Genossen-Jahre

Philipp Otto, Chefredakteur Foto: Verlag Fritz Knapp GmbH

"Mehrere kleine Kräfte vereint bilden eine große, und was man nicht allein durchsetzen kann, dazu soll man sich mit anderen verbinden." Hermann Schulze-Delitzsch und Friedrich Wilhelm Raiffeisen, die vor mehr als 170 Jahren eine Idee hatten, können wahrlich stolz auf ihre Nach-Nach-Nachfolger sein. Denn das genossenschaftliche Prinzip der Hilfe zur Selbsthilfe präsentiert sich immer mehr als das Unternehmensmodell der Gegenwart und wahrscheinlich auch der Zukunft. Union-Investment-Chef Hans Joachim Reinke sprach vom abgelaufenen Jahrzehnt als einer "Dekade der Genossenschaften". Ein Jahrzehnt übrigens, das geprägt von den Folgen der Finanzkrise, der Eurokrise, der geldpolitischen Lockerung und der durch technischen Fortschritt und Regulierung veränderten Wettbewerbsbedingungen wahrlich kein Jahrzehnt für Finanzdienstleister war. Doch nur in schweren Zeiten zeigt sich wahre Stärke. Die genossenschaftliche Finanzgruppe hat alles bewältigt, ohne Staatshilfe, aus eigener Kraft, wie es die Ursprungsidee vorsah und immer noch vorsieht.

Die Stärke des Verbundes zeigt sich an einigen ganz großen Meilensteinen, die in den vergangenen zehn Jahren bewältigt wurden: Fusion der beiden Zentralbanken - erledigt. Die größte Kapitalerhöhung in der Geschichte der DZ Bank - erledigt. Bündelung der Kräfte auf Ebene der Regionalverbände, vor allem durch den Frankfurter Regionalverband - in progress. Fusion von zwei der drei Hypothekenbanken - erledigt. Bündelung der Kräfte im Private Banking in der DZ Privatbank - erledigt. Rettung der DVB Bank - erledigt.

Die Stärke des Verbundes zeigt sich zudem an den Marktanteilsgewinnen: Gab es zu Beginn der Dekade noch 1138 Institute mit einer Bilanzsumme von rund 707 Milliarden Euro waren es Ende 2018 (die konsolidierten 2019er Zahlen vom BVR liegen leider noch nicht vor, aber der Trend dürfte sich ohne Zweifel fortgesetzt haben) noch 875 Institute mit einer Bilanzsumme von 935 Milliarden Euro. Der Bestand an Kundeneinlagen hat sich in diesem Zeitraum um mehr als 37 Prozent von 507 auf 697 Milliarden Euro erhöht. Das Kreditvolumen stieg von 406 Milliarden Euro sogar um 45 Prozent auf rund 590 Milliarden Euro. Im entscheidenden Geschäft mit inländischen Unternehmen und Privatpersonen hat die genossenschaftliche Finanzgruppe laut Bundesbank-Statistik ihren Marktanteil bei den Krediten in der vergangenen Dekade von 17,2 Prozent Ende 2009 auf gut 21,3 Prozent Ende des abgelaufenen Geschäftsjahres erhöht. Bis zu den angestrebten 25 Prozent Marktanteil ist es zwar noch ein Stück, angesichts der Entwicklungen gerade der vergangenen zwei bis drei Jahre darf man aber sicher sein, dass die Kreditgenossenschaften diesem Ziel immer näher kommen werden.

Und die Stärke des Verbundes zeigt sich nicht zuletzt an den Ergebnissen des Spitzeninstituts in den vergangenen Jahren, aber gerade auch des abgelaufenen Geschäftsjahres 2019. In diesem hat die DZ-Bank-Gruppe ein Ergebnis vor Steuern von 2,7 Milliarden Euro erzielt - mehr als eine Deutsche Bank (operativ gerechnet), eine Commerzbank und alle Landesbanken zusammen. Natürlich könnte man jetzt wieder rummäkeln und von guten Marktbedingungen und windfall profits sprechen. Denn es gab im abgelaufenen Geschäftsjahr schon einige Sondereffekte: Eine Erholung an den Kapitalmärkten hat das Kapitalanlageergebnis der R+V um 520 Millionen Euro gepuscht, das Staatsanleiheportfolio der DZ Hyp um 250 Millionen.

Doch auch ohne diese beiden wesentlichen Sondereffekte, die übrigen heben sich mit Plus und Minus weitestgehend auf, verbleibt ein mehr als vorzeigbares operatives Ergebnis von knapp 1,9 Milliarden Euro. Man könnte aber auch andersherum rechnen: Hätte die DZ Bank in diesem Abschluss nämlich auf Teufel komm raus alles gezeigt, was zu zeigen war, würde er vermutlich in der Region von 3,6 bis 3,7 Milliarden Euro liegen. Doch wie heißt es so schön: Spare in der Zeit ... Kern dieses Erfolgs, der keine Eintagsfliege ist, sondern sich über die vergangenen Jahre immer wieder bestätigt hat, ist die diversifizierte Aufstellung der Gruppe. Die Zentralisierung und die strikte Ausrichtung an den Bedürfnissen der Volks- und Raiffeisenbanken als Vertriebspartner sichern Erfolg, egal aus welcher Richtung der Wind bläst. So lassen sich auch Probleme mehr oder weniger mühelos aus der eigenen Stärke heraus bereinigen. Beispiel DVB Bank. Der ehemalige Schiffs-, Flugzeug- und Transportfinanzierer war schon lange keine Perle mehr im Konzern. Schon Ulrich Brixner suchte vergeblich nach einem Käufer. In den vergangenen Jahren verschlimmerte sich die Situation. Auch das wurde weggesteckt. Und statt die DVB abzustoßen wurde sie zu einer Demonstration der eigenen Kraft der DZ-Bank-Gruppe. Man muss es sich leisten können und wollen, rund eine Milliarde Euro an Abschreibungen und Risikovorsorge in eine Tochter zu stecken, um so nun die schonende Abwicklung des verbleibenden Portfolios von rund 7 Milliarden Euro in Eigenregie angehen zu können.

Zweites Beispiel: die Bausparkasse Schwäbisch Hall. Diese arbeitet fieberhaft gegen die Zinssituation an, hebt die IT auf ein neues Niveau und bündelt Kräfte auch mit verbundfremden Bausparkassen. Im vergangenen Jahr wurden nun 285 Millionen Euro Rückstellungen für Zinsbonifikationen gebildet. Ob die in voller Höhe gebraucht werden, ist eher fraglich. Auch das ist wieder ein Zeichen für die sehr gesunde Vorsorgepolitik in der Gruppe.

Darüber hinaus trugen zum Spitzenjahrgang 2019 fast alle Einheiten - Konzerngesellschaften wäre wohl etwas zu weit gegriffen - bei. Immerhin noch 189 Millionen Euro steuerte die Bausparkasse Schwäbisch Hall bei. Stolze 1,12 Milliarden kommen von der R+V, satte 648 Millionen Euro von der Union Investment und 152 Millionen Euro von der Teambank. Damit zu einem weiteren Meilenstein in der Geschichte der Kreditgenossenschaften: Gleich mit Beginn der neuen Dekade können diese getrost ein Thema zu den Akten legen, was den Verbund in den vergangenen zwei Jahrzehnten arg gestresst und mitunter sogar gespalten hat - die Holding. Immer wieder wurde heftig darüber gestritten, wie die Geschäftsbankaktivitäten der DZ Bank sauber von den übrigen Einheiten abgegrenzt werden können. Im Abschluss für das Jahr 2019 wird diese Transparenz nun virtuell hergestellt.

So kommt die Verbund- und Geschäftsbank auf einen originären Ergebnisbeitrag aus dem Kundengeschäft von 293 Millionen Euro. Ergebnistreiber sind vor allem das Transaction Banking und das Kapitalmarkt- und Firmenkundengeschäft. Im Zuge der neuen Transparenz werden Einheiten, die in der Marktbearbeitung eng mit der Verbund- und Geschäftsbank verzahnt sind, gedanklich diesem Konstrukt zugerechnet. Das ist vor allem das in der DZ Hyp gebündelte gewerbliche Immobilienfinanzierungsgeschäft (Ergebnisbeitrag 2019 rund 687 Millionen Euro), das Geschäft mit gehobenen Privatkunden der DZ Privatbank (36 Millionen Euro) und die Leasingtochter VR Smart Finance, die einen Verlust von 10 Millionen Euro für das abgelaufenen Geschäftsjahr ausweist.

Somit käme die Verbund- und Geschäftsbank auf ein Ergebnis von knapp 1 Milliarde Euro. Mit Blick auf die Landesbanken als Benchmark sei das sehr komfortabel, wie DZ-Bank-Co-Chef Uwe Fröhlich feststellte. Er merkte aber auch an, dass es sehr anspruchsvoll sei, das zu halten. Überhaupt ist es die Frage, wie lange die DZ Privatbank und die VR Smart Finance noch als eigenständige Einheiten agieren dürfen beziehungsweise wann sie in den entsprechenden Einheiten der Verbund- und Geschäftsbank aufgehen werden. Auch das werden die Kreditgenossen wieder wie gewohnt geräuschlos machen.

Der Weg ist bereitet und klar vorgezeichnet. Auch das ist ein Merkmal dieses Verbundes, der früher für Journalisten so herrlich uneinig war. Doch das ist vorbei. Man geht die Herausforderungen der Zukunft gemeinsam und gestärkt an. Der frühere DZ-Bank-Chef Wolfgang Kirsch zitierte in seinem Vorwort zu einem früheren Geschäftsbericht den Ökonomen für Umbruchzeiten, Joseph Schumpeter: "Wenn wir daher mit Optimismus in die Zukunft blicken, so muss dieser Optimismus nicht unbedingt ein Zeichen von Pflichtvergessenheit sein." Wohl war. Es könnte ein weiteres Jahrzehnt der Genossenschaften und vor allem der Kreditgenossenschaften werden.

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