Aufsichtsrahmens für Wertpapierfirmen hat sich gezeigt, dass das Verhältnismäßigkeitsprinzip sinn voll in europäische Finanzgesetzgebung eingebaut werden kann. Gerade im Bereich der Offenlegungspflichten gegenüber den Kunden müssen die anstehenden Überprüfungen zu einer besseren Harmonisierung zwischen den jeweiligen europäischen Rechtsakten führen.

Nachhaltigkeit im Finanzwesen: Die Balance wahren

Das Thema Nachhaltigkeit hat in den vergangenen Jahren zu Recht Aufmerksamkeit erfahren. Wenn die nationalen, europäischen und internationalen Klimaverpflichtungen erfüllt werden sollen und der Wandel hin zu einer kohlenstoffärmeren Wirtschaft gelingen soll, müssen alle Wirtschaftsbereiche dazu beitragen. Gerade dem Finanzsektor kommt eine Schlüsselrolle zu, da er eine besondere Lenkungswirkung im gesamtwirtschaftlichen Gefüge einnimmt. Es gibt am Markt sowohl bei Privatinvestoren als auch bei institutionellen Anlegern eine steigende Nachfrage nach nachhaltigen Finanzprodukten und nach verlässlichen Informationen über ebensolche Finanzprodukte. Diese Nachfrage kann genutzt werden, um die bestehenden Investitionslücken bei der Umsetzung der Klima- und Energieziele zu schließen.

Aus Sicht des Gesetzgebers muss es entsprechend insbesondere darum gehen, die richtigen Anreize zu setzen, um Investitionen in Projekte zu lenken, die gleichzeitig wirtschaftlich und nachhaltig sind und zur Transformation hin zu einer kohlenstoffärmeren Wirtschaft beitragen ohne jedoch Fehlanreize zu setzen, die in Blasenbildung münden und zu Klumpenrisiken beitragen könnten. Ideen wie eine regulatorische Vorzugsbehandlung grüner Investitionen bei der Eigenkapitalunterlegung oder ein Herausrechnen von grünen Investitionen aus dem Haushaltsdefizit sind daher grundsätzlich abzulehnen.

Zum anderen muss es beim Thema nachhaltige Finanzierung darum gehen, privaten und institutionellen Investoren die richtigen Informationen an die Hand zu geben, um ihnen die Möglichkeit zu bieten, durch kluge Investitionsentscheidungen an den Früchten der Transformation zu einer nachhaltigeren Wirtschaft teilzuhaben. Eine Taxonomie, die anhand sachlicher Kriterien nachvollziehbar definiert, was ein nachhaltiges Investment ist, ist deshalb eine Vorbedingung für eine sinnvolle Diskussion über nachhaltige Finanzierung. Dabei sollten wir davon absehen, bestimmte Industriezweige grundsätzlich als nicht nachhaltig zu klassifizieren, denn es sind genau diese Industriezweige mit einer bislang schlechten Ökobilanz, die am Ende das höchste Einsparpotenzial mit sich bringen. Ganz grundsätzlich sollten wir beim Thema Nachhaltigkeit auf Informationen und die richtigen Anreize setzen. Dabei dürfen wir die Wettbewerbsfähigkeit unserer eigenen Wirtschaft jedoch nicht aus den Augen verlieren.

Markus Ferber Mitglied des Europäischen Parlaments, Brüssel
Markus Ferber , Mitglied des Europäischen Parlaments, Brüssel
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