Eine schleichende Entwicklung beginnt kaum merklich und verändert die Rahmenbedingungen, ohne dass es uns bewusst wird. Die Digitalisierung ist alles andere als das: Sie ist dynamisch und tief greifend und der durch sie verursachte Wandel entwickelt zunehmende Vehemenz. Sie verändert das private Leben und das Business. Finanzdienstleister bekommen dies an vielerlei Stellen zu spüren. Online-Banking anstelle von Filialbanking war nur ein erster Schritt.
Führende Positionen im Wettbewerb nehmen nicht mehr die traditionellen Konkurrenten ein, sondern die Fintech-Unternehmen. Jahrzehntealte Geschäftsmodelle fallen in sich zusammen und neue entstehen, die nur noch rein virtuell aus Nullen und Einsen bestehen. Und um dem Ganzen die Krone aufzusetzen, beginnen nun auch noch die Kunden, die neuen Optionen für sich zu erkennen, zu nutzen und von den Hausbanken einzufordern.
In der dunkel getäfelten Schalterhalle von einst waren die Rollen klar verteilt. Der Kunde kam in die Bank und stand auf der "öffentlichen" Seite. Auf der anderen die Mitarbeiter. Der Kunde betrat diese Seite nur zu wichtigen, außergewöhnlichen Anlässen - oder wenn es ganz schlecht um seine Liquidität bestellt war. Längst ist diese Vorstellung anachronistisch und einer Kommunikation auf Augenhöhe gewichen, wie sie nicht nur eine aktuelle Radiowerbung für ein Geschäftskonto eines Düsseldorfer Kreditinstituts einfordert.
Kommunikation differenziert sich
Die Zahl der Medien und der Kanäle in der Kommunikation mit den Kunden wächst. Oft wächst sie schneller als ein Unternehmen darauf reagieren kann. Und manchmal ist der Kanal auch schon wieder obsolet, bevor ein brauchbares Konzept für ihn entwickelt werden konnte. Aber genau in dieser Anzahl der Kanäle, in der Multioptionalität der Kommunikation, liegen Fluch und Segen des heutigen Marketings. Es ist die stets komplexer werdende Frage nach dem richtigen Medium und der richtigen Botschaft zur richtigen Zeit. Hat man heute einen Treffer gelandet, so kann es morgen schon wieder die Niete sein.
Aber nicht nur die kürzer werdenden Reaktionszeiten machen Interessentenwerbung oder Bestandskundenmarketing kompliziert, auch die Kunden selbst differenzieren sich immer weiter auf. Die junge Familie etwa, die potenziell ein Haus bauen oder eine Wohnung kaufen möchte. Vor gar nicht allzu langer Zeit stellte dies noch eine völlig ausreichende Definition einer Zielgruppe dar. Aber heute? Stadt- oder doch Landleben, Smart Home oder Lehmziegel, Garten für ökologische Lebensmittel oder Doppelgarage, Ruhe, pulsierendes Leben - oder vielleicht ein wenig von allem und je nach Wochentag mit unterschiedlicher Gewichtung?
Die Menschen sind inzwischen so individuell, dass sie problemlos mehrere Identitäten gleichzeitig einnehmen können. Wen soll die Kommunikation erreichen und vor allem auf welchem Kanal? Denn genauso individuell ist auch die mediale Nutzung durch den Menschen. Klassische Werbung und die von ihr gepuschte Markenbildung taugt längst nur noch zu einem Grundrauschen, das bestenfalls vor dem völligen Vergessen werden bewahren kann. Es reicht schon lange nicht mehr, potenziellen Kunden von den Vorzügen eines Produktes zu berichten. Die rein rationale Ebene ist in vielen Fällen nicht mehr die erste Entscheidungsstufe. Die Kunden wollen begeistert werden, sie wollen Emotionen. Und sie wollen diese Customer Experience entlang ihrer ganz eigenen Customer Journey, ihrem Weg durch den medialen Dschungel. Was hier nach Buzzword-Bingo klingt ist im Kern genau die Herausforderung, die es zu meistern gilt.
Daten sind mehr als ausreichend vorhanden
Bei dem Wandel hin zur Kundenzentrierung handelt es sich weder um ein theoretisches Modell noch um eine Zukunftsvision. Es ist die reale Wirklichkeit - auch wenn sie nicht jedem Marketingverantwortlichen gefällt. So sehen dann auch vielfach die gängigen Lösungen aus. "Wir brauchen mehr Daten über unsere Kunden", rufen die Einen. "Das geht nur mit noch mehr Digitalisierung", rufen die Anderen. Wie so oft im Leben haben einerseits alle recht, andererseits aber auch nicht in Gänze.
Dass Daten über Kunden und Interessenten ein wesentliches Element modernen Marketings sind, ist völlig unstrittig. Abgesehen vielleicht von Versicherungen sind in kaum einer Branche so viele Daten vorhanden wie bei Banken. Aber da taucht bereits die erste Unsicherheit in Form der Datenschutzgrundverordnung auf. Inzwischen beschleicht manchen Verantwortlichen ja durchaus das Gefühl, vorhandene Daten zu nutzen sei mit Diebstahl oder Betrug gleichzusetzen. Das ist natürlich Unsinn. Kreditinstitute haben schon immer Vorschriften sehr exakt beachtet und beachten müssen. Die Kundendaten wurden in aller Regel zum jeweiligen Zeitpunkt in der Vergangenheit gesetzeskonform erhoben und dürfen damit auch ohne eine neue Zustimmung einzuholen, weiter genutzt werden. Daten sind also da, nur genutzt werden sie nicht immer.
Daten oft nicht kompatibel
Ein großes Problem sind die verschiedenen Quellen. Abteilungen benötigen Daten mit unterschiedlichen Inhalten, Tiefen und Formaten. Deshalb bereiten sie sich diese passend auf - selbstverständlich bezogen auf ihre ureigene Problemlösung. Ob das Marketing in der Lage sein wird, die verschiedenen Informationen nicht nur inhaltlich, sondern zunächst einmal technisch zusammenzuführen, ist dabei erst in zweiter Linie interessant. Vorhandene Daten können zuweilen also gar nicht genutzt werden, weil sie nicht kompatibel sind.
Der eine oder andere Marketer wird nun sagen, dieses Problem sei bei ihm doch längst gelöst. Sehr schön. Doch es bleiben noch genügend Herausforderungen. Daten und Informationen über Kunden und Interessenten sind nur dann wirklich relevant für das Marketing, wenn sie zielorientiert ausgewertet werden. Entscheidend ist es also, die richtigen Fragen zu stellen und so die wirklich homogenen Zielgruppen zu identifizieren. Die Gruppen, die nicht nur nach althergebrachten, formalen Kriterien zusammengefasst werden können, sondern auch nach den vielen weicheren Faktoren und der medialen Präferenz.
Philosophiewechsel zum kundenzentrierten Marketingweltbild
Wer als Finanzdienstleister diese Schritte geht, hat nebenbei auch noch einen Philosophiewechsel vollzogen: Weg vom Verkäufer standardisierter Produkte mit Renditeorientierung hin zum kundenzentrierten Marketing(welt)bild.
Und genau das ist nötig, denn in einer Welt, in der Informationen und Produkte dank des Internets beinahe überall und zu jeder Zeit verfügbar sind, haben Marken längst aufgehört Orientierung zu bieten. Die Kunden und ihre Bedürfnisse sind der Nukleus der On-Demand-Gesellschaft. Sie erreichen wir am Ende nur im direkten Dialog.
Kanäle bleiben und wandeln sich
Heißt das nun, dass jedwede Kommunikation digital sein oder werden muss? Sind alle anderen bisherigen Kommunikationsformen von Fernsehspot bis zum klassischen Werbebrief als Auslaufmodelle zu betrachten? Zur Beantwortung lässt sich gut auf Wolfgang Riepl und das Rieplsche Gesetz zurückgreifen. 1913 formulierte der spätere Chefredakteur der Nürnberger Nachrichten in seiner Dissertation einen heute noch gültigen Grundsatz in der Medienlandschaft. Sinngemäß sagt er aus, dass sich die Kommunikation und ihre Kanäle zwar wandeln und immer wieder neue hinzukommen. Die alten aber bleiben dennoch bestehen.
Die Entwicklung späterer Jahre gibt ihm Recht. Weder hat das Radio die Zeitung vernichtet noch das Fernsehen den Kinos den Garaus gemacht. Auch das Internet wird die klassische gedruckte Kommunikation nicht völlig ablösen. Aber die Ausführungen von Riepl haben noch einen zweiten, ebenfalls wichtigen Teil: Die jeweils angegriffenen, traditionellen Medien erleben mit der neuen Konkurrenz eine Bedeutungsänderung. Sie verschwinden nicht, aber ihre Funktion wandelt sich.
Dies muss das Marketing berücksichtigen, etwa beim Direct-Mailing. In Zeiten vor der Digitalisierung waren Mailings einer der wesentlichen Träger der Neukunden-Akquise. Das funktioniert heute in dieser Form nicht mehr - die Gründe von der medialen Emanzipation bis zur persönlichen Individualisierung wurden bereits genannt. Dennoch ist dieser gedruckte Werbeträger keineswegs tot.
Soziale Netzwerke sind kein Point of Purchase
Werfen wir einen Blick auf den Ablauf der Customer Journey vom ersten Kontakt bis zum Abschluss. Der Interessent informiert sich - durchaus angeregt durch On- oder Offline-Werbung - in digitalen Medien über eine Bank und ihre Produkte. Dabei nehmen soziale Netzwerke inzwischen einen überaus bedeutsamen Raum ein. Bei der Vielzahl der möglichen Touchpoints ist es ungemein wichtig, Analogien aus den Daten der Bestandskunden zu ziehen. Denn dort, wo sie sich aufhalten, sind natürlich auch Neukunden zahlreicher zu vermuten.
Allerdings sind diese Plattformen nicht der Platz für die Zinsberechnung des individuellen Kreditangebots und den Vertragsabschluss. An kaum einem Punkt sind die Datenschutzbedenken der Verbraucher so groß wie in den sozialen Netzwerken; deshalb sind sie nicht nur für Banken kein Point of Purchase. Sie sind der Ort für das erste Kennenlernen. Erfahren kann man beispielsweise, für welche Themen Interesse besteht, und den angebotenen Content darauf zuschneiden.
Spezielle Herausforderungen bei Social Media
Die sozialen Netzwerke halten einige besondere Herausforderung bereit:
Etwa die Tendenz, des vertrauten "Du" als übliche Anrede. Es muss klar sein, dass dies nur hier gilt und in einer potenziell späteren Geschäftsbeziehung angepasst werden muss.
Oder das Problem der eindeutigen Identifikation. Nach dem ersten Kennenlernen kennt die Bank schließlich nichts vom Interessenten als den Namen oder gar nur ein Pseudonym. Unklar bleibt damit sogar, ob die Person vielleicht bereits Kunde ist. Man muss also die sich anbahnende Beziehung pflegen - reaktiv, denn mehr ist nicht machbar. Aktive Kommunikation wird erst möglich, wenn der potenzielle Kunde den Übergang zu Landingpages oder Websites findet und sich dort, etwa zwecks eines konkreten Angebots, mit relevanten Angaben registriert. Nun sind Daten vorhanden, die vielfältige Möglichkeiten eröffnen: Weitere Kommunikation per E-Mail, Informationen am Telefon oder auch schriftliche Kommunikation per Mailing - wobei die Wahl des Kanals allein dem Verbraucher zusteht.
An dieser Stelle sollte immer der Fokus auf die postalische Adresse gelegt werden. Denn Nicknames, Social-Media-Profile und selbst Mobilnummern sind deutlich flüchtigere Informationen als die Wohnadresse. Sie allein macht eine eindeutige Zuordnung der Person möglich.
Print ist teurer - aber auch stärker
Jetzt ist der Zeitpunkt gekommen für ein gut gemachtes Mailing. Natürlich ist es in vielerlei Beziehung aufwendiger als der digitale Verwandte. Aber nach der entsprechenden Vorarbeit kann es seine Stärken nun ausspielen.
- Es informiert umfassend, denn es hat den Platz dafür.
- Es informiert konkret, denn der Text ist in allen Teilen individualisierbar.
- Es informiert nachhaltig, denn das Gedruckte kann auch nach Tagen oder Wochen wieder zur Hand genommen werden. Schließlich informiert es wertschätzend, denn angesichts der deutlich zurückgehenden Zahl der Werbebriefe bekommt es einen besonderen Status. Es zeigt durch seine haptische Form die Wichtigkeit des Interesses.
Erste Wahl bei der Kommunikation mit Bestandskunden
Natürlich weiß es der aufgeklärte Verbraucher in aller Regel besser, dennoch sieht er in der direkten Ansprache mit einem offensichtlich nur für ihn bestimmten Schriftstück ein klares Signal der Vertrauenswürdigkeit. Dieses Vertrauen wird auch auf den Inhalt übertragen und wird in der Summe so zu einem wichtigen Teil einer positiven Customer Experience.
Genau aus diesen Gründen ist die gedruckte Kommunikation auch erste Wahl bei der Kommunikation mit Bestandskunden. Zumindest dann, wenn die genannten Vorteile zum Cross- oder Up-Selling genutzt werden sollen - für andere Zwecke reicht oft auch eine E-Mail.
Datenorientiertes Marketing und Mailing sind ein unschlagbares Duo
Warum sich datenorientiertes Marketing und klassisches Mailing aber nicht ausschließen, sondern ein geradezu unschlagbares Duo abgeben, zeigt sich hier. Wer seine Kunden anspricht, kann auf vielfältige Informationen zum Bestand und zur Historie zurückgreifen. Daraus lassen sich scheinbar individuelle Angebote entwickeln, die Kommunikation nicht mit der Gießkanne betreiben, sondern sich an sozioökonomischen Mustermännern orientieren und die Lebensumstände und Lebenswirklichkeit der Angeschriebenen treffen.
Man kann es als individualisierte Standardisierung beschreiben, wenn ganze Serien von Mailings vorbereitet werden, die zum jeweils richtigen Zeitpunkt an die Kunden versandt werden. Je besser die Datenanalyse und die Vorbereitung waren, desto mehr Erfolg wird diese Aktion haben.
Nicht absendende Marke, nicht erzielte Reichweite, sondern Relevanz ist eine der wichtigsten Maßgrößen in der Kundenkommunikation heute. Eine entscheidende Frage für Erfolg oder Misserfolg einer jeden Marketingaktivität lautet: Gelingt es, den Verbraucher an der richtigen Stelle mit den richtigen Informationen abzuholen? Wissen über die Kunden ist bei Banken in überreichem Maße vorhanden. Dieses Wissen muss entsprechend aufbereitet und in relevanten Content umgesetzt werden. Dank gezogener Analogien kann es zudem dazu dienen, auch die Neukundengewinnung effizienter zu machen.
Marketing ist keine Glaubensfrage, bei der man sich grundsätzlich zwischen On- und Offline zu entscheiden hat. Es geht um nicht mehr und nicht weniger als das jeweils passende Medium. Am Ende muss Marketing heute das Gleiche leisten wie damals in der dunkel getäfelten Schalterhalle: Jeder Kunde und jeder, der es werden will, muss das Gefühl haben: Hier werde ich mit meinem ganz persönlichen Anliegen optimal und individuell bedient.