REGULIERUNG

Europäische Bankenregulierung während und nach Corona

Markus Ferber, Foto: privat

bum210116 (Bild - 12.01.2021)Die europäische Kreditwirtschaft ist mit einer guten Ausgangssituation in die Corona-Krise gegangen und kann so Teil der Lösung sein. Dafür muss allerdings auch der europäische Gesetzgeber seinen Teil beitragen. Als Beispiele dafür nennt Markus Ferber die sogenannten CRR Quick Fixes oder Anpassungen bei IFRS 9. Angesichts einer drohenden Zunahme ausfallgefährdeter Kredite liegt das Augenmerk zudem auf einem Rahmenwerk für Sekundärmärkte für solche Kredite. Die Beratungen dafür befinden sich nach Einschätzung Ferbers auf einem guten Weg. Mit Blick auf Basel III plädiert er für eine nochmalige Verschiebung. Zudem stellt er die Sinnhaftigkeit einer Eins-zu-eins-Umsetzung infrage. Red.

Foto: AdobeStock_bluedesign

Die Corona-Krise hat die europäische Wirtschaft schwer getroffen. Die zweite Welle der Covid-19-Pandemie hat die Hoffnung auf eine V-förmige wirtschaftliche Erholung zunichte gemacht. Derzeit geht die Europäische Kommission davon aus, dass die Wirtschaftsleistung in der Europäischen Union im Jahr 2020 um 7,4 Prozent zurückgehen wird, um in den folgenden beiden Jahren wieder moderat zu wachsen. Dieser Durchschnittswert kaschiert jedoch, dass die Situation in einigen Mitgliedstaaten noch deutlich düsterer aussieht.

Ein externer wirtschaftlicher Schock dieser Größenordnung hat zwangsläufig auch Auswirkungen auf das Finanzsystem. Erfreulicherweise geht das europäische Bankensystem in einer starken Position in die Krise. Im Nachgang der Finanz- und Staatsschuldenkrise, die im Jahr 2007 begann und das internationale Finanzsystem schwer getroffen hatte, gab es sowohl auf internationaler als auch auf europäischer Ebene die Bestrebung, die Widerstandsfähigkeit des Banken- und Finanzsystems zu erhöhen. Neben auf internationaler Ebene im Rahmen des Baseler Ausschusses für Bankenaufsicht vereinbarten strikteren Eigenkapitalvorgaben hat die Europäische Union die sogenannte Bankenunion vorangetrieben.

Die Bankenunion basiert auf drei Säulen: einer bei der Europäischen Zentralbank angesiedelten gemeinsamen Aufsicht für die signifikantesten Institute der Eurozone, einem gemeinsamen Mechanismus zur Abwicklung maroder Banken und gemeinsamen hohen Standards bei der Einlagensicherung. Zusammengehalten wird das Ganze durch ein einheitliches Regelwerk bei der Bankenaufsicht ("Single Rulebook"). Seit der Finanz- und Wirtschaftskrise und infolge der gesteigerten regulatorischen Anforderungen und einer strikteren Aufsicht hat sich die Eigenkapitalposition europäischer Institute bis Ende 2019 stetig verbessert.

Bankensektor ein Teil der Lösung

Diese starke Ausgangssituation hat es dem europäischen Bankensektor erlaubt, in der durch das Corona-Virus induzierten Krise ein Teil der Lösung zu sein. Diese Rolle haben die europäischen Banken - auch mithilfe großzügiger staatlicher Kreditgarantien - in der Krise gut ausgefüllt und damit einiges an Renommee zurückgewonnen. Auch die europäische Ebene hat dabei mitgeholfen, dass der Bankensektor gut durch die erste Phase der Krise gekommen ist. Sowohl der bei der Europäischen Zentralbank angesiedelte Gemeinsame Aufsichtsmechanismus (SSM) als auch die Europäische Bankenaufsichtsbehörde (EBA) haben frühzeitig aufsichtsrechtliche Spielräume genutzt, um Banken in der Krise entgegenzukommen.

Aber auch der Europäische Gesetzgeber war alles andere als untätig. In Rekordgeschwindigkeit haben das Europäische Parlament und der Ministerrat im Rahmen des sogenannten "CRR Quick Fixes" ein Paket an zielgerichteten Änderungen an der Eigenkapitalverordnung vorgenommen, um kapitalseitige Entlastungen für Banken zu schaffen. Das Ziel war dabei stets, Banken dazu in die Lage zu versetzen, ihren Kunden durch die Krise zu helfen.

So hat der europäische Gesetzgeber die ohnehin vorgesehene Ausnahme vom Eigenmittelabzug bestimmter immaterieller Software-Vermögenswerte vorgezogen. Die Erleichterungen sollen in Kraft treten, sobald der von der Europäischen Bankenaufsicht entworfene entsprechende regulatorische technische Standard in Kraft getreten ist. Darüber hinaus wurde auch das Inkrafttreten der bereits in der letzten Überarbeitung der Eigenkapitalverordnung beschlossenen, aber noch nicht in Kraft getretenen Unterstützungsfaktoren für kleine und mittlere Unternehmen sowie für Infrastrukturinvestitionen um ein Jahr vorgezogen.

Weitere Erleichterungen betreffen neue Ausschlussmöglichkeiten von Risikopositionen gegenüber der Zentralbank bei der Leverage Ratio sowie eine vorteilhaftere aufsichtsrechtliche Behandlung von öffentlich garantierten Darlehen im Rahmen des sogenannten NPL Backstops. Damit wurde die aufsichtsrechtliche Behandlung öffentlich garantierter Darlehen mit der von Exportbürgschaften, die unter CRR II bereits privilegiert waren, gleichgesetzt.

Sekundärmarkt für ausfallgefährdete Kredite

Zu guter Letzt wurden auch einige Anpassungen mit Blick auf den Rechnungslegungsstandard IFRS 9 vorgenommen. Die bestehenden Übergangsregelungen zur Berücksichtigung des expected credit loss (ECL) gemäß IFRS 9 in den regulatorischen Eigenmitteln wurden angepasst und erweitert und ein sogenannter "Prudential Filter" für unrealisierte Gewinne und Verluste aus Finanzinstrumenten (insbesondere Staatsanleihen) wiedereingeführt.

In der Summe tragen alle diese technischen Anpassungen dazu bei, bei den europäischen Banken dringend benötigtes Kapital freizusetzen und damit die Kreditvergabefähigkeit der Finanzwirtschaft in der Krise zu erhöhen.

Eine der ganz großen Herausforderungen der Krise kommt aber erst noch auf uns zu. Trotz der großzügigen Hilfsprogramme und Garantien, ist schon heute klar, dass es nicht alle Unternehmen unbeschadet durch die Krise schaffen werden. Das bedeutet auch, dass die Quote der ausfallgefährdeten Kredite, die sich seit einigen Jahren in einem stetigen Abwärtstrend befand, wieder ansteigen wird. Wahrscheinlich wird sich diese Entwicklung erst in den kommenden Monaten wirklich bemerkbar machen. Das wird insbesondere in denjenigen Mitgliedstaaten zum Problem werden, die die Altlasten der vergangenen Krise noch immer nicht abgearbeitet haben. So verharrte insbesondere in Griechenland und Zypern die Quote an ausfallgefährdeten Krediten auch vor der Corona-Krise noch immer im zweistelligen Bereich. Dies ist zweifelsohne eine schwierige Ausgangslage für die jetzige Situation.

In der vergangenen Legislaturperiode hat der europäische Gesetzgeber versucht, das Problem der ausfallgefährdeten Kredite anzugehen und für alle neuen ausfallgefährdeten Kredite strenge Kapitalunterlegungsverpflichtungen vorgesehen. Dieser sogenannte "prudential backstop" sollte zumindest sicherstellen, dass das Problem der ausfallgefährdeten Kredite nicht vollkommen aus den Fugen gerät. Nichtsdestoweniger belastet auch diese regulatorische Letztsicherung die Bankbilanz in einer ohnehin schwierigen Situation. Neben wirksamen Unterlegungsverpflichtungen braucht es daher auch funktionierende Sekundärmärkte für ausfallgefährdete Kredite. Andernfalls ist es für Banken unmöglich, diese ausfallgefährdeten Kredite aus der Bilanz zu bekommen. Das wirkt im Ergebnis wie ein Bremsklotz auf die Kreditvergabe und die gesamte wirtschaftliche Entwicklung. Die Beratungen im Europäischen Parlament für ein Rahmenwerk für Sekundärmärkte für ausfallgefährdete Kredite befinden sich auf einem guten Weg.

Ein weiterer Hebel im Kampf gegen ausfallgefährdete Kredite, der derzeit häufig diskutiert wird, ist die Einrichtung sogenannter "Bad Banks", die sich auf den Umgang mit ausfallgefährdeten Krediten spezialisieren. Deutschland hat in der Finanzkrise mit der Ersten Abwicklungsanstalt durchaus positive Erfahrungen in diesem Bereich gemacht. Nichtsdestoweniger stellt sich eine Reihe komplexer rechtlicher Fragen, die sich aus den europäischen Vorgaben im Beihilferecht sowie aus dem seit der Finanzkrise deutlich verschärften Rahmen für die Sanierung und Abwicklung von Kreditinstituten ergeben.

Europäische Bad Bank oder Netzwerk nationaler Institutionen

Unbeschadet dessen gibt es Rufe, eine europäische Bad Bank einzurichten, um mit den Auswirkungen der Krise auf den Bankensektor umzugehen. Hier stellt sich aber die grundsätzliche Frage, ob ein europäischer Ansatz angesichts der steuerlichen und rechtlichen Unterschiede in den Mitgliedstaaten bei der Behandlung von ausfallgefährdeten Krediten tatsächlich einen Mehrwert genieren kann. Zusätzlich müsste auch über die Anreizwirkung einer solchen europäischen Lösung nachgedacht werden. Immerhin besteht die Gefahr, dass Banken, die die Notfalllösung einer europäischen Bad Bank im Hinterkopf haben, bei der Kreditvergabe laxere Standards anlegen. Dies gilt umso mehr, falls am Ende ein Risikopooling auf europäischer Ebene stattfindet. Angesichts der berechtigten Bedenken hinsichtlich des Aspekts der Risikoteilung, die viele Mitgliedstaaten haben und die sich bereits in den langwierigen Beratungen zur Reform des Einlagensicherungssystems gezeigt haben, erscheint eine europäische Bad Bank keine kurzfristig umsetzbare Lösung.

Das von der Europäischen Kommission angedachte europäische Netzwerk nationaler Institutionen scheint vor dem Hintergrund der beschriebenen Gemengelage eine pragmatischere Lösung zu sein. Auch hier gilt aber zu beachten, dass kurzfristig ein Rahmen geschaffen werden muss, der die bestehenden beihilferechtlichen Fragen abdeckt sowie einheitliche Bewertungsstandards und Zugangskriterien definiert, um Verzerrungen im Binnenmarkt zu vermeiden. Dies ist keine kleine Aufgabe.

Schauen wir über die unmittelbaren Herausforderungen der Corona-Krise hinaus, ist die zentrale Aufgabe der europäischen Bankenregulierung in den kommenden Jahren die Finalisierung von Basel III. Der Baseler Ausschuss für Bankenaufsicht hatte das Implementierungsdatum des letzten Reformpakets im Lichte der Corona- Krise um ein Jahr nach hinten verschoben. Dieser Schritt ist richtig, aber noch nicht ausreichend. Denn die tatsächlichen Auswirkungen der wirtschaftlichen Verwerfungen werden sich erst in einigen Monaten in den Bilanzen vieler Institute widerspiegeln.

Basel III erneut verschieben?

Die Europäische Bankenaufsicht untersucht derzeit die Implikationen der Corona-Krise für die europäische Implementierung des Basel-III-Finalisierungspakets. Eine klare Datenlage, die informierte Entscheidungen ermöglicht, wird sich aber voraussichtlich erst in einigen Monaten herauskristallisieren. Insofern wären eine abermalige Verschiebung und gegebenenfalls eine zielgerichtete Anpassung des Basel- Pakets im Lichte der Herausforderungen der Pandemie durchaus sachgerecht.

Das gilt umso mehr, als der im Baseler Ausschuss für Bankenaufsicht erzielte Kompromiss aus europäischer Sicht nur als enttäuschend empfunden werden kann. Es zeichnet sich bereits heute ab, dass die neuen Standards den Spezifika des europäischen Bankensektors nicht gerecht werden und im Ergebnis zu deutlich höheren Kapitalanforderungen für europäische Banken führen werden. Der Output Floors für Banken mit internen Modellen, die Bewertung von nicht-gerateten Unternehmen sowie die Erhöhung der Risikogewichte bei Gewerbeimmobilien, Beteiligungen und Kreditlinien im Vergleich zum Status quo scheinen hier die wesentlichen Faktoren für die erhöhten Kapitalanforderungen zu sein. In der Summe drängt sich leider der Eindruck auf, dass die im Baseler Ausschuss gefundene Kompromisslösung deutlich besser zum US-amerikanischen Bankensektor passt als zum europäischen. Vor diesem Hintergrund sollte eine zielgenaue Umsetzung des Baseler Pakets eine wesentliche Maßgabe des europäischen Implementierungsansatzes sein. Man sollte überlegen, ob eine Eins-zu-eins-Umsetzung für alle europäischen Banken tatsächlich im Interesse des europäischen Bankensektors und mittelbar im Interesse der europäischen Wirtschaft ist oder ob eine zielgenauere Umsetzung, die vor allem die vom Gemeinsamen Aufsichtsmechanismus beaufsichtigten kapitalmarktorientierten Institute in die Pflicht nimmt, ein klügerer Ansatz wäre. Dies würde auch dem bereits bei der letzten Überarbeitung der Eigenkapitalrichtlinie und -verordnung gewählten Ansatz einer verhältnismäßigeren Bankenregulierung entsprechen, die auch nach der Corona-Krise das Leitmotiv der europäischen Bankenregulierung bleiben sollte.

Markus Ferber, MdEP, Sprecher der EVP-Fraktion im Ausschuss für Wirtschaft und Währung (ECON) des Europäischen Parlaments, Brüssel
Markus Ferber , Mitglied des Europäischen Parlaments, Brüssel

Weitere Artikelbilder

Noch keine Bewertungen vorhanden


X