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Das Sozialpartnermodell für die bAV lässt sich verhandeln und umsetzen

Christoph Schmitz, Foto: Kay Herschelmann

Arbeitgeber und Gewerkschaft sind in der Lage, gemeinsam sachgerechte Lösungen für die Beschäftigten zu finden. Das sagt Christoph Schmitz angesichts der von Verdi und der Deutschen Betriebsrente entwickelten bAV-Lösung nach dem Sozialpartnermodell gemäß Betriebsrentenstärkungsgesetz. Weil dabei in mancher Hinsicht Neuland betreten wurde, dauerten die Verhandlungen zwei Jahre. Dafür versteht Verdi das Ergebnis als Angebot an andere Arbeitgeber und Branchen, ihm über entsprechende Tarifverträge beizutreten. Wichtig dabei aus Gewerkschaftssicht: Bestehende Garantiemodelle dürfen nicht gefährdet werden. Bei Talanx haben deshalb die Beschäftigten die Wahl zwischen beiden Modellen. Red.

Das Betriebsrentenstärkungsgesetz hat te das Ziel, die betriebliche Altersversorgung (bAV) auch dort zu verbreitern, wo es bisher - aus unterschiedlichsten Gründen - keine bAV gibt. Dazu sieht das seit Anfang 2018 in Kraft getretene Gesetz vor, dass die Tarifvertragsparteien in einem Sozialpartnermodell eine bAV etablieren und den Arbeitgebern dieser Schritt dadurch erleichtert wird, dass sie zwar Beiträge leisten, aber keine Garantien übernehmen müssen.

Dass es sehr lange keinen einzigen bAV-Tarifvertrag zum Sozialpartnermodell gab, ist keine große Überraschung. Bisher fehlt Beschäftigten gerade in Branchen mit geringen Löhnen und Einkommen der Anreiz, ohne nennenswerte verpflichtende Arbeitgeberbeiträge für das Alter vorzusorgen, da die verfügbaren Entgelte vollständig zum Lebensunterhalt benötigt werden.

Bestehende Garantiesysteme nicht gefährden

Zudem ist aus Sicht von Beschäftigten und Gewerkschaftsmitgliedern der Garantieverzicht immer mit großer Skepsis betrachtet worden. Allzu oft erleben wir in der täglichen Arbeit, dass Arbeitgeber kurzfristige Unternehmensziele im Blick haben, aber nicht unbedingt langfristige Verpflichtungen, auch und gerade für ihre Beschäftigten, übernehmen wollen.

Das ist bei Versicherungen - qua Geschäftsmodell - in der Regel anders. Wer Alterssicherung, Krankheit, Berufsunfähigkeit über Jahrzehnte absichert, ja absichern muss, ist automatisch verpflichtet, gegenüber Kunden für lange Zeit Verantwortung zu übernehmen.

Branchenübergreifend gab es dennoch für Verdi erhebliche Sorgen, dass Tarifverträge nach dem Betriebsrentenstärkungsgesetz den Druck auf bestehende Altersvorsorge-Tarifverträge mit Garantien erhöhen und diese - meist langjährigen und für Beschäftigte lukrativen - Vereinbarungen unter Druck setzen könnten.

Für die Gewerkschaft war und ist entscheidend, dass mit der neuen Altersversorgung bestehende Garantiesysteme nicht gefährdet oder gar abgeschafft werden. Dies ist mit dem Erhalt der bestehenden betrieblichen Altersversorgung bei der Talanx und der Fortführung der Unterstützungskasse gelungen.

In vielerlei Hinsicht Neuland betreten

Mit dem ersten Tarifvertrag zum Sozialpartnermodell mit dem Versicherungskonzern Talanx hat Verdi in vielerlei Hinsicht Neuland betreten. Das ist der Hintergrund dafür, dass die Verhandlungen sich über zwei Jahre hingezogen haben. Ein Tarifvertrag legt Rechte und Leistungen für Beschäftigte fest und klärt, welchen Beitrag der Arbeitgeber dazu leistet. Bei den Verhandlungen zum Sozialpartnermodell wurde aber ein neues Modell der betrieblichen Altersversorgung mit unserem Tarifvertragspartner und dem Versorgungsträger entwickelt.

Durch den Wegfall von Garantien tragen die Beschäftigten im Sozialpartnermodell das Kapitalmarktrisiko. Eine Betriebsrente muss aber verlässlich und planbar sein und darf nicht zum Glücksspiel werden. Schließlich geht es bei der Frage, wieviel Einkommen im Alter zur Verfügung steht, um einen zentralen Aspekt der Lebensplanung.

Paradigmenwechsel darf nicht zu völliger Unsicherheit führen

Daher war von Beginn an klar, dass ein erster Tarifvertrag zum Sozialpartnermodell bestimmte Mindestanforderungen bei Arbeitgeberleistungen, Sicherheitskomponenten, Geringverdienerzuschüssen und größtmögliche Vorkehrungen enthalten muss, die in der Auszahlungsphase Kürzungen der Betriebsrenten so weit wie möglich ausschließen.

Die Gewerkschaft hat deshalb in den Verhandlungen großen Wert daraufgelegt, die Funktionsweisen möglicher Sicherungsmechanismen zu verstehen und die Stellschrauben richtig zu justieren. Es ging also darum, das konkrete Sozialpartnermodell so auszugestalten, dass es Sicherheit und Planbarkeit für die Beschäftigten realisiert und trotzdem attraktive Betriebsrenten ermöglicht werden.

Der Wegfall von Garantien ist ein Paradigmenwechsel in der betrieblichen Altersversorgung, der erst einmal auf große Skepsis bei vielen Beschäftigten stößt. Verdi musste sich überzeugen, dass es in einem Sozialpartnermodell möglich ist, kollektive Sicherungsmechanismen so zu gestalten, dass ein Wegfall der Garantien nicht zu einer völligen Unsicherheit bei der Entwicklung der Betriebsrenten führt.

Erleichtert wurde der Schritt zum Sozialpartner-Tarifvertrag, weil mit der Deutschen Betriebsrente ein Pensionsfonds von Talanx und Zurich für die Durchführung der bAV zur Verfügung steht. Beide Versicherungen und die Deutsche Betriebsrente stehen unter regulatorischer Aufsicht - und bieten damit ein Mehr an Sicherheit, als es in einer neu zu gründenden sogenannten "gemeinsamen Einrichtung" der Tarifvertragsparteien nach dem reinen Sozialpartnermodell der Fall wäre.

Risikobegrenzung im Fokus

Aus den genannten Gründen hat Verdi in den Verhandlungen auf Risikobegrenzung gesetzt. Das beginnt bei den Kapitalanlagen. Ein relevanter Teil des Versorgungskapitals wird in sichere Rentenpapiere investiert, so ist ein Totalverlust für die Versorgungsempfänger ausgeschlossen. Durch das Kollektiv von Sparern kann das individuelle Risiko gesenkt werden. Sowohl in der Anwartschaftsphase als auch in der Leistungsphase wurden kollektive Puffer gebildet, die eine Schwankung von Renditen abfedern. Durch einen definierten Glättungszeitraum müssen Veränderungen des Versorgungskapitals nicht unmittelbar weitergeben werden, sondern können über einen längeren Zeitraum verteilt werden.

Sollten alle diese Sicherungsmaßnahmen nicht ausreichen, können Kürzungen durch den Rückgriff auf ein Sicherungsbeitragsvermögen, abgefedert oder verhindert werden. Dieses Sicherungsbeitragsvermögen wird durch einen arbeitgeberfinanzierten Sicherungsbeitrag aufgebaut. All diese Stellschrauben sollen eine möglichst gleichbleibende Verzinsung der Anwartschaften und Renten und damit eine stabile Entwicklung der Leistungsansprüche der Beschäftigten sicherstellen.

Das Sozialpartnermodell im Talanx-Konzern wird die bisher bestehende Konzernversorgung nicht ablösen. Bei der Talanx besteht eine betriebliche Altersversorgung, an deren Beiträgen sich der Arbeitgeber mit 50 Prozent beteiligt. Dieser Arbeitgeberbeitrag wird auch künftig in die bisherige Versorgung fließen. Aber der mitarbeiterfinanzierte Beitrag kann künftig als Entgeltumwandlung in das Sozialpartnermodell fließen. Die Entscheidung darüber, ob die Entgeltumwandlung über eine klassische Direktversicherung mit Garantien oder über das Sozialpartnermodell erfolgt, trifft die oder der einzelne Beschäftigte.

Das Sozialpartnermodell bietet eine zusätzliche und attraktive Möglichkeit zur Absicherung im Alter. Im Vergleich zu den bisher angebotenen klassischen Versicherungslösungen können deutlich höhere Betriebsrenten durch das Sozialpartnermodell erzielt werden. Es steht allen Mitarbeitern im Konzern offen, also auch Beschäftigten aus den Unternehmen des Konzerns, in denen der Flächentarifvertrag für das private Versicherungsgewerbe nicht angewendet wird.

Neue Rolle der Sozialpartner

Nicht ganz einfach war es auch, die zukünftige Rolle der Sozialpartner im Modell zu definieren. Das Betriebsrentenstärkungsgesetz weist den Gewerkschaften eine neue Rolle zu, weil sie sich laut Gesetz an der Durchführung und Steuerung des Sozialpartnermodells beteiligen müssen. Verdi ist damit auch in Zukunft im Sozialpartnermodell eine starke Vertretung der Interessen der Beschäftigten.

Die Tarifvertragsparteien beteiligen sich über einen paritätisch besetzten Beirat an der künftigen Steuerung des Sozialpartnermodells. Die Deutsche Betriebsrente berichtet regelmäßig über die Entwicklung aller wichtigen Parameter des Sozialpartnermodells an den Beirat. Der Beirat berät über die Entwicklung der Bestände, des Versorgungskapitals, die Entwicklung der Anwartschaften und Renten. Sind Anpassungen erforderlich, werden diese zwischen Deutscher Betriebsrente und dem Beirat beraten und möglichst Einvernehmen hergestellt.

Darüber hinaus hat jede Tarifvertragspartei einen Sitz im Kapitalanlageausschuss. Wenn ein größerer Teil des Versorgungskapitals künftig auf dem Aktienmarkt angelegt wird, dann hat das auch noch eine gesellschaftspolitische Dimension. Für Verdi war und ist daher auch wichtig, wo das Geld der Versorgungsberechtigten angelegt wird. Gegenstand der Verhandlungen waren daher auch die Kriterien für ökologisch und sozial nachhaltige und ethische Kapitalanlagen. Durch die Beteiligung am Kapitalanlageausschuss besteht auch in der Zukunft ein Einfluss auf die Entwicklung und Nachhaltigkeit der Kapitalanlagen.

Vorteilsregelung für Gewerkschaftsmitglieder

Zentraler Punkt in den Verhandlungen war aus gewerkschaftlicher Sicht eine Vorteilsregelung für die Verdi-Mitglieder im Unternehmen. Denn das Betriebsrentenstärkungsgesetz schreibt für die Einführung des Sozialpartnermodells ausdrücklich einen Tarifvertrag vor. Tarifverträge gibt es aber nur dort, wo sich Beschäftigte in einer Gewerkschaft organisieren und damit auch ein gewerkschaftlicher Handlungsauftrag besteht.

Deshalb ist ein wichtiges Signal, dass im Tarifvertrag mit der Talanx für Verdi-Mitglieder ein Kostenvorteil für die neue bAV festgeschrieben werden konnte, der abhängig von der Laufzeit im Alter zu etwas höheren Betriebsrenten führen kann. Aus Verdi-Sicht ist dieser Mitgliedervorteil ein notwendiges Element bei jedem Tarifvertrag nach dem Betriebsrentenstärkungsgesetz, weil erst die Verdi-Mitglieder mit ihren Gewerkschaftsbeiträgen eine neue betriebliche Altersvorsorge für alle Beschäftigten eines Unternehmens oder einer Branche ermöglichen.

Ein Angebot an andere Arbeitgeber und Branchen

Ein Sozialpartnermodell kann dauerhaft nur dann erfolgreich umgesetzt werden, wenn große Versicherungskollektive entstehen. Denn nur dann können durch Skaleneffekte niedrige Kosten realisiert werden. Das Sozialpartnermodell bei der Talanx soll daher in der Folge nicht nur für die eigenen Beschäftigten im Konzern umgesetzt werden, sondern ist ein Angebot an andere Arbeitgeber und Branchen über entsprechende Tarifverträge dem Sozialpartnermodell beizutreten. Die Verhandlungen hatten diese Perspektive immer mit einbezogen.

Und bei allen Schwächen, die das Betriebsrentenstärkungsgesetz hat, war es Verdi wichtig, gemeinsam mit der Talanx zu beweisen, dass sich ein solches Modell verhandeln und umsetzen lässt. Arbeitgeber und Gewerkschaft sind in der Lage, gemeinsam sachgerechte Lösungen für die Beschäftigten zu finden.

Dies ist umso wichtiger, weil in jüngster Zeit immer wieder Vorschläge im politischen Raum kursieren, wie sozialversicherungspflichtig Beschäftigte zwangsweise zu Aktiensparern gemacht werden könnten. Wir bezweifeln, dass das der richtige Weg ist, weil er zum einen gute und erprobte Modelle der betrieblichen Altersversorgung gefährdet, zum anderen für viele Beschäftigte auch nicht zu einer besseren Absicherung im Alter führen würde.

Wenn Vorschläge, wie die der FDP von Mitte Februar dazu führen, dass das Kapitalmarktrisiko komplett auf die Beschäftigten verlagert und gleichzeitig die gesetzliche Rentenversicherung geschwächt würde, dann ist das eine Mogelpackung, für die wir nicht zur Verfügung stehen.

Wie es stattdessen funktionieren kann, wollen wir mit dem Sozialpartner-Tarifvertrag mit der Talanx zeigen - und wenn die Bedingungen und Sicherheiten für die Beschäftigten stimmen, möglicherweise auch in anderen Branchen.

Christoph Schmitz, Bundesfachbereichsleiter und Mitglied im ver.di Bundesvorstand, ver.di - Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft Bundesvorstand, Berlin
Christoph Schmitz , Bundesfachbereichsleiter und Bundesvorstand , ver.di
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