Redaktionsgespräch mit Thomas Beck und Eckhard Lüdering

"CEOs und Aufseher unterschätzen die IT-Technik längst nicht mehr."

Dr. Thomas Beck Foto: Avaloq

Keineswegs als Abkehr vom genossenschaftlichen Verbund, sondern als Entscheidung für ein Kernbanksystem, das flexibler auf die Bedürfnisse des eigenen Hauses zugeschnitten ist, will Eckhard Lüdering die Wahl des neuen Kernbankensystems verstanden wissen. Das Vorstandsmitglied der Düsseldorfer Apotheker- und Ärztebank ist sich im Redaktionsgespräch mit Thomas Beck einig, dass sich in den vergangenen Jahren das Standing der IT-Verantwortlichen in den Banken tendenziell verbessert hat. Der Group Chief Technology Officer der Avaloq betont darüber hinaus die wachsende Bedeutung der IT-Governance, der IT-Strategie und der IT-Sicherheit. (Red.)

Im vergangenen Jahr hat sich die Apotheker- und Ärztebank (Apo-Bank) für den Einsatz eines Kernbankensystems von Avaloq und damit gegen eine Migration auf das System des genossenschaftlichen IT-Dienstleisters Fiducia & GAD entschieden. Frage an den zuständigen IT-Vorstand zum Verständnis dieser Entscheidung beziehungsweise der Ausganslage: Welche His torie hat die Apo-Bank mit dem Einsatz von Kernbankensystemen in den zurückliegenden Jahren?

Lüdering: Bevor wir 2009 in einem Full-Outsourcing zur GAD als einen der beiden damaligen genossenschaftlichen Rechenzentren gewechselt sind, waren wir Eigenanwender mit dem Hauptbuchsystem Kordoba. Insofern haben wir seinerzeit schon eine weitreichende Entscheidung zur Begrenzung der Eigenanwendungen beziehungsweise der Entwicklungskapazitäten im eigenen Haus getroffen. Im Jahr 2012 sind wir dann nach einem sehr erfolgreichen Migrationsprojekt mit dem GAD-System Bank-21 gestartet. Daneben haben wir über viele Jahre die Deutsche Wertpapier Service Bank für die Financial Market Services genutzt. So arbeiten wir beispielsweise seit 2007 auf deren Abwicklungsplattform WP-2 für Wertpapiere und haben darüber hinaus noch ein buntes Anwendungsportfolio. Beginnend mit der Migration auf Bank-21 wurde die Zahl der Anwendungen von damals rund 300 auf inzwischen etwa 100 zurückgeführt. Für bestimmte Teile verwenden wir noch SAP und andere Anwendungen.

Künftig soll aber alles über Avaloq abgewickelt werden?

Lüdering: Ja, alle Hauptbücher laufen künftig über Avaloq, bei uns bleiben nur wenige kleinere Anwendungen.

Avaloq wird hierzulande traditionell ein besonderer Fokus auf das Wertpapiergeschäft nachgesagt. Trifft das zu, Herr Beck? Welches Leistungsspektrum bietet das Unternehmen bei Kernbankensystemen?

Beck: Der Eindruck einer besonderen Betonung des Wertpapiergeschäftes begegnet uns in Deutschland immer wieder. Er trifft aber nur bedingt zu. Avaloq ist ein sehr vollständiges und breit angelegtes Kernbankensystem. Es deckt alle Bereiche einer Bank ab und genügt internationalen Anforderungen - vom Zahlungsverkehr über Wertpapiere und die Anlageberatung, das gesamte Kreditgeschäft bis hin zu den normalen Kernbankenfunktionen. Erwähnenswert ist in unserem Falle noch die Integration der regulatorischen Anforderungen. An dieser Stelle muss man freilich einräumen, dass kein System alle von den Banken benötigten und teilweise sehr spezifischen Funktionalitäten selbst vollständig abdecken kann. Daher bietet Avaloq auch die Möglichkeit, über Schnittstellen andere Provider und Fintechs anzuschließen. In das Objektmodell der Avaloq werden diese so integriert, dass mit der Kernbankenlösung alle Daten umfassend und konsistent zur Verfügung stehen.

Welche Ambitionen hat Ihr Haus in Deutschland und Europa? Und welche Kunden hat die Gesellschaft hierzulande?

Beck: Deutschland und Europa sind für unser Haus eindeutig strategische Märkte. Unseren Ursprung haben wir vor 25 Jahren in der Schweiz. Dort haben wir im Privatbankengeschäft begonnen, also in einer schwierigen Disziplin, die in der Schweiz einen besonders hohen Stellenwert hat. Mittlerweile haben wir die Palette stark ausgeweitet, nicht zuletzt auf das Retailgeschäft, in dem die Volumen eine besondere Rolle spielen. Aus diesem Bereich haben wir in der Schweiz beispielsweise die Raiffeisen-Gruppe gewinnen können. Mit der Apo-Bank zählen wir jetzt in Deutschland eine Spezialbank zu unseren Kunden. Für sie wollen wir eine besondere Plattform für ihre Anforderungen bauen.

Ist das der einzige Kunde in Deutschland? Und welche weiteren hat Avaloq in Europa und weltweit?

Beck: In Deutschland haben wir aktuell sechs weitere Kunden, für die wir mit unterschiedlichen Angeboten tätig sind. Avaloq bietet nicht nur Software an, sondern auch Serviceleistungen, die das Backoffice einer Bank übernehmen können - wir sprechen hier von "Business Process as a Service". In Großbritannien haben wir beispielsweise Canaccord oder Coutts als Kunden, in Frankreich die Société Générale. Dazu kommen einige Banken in Luxemburg, auf der iberischen Halbinsel, in Liechtenstein und natürlich in der Schweiz, dort unter anderem viele Privat- und Kantonalbanken und wie gesagt der Verbund der Raiffeisen-Gruppe, der seinerseits etwas mehr als 250 Häuser umfasst. Zudem wachsen wir in Asien und Australien sehr stark.

Was waren die entscheidenden Kriterien für die Apo-Bank, das genossenschaftliche Rechenzentrum zu verlassen und sich neu zu orientieren?

Lüdering: Der Beschluss der beiden genossenschaftlichen Rechenzentren zur Fusion war mit der Entscheidung verbunden, Agree-21 als neues Kernbankensystem auszuwählen. Für unser Haus hatte das zwangsläufig zur Folge, noch einmal migrieren zu müssen. In dieser Entscheidungssituation haben wir beschlossen, mit Blick auf unsere Anforderungen noch einmal grundsätzlich und unvoreingenommen das Angebot am Markt zu sondieren. Und zwar mit der erklärten Absicht, nicht wieder stärker zum Eigenanwender zu werden, sondern eine Heimat in einer Anwendergemeinschaft zu finden.

In einem Selektionsprozess haben wir eine Shortlist erstellt und uns letztlich für Avaloq entschieden. Auf der einen Seite finden wir damit ein System vor, das schon so parametrisiert ist, dass wir es auf unsere Bedürfnisse anpassen können. Auf der anderen Seite greifen wir auf viele Standards zurück, die für uns als europäisch regulierte Bank schon von vornherein die notwendigen Inhalte mitbringt, etwa hinsichtlich der Risikoberichterstattung nach BCBS 239 oder auch den IFRS-Regeln.

Sind diese Aspekte mit Blick auf das Kernbankensystem gewichtig genug, die Verbindungen zum genossenschaftlichen Verbund zu kappen oder zumindest lockerer werden zu lassen?

Lüdering: Die Anbindung an den genossenschaftlichen Finanzverbund haben wir mit der Entscheidung für Avaloq keineswegs aufgegeben. Wir sind und bleiben nach wie vor ein sehr großer Kunde und Bestandteil des Verbundes. Es gibt weiterhin enge Geschäftsbeziehungen zur DZ Bank, wir nutzen dort viele Dienstleistungen. Gleiches gilt für Schwäbisch Hall, die R+V Versicherung und für Union Investment. Zudem sind wir in der genossenschaftlichen Organisation in vielen Gremien vertreten und bringen an verschiedensten Stellen unsere Kenntnisse ein.

Jetzt gibt es mit der IT-Technik eine Dienstleistung, die wir nach der Fusion der genossenschaftlichen Rechenzentren nicht mehr dort einkaufen. Wir werden mit dem neuen Partner aber sicherstellen, dass die Verbindungen zu den genossenschaftlichen Verbundunternehmen über die Schnittstellen auch auf der neuen Plattform weiterlaufen. Zudem kaufen wir weiterhin einige technische Dienstleistungen bei Fiducia & GAD oder deren Tochtergesellschaften ein. So arbeiten wir mit den Steuerungssystemen der Parc-IT oder auch den Dienstleistungen von Ratiodata weiter. Es ist also keinesfalls eine totale Abkehr, sondern eine Abwägung zwischen den Angeboten verschiedener IT-Systeme. Und dabei sind wir zu der Erkenntnis gelangt, dass das Verbundsystem sich stark auf den Betrieb der regionalen Genossenschaftsbanken fokussiert und wir mit unserer bundesweiten Aufstellung und unserem spezialisierten Geschäftsmodell hinsichtlich der Omnikanalfähigkeiten der Software sowie hinsichtlich einer flexiblen Anpassungsfähigkeit einen viel größeren Bedarf haben. Mit dem neuen Partner sind wir beispielsweise besser in der Lage, neue Lösungen im Plug-and-Play-Verfahren anzuschließen. Das wird die Zusammenarbeit mit Fintechs erheblich erleichtern.

Schließlich hat eine Rolle gespielt, dass wir als direkt der EZB unterstellter Bank in einem Kundensegment unterwegs sind, das stark das Wertpapiergeschäft nutzt. Und in diesem Segment hat Avaloq eine besondere Stärke, ohne die anderen Funktionen zu vernachlässigen. Das alles bietet eine gute Grundlage, unsere strategische Weiterentwicklung auch IT-technisch umzusetzen.

Welche Rolle spielten Regulierungsfragen? Womit hat Avaloq zu punkten versucht?

Beck: Wir wissen natürlich und betonen es gegenüber unseren Kunden, dass die Regulierung besonders nach der Finanzkrise immer wichtiger geworden ist, allerdings auch in jedem Land unterschiedlich gehandhabt wird. Groß sind die Unterschiede etwa beim Steuerrecht. Will man solche Aspekte in der Beratung einsetzen und ordnungsgemäß dokumentieren, muss man alle relevanten Sachverhalte implementieren. Das ist für jedes Kreditinstitut eine große Aufgabe, die wir durch die Integration der Anforderungen in unser System wesentlich erleichtern können.

Bei alledem ist nicht zuletzt auch der Kostenrahmen zu bedenken, den sich eine Bank leisten kann und leisten möchte. In einem Kernbankensystem, das keine Standards anbieten kann, werden die Kosten der Implementierung zu einem sehr großen Thema.

Inwieweit war die Geschwindigkeit der Anbindung ein entscheidendes Thema für Sie? Die Apo-Bank hatte sich mit Blick auf die Anbindung an das genossenschaftliche System von Fiducia & GAD öffentlich beklagt, bei der Migration erst sehr spät an der Reihe zu sein.

Lüdering: Für die strategische Weiterentwicklung einer Bank ist es extrem wichtig, eine flexible Software zu haben. In diesem Sinne waren die ursprünglich angebotenen Umstellungszeiten von Fiducia & GAD sehr lang. Aber wir bewegen uns mit der Entscheidung für Avaloq in einem zeitlich ähnlichen Rahmen, sodass das nicht mehr der entscheidende Aspekt ist. Der entscheidende Punkt war eher die Flexibilität der Systeme.

Wie ist die Wettbewerbssituation unter den Anbietern von Kernbankensystemen?

Beck: Insbesondere große Banken nutzen historisch bedingt noch sehr viele Eigenentwicklungen, auch über Speziallösungen hinaus. Aber es bedarf schon wirklich sehr großer Volumen, um eine komplette Kernbanksoftware selbst zu entwickeln und zu betreiben. Besonders seit der Finanzkrise kommen zuletzt immer mehr regulatorische Vorschriften hinzu, die in Verbindung mit neuen Marktentwicklungen die Komplexität der Systeme stark erhöhen. Es erfordert sehr viel Kapital, um die Neuerungen immer wieder zu implementieren.

Manche Banken haben in der Tat auch genug Budget, das sie in Eigenentwicklungen investieren können. Aber dabei ist zu berücksichtigen, dass jede Bank in jeder Lokation, auch wenn sie viele Filialen dort hat, alle steuerlichen und sonstigen Anforderungen allein erfüllen muss. Avaloq hingegen hat eine ganze Community, die pro Land gleiche oder sehr ähnliche Anforderungen an die Kernbankenlösung hat. Wir müssen nur einmal pro Land investieren. Folglich können die Lösungen für alle Kunden insgesamt wesentlich günstiger umgesetzt werden als eine einzelne Bank das kann. Dieser enorme Kostendruck durch Regulierung und Digitalisierung bringt heute auch größere Banken schnell auf die Idee, das Kernbankensystem von einem externen Anbieter zu übernehmen und nicht mehr in Eigenentwicklung zu betreiben. Aber das muss natürlich jede Bank selbst kalkulieren.

Gibt es bedeutende Spezialisten für Kernbankensysteme für einzelne Länder?

Beck: In Europa gibt es die nur vergleichsweise selten, aber man kann diese Art der Spezialisierung sehr deutlich in den USA beobachten. Dort erlebt man viel mehr Systeme, die sich nur auf den großen amerikanischen Markt mit einer Währung und seiner Jurisdiktion beziehen. Mit den höchst unterschiedlichen Anforderungen in Europa kämen solche Systeme aufgrund ihrer Architektur überhaupt nicht klar.

In der Schweiz kann man sich umgekehrt nie auf den Heimatmarkt beschränken, weil dieser viel zu klein ist. Man muss folglich mindestens die europäische Komponente ins Auge zu fassen und dann kann man sich gleich auch auf internationale Maßstäbe ausrichten. Das heißt, die dortigen Kernbankensysteme müssen auf verschiedene Währungs- und Zeitzonen ausgerichtet sein und müssen Mehrsprachigkeit und verschiedene Buchungslogiken beherrschen. Und sie müssen neue digitale Funktionalitäten einerseits mitbringen und andererseits sehr flexibel anschließen können.

Welche bedeutenden Mitbewerber hat Avaloq?

Beck: Zu den Wettbewerbern im Einzelnen möchte ich mich nicht äußern. Zu unserer Marktpositionierung lässt sich aber sagen, dass wir anders als einige Mitbewerber in unsere Lösung auch regulatorische und steuerliche Aspekte einpflegen und einen hohen Anteil an Investitionen für eine möglichst vorausschauende strategische Weiterentwicklung unserer Software einsetzen, zum Beispiel im Bereich der Digitalisierung oder unseres Ecosystems, sowie über unsere Plattform auch Bankservices anbieten.

Wie viele Eigenanwender gibt es überhaupt noch? Stufen Sie beispielsweise die Deutsche Bank und andere Großbanken eher als Eigenentwickler ein? Inwieweit arbeiten diese mit SAP-Lösungen?

Beck: Es gibt kaum Banken, die nicht mit SAP arbeiten, die Frage ist nur in welchem Umfang. Insbesondere im Bereich des Accounting sind diese Anwendungen absolut üblich, und die Rechnungslegung ist letztlich auch ein Teil des Kernbankensystems. Für die Großbanken allgemein ist es ein schwieriges Unterfangen, eine Kernbankensoftware zu betreiben, die flexibel und standardisiert zugleich ist. Die speziellen Anforderungen schnell und reibungslos umzusetzen, ohne in einem Implementierungsprojekt zu landen, das sich nur sehr schwer managen lässt, ist eine hohe Kunst. Es sind dabei ja nicht nur die Kosten zu beachten, sondern beispielsweise auch die Möglichkeit für einen Plattformwechsel, wie er jetzt bei der Apo-Bank ansteht.

Die Deutsche Bank, um dieses Beispiel aufzugreifen, würde ich schon noch stark als Eigenanwender bezeichnen. Wie viele der globalen Großbanken arbeitet sie mit vielen verschiedenen Lösungen, die Deutsche Bank Schweiz beispielsweise nutzt für das Private Banking eine Avaloq Plattform, für einige andere Länder gilt dasselbe.

Wie viele unterschiedliche Systeme lassen sich für eine Bank vernünftig beherrschen?

Beck: Es ist immer eine Frage, was man zu den Systemen zählt und wie hoch der Änderungsbedarf bei Neuerungen ist. Solange keine Anpassungen notwendig sind, die in ein laufendes System eingepflegt werden müssen, ist eine Vielzahl von Systemen kein Problem. Schwierig wird es dann, wenn ständig neue Vorgaben umgesetzt werden müssen. Und dieses Szenario entspricht derzeit nun einmal der Realität. Bei einer Änderung müssen dann alle betroffenen Systeme mit großem Aufwand angepasst werden. Teilweise ist es dabei in den Banken sogar schwierig, hauseigene Experten zu finden, die noch den Überblick über Prozessketten haben, die über verschiedene Systeme Infrastrukturen und Datenmodelle laufen. Es ist eine hohe Kunst, das alles sauber zu dokumentieren und nachvollziehbar vorzuhalten. Jedes Institut muss dafür sorgen, dass die Größenordnung seiner Systeme beherrschbar bleibt oder wird.

Noch einmal zurück zu den Wirkungen von Regulierung und die Digitalisierung auf die Entwicklung von Kernbankensystemen. Wie stark sind die Kunden von Avaloq in die Berücksichtigung dieser Entwicklungen eingebunden?

Beck: Wir haben eigene Teams, die sich ausschließlich mit der Beobachtung von Trends am Markt beschäftigen, angefangen bei Aktivitäten von Fintechs über Blockchain-Lösungen, und dem Einsatz von künstlicher Intelligenz bis hin zu regulatorischen Fragestellungen. Wesentlich ist nicht nur die reine technologische Beobachtung, sondern auch das richtige Gespür für Lösungen, die sich letztlich am Markt auch durchsetzen werden. Vorherzusehen, wohin sich ein Markt entscheidet, ist in heutigen Zeiten äußerst schwierig geworden. Wer beispielsweise hat den Erfolg von Uber kommen sehen? Solche Phänomene, auch mit Relevanz für den Bankenmarkt, sind heute viel stärker ausgeprägt als früher. Das liegt auch daran, wie die Gesellschaft heute funktioniert. Ist sie über Facebook oder andere Datendienstleister mehr oder weniger zusammengeschaltet, können diese innerhalb eines Tages ermitteln, ob ein Trend ankommt oder nicht. Die Vorhersagbarkeit bleibt allerdings relativ schwierig, deshalb ist es wichtig, eine Software herzustellen, die verschiedenste Anwendungen flexibel ermöglicht. Und der Markt bestimmt dann letztlich, was davon erfolgreich ist und was nicht.

Lassen Sie uns ein konkretes Beispiel nehmen: Angenommen Herr Lüdering und die Apo-Bank kommen auf die Idee, Robo Advisory anzubieten. Hat der Kunde Apo-Bank dann die Möglichkeit, auf Avaloq zuzugehen und die Lösung eines bestimmten Anbieters vorzugeben. Oder gibt eher Avaloq über Schnittstellen mit einem Robo Advisor an dieser Stelle die Richtung vor?

Beck: Wir haben eine solche Lösung bereits auf der Plattform. Wenn Herr Lüdering also mit seinem Wunsch an uns herantritt, dann würden wir uns das gewünschte Produkt - falls es nicht ohnehin schon auf unserer Plattform verfügbar ist - anschauen. Und natürlich können wir neue Lösungen auch relativ einfach über unsere Schnittstellen zur Verfügung stellen. Das funktioniert vom Prinzip her ähnlich wie in einem App-Store. Will die Apo-Bank das Angebot eines speziellen Fintech-Unternehmens nutzen, ist dies generell möglich und in der Regel sehr schnell umsetzbar, weil diese Unternehmen ihre Lösungen und spezifische Funktionalität über offene Schnittstellen bei uns integrieren können.

Reicht die von Herrn Beck angesprochene Entscheidungsfreiheit für ein Institut wie die Apo-Bank aus oder fühlt man sich schon ein wenig gebunden?

Lüdering: Wichtig ist, dass die Entscheidungsfreiheit bei der Bank bleibt. Man muss und kann im Zweifel abwägen, was die Wahl eines neuen Fintech-Partners dem eigenen Haus wert ist. Will man die entsprechenden Kosten selbst oder gemeinsam mit anderen schultern? Oder will man vielleicht doch an den Entwicklungen partizipieren, die in der Community ohnehin schon da sind? Letztlich ist das immer eine Trade-off-Entscheidung. Man muss sagen, ob man die Community nutzen will oder in der einen oder anderen Position doch wieder ein Eigenentwickler sein will.

Was sind Ihre Erfahrungen bei Entscheidungssituationen ähnlicher Art? Ist es ratsam die vorhandenen Lösungen der Community zu nutzen oder eigene Wege zu gehen?

Lüdering: In der unmittelbaren Vergangenheit hatten wir diesbezüglich keine Wahlmöglichkeiten. Aber im Prinzip ist es vergleichsweise aufwendig, eigene Anbindungen an das genutzte Kernbankensystem bauen zu lassen. Wir können bei Avaloq auf eine vergleichsweise breite internationale Community bauen. Dadurch haben wir einen guten Blick auf die Veränderungen der nationalen und internationalen Märkte gewonnen. Wieso sollten wir solche gut laufenden Lösungen bei einer vergleichsweise einfachen Anpassung auf unsere spezifischen Bedürfnisse nicht nutzen?

Welche Rolle spielt bei der Apo-Bank die Pflege von Altsystemen? Sind Sie mit dem Stand schon zufrieden. Wie viele Mitarbeiter braucht die Apo-Bank künftig in der IT?

Lüdering: Die Zahl der IT-Fachkräfte in der Bank wird gegenüber dem heutigen Full-Outsourcing größer werden. Wir planen diesbezüglich mit einer mittleren zweistelligen Zahl an neuen Mitarbeitern. Heute definieren wir Fachanforderungen, um sie dann mit dem Rechenzentrum gemeinsam umzusetzen. Zukünftig können wir über die flexible Gestaltung von Parametern viele Dinge auch selbst erledigen. Der absehbare Wiederaufbau von IT-Know-how ist aber auch grundsätzlich erforderlich, weil die Aufsicht mit den neuen aufsichtlichen Anforderungen an die Bank-IT dafür sorgt, viele Dinge im Blick zu haben und gegebenenfalls auch besser gestalten zu können - auch hinsichtlich der MaRisk und beispielsweise den neuen Qutsourcing-Anforderungen .

Wird die IT Ihrem Eindruck nach zu einem noch stärkeren Wettbewerbsfaktor in der Apo-Bank?

Lüdering: Eine Bank besteht aus Menschen und IT. Und Letztere wurde in den vergangenen Jahren im Zuge von Digitalisierungsstrategien tendenziell wichtiger. Die Apo-Bank positioniert sich hinsichtlich der technischen Strömungen bei klassischen Bankdienstleistungen als Fast Follower. Das führt zu einem Bedarf an Lösungen, den wir einfach erfüllen müssen. An der Schnittstelle zum Gesundheitsmarkt gehen wir sogar einen Schritt weiter. Hier wollen wir digitale Angebote entwickeln und uns als "First Mover" positionieren. Die Herausforderung besteht am Ende darin, eine 24-Stunden-Verfügbarkeit für Kunden herzustellen. Das lässt sich mit Menschen allein überhaupt nicht schaffen, sondern nur mit komfortabler IT-Verfügbarkeit und gut funktionierenden Systemen.

Beck: Das kann ich uneingeschränkt bestätigen. Es ist in der Tat ein ganz entscheidender Wettbewerbsfaktor, welche IT man mit welcher Strategie gepaart einsetzt. Ohne sie lässt sich heute kaum noch ein Bankkunde gewinnen. Nicht nur im Finanzwesen, sondern überall kommt man ohne die IT überhaupt nicht mehr aus. Das gilt von der Zuverlässigkeit und Sicherheit im Betrieb her wie auch von den Funktionalitäten. Und das alles hat natürlich einen unmittelbaren Bezug zu den Kosten. Bei der Entscheidung für ein eigenes Projekt muss extrem stark auf die Kosten geachtet werden. Aber letztlich wird jedes Unternehmen nur über den Ertrag wachsen und nur begrenzt durch die Kostenseite. Das eigentliche unternehmerische Denken sollte deshalb auf der Ertragsseite liegen. Es geht um die Funktionalitäten in Verbindung mit der Strategie und die Differenzierungsmöglichkeit bei gleichzeitig günstigen Kosten.

Wie breit muss die Anwendungspalette eines modernen Kernbankensystems sein. Erfordert das Investment Banking nach wie vor eigene Systeme?

Beck: Ja, das gilt oft immer noch, weil das Investment Banking sehr spezifische Anforderungen stellt, beispielsweise an Risikobeurteilung mit sehr komplexen Modellen. Auch von der Funktionalität ist dieses Geschäftsfeld sehr eigenständig. In diesem Sinne gibt es Hersteller, die sich auf das Investment Banking spezialisieren. Die Systeme kosten oft so viel wie ein gesamtes Kernbankensystem. Auch große Institute haben deshalb heute nicht mehr die Möglichkeit, alle Sparten mit eigenen Anwendungen perfekt zu beherrschen. Es gibt dann oft Einzelanbieter, die man sehr flexibel anschließen muss. Wir haben beispielsweise ebenfalls eine Investment-Banking-Lösung, würden aber zum Beispiel einer großen Investmentbank auch ermöglichen, eine Kombination einzusetzen, das heißt ei ne spezialisierte Investment-Banking- Software in unser System zu integrieren.

Die Apo-Bank berichtet nach HGB. War das ein Auswahlkriterium für Ihr Haus? Musste besonders sichergestellt werden, dass das funktioniert?

Lüdering: Avaloq bietet sowohl HGB als auch IFRS an. Für die Zwecke der Steuerbilanz und für die Ausschüttung der Dividende muss die HGB-Bilanzierung Verwendung finden. Für uns ist es sogar eher von Vorteil, dass das System auch die IFRS-Rechnungslegung möglich macht, die uns als von der EZB geprüfte Bank ohnehin eines Tages treffen könnte. Auch die Steuerungssysteme unseres Hauses setzen teilweise auf IFRS auf.

Der Stellenwert der IT und des Risikomanagements ist in den Banken in den vergangenen Jahren enorm gestiegen. Gilt das auch für den Anteil der IT-Kosten an den gesamten Verwaltungsaufwendungen bei der Apo-Bank? Wie hoch ist der?

Lüdering: Wir liegen ungefähr bei 10 Prozent, aber dieser Wert ist im Branchenvergleich sehr günstig.

Haben Sie es als IT-Manager in den vergangenen Jahren einfacher, ein höheres Budget zu bekommen?

Lüdering: In der Praxis setzen die IT-Spezialisten das um, was die Fachbereiche an Anforderungen haben. Insofern ist die Verantwortung auf die Bereiche verlagert. Das heißt aber auch, dass die Fachebene das IT-Budget gleich mitbringen muss. Das macht es für die IT-Vorstände in der Tat einfacher. Aber grundsätzlich gilt auch heute noch: Die IT-Kosten sind immer zu hoch. Auch in der IT geht es stets um einen sparsamen und effizienten Ressourceneinsatz.

Wie werden die neuen BAIT von Ihnen als Anbieter und Nutzer von Kernbankensystemen eingeschätzt, als unnötige Einmischung oder als notwendige Maßnahme zur Stabilisierung der Finanzsysteme?

Beck: Für uns ist das beileibe kein erschreckendes Papier. Die Inhalte haben uns jedenfalls wenig überrascht. Und als Einmischen empfinden wir das insofern schon nicht, als die Aufsicht über die Ma-Risk und früher MaH immer schon Einfluss genommen hat. Was sie jetzt noch einmal klar herausgestellt hat, ist die Bedeutung der IT-Governance, der IT-Strategie und der IT-Sicherheit. Das ist aber eigentlich eine Selbstverständlichkeit, die Aufsicht hat nichts Außergewöhnliches aufgeschrieben.

Lüdering: Aus unserer Sicht ist es ähnlich. Viele aufsichtsrechtliche Dinge müssen wir ohnehin beachten. Die Frage ist meist, wie detailliert das Ganze beschrieben wird, wie es sich umsetzen lässt und wie groß dabei die Freiheitsgrade und die Haftungsgrundlage sind. Im positiven Sinne sollte ein intelligenter Wettbewerb um die Auslegung von Vorschriften möglich bleiben.

Gibt es unter den Avaloq-Kunden einen Austausch? Treten diese gemeinsam an das Unternehmen heran, um bestimmte Entwicklungen zu forcieren?

Beck: Ja, wir haben in all unseren Märkten, beispielsweise in Deutschland, der Schweiz oder auch Australien sogenannte Knowledge Groups, in denen mit den Kunden zum Beispiel regulatorische Anforderungen und dabei oft auch lokal angesiedelte Fragestellungen besprochen werden - etwa Interpretationsspielräume bei der Umsetzung. Zudem gibt es User Groups, in denen sich die Banken zusammenschließen und Anregungen an uns herantragen beziehungsweise Rückkopplungen zur Zusammenarbeit geben.

Stichwort Meldeanforderungen: Freut sich Avaloq über die Flut der Vorgaben?

Beck: Wir halten pro Lokation eigene Teams vor, um diese Anforderungen im Blick zu behalten und im Dialog mit den Kunden zu kommunizieren. Häufig bedeutet Regulation und deren Umsetzung wegen vieler Detailregelungen viel Aufwand und Zeitdruck, was herausfordernd sein kann. Aber natürlich befürworten wir - ähnlich wie die Banken - alle Meldepflichten, die der Stabilisierung der Finanzmärkte dienen.

Wird die Umsetzung von technischen Vorgaben von der Aufsicht und oft auch von CEOs unterschätzt?

Beck: Wer sich etwas intensiver mit diesen Dingen beschäftigt, weiß um die Schwierigkeiten und den Zeitbedarf der Umsetzung. Die CEOs unterschätzen die IT-Technik meinem Eindruck nach längst nicht mehr und auch die Aufsicht nicht. Es fehlt allerdings manchmal an klaren und präzisen Formulierungen durch die Politik und die Klarheit in den Deutungsmöglichkeiten. Dafür brauchen auch wir neben den eigenen Teams fachliche Beratung, beispielsweise um mit den Feinheiten der australischen Steuergesetze zurechtzukommen.

Dr. Thomas Beck, Group Chief Technology Officer, Avaloq, Zürich
Eckhard Lüdering, Mitglied des Vorstands, Apotheker- und Ärztebank (apoBank), Düsseldorf

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