Redaktionsgespräch mit Uwe Fröhlich

"Es darf keinesfalls der falsche Eindruck entstehen, wir seien eine Organisation, die um das Überleben kämpft"

Uwe Fröhlich, Präsident, Bundesverband der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken e.V. (BVR), Berlin

Dass die Auswirkungen der Regulierung und/oder der aktuellen Geldpolitik derzeit stärker das Fusionsgeschehen im Genossenschaftssektor prägen als die Wettbewerbsfähigkeit seiner Mitgliedsinstitute ist für Uwe Fröhlich ein Ärgernis. Gleichwohl schätzt der Präsident des Bundesverbandes der Volksbanken und Raiffeisenbanken den Markterfolg wie die Ertragslage klar zugunsten seiner Gruppe ein. Von den Regulierern und der europäischen Politik erwartet er im Redaktionsgespräch eine faire Chance für eine Small-Banking-Box für die kleinen und mittleren Institute. Die organisatorische Aufstellung der neuen Zentralbank will er den konstruktiven Gesprächen innerhalb der Gremien überlassen. (Red.)

Herr Fröhlich, wie viele Genossenschaftsbanken wird es in fünf Jahren noch geben?

Das ist keine einfache Frage, denn sie ist von verschiedenen Rahmenbedingungen abhängig. Zu Anfang 2016 hatte die Gruppe 1 021 Institute. Für das laufende Jahr gehen wir von 50 Fusionen aus. Mit einer ähnlichen Zahl wird im kommenden Jahr mindestens zu rechnen sein. Das ist ein Stück weit auch die Folge einer Geldpolitik der EZB, die die Zinsergebnisse nachhaltig negativ beeinflusst, sowie einer Regulierung, die in vielen Bereichen die Proportionalität und Risikoorientierung vermissen lässt. Beides erzeugt erheblichen Druck auf die Geschäftsmodelle und führt letztendlich dazu, dass auch gut aufgestellte kleine und mittelgroße Volksbanken und Raiffeisenbanken, die in der Vergangenheit solide gewirtschaftet haben, mit Blick in die Zukunft keine echte Perspektive mehr sehen. Das führt zu einer spürbaren Belastung der Stimmungslage unserer Organisation.

Wie sehr ärgert es Sie als Präsidenten, dass diese Entwicklung durch externe Rahmenbedingungen und nicht durch eigenen Fehler oder Schwächen angestoßen wird?

Das ärgert mich und vor allem auch die Kollegen, die in den Banken die operative Verantwortung tragen. In Einzelfällen kommt es zu Diskussionen, wie lange man sich das gefallen lassen muss - bis hin zu der Frage, ob man im Sinne des zivilen Ungehorsams öffentlich auf die Pauke hauen müsste. Ich glaube allerdings, das bringt im gewünschten Ergebnis wenig und würde die falschen Signale unserer Gruppe in der Öffentlichkeit setzen, zumal die genossenschaftliche Finanzgruppe aktuell sehr erfolgreich ist.

Neben den gerade genannten Einflussfaktoren auf unser Geschäftsmodell darf an dieser Stelle die Digitalisierung nicht vergessen werden. Sie beschleunigt den ohnehin schon großen Strukturwandel in der gesamten Kreditwirtschaft zusätzlich. Diesen Wandel geht unsere Finanzgruppe unternehmerisch und kraftvoll an. Dabei wird deutlich, dass sich manch in der Vergangenheit Bewährtes nicht unverändert in die Zukunft übertragen lässt. Die Fähigkeit zur aktiven Gestaltung von Veränderungsprozessen wird auch in den kommenden Jahren ein wesentlicher Erfolgsfaktor für uns sein.

Es gab ja sogar Demonstrationen aufgebrachter Genossenschaftsbanker vor Ihrem Dienstsitz in Berlin?

Im Frühjahr hatten sich rund 30 Mitarbeiter der Ethikbank, einer Zweigniederlassung der Volksbank Eisenberg, vor dem Gebäude des BVR in Berlin versammelt. Der Vorstand wollte offensichtlich ein politisches Zeichen setzen. Ich glaube wie gesagt allerdings nicht, dass sich solche öffentlichkeitswirksamen Aktionen für unsere Finanzgruppe auszahlen. Aber es zeigt, wie emotional angespannt die Situation mitunter ist.

Besteht durch solche Aktionen nicht auch die Gefahr, dass die Marke Volksbanken/Raiffeisenbanken Schaden nimmt, weil das Vertrauen der Kunden erschüttert wird, die nicht immer zwischen den einzelnen Instituten unterscheiden?

Klar ist: In der Öffentlichkeit darf keinesfalls der falsche Eindruck entstehen, wir seien eine Organisation, die um das Überleben kämpft. Das Gegenteil ist der Fall. Der Wettbewerbsvergleich hinsichtlich des Markterfolgs oder der Ertragslage fällt stark zu unseren Gunsten aus. Aber trotzdem ist es für einzelne Institute derzeit nicht einfach.

Wie groß ist Ihre Hoffnung, dass diese politisch motivierte Geldpolitik der EZB in absehbarer Zeit ein Ende finden wird?

Hoffnung darf man immer haben. Die extrem niedrigen Zinsen sind allerdings ein weltweites Phänomen, von Japan über die USA bis nach Europa. Ich persönlich halte eine bald einsetzende Zinswende für unbedingt notwendig, auch wenn große Aktieninvestoren wie Fonds dagegenreden. Ausgangspunkt hierfür muss die USA sein, denn in Europa ist das Thema doppelt verfahren. Die EZB hat ihr Mandat sehr weit ausgedehnt und sich damit in eine fast ausweglose Situation manövriert. Ziel der Geldpolitik in Europa ist laut gesetzlichem Mandat ausschließlich die Geldwertstabilität. Durch die zusätzlichen geldpolitischen Maßnahmen hält die EZB inzwischen aber auch die Spreads der Staatsanleihen in Europa auf niedrigem Niveau, damit die horrenden Schulden der einzelnen Länder bezahlbar bleiben. Dadurch nimmt die Notenbank allerdings den Druck von der Politik, dringend notwendige Strukturreformen einzuleiten. Mir fehlt derzeit die Phantasie, wie dieses Geflecht von unterschiedlichen Interessen in der Eurozone aufgelöst werden kann. Erst recht, da die zunehmenden populistischen Tendenzen in den einzelnen Ländern signalisieren, dass der Glaube der Menschen an die Funktionsfähigkeit Europas schwindet.

Das heißt aber doch, dass die EZB sich in eine Abhängigkeit von der Politik begeben hat?

Mit ihrem "Whatever it takes" hat sich die EZB in eine schwierige Situation begeben, in Verkennung der tatsächlichen Einflussmöglichkeiten auf die politischen Entscheidungsprozesse in den einzelnen Ländern. Mehr als Appelle stehen der EZB nicht zur Verfügung. Und es zeigt sich seit geraumer Zeit, dass der durch die Geldpolitik geschaffene finanzielle Freiraum politisch nicht genutzt wird.

Wenn Sie EZB-Präsident wären, welche drei Entscheidungen würden Sie dann treffen?

Ich würde zunächst darauf dringen, dass die bestehenden Verträge rund um die Eurozone konsequent eingehalten werden. Das fängt beim Umgang mit Defizitsündern an, geht über den Einsatz bestimmter Bail-in-Mechanismen bis zum Stopp des EDIS-Projektes, also der geplanten vergemeinschafteten Einlagensicherung in der Eurozone. So kann die Glaubwürdigkeit wieder erhöht werden. Zweitens muss eine schrittweise und damit verdaubare Zinswende eingeleitet werden. Dafür muss unbedingt der Ankauf von Anleihen und die damit einhergehenden Marktverzerrungen gestoppt werden. Hierzu gehört auch, schrittweise über die Eigenkapitalunterlegung von Staatsanleihen gemäß des tatsächlichen Ausfallrisikos nachzudenken. Drittens - und das ist aus Sicht der Genossenschaftsbanken eine ganz wichtige Thematik - muss gemeinsam mit der Europäischen Kommission das Thema Proportionalität in der Regulierung nicht nur besprochen, sondern endlich auch praktisch umgesetzt werden. Ich würde empfehlen, den Blickwinkel zu ändern und zu schauen, welche regulatorischen Maßnahmen wirklich notwendig sind und welche übertrieben erscheinen. Unter den derzeitigen Rahmenbedingungen besteht die Gefahr, dass das mittelständische Bankgeschäft - und damit auch die für unser Land so wichtigen mittelständischen Wirtschaftsstrukturen - in die Krise getrieben werden.

Hält sich angesichts der von Ihnen geschilderten durchaus gefährlichen Entwicklungen die deutsche Politik mit der Verteidigung des deutschen Bankwesens aber nicht viel zu sehr zurück?

Mein Eindruck ist schon, dass sich die deutsche Bundesregierung in Brüssel engagiert - insbesondere im Ministerrat -, auch wenn man sich mit Äußerungen in der Öffentlichkeit pro Kreditwirtschaft derzeit eher zurückhält. Da sendet der kommende Bundestagswahlkampf wohl schon erste Signale. Leider werden Themen wie Geldpolitik, Niedrigzinsphase, Bedrohung der Alterssicherungssysteme oder auch Kreditversorgung der mittelständischen Wirtschaft derzeit von den großen europäischen und globalen Themenstellungen dominiert. Zudem nützen die niedrigen Zinsen ja auch dem deutschen Fiskus. Aber natürlich wäre es fahrlässig, diesen Themen weniger Gewicht beizumessen, denn die Folgen der derzeitigen Regulatorik und Geldpolitik werden uns noch Jahrzehnte beschäftigen, wenn dem nicht bald Einhalt geboten wird. Wir versuchen durch Gespräche mit politischen Vertretern stets, diese Themen weiter nach oben auf die Agenda zu rücken, auch gerade mit Blick auf die im kommenden Jahr anstehende Bundestagswahl.

Welche Themen würden Sie den Parteien gerne in die politische Agenda hineinschreiben?

Für uns als genossenschaftliche Finanzgruppe ist es wichtig, dass wir dauerhaft Rahmenbedingungen in Europa vorfinden, die das dreigliedrige deutsche Bankensystem stützen und die uns als mittelständisch geprägte Bankengruppe das Wirtschaften ermöglichen. Überhaupt muss der mittelständische Blick wieder gestärkt werden, da sind wir uns mit sehr vielen Vertretern der realwirtschaftlichen Verbände einig. Strukturen mit nur wenigen Großkonzernen, wie sie sich mehr und mehr in Europa ausbreiten, halte ich für falsch. Es muss auch mit dem Glauben aufgeräumt werden, dass der Staat und die EZB immer alles richten können. Das können sie, wie wir derzeit wahrnehmen, nicht dauerhaft.

Welche Ziele verfolgt der europäische Regulator?

Eigentlich sollte der Regulator in Europa so erfolgreiche Geschäftsmodelle, wie es die deutschen Genossenschaftsbanken sind, als Blaupause verwenden. Mit unseren 18,3 Millionen Mitgliedern genießen wir in der Bevölkerung eine breite Akzeptanz. Wir sind sehr solide refinanziert. Wir haben auskömmliche Eigenkapitalpolster und wir nehmen sehr aktiv an den Wirtschaftskreisläufen teil. Das sieht man nicht zuletzt an den Wachstumsraten unserer Organisation, die sich auch 2016 fortgesetzt haben.

Allerdings gibt es derzeit viele Geschäftsmodelle in Europa, die aus verschiedenen Gründen weniger gut funktionieren, zum Beispiel weil die Verankerung in der Kundschaft fehlt, oder weil in der Vergangenheit viel Geld an den Kapitalmärkten auf Kosten hoher Risiken verdient wurde, oder weil es mitunter erhebliche Altlasten in Form von notleidenden Krediten oder erheblichen Rechtsrisiken gibt. Dagegen geht der Regulator unter anderem mit verschärften Eigenkapital- und Liquiditätsregeln vor. Manche Maßnahmen wirken dabei kontraproduktiv, denn sie bewirken, dass Banken noch größer werden. So wird das "To big too fail"-Problem nicht gelöst.

Die Regulatoren dürfen das Rad auch nicht überdrehen. Die anhaltenden Diskussionen um Basel IV zeigen die Gefahren. Einerseits versprechen Vertreter der deutschen Aufsichtsbehörden eine Regulierungspause, gleichzeitig werden die Zügel von den verschiedenen Institutionen immer weiter gestrafft. Allein durch die angedachten Maßnahmen in Basel IV würden die Eigenkapitalanforderungen laut einer Studie des Bundesverbandes Öffentlicher Banken um bis zu 40 Prozent steigen. Hier würde ich mir wünschen, dass man sich seitens der Regulatoren die ursprünglichen Ziele noch einmal vor Augen führt und mittels einer Auswirkungsstudie herausfindet, wie die bisherigen Maßnahmen der Erreichung dieser Ziele dienen. Ein erster wichtiger Schritt in diese Richtung ist die Konsultation der Europäischen Kommission zu den Folgen der Regulierung für kleine und mittlere Banken. Hier werden hoffentlich bis Ende des Jahres erste Ergebnisse vorliegen, über die dann diskutiert und entschieden werden kann.

Welche Chance hat der seit geraumer Zeit diskutierte Ansatz einer "Small-Banking-Box"? Die europäischen Aufsichtsbehörden lehnen eine solche "Aufsicht light" relativ strikt ab.

Ich denke schon, dass dieser Gedanke auf politischer Ebene eine Chance hat. Allerdings wirkt der Rücktritt von Kommissar Jonathan Hill im Zuge des Brexit sehr schwer. Denn er hatte verstanden, welch wichtige Rolle in einigen Ländern die kleinteiligen Bankenstrukturen spielen und dass im Rahmen der regulatorischen Gesetzgebung dafür auch Freiräume geschaffen werden müssen. Nun sind wir in Gesprächen mit seinem Nachfolger, Valdis Dombrovskis.

Hilft ein Blick in andere Länder, zum Beispiel die USA?

Nein, das hilft nicht wirklich weiter, denn die dortigen kleinen Banken haben eine ganz andere Geschäftsaufstellung als Sparkassen oder Volksbanken und Raiffeisenbanken. Dort ist eine unterschiedliche Behandlung der international tätigen Großbanken und der regionalen Institute einfach. In Deutschland beziehungsweise im europäischen Binnenmarkt ist die Situation sehr viel komplexer. Aufgrund unserer Aufstellung und Wettbewerbsstärke ist es folgerichtig, dass Genossenschaftsbanken grundsätzlich unter die allgemeinen regulatorischen Vorgaben fallen. Nur muss es gelingen, Proportionalität und Risikoorientierung in den Einzelregelungen überzeugend zu berücksichtigen.

Bei welchen konkreten Maßnahmen haben Sie Hoffnung, dass sich die Dinge im Sinne der angesprochenen Proportionalität und Risikoorientierung noch ändern werden?

Das steht und fällt in erster Linie mit der BaFin und der Bundesbank. In der empirischen Studie von Professor Hackethal und Professor Inderst wurden das Meldewesen und die bürokratischen Anforderungen rund um den Verbraucherschutz als die größten Herausforderungen für kleine und mittlere Banken herausgearbeitet. Genau an diesen Punkten sollte die Aufsicht ansetzen. Wir hätten uns zum Beispiel gewünscht, dass im Rahmen von Ana-Credit bestimmte Größenordnung von Geschäftsmodellen von der Meldepflicht befreit worden wären. Absolut unnötig ist es, zu den bestehenden Anforderungen immer noch weitere Meldewesen hinzuzufügen, wie es durch den Ausschuss für Finanzstabilität bei privaten Wohnimmobilien nun droht. Das Finanzministerium arbeitet auf Basis der Vorschläge des Ausschusses aktuell an einem Gesetzesentwurf. Wünschenswert wäre es viel mehr, dass nach Einführung von Ana-Credit auf das ein oder andere Meldewesen, beispielsweise die Anzeigepflicht für Millionenkredite, verzichtet würde.

Beim Thema Verbraucherschutz hat die Umsetzung der Wohnimmobilienkreditrichtlinie sehr anschaulich gezeigt, dass gut gemeint nicht immer auch gut gemacht ist. Die Kreditvergabe an bestimmte Bevölkerungsschichten wird nachhaltig erschwert. Was wir in Deutschland unter Substanzkrediten verstehen, ist mit den derzeitigen Regelungen für Ältere schlicht nicht mehr möglich. Dabei müsste es doch vielmehr angesichts der Politik der niedrigen Zinsen erklärtes politisches Ziel sein, Menschen mit Blick auf die Altersvorsorge in die eigenen vier Wände zu bringen, beziehungsweise im Alter auch Möglichkeiten für Umbaumaßnahmen am eigenen Wohneigentum zu belassen. Hier hätte Deutschland bei der Umsetzung die Option, bestimmte Vorschriften der Richtlinie nicht anzuwenden, nutzen müssen. Sie merken, es gibt nicht das eine Thema, sondern wichtige Details in der Umsetzung der vielen Regelungen.

Das erfordert doch sehr viel Kleinarbeit und auch viel Fachwissen?

In der Tat. Daher haben wir beim BVR auch eine neue Arbeitsgruppe "Regulatorik" eingerichtet, in der sich BVR-Fachleute gemeinsam mit Kollegen der Prüfungsverbände die regulatorischen Vorgaben im Tagesgeschäft der Banken genau anschauen, um konkrete Forderungen gegenüber der Aufsicht formulieren zu können.

Welche Zukunft haben Verbünde in einem solchen Umfeld? Werden diese durch die Rahmenbedingungen nicht gezwungen, sich mehr und mehr zum Konzern zu entwickeln?

Das glaube ich nicht. Mit der Fusion der Zentralbanken und der Rechenzentralen wurden wesentliche Erfolge zur Verschlankung des genossenschaftlichen Oberbaus erzielt. Das war wichtig. Denn die Erhöhung der Effizienz und der Leistungsstärke der zentralen Dienstleister ist Basis für die Unabhängigkeit der Ortsbankenebene. Die dezentrale Aufstellung mit starken Verbundunternehmen und unabhängigen Banken macht uns wesentlich erfolgreicher, als es ein zentraler Konzern wäre. Wir leben von einem Gleichgewicht der Kräfte, dürfen uns im schwieriger werdenden Umfeld nicht die potenziellen Erlösströme streitig machen, sondern müssen die Themen und Herausforderungen im engen Schulterschluss angehen. Da spielen wir als Verbandsvertreter eine wichtige Rolle.

Verschiebt sich die Arbeitsteilung nun aber nicht zugunsten einer noch größeren und damit noch mächtigeren Zentralbank?

Das sehe ich so nicht. Die Organisation sieht den Nutzen des Interessengleichgewichts. Es wäre fatal, wenn letztendlich die Interessenlagen des größten Mitglieds die alles Entscheidenden wären. Das wird - wie ich weiß - auch in Frankfurt so gesehen.

Wie wird denn die Arbeitsteilung zwischen Bundesverband, Regionalverband und Zentralbank künftig aussehen? Wer ist beispielsweise Strategieführer, wer Meinungsführer?

Strategieführer ist und bleibt der Bundesverband, so ist es in der Satzung festgelegt. Aber wir sitzen nicht im Elfenbeinturm. Durch die vielen Projekte und Arbeitsgruppen, die wir anstoßen und moderieren, schaffen wir es, eine breite Meinungsbildung unserer Finanzgruppe zu organisieren. Mit der Mitgliederversammlung 2016 wurde der Ständige Projekt- und Strategieausschuss (SPSA) in der BVR-Satzung verankert. In diesem sitzen die fachlichen Entscheider unserer Organisation und beschäftigen sich sowohl mit den bankfachlichen als auch den projektspezifischen Fragestellungen, mit dem Ziel, klare Schnittstellen und klare Verantwortlichkeiten bei Verbundprojekten festzulegen. Auch die Finanzierung wird hier geklärt. Der SPSA fungiert als Radar und Evidenzzentrale für Innovationen und gleichzeitig als Lenkungsausschuss für die gesamte Organisation betreffende Großprojekte wie aktuell das Projekt "Kundenfokus 2020".

Aber kann man Innovation sozusagen verordnen?

Nein, natürlich nicht. Aber wir müssen aufpassen, dass wir uns mit Blick auf das Geschäftsmodell der genossenschaftlichen Finanzgruppe nicht allein mit disruptiven Themen beschäftigen. Wir sollten unser Geschäft nicht selbst kannibalisieren, sondern aus einer Position der Stärke und des Erfolgs auch mit Blick auf die Ideen der Fintechs unser hochakzeptiertes Geschäftsmodell weiterentwickeln. Wir kennen neben den Stärken auch unsere Schwächen ziemlich genau. Es ist wichtig, diese Herausforderungen gemeinsam, mit all dem in der Organisation vorhandenen Wissen, anzugehen. Das klingt vielleicht komplexer und schwieriger als man das beispielsweise in einem Konzern angehen würde, aber die genossenschaftliche Finanzgruppe funktioniert anders. Das ist wiederum auch eine Stärke.

Weil Sie von Aufstellung sprechen: Haben Sie Wünsche, Vorstellungen an die Verteilung der Geschäftsfelder unterhalb der Holding in der neuen DZ Bank?

Da halte ich mich bewusst zurück. In den kommenden 24 Monaten wird es intensive Gespräche in den dafür vorgesehenen Gremien geben. Wir werden gemeinsam an einem sehr leistungsfähigen Modell arbeiten, aber es sind insbesondere der Vorstand und die Eigentümer der Zentralbank in der Verantwortung, diesen Prozess zu treiben und zu steuern. Die Zentralbank und die Verbundinstitute, ich sagte es schon einmal, sind extrem wichtige Partner der Volksbanken und Raiffeisenbanken auf dem Weg in die Zukunft. Und sie sind im Eigentum der Primärstufe.

Sie sagten, das Jahr sei bislang für die genossenschaftliche Finanzgruppe gut gelaufen. Bei manchen Konkurrenten zeigen sich dagegen ordentliche Bremsspuren. Was machen die Genossenschaften besser?

Unsere Mitglieder leiden ähnlich unter der anhaltenden Niedrigzinsphase wie andere deutsche Kreditinstitute. Aber wir nehmen Marktchancen wahr und können über Volumeneffekte die Rückgänge des Zinsergebnisses wenigstens zum Teil ausgleichen. Im Kundenkreditgeschäft haben die Volksbanken und Raiffeisenbanken per Ende Juni ihren Marktanteil beispielsweise um einen halben Prozentpunkt auf 16 Prozent ausgebaut. Überhaupt gewinnen wir insgesamt seit rund zehn Jahren stetig Marktanteile. All das hilft am Ende aber nur eingeschränkt, denn die Rückgänge im Zinsgeschäft sind deutlich. Zudem muss abgewartet werden, wie sich der SREP-Prozess in den Zahlen unserer Mitglieder niederschlagen wird. Die BaFin muss sich bewusst sein, dass sie nicht grenzenlos Kapitalaufschläge verfügen kann. Sonst drohen Veränderungen im Marktverhalten der Institute. Eine Aufsichtsbehörde sollte nicht in die Rolle schlüpfen, mit überzogenem Handeln die Kreditvergabe an die Realwirtschaft zu hemmen.

Die rechtliche Seite des SREP-Prozesses ist noch nicht ganz geklärt: Gibt es Institute, die juristisch gegen ihre Kapitalaufschläge vorgehen wollen?

Die ersten Briefe der BaFin sind gerade erst in den Häusern eingegangen und werden nun analysiert. Je nachdem, wie gerecht sich das eine oder andere Institut behandelt fühlt, wird man weitere Schritte überlegen. Der erste Eindruck zeugt meinen Kenntnissen nach aber von einem grundsätzlich fairen Umgang miteinander.

Der Ifo-Geschäftsklimaindex ist im August überraschend schlecht ausgefallen, ist das ein erstes Anzeichen einer konjunkturellen Abschwächung? Was wären Konsequenzen für die Risikovorsorge, die derzeit weit unter Plan liegt?

Zunächst muss man berücksichtigen, dass der Ifo-Index ein vorauslaufender Index ist. Hier spielen Erwartungen eine Rolle, also Bauch und Kopf. Die Unsicherheit aller Wirtschaftstreibenden wird angesichts der Rahmenbedingungen aus politischen Krisen, der Zukunft von Euro und Europa und der Geldpolitik nicht kleiner. Ich glaube derzeit nicht an einen nachhaltigen Konjunktureinbruch. Die Risikovorsorgen liegen in der Tat weit unter den Planwerten und helfen damit den Genossenschaftsbanken bei den Ergebnissen und der Bildung von Eigenkapital und Reserven. Durch den konservativen Umgang mit Risiken in unserer Gruppe sehe ich selbst bei einer wirtschaftlichen Abkühlung keinen großen Grund zur Sorge. Niemand wünscht sich eine Krise, aber wir wären darauf vorbereitet.

Wo sehen Sie Wachstumsfelder für Ihre Gruppe?

Unsere Organisation hat in den vergangenen Jahren sowohl auf der Privatkundenals auch der Firmenkundenseite Marktanteile gewonnen. Das zeigt, wie gut die Banken in die Wirtschaftskreisläufe eingebunden sind. Weiteres Potenzial gibt es im oberen Mittelstand. Hier haben wir nur mühsam unsere Position halten können, da der Wettbewerb seitens der Großbanken und auch ausländischer Institute sehr hoch ist. Dafür müssen Strukturen in unserer Gruppe geschärft werden. Vor allem die Zusammenarbeit zwischen Zentralbank und Primärstufe muss auf dieses Kundenfeld noch besser abgestimmt werden. Dazu gehören auch der Aufbau von größeren Kompetenzen im Auslands- und dem kapitalmarktnahen Firmenkundengeschäft. Und wir müssen mehr qualifizierte Firmenkundenbetreuer aufbauen, die die besonderen Bedürfnisse dieser Kundengruppen ansprechen können.

Schauen Sie bei all den Initiativen nur auf den eigenen Verbund, oder kommen auch Partner von außen in Betracht, Beispiel dwp-Bank?

Bei diesen Fragen muss zunächst entschieden werden, ob das betroffene Geschäftsfeld für die Aufstellung des eigenen Hauses, der eigenen Gruppe ein Differenzierungsmerkmal im Wettbewerb ist. Die reine Abwicklung beispielsweise von Wertpapiergeschäften ist eher ein standardisierter Prozess, der nicht so sehr der eigenen Profilschärfung im Kundengeschäft nutzt. Hier wird es immer schwieriger werden, in einer einzelnen Säule profitabel zu arbeiten. Ähnliches gilt für das Thema "Bezahlen im Internet". Die Antwort auf die Frage ist also zweigeteilt: Teile werden wir innerhalb der Gruppe lösen, andere gemeinsam mit Partnern, in erster Linie innerhalb der deutschen Kreditwirtschaft, möglicherweise auch in Europa.

Hat "Paydirekt" Sie ernüchtert, was die Gemeinsamkeiten in der deutschen Kreditwirtschaft betrifft?

Wir sind mit großem Schwung gestartet und ich persönlich hätte mir natürlich schnellere Fortschritte gewünscht. Der Erfolg von Paydirekt steht und fällt mit der Anbindung der Händler, denn nur über die Präsenz auf den entsprechenden Portalen bekommt Paydirekt die notwendige Aufmerksamkeit der Kunden. In jüngster Zeit ist es gelungen, einige namhafte Händler anzubinden. Das macht trotz der Zeitverzögerung Hoffnung.

Welche Zukunft hat das genossenschaftliche "Regionalprinzip" in der digitalen Welt? Ist dieses Gentleman's Agreement durchzuhalten, wenn Grenzen verschwimmen und sich Banken aus der Fläche zurückziehen?

Es gibt in der genossenschaftlichen Organisation bereits heute überregionale Strukturen, zum Beispiel PSD Banken, Sparda-Banken oder die Apotheker- und Ärztebank. Es ist eine wichtige Botschaft, auch gegenüber dem Kartellamt, dass sich die regionale Verankerung der Genossenschaftsbanken vor allem aus der räumlichen Nähe der Bank und zu ihren Mitgliedern begründet. Darüber hinaus hat dieser Ansatz unter Risikosteuerungsgesichtspunkten durchaus Sinn, da die Banken vor Ort dichter an den regionalen Risiken dran sind. Wir stehen zu unserem Ansatz und sind der Meinung, dass sich Digitalisierung und ein regionales, mitgliederorientiertes Geschäftsmodell nicht ausschließen müssen. Mit dem erarbeiteten Konzept des Omnikanalangebotes kann man dem Kunden die "Genossenschaftsbank von überall" anbieten, darüber hinaus aber die persönliche Nähe vor Ort als echten Wettbewerbsvorteil ausspielen. Wir leben den genossenschaftlichen Gedanken aus Netzwerk und regionaler Verbundenheit auch in der digitalen Welt.

Sie sagten zu Beginn, Ihre Gruppe kann aus einer Position der Stärke sprechen. Wenn wir uns in einem Jahr wieder sprechen, aus welcher Position heraus geschieht dies dann und welche zentralen Themen Ihrer Gruppe werden dann in den Vordergrund rücken?

2016 wird kein schlechtes Jahr. Von daher werden wir wieder aus der Position einer starken Organisation heraus agieren. Aber natürlich werden all die Probleme, die wir heute angesprochen haben, noch dringlicher sein und vielleicht sogar noch emotionaler diskutiert werden. Aber ich persönlich bin ein optimistischer Mensch und das genossenschaftliche Modell ist geprägt von unternehmerischen Wandel, einem positiven Blick in die Zukunft und dem festen Willen, die Themen anzugehen. Das werden wir tun.

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