Wettbewerb um Talente - auf welchen Standards bestehen die Gewerkschaften?

Christoph Meister Foto: ver.di

Die Veränderungen im Bankensektor mit neuen Vertriebsformen, hochtechnisierten Prozessen und neuen Wettbewerbern werden ebenso von den Gewerkschaften registriert wie die Herausforderungen durch politische Entwicklungen wie den Brexit. Mit Blick auf die zunehmende Bedeutung von Fintechs und neue branchenfremde Anbieter verweisen die Autoren auf den Wunsch der Beschäftigten nach selbstbestimmter, verlässlich geregelter Arbeit. Im Standortwettbewerb im Gefolge des Brexits wollen sie Standards im Arbeitsrecht und Arbeitsschutz nicht aufgeweicht sehen. Und mit Blick auf die Digitalisierung halten sie eine Flexibilisierung der Arbeitszeitregelungen nur in begrenztem Maße mit der Organisation und Gestaltung von Arbeitsbeziehungen vereinbar, die die Gesundheit der Beschäftigten sicherstellen und gewährleisten. Mit Verweis auf ein Praxisbeispiel bei einer großen deutschen Bank werben sie für eine gemeinsame Antwort auf die Herausforderungen der Zukunft auf der Basis von Mitbestimmung und sozialer Verantwortung. (Red.)

Die Antwort auf die Frage, auf welche Standards die Gewerkschaften im Wettbewerb der Finanzdienstleister um Talente bestehen, könnte man sich einfach machen - auf alle. Die Branche steht vor weitreichenden technologischen Veränderungen, die die ganze Breite der Tätigkeiten in Finanzdienstleistungsinstituten betrifft. Die Interaktion mit dem Kunden wird durch vielfältige Formen digitaler Schnittstellen zum Kunden (zum Beispiel Smartphone-Apps, Plattformen) und technisch unterstützter Interaktionsprozesse (zum Beispiel Robo-Advice) verändert, teilweise ersetzt und neugestaltet. Neue Infrastrukturen (zum Beispiel Instant Payment) und Bearbeitungssysteme mit Elementen künstlicher Intelligenz bewirken tief greifende Umgestaltungen der internen Prozesse und der Abwicklung der Produkte.

Gleichzeitig werden Zahlungsströme, Produktangebote und Wertschöpfungsketten internationalisiert, etwa durch die Schaffung einheitlicher europäischer Strukturen. Neue Wettbewerber drängen in die angestammten Märkte der Finanzdienstleister (zum Beispiel Fintechs).

Veränderte Tätigkeiten und neue Anforderungen

Alle diese Entwicklungen haben Auswirkungen auf die Beschäftigten in Finanzdienstleistungsunternehmen. Tätigkeiten fallen weg, verändern sich, stellen andere Anforderungen. Auch wenn derzeit unklar ist, in welchem Tempo und welche neuen Entwicklungen tatsächlich in der Praxis adaptiert werden (Das Basel Committee on Banking Supervision weist im Consultation Paper Sound Practices: Implications of fintech developments for banks and bank supervisors, August 17, www.bis.org, auf den sogenannten hype cycle hin), ist die Notwendigkeit, auf diese Entwicklungen auf der Qualifikationsseite zu reagieren, unbestritten.

Höhere Kompetenzen in technischen Fragen, der Umsetzung von Veränderungsprozessen und der regulatorischen Grundlagen werden erforderlich, um die Herausforderungen der Zukunft zu bewältigen. Mittel- bis langfristig wird sich die Qualifikationsstruktur der Belegschaften deutlich verändern.

So wie sich aus der Sicht der Institute die Frage stellt, welche Rolle traditionelle Finanzdienstleister im Prozess der digitalen Umgestaltung spielen (siehe dort, Part II E: Forward-looking scenarios), stellt sich für Verdi als die Interessenvertretung der Beschäftigten im Finanzdienstleistungssektor die Frage, welche Rolle die heute Beschäftigten in diesem Transformationsprozess spielen.

Die andere Seite der Herausforderungen für die Branche sind die Veränderungen auf der Seite der Arbeitskräfte. Rein quantitativ übersteigt die Zahl derjenigen, die aus Altersgründen in den nächsten 10 bis 15 Jahren altersbedingt ausscheiden, die Zahl der nach schulischer oder universitärer Ausbildung Nachrückenden. Das mag kurzfristig ein willkommener Effekt sein bei der Bewältigung der seit der Finanzmarktkrise stattfindenden Schrumpfungsprozesse in der Branche. Gleichzeitig führt dies zu einem Imageverlust, der mittel- und langfristig die Rekrutierung und Bindung von Beschäftigten in der Branche stark erschwert. Dazu kommt der allgemeine Imageverlust der Branche seit der Finanzmarktkrise, der zu einer weiteren Verschärfung dieser Situation führt.

Sinkende Ausbildungsquote im privaten Bankgewerbe

Parallel dazu sind die Investitionen der Branche in die Ausbildung zurückgegangen. Im Bereich des privaten Bankgewerbes sank die Ausbildungsquote in den letzten zehn Jahren bei schrumpfender Basis (Gesamtbeschäftigtenzahl) von 5,7 auf 4,3 Prozent (Arbeitgeberverband des privaten Bankgewerbes, Jahresbericht 2016/2017, www.agvbanken.de). Bezogen auf den Ausgangspunkt der Fragestellung heißt das: Es gibt einen erhöhten Bedarf an veränderten Qualifikationen und auf mittlere Sicht wahrscheinlich auch einen erhöhten Rekrutierungsbedarf, weil trotz des Stellenabbaus in der Branche angesichts der Altersstruktur unter dem Strich mehr Menschen ausscheiden als Stellen abgebaut werden.

In diesem Kontext gilt es, stärker als bisher auch enttäuschte Erwartungen bei Beschäftigten in Fintechs beziehungsweise Insuretechs in den Blick zu nehmen: Beschäftigte berichten von nicht gehaltenen Versprechungen monetärer, aber auch anderer Art und wünschen sich individuelle und kollektive Rechte wie sie beispielsweise ein Betriebsrat, eine Gewerkschaft oder ein Tarifvertrag bieten. Der Wunsch nach selbstbestimmter, verlässlich geregelter Arbeit kommt nach aller Erfahrung sukzessive auch bei Beschäftigten auf, die mit viel Engagement diese neue Gattung von Finanzdienstleistern mit aufbauen.

In der politischen Diskussion um die Bewältigung von Veränderungsprozessen scheint es einen Reflex auf der Arbeitgeberseite zu geben, Standards im Arbeitsrecht und Arbeitsschutz aufzuweichen. Zwei aktuelle Beispiele aus der aktuellen Diskussion seien an dieser Stelle angeführt. In einem Pressegespräch zum Brexit am 26. Januar 2017 forderte der damalige Präsident des Bundesverbands deutscher Banken, Michael Kemmer, die Lockerung des Kündigungsschutzgesetzes. Dem hat sich laut Presseberichten (Handelsblatt, vom 9. Februar 2017) die hessische Landesregierung angeschlossen, insbesondere mit dem Verweis auf Abfindungsregeln.

Abfindungsregeln nur in Ausnahmefällen

Dabei kennt das Kündigungsschutzgesetz Abfindungsregeln nur in Ausnahmefällen. Erstens, wenn bei einer betriebsbedingten Kündigung der Arbeitgeber bei einem Verzicht auf eine Kündigungsschutzklage des Arbeitnehmers ein halbes Monatsgehalt pro Beschäftigungsjahr anbietet. Zweitens, wenn der Arbeitnehmer mit seiner Kündigungsschutz klage obsiegt und das Gericht unter bestimmten Voraussetzungen feststellt, dass eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar ist. Warum in diesen Fallkonstellationen eine Einkommensgrenze oder eine Berufsausnahme für ehemalige Londoner Banker eingeführt werden soll, erschließt sich dem Betrachter nur, wenn er unterstellt, dass es bei diesem Manöver doch eher um ein generelles Einfallstor in den Kündigungsschutz geht.

Ähnliches beschleicht den Betrachter beim zweiten Beispiel, der Flexibilisierung der Arbeitszeitregelungen wegen der Digitalisierung. Im Fokus stehen dabei die tägliche Höchstarbeitszeit von zehn Stunden und die Mindestruhezeit von elf Stunden. Zuletzt forderte der Vorsitzende des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Prof. Schmidt, die Abschaffung der entsprechenden Regelungen (FAZ vom 12. November 2017), allerdings findet sich eine ähnliche Forderung auch schon im bereits zitierten Brexit-Papier des Bankenverbandes. Das Arbeitszeitgesetz ist ein Schutzgesetz. "Zweck des Gesetzes ist es, die Sicherheit und den Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer (...) zu verbessern" (§1 ArbSchG).

Aus arbeitswissenschaftlicher Sicht ist gesichert, dass Ruhezeiten zwischen den Arbeitstagen und das "Abschalten" von der Arbeit einen hohen Stellenwert für die Regeneration der Leistungsfähigkeit und die psychische Gesundheit haben (zum Beispiel Beermann u.a.: Orts- und zeitflexibles Arbeiten: Gesundheitliche Chancen und Risiken, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin 2017).

Ähnliches gilt für die Begrenzung der täglichen Arbeitszeit. Die Herausforderung der Digitalisierung besteht also nicht in der Abschaffung von Restriktionen gegen die ständige Verfügbarkeit der Beschäftigten, sondern in der Organisation und Gestaltung von Arbeitsbeziehungen, die die Gesundheit der Beschäftigten sicherstellen und gewährleisten. Der letzte Bundeskongress von Verdi hat deshalb unter anderem die Verankerung des Rechts auf "Nicht-Reaktion" und "Nicht-Erreichbarkeit" sowie des Rechts auf Zeit- und Ortssouveränität für die Beschäftigten gefordert (E001, Gute Arbeit und Gute Dienstleistungen in der digitalen Welt, Verdi Bundeskongress 2015).

Konkrete Vorstellungen zu notwendigen Veränderungen

Die Gewerkschaften haben durchaus konkrete Vorstellungen zu notwendigen Veränderungen, um den Herausforderungen der Digitalisierung zu begegnen. Das betrifft viele Gestaltungsfelder.

Wenn sich Tätigkeiten und Prozesse verändern, müssen die Beschäftigten qualifiziert werden. Aus Sicht der Gewerkschaften hat das auch eine proaktive Komponente. Neben Anstrengungen und Ressourcen auf der gesellschaftlichen Ebene stehen auch die Unternehmen in der Verantwortung. Die systematische Vorbereitung der Belegschaften auf die digitalisierte Welt muss heute beginnen, auch wenn noch kein konkreter Prozess und keine spezifische Software zur Einführung ansteht. Grundlagenwissen zur Digitalisierung muss geschaffen werden. Dafür braucht es Raum, Zeit und Ressourcen, die in den Betrieben zur Verfügung gestellt werden müssen, zum Beispiel durch tarifvertragliche Regelungen und Ansprüche.

Qualifizierung berührt aber auch die Gestaltung der Berufsausbildung und der sich immer stärker ausbreitenden dualen Studiengänge. Eine Neugestaltung der Berufsbilder, die die technischen und prozessualen Grundlagen der Tätigkeiten stärker betont und die Fokussierung auf den Vertrieb zurücknimmt, steht sicher auf der Tagesordnung. Ebenso ist ein branchenweiter Gestaltungsrahmen für die dualen Studiengänge eine wichtige Aufgabe, um die Branche attraktiv und zukunftsfähig zu machen.

Wenn Arbeitsplätze durch die Digitalisierung wegfallen oder sich verändern, bedarf es eines Sicherheitsnetzes für die Beschäftigten. Motivation für und Beteiligung an der Veränderung kann nur erwarten, wer umgekehrt die Lebensgrundlage der Beschäftigten nicht infrage stellt. Deshalb ist Beschäftigungssicherung im Wandel eine Grundvoraussetzung für eine erfolgreiche Gestaltung der Digitalisierung.

Die Herausforderungen der Digitalisierung im Arbeitsschutz sind sicher andere als in der Industrieproduktion. Nicht schweres Heben oder Schutz vor Unfällen und Schäden bei der Maschinenbedienung stehen im Vordergrund, sondern Fragen der Gestaltung der Arbeitsmittel, Schutz vor Entgrenzung der Arbeit und der Schutz vor lückenloser Überwachung müssen gelöst werden.

Frage der Souveränität im Vordergrund

Bei der Gestaltung der Arbeitszeit steht die Frage der Souveränität im Vordergrund: Wer bestimmt über Lage und Ort der Erbringung der Arbeitszeit? Dies ist keine Frage individueller Gestaltung, sondern bedarf gesicherter Rechte für die Beschäftigten und wegen der kollektiven Bezüge auch immer der Mitbestimmung.

Überhaupt lässt sich aus die Herausforderung Digitalisierung nur bewältigen, wenn es einen Dreiklang der Regelungen gibt. Es bedarf grundlegender Regelungen in Tarifverträgen, die einerseits den Rahmen definieren (zum Beispiel Rahmen und Ressourcen für eine Qualifizierungsoffensive zur Digitalisierung) und andererseits die Rechte der Beschäftigten (Anspruch auf Teilnahme an Qualifikationsmaßnahmen) normieren. Gleichzeitig bedarf es erweiterter Mitbestimmungsrechte für die Betriebs- und Personalräte, zum Beispiel bei der gesundheitsgerechten Gestaltung der Arbeitsprozesse.

Gutes Beispiel aus der Praxis

Es gibt auch in der Branche gute Beispiele dafür, wie Veränderungsprozesse mit Verdi in diesem Sinne gestaltet wurden. Beide liegen im Verantwortungsbereich des größten deutschen Kreditinstituts und taugen vielleicht deshalb durchaus als Blaupause.

Für die Integration der Postbank in den Deutsche Bank-Konzern wurde ein Kündigungsschutz bis Juni 2021 vereinbart. Dies sichert die Beschäftigten im Transformationsprozess und schafft erst die Voraussetzung für erfolgreiche Veränderung. Für die Gestaltung digital basierter Vertriebswege wurde ein Rahmen geschaffen, der Ausnahmen vom dienstfreien Samstag regelt unter der Maßgabe, dass die Beschäftigten erweiterte Zeitsouveränität haben und die besondere Belastung durch das verkürzte Wochenende materiell ausgeglichen wird. Beides sind Regelungen, die zeigen, dass Veränderungen mit den Beschäftigten und ihren Interessenvertretungen möglich sind, wenn Arbeitgeber ein wirkliches Interesse an gemeinsamen Lösungen haben.

Branche wieder attraktiver machen - auch für junge Menschen

Was heißt das bislang Gesagte nun für die Fragestellung? Zunächst zu der Frage, wer überhaupt ein Talent ist. In erster Linie sind die heute Beschäftigten die Talente, um die es in den Veränderungsprozessen der Branche zu werben gilt. Deren Fähigkeiten zu fördern und zu entwickeln, ihre Lebensperspektive zu sichern, ist die vordringlichste Aufgabe nicht nur der Gewerkschaften, sondern auch verantwortungsvoller Arbeitgeber. Natürlich muss die Branche wieder attraktiver werden auch für junge Menschen, die eine Perspektive auf dem Arbeitsmarkt suchen. Das gilt natürlich auch für Menschen mit speziellen Fähigkeiten, die bei der Umsetzung der Herausforderungen der Zukunft gebraucht werden und in der Branche ein neues Betätigungsfeld suchen und finden. Für Neueinsteiger und Wechsler ist man attraktiv, wenn man allgemein gute Arbeitsbedingungen hat, den Menschen Sicherheit und faire Entwicklungschancen bietet. Da schließt sich der Kreis. Veränderung geht nur mit den Beschäftigten und ihren Interessenvertretungen auf der Grundlage guter Arbeitsbedingungen. Was man nicht braucht, sind Abbau von Rechten oder Privilegien für spezielle Beschäftigtengruppen.

Antwort auf Basis von Mitbestimmung und sozialer Verantwortung

Die Gewerkschaften werben für eine gemeinsame Antwort auf die Herausforderungen der Zukunft auf der Basis von Mitbestimmung und sozialer Verantwortung. Dieses Modell hat den Wohlstand geschaffen und auch in Krisenzeiten (zum Beispiel durch die Kurzarbeitergeldregelung nach der Finanzmarktkrise) erhalten. So lassen sich auch die Herausforderungen der Zukunft bewältigen.

Christoph Meister ver.di-Bundesvorstand, Bereich Finanzdienstleistungen, Berlin
Jan Duscheck ver.di-Bundesfachgruppe Bankgewerbe, Berlin

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